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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: 15 W 35/06
Rechtsgebiete: FGG, WEG


Vorschriften:

FGG § 13 S. 3
WEG § 43 Abs. 1 Nr. 4
WEG § 45 Abs.
1) Die Verpflichtung des Gerichts, dem Bevollmächtigten eines Verfahrensbeteiligten auf Verlangen eines anderen Beteiligten den Nachweis seiner Bevollmächtigung durch eine öffentlich beglaubigte Vollmacht aufzugeben (§ 13 s. 3 FGG), findet im Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ihre Grenze.

2) Das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung eines Beschlusses über den Wirtschaftplan entfällt, wenn eine bestandskräftige Beschlussfassung der Eigentümerversammlung über die Genehmigung der Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr vorliegt und der anfechtende Wohnungseigentümer sämtliche Wohngeldvorauszahlungen nach dem Wirtschaftsplan gezahlt hat.

3) Im Verfahren nach dem WEG kann eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde, die sich zunächst auf eine Teilanfechtung der Entscheidung des Amtsgerichts beschränkt, auch nach Ablauf der Beschwerdefrist auf weitere Verfahrensgegenstände erweitert werden, über die durch den angefochtenen Beschluss entschieden worden ist.


Oberlandesgericht Hamm

Beschluss

15 W 35/06

In der Wohnungseigentumssache

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 2. Mai 2006 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten 1) vom 16. Januar 2006 gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 23. Dezember 2005 durch beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Gerichtskosten und die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde zu entscheiden hat.

Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1) ist Eigentümerin einer im 1. Obergeschoss der Wohnungseigentumsanlage Y-Straße in C gelegenen Wohnung. Zu dieser Wohnung gehört ein Balkon. Die Beteiligte zu 1) hat bereits seit längerem an der Außenseite der Balkonbrüstung Blumenkästen angebracht. Hierüber kam es zwischen ihr und der Miteigentümerin Y zum Streit. Auf Antrag von Frau Y fasste die Wohnungseigentümerversammlung am 23.5.05 unter Tagesordnungspunkt 5 folgenden Beschluss:

Beschlussfassung über den Antrag der Eigentümerin Y, das Aufhängen von Blumenkästen nur balkoninnenseitig zu genehmigen. Das Aufhängen von Blumenkästen an der Außenseite der Balkonbrüstung soll untersagt werden, um Verschmutzungen der darunter befindlichen Terrassen zu vermeiden.

Den gegen diesen Eigentümerbeschluss gerichteten, rechtzeitig gestellten Beschlussanfechtungsantrag der Beteiligten zu 1) hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 3.11.2005 zurückgewiesen. Mit der rechtzeitig erhobenen sofortigen Beschwerde hat die Beteiligte zu 1) ihren Antrag weiterverfolgt. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 23.12.2005 die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1) mit der sofortigen weiteren Beschwerde vom 16.1.2006.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) ist nach § 45 Abs. 1 WEG, §§ 27, 29 Abs. 1 und 2 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert zulässig, weil sie sich dagegen richtet, dass die sofortige Erstbeschwerde als unzulässig verworfen worden ist (BGHZ 119, 216).

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, weil das Landgericht die sofortige Erstbeschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.

Nach § 45 Abs. 1 WEG ist gegen die Entscheidung des Amtsgerichts im Verfahren nach dem Wohnungseigentumsgesetz die sofortige Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Gegenstandes der Beschwerde 750 € übersteigt. Der Beschwerdewert ist dabei ausschließlich nach der Beschwer des Rechtsmittelführers, also seinem Interesse an der Änderung der angefochtenen Entscheidung zu bemessen. Es kommt danach nicht darauf an, welche Bedeutung die vom Amtsgericht getroffene Regelung für den Antragsteller oder die Eigentümergemeinschaft insgesamt hat. Maßgebend ist vielmehr die vermögensmäßige Beeinträchtigung allein des Beschwerdeführers, die sich für ihn ergibt, wenn es bei der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts verbleibt (BGH, a.a.O.).

