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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.07.2005
Aktenzeichen: 9 U 28/05
Rechtsgebiete: VVG, VAG, HGB


Vorschriften:

VVG §§ 23 ff.
VVG § 178a Abs. 2 Satz 2
VVG § 178e
VVG § 178f Abs. 1
VAG § 11 Abs. 2
VAG § 12 Abs. 1 Nr. 2
VAG § 12 Abs. 4
VAG § 12 Abs. 5
VAG § 12c
HGB § 341f
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 28/05

Verkündet am: 19. Juli 2005

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 9. Zivilsenat, durch die Richter Dr. Morisse, Gerberding, Schaps-Hardt nach der am 7. Juni 2005 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 6, vom 14.01.2005 (306 O 262/04) abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger war ursprünglich als Angestellter im öffentlichen Dienst tätig und als solcher beihilfeberechtigt. Er hatte bei dem Beklagten für sich und seine Ehefrau einen seit April 1972 laufenden, 50% bzw. 30% der Krankheitskosten abdeckenden privaten Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Dafür zahlte er zuletzt für sich monatlich € 271,95 (hierin enthalten € 1,62 Krankentagegeldprämie), für seine Ehefrau € 149,62, insgesamt monatlich € 421,57 (vgl. Nachtrag vom 29.11.2002, Anl. Kl.). Da der Kläger nach seiner Verrentung zum 1.3.2003 nicht mehr beihilfeberechtigt ist, begehrt er Aufstockung des Versicherungsschutzes - jetzt ohne Krankentagegeld - auf 100%, und zwar unter Zugrundelegung des Eintrittsalters 1.4.1972. Der bislang bestehende Tarif wird bei dem Beklagten nicht als 100%-Tarif geführt, weil er nur die Beihilfe "ergänzt". Für einen entsprechenden anderen Tarif wäre bei Eintrittsalter 1.4.1972 eine Prämie von € 1.226,48 zu zahlen. Für die gewünschte Tarifkombination nach aktuellem Eintrittsalter, allerdings unter Berücksichtigung der bislang angesammelten Alterungsrückstellungen hätte der Kläger monatlich € 1.558,36 zu zahlen. Da der Beklagte einen Vertrag nach Eintritlsalter 1.4.1972 nicht abschließen wollte, dem Kläger der gewünschte Vertrag mit aktuellem Eintrittsalter aber zu teuer war, schloss er unter Vorbehalt zunächst einen anderen Tarif mit ungünstigeren Leistungen und Selbstbeteiligungen ab.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.).

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und sich zur Begründung im Wesentlichen auf ein Urteil des OL.G München vom 30.11.1999 (NVersZ 2000, 374) gestützt. Den nach § 178e VVG bestehenden Anspruch auf Anpassung des Versicherungsschutzes "ohne erneute Risikoprüfung" hat das Landgericht entsprechend dieser Entscheidung dahin ausgelegt, dass die Ermittlung und Festsetzung des Lebensalters als Teil der "Risikoprüfung" zu verstehen sei und damit nicht neu vorgenommen werden dürfe. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Gegen das ihm am 19.1.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 8.2.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung bis zum 21.4.2005 mit einem am selben Tage eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter. Hinsichtlich der erhobenen Berufungsrügen wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 21.4.2005 nebst Anlage Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg, Az. 306 O 262/04, vom 14.1.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und tritt den Berufungsangriffen des Beklagten entgegen.

Ergänzend zum Parteivorbringen wird auf den vorgetragenen Inhalt der in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass seine Krankenversicherung mit dem vor seiner Verrentung bestehenden Leistungsumfang auf der Basis einer Vollversicherung insgesamt mit dem Eintrittsalter 1.4.1972 fortgeführt wird.

Ein solcher Anspruch ergibt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht aus § 178e VVG. Hiernach hat ein Beihilfeberechtigter nach Änderung oder Entfallen des Beihilfeanspruchs einen Anspruch auf Anpassung im Rahmen bestehender Kostentarife "ohne erneute Risikoprüfung oder Wartezeiten". Das Lebensalter ist allerdings nicht als Teil der "Risikoprüfung" im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, mit dem Gedanken der Kontinuität dem Versicherungsnehmer erworbene Rechte und Anwartschaften zu sichern. Dieses ergibt sich insbesondere aus dem Zusammenhang mit der nachfolgenden Vorschrift des § 178f Abs. 1 VVG. Erworben hat der Kläger hier aber nur Alterungsrückstellungen bezüglich des vor Entfallen der Beihilfeberechtigung bestehenden 50 bzw. 30%igen Versicherungsschutzes; nur hierfür hat er Beiträge "eingezahlt. Der Versicherungsnehmer zahlt nämlich ab dem Abschluss seiner Versicherung eine - abgesehen von kostenbezogenen Erhöhungen - auch bei höherem Alter gleich bleibende Prämie, obgleich mit dem Älterwerden des Versicherungsnehmers ein erhöhtes Krankheitsrisiko, d.h. eine Gefahrerhöhung i.S.v. §§ 23 ff. VVG besteht. Dieses beruht auf dem zwingend in § 12 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 5 VAG i.V.m. § 341f HGB vorgeschriebenen Gebot zur Bildung von Alterungsrückstellungen, die die Aufgabe haben, den Umstand auszugleichen, dass eine Prämienerhöhung allein wegen des Älterwerdens des Versicherungsnehmers nicht statthaft ist. Die Vorschriften der §§ 23 ff. VVG finden gemäß § 178a Abs. 2 Satz 2 VVG keine Anwendung. Die vom Kläger erworbenen Alterungsrückstellungen sind dem Kläger bei einem neuen Tarif gut zu bringen. Unerheblich ist dabei für den vorliegenden Fall, ob die Alterungsrückstellungen tatsächlich in korrekter Höhe - wie der Beklagte behauptet und was vom Kläger in seiner Berufungserwiderung nunmehr angezweifelt wird - gut gebracht worden sind; denn hierauf bezieht sich der Klagantrag nicht.

