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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 05.12.2000
Aktenzeichen: III - 6/00
Rechtsgebiete: AO, VStG, StGB


Vorschriften:

AO § 370
VStG § 10 Nr. 1
VStG § 19 Abs. 2
StGB § 2 Abs. 4
StGB § 2 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hanseatisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes URTEIL

III - 6/00 1 Ss 24/00 132 e - 1433/99 5000 Js 179/99

In der Strafsache

hat auf die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der Abteilung 132 e des Amtsgerichts Hamburg vom 2. November 1999 eingelegte Revision der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg in der Sitzung vom 5. Dezember 2000, an welcher teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Mentz

Richter am Oberlandesgericht von Stelle

Richter am Landgericht Voß

Oberstaatsanwalt als Beamter der Staatsanwaltschaft Frenzel

Rechtsanwalt als Verteidiger Dr. Engler

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Freese

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Hamburg wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg, Abteilung 132 e, vom 2. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, als der Angeklagte freizgesprochen worden ist.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hamburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision begehrt die Staatsanwaltschaft Hamburg die Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Hamburg vom 02.11.1999, soweit dieses den Angeklagten aus Rechtsgründen vom Vorwurf der Hinterziehung von Vermögensteuer in zwei Fällen freigesprochen hat. Soweit das Urteil den Angeklagten wegen des weiteren Vorwurfs der Hinterziehung von Einkommensteuer zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je DM 500,-- verurteilt hat, ist es aufgrund der zulässigen Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft rechtskräftig.

Die Vorwürfe der Hinterziehung von Vermögensteuer gem. § 370 AO gründeten sich darauf, dass der Angeklagte pflichtwidrig in der Vermögensteuererklärung vom 09.05.1994 betreffend die Veranlagungszeiträume 1993 und 1994 und in der Vermögensteuererklärung vom 08.11.1995 betreffend die Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 umfangreiches Kapitalvermögen nicht erklärt habe, so dass es zu Steuerfestsetzungen am 16.10.1994 (für 1993 und 1994) und am 31.03.1996 (für 1995 und 1996) gekommen sei, aufgrund derer Steuerverkürzungen von jeweils DM 11.915,-- für 1993 und 1994 und von jeweils DM 30.350,-- für 1995 und 1996 eingetreten seien.

Das Amtsgericht sah sich aus Rechtsgründen an der Verurteilung gehindert, weil die Taten mangels Strafnorm nicht strafbar seien. § 370 AO sei ein Blankettgesetz, dass der Ausfüllung bedürfe, hier durch das Vermögensteuergesetz (VStG). Dieses könne indessen eine Strafbarkeit nicht mehr begründen, weil das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 22.06.1995 (BVerfGE 93, 121 165) entschieden hat, dass § 10 Nr. 1 VStG jedenfalls seit dem Veranlagungszeitraum 1983 in allen seinen seitherigen Fassungen mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes insofern unvereinbar ist, als er den einheitswertgebundenen Grundbesitz, dessen Bewertung der Wertentwicklung seit 1964/1974 nicht mehr angepasst worden ist, und das zu Gegenwartswerten erfasste Vermögen mit demselben Steuersatz belastet. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31.12.1996 zu treffen und angeordnet, dass längstens bis zu diesem Zeitpunkt das bisherige Recht weiterhin anwendbar sei. Da eine gesetzliche Neuregelung nicht erfolgt sei, fehle die blankettausfüllende Norm des § 19 Abs. 2 VStG, der früher die Pflicht zur Abgabe von Vermögensteuererklärungen begründet habe. Dessen Anwendung sei aufgrund der Unvereinbarkeitserklärung nicht mehr möglich.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

Das Urteil des Amtsgericht ist aufzuheben, weil die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995 und das Außerkrafttreten des Vermögensteuergesetzes mit Ablauf des 31.12.1996 einer strafrechtlichen Ahndung von Taten, die sich auf vorherige Veranlagungszeiträume bezogen, nicht entgegenstehen.

Das Vermögensteuergesetz füllt für die unter seiner Geltung begangenen Hinterziehungshandlungen weiterhin die Blankettnorm des § 370 AO aus. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 4 StGB, der Verstöße gegen Zeitgesetze von der Privilegierung des § 2 Abs. 3 StGB ausnimmt.

