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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: 6 W 65/07
Rechtsgebiete: RVG, GKG, ZPO


Vorschriften:

RVG § 32 Abs. 2
GKG § 63 Abs. 3 Satz 2
GKG § 68 Abs. 1
GKG § 68 Abs. 1 Satz 3
ZPO § 4
ZPO § 4 Abs. 1 Halbs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluss

Geschäftszeichen: 6 W 65/07

In dem Rechtsstreit

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 6. Zivilsenat, durch die Richter B. A., H. am 17.09.2007:

Tenor:

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 24.5.2007 (415 O 114/06) wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin richtet sich dagegen, dass das Landgericht bei der Bemessung des Streitwerts des Befreiungsanspruchs die Kosten des Vorprozesses nicht berücksichtigt hat (bestehend aus den Kosten der Klägervertreter und der Beklagtenvertreter im Vorprozess sowie den Gerichtskosten des Vorprozesses). Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben die Kosten des Vorprozesses nicht beziffert. Nach der beigezogenen Akte des Vorprozesses (415 O 42/06) hat die dortige Klägerin Anwaltskosten von 2.635,- EUR geltend gemacht (1,3 Verfahrensgebühr, 1,2 Terminsgebühr nach einem Streitwert bis 50.000,- EUR, ferner Postpauschale, ohne MWSt. wegen Vorsteuerabzugsberechtigung). Es ist davon auszugehen, dass an Anwaltskosten für die Beklagte des Vorprozesses derselbe Betrag angefallen ist. An Gerichtskosten sind EUR 1.499,50 angefallen, so dass es insgesamt um EUR 6.769,50 geht. Hiervon mag es (wegen etwaiger Reisekosten o.Ä) geringfügige Abweichungen geben. Dies kann aber dahingestellt bleiben, weil ein Gebührensprung (bei 50.000,- EUR) in jedem Fall überschritten werden würde, der nächste Gebührensprung (bei 65.000,- EUR) in keinem Fall.

Die Beschwerde ist gemäß § 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1 GKG zulässig. Insbesondere ist der Beschwerdewert von EUR 200,- (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) erreicht. Maßgeblich ist die Gebührendifferenz für die Gebühren der Beschwerdeführer. Bei einem Streitwert (wie vom Landgericht festgesetzt) bis 50.000,- EUR beträgt eine Gebühr nach dem RVG 1.046,- EUR. Bei einem Streitwert bis 65.000,- EUR beträgt eine Gebühr nach dem RVG 1.123,- EUR. Die Differenz beträgt EUR 77,-. Bei insgesamt 2,5 Gebühren (1,3 Verfahrensgebühr und 1,2 Terminsgebühr) beträgt die Gebührendifferenz EUR 192,50. Hinzuzurechnen ist aber noch die Umsatzsteuer, weil sie Teil des Anwaltshonorars ist (Nr. 7008 der Anlage zum RVG; vgl. OVG Hamburg AnwBl. 1981, 501; Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., § 32, Rn. 28; Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., § 32 RVG, Rn. 17). Der Beschwerdewert beträgt daher EUR 229,08.

Die Frist der §§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG ist eingehalten.

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist aber unbegründet.

Nach Auffassung des Senats sind die Kosten des Vorprozesses zum Streitwert nicht hinzuzurechnen, sondern bleiben als Nebenforderungen gem. § 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO unberücksichtigt.

Diese Rechtsfrage ist allerdings umstritten. In einer älteren Entscheidung des BGH heißt es, dass bei einer Klage auf Befreiung von einer Verbindlichkeit Zinsen des Anspruchs, von dem Befreiung begehrt wird, "Nebenforderungen" des Befreiungsanspruchs sind und daher bei dessen Wertfestsetzung unberücksichtigt bleiben (BGH NJW 1960, 2336). Begründet wird dies mit dem Sinn und Zweck des § 4 ZPO, der dahin geht, dass eine praktische, einfache und klare Wertermittlung ohne umständliche und zeitraubende Untersuchungen oder gar Beweiserhebungen ermöglicht wird. Die Entscheidung des BGH ist zwar ausdrücklich nur zu Zinsen ergangen. Aus der Formulierung "Denn Nebenforderungen des Anspruchs, von dem Befreiung begehrt wird, sind auch Nebenforderungen des Befreiungsanspruchs" kann man aber schließen, dass die Ausführungen des BGH auch für Kosten gelten sollen. Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat (auch für die Kosten des Vorprozesses) bereits in dem vom Landgericht zitierten Beschluss vom 6. 2. 2004 (6 W 7/04) angeschlossen. Der Senat hält daran auch weiterhin fest.

