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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 05.05.2004
Aktenzeichen: III - 21/04
Rechtsgebiete: StGB, Hmb. HundeVO


Vorschriften:

StGB § 143 Abs. 1
StGB § 143 Abs. 2
Hmb. HundeVO § 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hanseatisches Oberlandesgericht 3. Strafsenat Beschluss

III - 21/04

In der Strafsache

hier betreffend Revision des Angeklagten gegen das Urteil der Kleinen Strafkammer 2 des Landgerichts Hamburg vom 29.01.2004

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 05. Mai 2004 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle Richter am Oberlandesgericht Dr. Mohr Richter am Oberlandesgericht Sakuth

beschlossen:

Tenor:

Die Akte wird gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob § 143 Abs. 2 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.

Gründe:

I. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit Strafbefehlsantrag vom 27.02.2003 (Bl. 40 d.A.) zur Last gelegt, in Hamburg in der Zeit seit Inkrafttreten des § 143 Abs. 2 StGB (21.04.2001, nicht 13.04.2001) bis zum 22.07.2002 mit dem Mischlingshund Apollo, der Anteile der Hunderassen Pitbull-Terrier, America Staffordshire Bullterrier und Staffordshire Bullterrier enthielt, ohne die erforderliche Genehmigung einen gefährlichen Hund im Sinne von § 1 Abs. 1 der Hamburgischen Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Hunden und über das Halten von Hunden vom 18.07.2000 (HmbGVBl S. 152; im folgenden: Hmb. HundeVO) gehalten zu haben.

Das Amtsgericht Hamburg hat mit Urteil vom 15.07.2003 (Bl. 100 d.A.) den Angeklagten von diesem Vorwurf freigesprochen, weil es sich bei dem Hund Apollo nachweislich um ein völlig ungefährliches Tier gehandelt habe. Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, § 143 Abs. 2 StGB sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass nachweislich ungefährliche Hunde keine gefährlichen Hunde im Sinne dieser Vorschrift sind.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 29.01.2004 (Bl. 149 d.A.) das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen unerlaubten Haltens eines gefährlichen Hundes zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je € 5,-- verurteilt. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte den Rüden Apollo, einen Mischling u.a. aus den Hunderassen Pitbull-Terrier, America Staffordshire Bullterrier und Staffordshire Bullterrier, unter billigender Inkaufnahme der Erlaubnispflichtigkeit des Hundes bis zur Sicherstellung des Tieres am 22.07.2002 hielt, ohne im Besitz einer Erlaubnis zu sein. § 143 Abs. 2 StGB, an dessen Verfassungskonformität kein Zweifel bestehe, sei bereits durch den bedingt vorsätzlich begangenen Verstoß gegen das landesrechtliche Verbot (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Hmb. HundeVO) der Haltung eines Hundes mit den in § 1 Abs. 1 Hmb. HundeVO bezeichneten Rasseanteilen erfüllt. Es komme dabei nicht darauf an, ob der Hund, was im Übrigen nicht sicher festzustellen sei, völlig ungefährlich ist.

Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er erhebt die allgemeine Rüge der Verletzung des materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Verfahren auszusetzen und die Akten dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen.

II. Die Voraussetzungen für das Vorlageverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG liegen vor. Für das vorliegende Revisionsverfahren kommt es auf die Wirksamkeit des § 143 Abs. 2 StGB an. Nur wenn diese Strafnorm verfassungsgemäß ist, wird die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen sein.

Der Senat hält § 143 Abs. 2 StGB für verfassungswidrig, weil dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zum Erlass dieser Vorschrift gefehlt hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 16.03.2004 - 1 BvR 1778/01 - (in: www.bverfg.de) u.a. § 143 Abs. 1 StGB für verfassungswidrig erklärt, weil die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht vorliegen (Abs. 113 bis 123 des Urteils). Nach § 143 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer entgegen einem durch landesrechtliche Vorschriften erlassenen Verbot einen gefährlichen Hund züchtet oder mit ihm Handel treibt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: Dem Bundesgesetzgeber steht zwar nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Regelungszuständigkeit für das Strafrecht zu, die grundsätzlich auch die Befugnis einschließt, Vorschriften des Landesrecht mit strafrechtlichen Sanktionen des Bundesrechts zu versehen. Die Strafnorm erfüllt aber nicht die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG, denn sie ist nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich. Da die landesrechtlichen Tatbestände, an die § 143 Abs. 1 StGB anknüpft, von Land zu Land unterschiedlich sind, wird durch die Strafnorm keine Bundeseinheitlichkeit erreicht, sondern die bestehende Uneinheitlichkeit über die strafrechtliche Sanktion noch verstärkt.

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur fehlenden Regelungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers hinsichtlich § 143 Abs. 1 StGB gelten nach Auffassung des Senats in gleicher Weise für § 143 Abs. 2 StGB. Diese Vorschrift ist ebenfalls durch Art. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde vom 12.04.2001 (BGBl. I S. 530) eingeführt worden. § 143 Abs. 2 StGB lautet:

"Ebenso wird bestraft, wer ohne die erforderliche Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung einen gefährlichen Hund hält."