Das Vermögensteuergesetz ist durch die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts angeordnete Beschränkung, dass es nur noch für eine bestimmte Zeit, nämlich längstens bis zum 31.12.1996, gelten solle, zu einem Zeitgesetz im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB geworden. Die hier gegen gerichtete Argumentation des Landgerichts München II (NStZ 2000, 93, 94), das Vermögensteuergesetz stelle deshalb kein Zeitgesetz dar, weil es "als Ganzes auf Dauer angelegt" gewesen sei, grundsätzlich habe das Vermögen mit einer Steuer belastet werden sollen, verkennt, dass es auch nachträglich möglich ist, ein ursprünglich in seiner Dauer unbegrenztes Gesetz durch eine Gesetzesänderung mit einer zeitlichen auflösenden Befristung zu versehen (Tröndle/Fischer, § 2 StGB RNr. 13a). Eine derartige Befristung kann auch durch die in Gesetzeskraft erwachsende Entscheidung des Bundesverfasssungsgerichtes erfolgen, denn Gesetzgeber im materiellen Sinn ist nicht nur der Bundestag im parlamentarischen Verfahren (Art. 77 GG), sondern in den entsprechenden Fällen auch das Bundesverfassungsgericht (in der Entscheidung vom 22.06.1995 nach § 31 Abs. 2 BVerfGG i. V. m. § 13 Nr. 11 BVerfGG, Art. 100 Abs. 1 GG - Vorlage durch das FinG Rheinland-Pfalz).

Lässt das Bundesverfassungsgericht die Besteuerung des Vermögens trotz der im Beschluss vom 22.06.1995 erkannten Verfassungswidrigkeit weiterhin bis zum 31.12.1996 zu, so folgt daraus auch die Zulässigkeit der strafrechtlichen Bewehrung (OLG Frankfurt am Main, NJW 2000, 2368; BFH DStR 2000, 1140). Denn es ist schlechterdings nicht einzusehen, weshalb die eine Besteuerung strafrechtlich geschützt sein sollte, die andere hingegen nicht. Der Blankettnorm des § 370 AO ist jegliche Differenzierung hinsichtlich "besserer gerechterer" und schlechterer ungerechterer" Steuern fremd, denn dies würde letztlich bedeuten, dass es ein Steuerrecht minderer Qualität gäbe, gegen das die Normadressaten ohne jegliches Sanktionsrisiko verstoßen könnten (BFH vom 27.10.2000, Az. VIII B 77/00). Schutzgut des § 370 AO ist nicht die "Gleichmäßigkeit der Besteuerung" (so aber Salditt in NStZ 2000, 538). Vielmehr ist - von allen Obergerichten anerkannt - geschütztes Rechtsgut der Anspruch des Steuergläubigers auf den vollen Ertrag der jeweils tatbetroffenen Einzelsteuer, bezogen auf den jeweiligen Besteuerungsabschnitt (BGHSt 40, 109; BFH vom 27.10.2000, Az. VIII B 77/00; BVerwGE 84, 134).

III.

In den vorliegenden Fällen ist zu differenzieren:

Im Fall 2 des Urteils lag das Handeln vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 22.06.1995, weil die Vermögensteuer-Erklärung per 01.01.1993 betreffend die Vermögensteuer-Zeiträume 1993 und 1994 am 09.05.1994 abgegeben wurde und die zu niedrige Festsetzung am 16.10.1994 erfolgte. Hier lag zum Tatzeitpunkt die Blankettnorm des Vermögensteuergesetzes mit ihrem ursprünglichen, zeitlich unbegrenzten Geltungsbereich vor, die das Handeln zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung bis zum Vollendungszeitpunkt der Steuerfestsetzung als Steuerhinterziehung nach § 370 AO strafbar machte. Spätestens seit Außerkrafttreten des Vermögensteuergesetzes ist die Blankettnorm weggefallen, so dass der jetzige Regelungszustand günstiger ist, § 2 Abs. 3 StGB. Indessen greift hier die Regelung des § 2 Abs. 4 StGB für Zeitgesetze.

Im Fall 3 des Urteils erfolgte die Tathandlung vom 30.09.1995 und die Festsetzung vom 08.11.1995 nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 22.06.1995, so dass diese Tat von vornherein unter der Geltung des Zeitgesetzes strafbar war und geblieben ist.

Ende der Entscheidung

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