Aus dem Urteil des BGH 21. 1. 1976 (MDR 1976, 649, 650) folgt nach Auffassung des Senats nichts anderes. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein rechtskräftig zum Schadensersatz verurteilter Versicherungsnehmer gegen seinen Haftpflichtversicherer auf Befreiung von der Urteilssumme und den zugunsten des Geschädigten festgesetzten Kosten geklagt. In einem solchen Fall sind nach Auffassung des BGH die festgesetzten Kosten dem Streitwert hinzuzurechnen. Der BGH begründet dies damit, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Haftpflichtversicherer, ihn von seiner Verpflichtung zur Zahlung der nach verlorenem Haftpflichtprozess festgesetzten Kosten zu befreien oder ihm diese zu ersetzen, sofern er sie selbst schon entrichtet hat, keine Nebenforderung zum Versicherungsschutzanspruch, sondern ein wesentlicher hauptsächlicher Bestandteil dieses Anspruchs selbst sei. Die Kostenerstattungspflicht des Versicherers sei eine Folge seiner Rechtsschutzgewährungspflicht, die gleichrangig neben der Pflicht stehe, den Versicherungsnehmer von begründeten Schadensersatzansprüchen des Geschädigten freizuhalten. Eine ähnliche Konstellation gibt es im vorliegenden Fall nicht.

In seiner Entscheidung vom 21. 12. 1989 (VII ZR 152/88, NJW-RR 1990, 958) hat der BGH ausdrücklich offen gelassen, ob bei einem Verfahren auf Befreiung von einer Verbindlichkeit die Kosten des Vorprozesses wie die Zinsen Nebenforderungen aus der Hauptverbindlichkeit sind (bei juris Rz. 2 der genannten Entscheidung). In dem 1989 vom BGH entschiedenen Fall kam es deshalb nicht auf diese Frage an, weil die Klage nur auf Freistellung von den gegen die Klägerin geltend gemachten Ansprüchen aus übergegangenem und abgetretenem Recht gerichtet war. Im vorliegenden Fall ist die Befreiung von den Kosten des Vorprozesses hingegen ausdrücklicher Inhalt des Klageantrages.

Das OLG Bremen hat in seiner bereits vom Landgericht zitierten Entscheidung vom 23. 10. 2002 (3 U 94/01, OLGR Bremen 2003, 176) die Auffassung vertreten, die Kosten des Vorprozesses seien zum Streitwert hinzuzurechnen, weil sie keine von dem Befreiungsgläubiger neben seinem Befreiungsanspruch erhobenen Ansprüche und auch nicht von dem Befreiungsanspruch abhängig seien. Die Kosten des Vorprozesses stellten vielmehr Schadensersatzansprüche dar, die als Haupt- und nicht als Nebenforderungen zu qualifizieren seien (bei juris Rz. 5 der genannten Entscheidung; so auch Görmer NJW 1999, 1309, 1310; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rz. 816; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 3, Rn. 28).

Der Senat folgt dieser Auffassung aber nicht, sondern hälft die Begründung von Weisbrodt (JurBüro 1995, 115 f.) für überzeugender. Weisbrodt weist darauf hin, dass die Befreiungsverbindlichkeit kein Zahlungsanspruch ist. Sie richtet und beschränkt sich auf das Schuldverhältnis zwischen dem Dritten und dem Befreiungsgläubiger. Ihr wird nur genügt, wenn der Befreiungsschuldner den Dritten befriedigt, nicht, wenn er dem Befreiungsgläubiger Mittel zur Verfügung stellt, mit denen dieser selbst seine Schuld im Valutaverhältnis tilgen könnte. Die auf den Befreiungsschuldner zukommenden Nebenforderungen entstehen folglich auch für ihn in Abhängigkeit zum Hauptanspruch. Weisbrodt weist darauf hin, dass sich dies besonders deutlich zeige, wenn dem Gläubiger der Befreiungsanspruch, der dann bei unverändertem Leistungsinhalt zum Leistungsanspruch wird, abgetreten wird. Wird der Befreiungsschuldner dann nicht vom Befreiungsgläubiger auf Freistellung, sondern sogleich auf Leistung verklagt, sind die Nebenforderungen abhängig von der Hauptforderung. Das Valuta- und das Befreiungsverhältnis stehen daher zunächst in einem so engen Zusammenhang, dass in beiden Fällen Nebenforderungen gleich zu behandeln sind.