§ 143 Abs. 2 StGB setzt als Tatbestand einen landesrechtlichen Genehmigungsvorbehalt oder eine vollziehbare Untersagungsverfügung voraus, knüpft also an die landesrechtlichen Hundeverordnungen an (Fundstellen der landesrechtlichen Verordnungen in: Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. 2003, Rdz.1 zu § 143; ausführliche Darstellung der Regelungen bei Caspar, DVBl. 2000, 1580, 1582ff) und trägt damit die bestehenden landesrechtlichen Unterschiede in die Strafnorm.

Schon der Begriff des gefährlichen Hundes ist nicht einheitlich geregelt (BVerfG a.a.O. Abs. 120). 15 Landesregelungen enthalten Rasselisten, d.h. Aufzählungen von Hundearten, bei denen - nach Ländern unterschiedlich - die Gefährlichkeit des Hundes vermutet wird, und zwar - wiederum nach Ländern unterschiedlich - teils unwiderleglich, teils widerleglich. Die dort aufgeführten Rassen differieren von Land zu Land (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O. Rdz. 7 und 8), ihre Zahl schwankt zwischen 4 und 42 Arten (vgl. etwa § 1 Abs. 3 Bremer Gesetz über das Halten von Hunden v. 02.10.2001, GBl. S. 331, und § 6 LandeshundeVO NRW v. 30.06.2000, GVBl. S. 518b nebst Anlage 1 und 2). Die in Nordrhein-Westfalen geltenden Listen enthalten 18 Hunderassen, die in keiner Liste eines anderen Bundeslandes aufgeführt sind (Tröndle-Fischer, a.a.O., Rdz. 7).

Hinzu kommen unterschiedliche Definitionen zur Gefährlichkeit eines Hundes unabhängig von seiner Rassezugehörigkeit. Teils wird vorausgesetzt, dass der Hund seine Gefährlichkeit bereits unter Beweis gestellt hat (z.B. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GefahrenabwehrVO - Gefährliche Hunde - Rheinland-Pfalz vom 30.06.2000, GVBl. S. 247: "die sich als bissig erwiesen haben"), teils reicht es bereits, dass "mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie Menschen oder Tiere beißen" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Bremer Gesetzes über das Halten von Hunden) oder dass sie "wiederholt Menschen gefährdet haben, ohne selbst angegriffen oder provoziert worden zu sein (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 HundehalterVO Mecklenburg- Vorpommern vom 04.07.2000 (GVOBl. S. 295). Für Hamburg gilt, dass unabhängig von der Rassezugehörigkeit "sich die Eigenschaft eines Hundes als gefährlicher Hund im Einzelfall daraus ergeben kann, dass er ein der Situation nicht angemessenes oder ausgeprägtes Agressionsverhalten gegen Menschen oder Tiere zeigt (§ 1 Abs. 3 Hbg. HundeVO). Sind diese unbestimmten Rechtsbegriffe erfüllt, ist die Haltung dieses Hundes nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Hbg. HundeVO verboten und damit nach § 143 Abs. 2 StGB strafbewehrt.

Die Unterschiede zwischen den Ländern werden schließlich noch dadurch verschärft, dass die Länder mit unterschiedlichen Regelungsstrategien arbeiten (im einzelnen Caspar, DVBl. 2000, 1580, 1583f). So ist etwa in Schleswig-Holstein das Halten gefährlicher Hunde zulässig und kann im Einzelfall unter einschränkenden Voraussetzungen untersagt werden (§ 5 GefahrenhundeVO Schleswig-Holstein vom 28.06.2000, GVOBl. S. 533). Auch in Berlin bedarf es einer ausdrücklichen Haltungsuntersagung (§ 7 HundeVO Berlin vom 05.11.1998, GVBl. S. 119). In anderen Bundesländern gilt ein präventives Verbot der Hundehaltung mit Erlaubnisvorbehalt (z.B. § 4 Abs. 2 LandeshundeVO NRW), teilweise für bestimmte Rassen auch ein ausnahmsloses Haltungsverbot (z.B. § 1 Abs. 2 S. 3, 8 Abs. 2 HundehalterVO Brandenburg vom 25.07.2000, GVBl. S. 235). Dies bedeutet, dass nach § 143 Abs. 2 StGB der Halter desselben - gefährlichen - Hundes in einem Bundesland sofort, in einem anderen Bundesland hingegen erst bestraft werden kann, wenn gegen ihn eine vollziehbare Haltungsuntersagung ergangen ist.

Der Bundesgesetzgeber hat mit § 143 Abs. 2 StGB somit keine Bundeseinheitlichkeit erreicht, sondern die Divergenzen des Landesrechts auf die bundesrechtliche Ebene des Strafrechts erstreckt und damit die bestehende Uneinheitlichkeit noch verstärkt (ebenso v. Coelln, NJW 2001, 2834, 2836; BVerfG, a.a.O. Abs. 121 zur Verfassungswidrigkeit des § 143 Abs. 1 StGB). Da die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht vorliegen, durfte der Bundesgesetzgeber die Strafnorm nicht erlassen.

Ende der Entscheidung

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