Würde man bei dem Versicherungsnehmer nach Änderung der Beihilfesätze auch für den Aufstockungsanteil das ursprüngliche Eingangsalter zugrunde legen, würde er gegenüber anderen Versicherungsnehmern einen Vorteil erlangen. Er hätte nämlich für den zusätzlich zu versichernden Versicherungsanteil nur eine niedrige Prämie zu zahlen, ohne durch entsprechende Beitragszahlungen in der Vergangenheit Alterungsrückstellungen gebildet zu haben. Eine solche Bevorzugung widerspricht aber dem in §§ 11 Abs. 2, 12 Abs. 4 VAG niedergelegten Gleichbehandlungsgebot. Andere Versicherungsnehmer müssten bei höherem Eintrittsalter wegen nicht gebildeter Alterungsrückstellungen höhere Prämien zahlen. Die Gemeinschaft der Versicherten müsste außerdem den fehlenden Teil der vom bevorzugten Versicherungsnehmer nicht aufgebrachten Alterungsrückstellungen aus gemeinsamen Mitteln aufbringen. Dieser Nachteil wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass - wie der Kläger mit seiner Berufung vorträgt - zu Gunsten der Versicherungsgemeinschaft "ungenutzte" Altersrückstellungen aus anderen Verträgen - z.B. bei Kündigung von Verträgen - an die Versichertengemeinschaft zurückfließen. Diese "Rückflüsse" von nicht genutzten Altersrückstellungen werden - wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erläutert hat - nämlich bereits bei der versicherungsmathematischen Kalkulation der Prämien berücksichtigt.

Im Ergebnis kann § 178e VVG nach Sinn und Zweck deshalb nur dahin zu verstehen sein, dass dem Versicherungsnehmer bei Wechsel der Beihilfesätze eine Anpassung einerseits ohne Nachteile - nämlich keine Risikozuschläge wegen während der bisherigen Vertragslaufzeit aufgetretenen Krankheiten o.a. und ohne Wartezeiten - aber andererseits auch ohne Vorteile gegenüber anderen Versicherungsnehmern - keine Besserstellung durch niedrige Prämien ohne Alterungsrückstellungen - zu bewilligen ist. Sinn des § 178e VVG ist damit lediglich, für den Versicherer einen Kontrahierungszwang zu den alten Bedingungen hinsichtlich Risiken und Wartezeiten zu schaffen (ähnlich der Regelung in § 178d VVG betreffend Neugeborene und Adoptivkinder), nicht aber die Schaffung eines Versicherungsschutzes für den Versicherungsnehmer durch möglichst günstige - für ihn individuell problemlos finanzierbare - Prämien.

Die vorstehende Auslegung des § 178e VVG wird zudem gestützt durch die Regelungen der §§ 10 und 11 der auf Grund des § 12c VAG erlassenen Kalkulationsverordnung. Hiernach hat die Prämienberechnung nicht nur bei Beginn des Versicherungsschutzes, sondern auch bei jeder (erforderlich werdenden) Prämienanpassung altersabhängig, also nach dem jeweiligen Lebensalter, zu erfolgen.

Der Versicherer ist auch - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht verpflichtet, unter Berücksichtigung, dass sich der Beihilfeanspruch irgendwann ändern kann, andere Tarife vorzuhalten, in denen das Risiko von staatlicherseits beschlossenen Veränderungen im Beihilfesystem ebenso einzukalkulieren wäre wie das Risiko von durch die Lebenssituation des Versicherungsnehmers bedingten Veränderungen (z.B. "Kinderzuschlag"). So spricht § 178e VVG nur von einem Änderungsanspruch "im Rahmen der bestehenden Krankenkostentarife". Entsprechend wird auch in der Rechtsprechung und Literatur ein Anpassungsanspruch nur im Hinblick auf bestehende Tarife gesehen (so LG Saarbrücken, Urt. v. 28.5.1997, Az. 12 O 214/96; LG Stuttgart, VersR 2003, 53; Prölss/Martin, § 178e VVG Rdnr. 1; Präve, VersR 1998, 397, 398).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen vor.

Ende der Entscheidung

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