Bei Stein/Jonas/Roth (ZPO, 22. Aufl., § 4, Rn. 31) wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Rechtsschutzform, in der Nebenforderungen erhoben werden, für deren Vernachlässigung bei der Wertberechnung unerheblich sei.

Für die Zinsen ist die Argumentation von Weisbrodt unmittelbar einleuchtend. Sie gilt aber auch für den Teil der Kosten des Vorprozesses, die bei dem (im Vorprozess klagenden) Dritten entstehen, nämlich für die Gerichtskosten des Vorprozesses (die zunächst im Wege des Vorschusses vom Kläger des Vorprozesses gezahlt werden müssen) und für die Anwaltkosten des Klägers des Vorprozesses.

Die Argumentation gilt allerdings nicht unmittelbar für die Anwaltskosten der Beklagten des Vorprozesses (also der Klägerin des vorliegenden Prozesses, in dem der Befreiungsanspruch geltend gemacht wird). Diese Kosten entstehen nur bei der Klägerin des vorliegenden Prozesses. Auch hier handelt es sich aber um eine "Nebenforderung".

Eine "Nebenforderung" im Sinne von § 4 ZPO liegt dann vor, wenn sie nicht ohne weiteres kraft Gesetzes in der Hauptforderung enthalten ist, sondern einen eigenen Entstehungsgrund hat. Außerdem muss sie in ihrer Entstehung vom Bestand der Hauptforderung abhängig sein (BGH NJW 1998, 2360, 2361). Dies ist insbesondere der Fall bei auf Verzug beruhenden Ansprüchen (vgl. Stein/Jonas/Roth, a.a.O., § 4, Rn. 17). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Wenn es zu einem Transportschaden kommt, den der Befreiungsschuldner (etwa als (Unter-)Frachtführer) zu vertreten hat, steht der Sachschaden bereits fest. Ob es daneben auch zu einem Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten kommt (die der Befreiungsgläubiger, etwa als Spediteur oder Hauptfrachtführer, aufwenden muss), steht noch nicht fest. Wenn der Befreiungsschuldner seine Verbindlichkeit erfüllt und den Dritten befriedigt, kommt es gar nicht zu einem Prozess zwischen dem geschädigten Dritten und dem Befreiungsgläubiger. Nur wenn der Befreiungsschuldner nicht freiwillig zahlt, wird es zu einem Prozess zwischen dem geschädigten und anspruchsberechtigten Dritten und dem Befreiungsgläubiger kommen. Dieser kann dann die Prozesskosten bei Vorliegen der Voraussetzungen als Verzugsschaden geltend machen. Im hier vorliegenden Urteil ist die Erstattung der Kosten des Prozesses ausdrücklich auf "Verzugsgesichtspunkte" gestützt worden. Es besteht auch eine "Abhängigkeit" zwischen Haupt- und Nebenforderung. Ohne grundsätzliche Schadensersatzpflicht der Beklagten (dieses Prozesses) kommt auch kein Verzug in Betracht. Es besteht deshalb kein Anlass, die Kosten des Vorprozesses anders zu behandeln als "normale" Verzugszinsen.

Allerdings dürfte der Streitwert tatsächlich nicht EUR 46.900,80 betragen, sondern EUR 49.241,25. Maßgebend ist gemäß § 4 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO der Wert zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage. Die Klage ist am 28. 3. 2006 eingereicht worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Klägerin noch auf Zahlung von EUR 49.241,25 in Anspruch genommen. Die teilweise Klagrücknahme des dänischen Transportversicherers im Vorprozess ist erst später erfolgt. In welcher Höhe (EUR 46.900,80) eine Verurteilung der hiesigen Klägerin im Vorprozess erfolgen würde, war bei Einreichung der vorliegenden Klage noch nicht bekannt und ist daher nicht zu berücksichtigen. Im Ergebnis spielt dies aber keine Rolle, da sich dadurch kein Gebührensprung ergibt, so dass der Senat von weiteren Ausführungen absieht.

Ende der Entscheidung

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