Das Landgericht hat die Beschwer der Beteiligten zu 1) mit bis zu 300 € bewertet und hierzu ausgeführt: Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet sei, die Blumenkästen auf der Balkoninnenseite anzubringen, sie könne auch ganz auf Blumenkästen verzichten. Aber auch bei einem Anbringen auf der Innenseite sei die vermögenswertmäßige Nutzung des Balkons nicht in einer Höhe, die 750 € übersteige, beeinträchtigt. Die Antragstellerin könne den Balkon auch in diesem Falle vollständig und in vergleichbarer Art nutzen wie bisher. Allenfalls müsse sie sich neue Balkonkästen anschaffen.

Nach Auffassung des Senats übersteigt vorliegend die Beschwer der Beteiligten zu 1) den Wert von 750 €. Maßgeblich ist insoweit, wovon auch das Landgericht ausgegangen ist, deren Interesse, die Blumenkästen weiterhin an der Außenseite ihres Balkons aufhängen zu können. Es hat sich jedoch nicht hinreichend mit der Argumentation der Beteiligten zu 1) auseinandergesetzt, bei einem Anbringen auf der Innenseite werde die nutzbare Tiefe des Balkons deutlich verringert, nämlich von 1,30 m auf etwa 1,00 m. Es drängt sich auf, dass bei einer ohnehin nur recht geringen Tiefe des Balkons eine solche Einbuße die Nutzbarkeit deutlich einschränkt. Es ist nicht erkennbar, worauf sich das Landgericht bei seiner Feststellung stützt, der Balkon könne dennoch vollständig wie bisher genutzt werden. Ein Ortstermin hat jedenfalls nicht stattgefunden.

Ein vollständiger oder weitgehender Verzicht auf eine Blumenbepflanzung stellt auch bei objektiver Betrachtung ebenfalls eine erhebliche Einschränkung der Nutzbarkeit dar, da in weiten Kreisen die Möglichkeit einer Gestaltung des Balkons mit Pflanzen als wesentlicher Bestandteil der Balkonnutzung empfunden wird.

Bei der Bewertung der Beschwer ist weiter zu berücksichtigen, dass bei einer Bestandskraft des Beschlusses diese Einschränkungen der Nutzbarkeit auf Dauer bestehen werden. In diesem zeitlichen Moment liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu der vom Landgericht angeführten Entscheidung des Senats im Verfahren 15 W 71/05, der ein einmaliger und zeitlich beschränkter sowie im übrigen auch völlig anders gearteter Vorgang zugrunde lag.

Ob, wie die Rechtsbeschwerde meint, die Berechnung der Beschwer anhand des Quadratmeterpreises und dem Ausmaß, um den durch die innenhängenden Balkonkästen die Nutzfläche des Balkons verringert wird, erfolgen, bedarf keiner Entscheidung. Bei aller Schwierigkeit, das Interesse der Beteiligten zu 1) zahlenmäßig exakt zu beziffern, ist jedenfalls unter Berücksichtigung der oben ausgeführten Gesichtspunkte die Beschwer mit 300 € zu niedrig bemessen. Eine Bewertung mit 1.000,00 € erscheint sachangemessen.

Da die Erstbeschwerde auch sonst zulässig ist, war die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben. Eine Sachentscheidung durch den Senat als Rechtsbeschwerdegericht kam nicht in Betracht, da noch eine weitere Sachaufklärung notwendig ist.

Mit dem in der Eigentümerversammlung vom 23.5.2005 gefassten Beschluss haben die Wohnungseigentümer mehrheitlich den Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums geregelt (§ 15 Abs. 2 WEG). Ob dieser Beschluss, gegen dessen formell ordnungsgemäßes Zustandekommen von der Beteiligten zu 1) keine Bedenken erhoben werden, auch materiell Bestand haben kann, hängt davon ab, ob er eine zulässige Regelung des ordnungsgemäßen Gebrauches darstellt. Ob ein Gebrauch ordnungsmäßig ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung und bietet einen gewissen Ermessensspielraum. Ordnungsmäßig ist der Gebrauch, den § 14 WEG gestattet und der nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Die Einzelheiten sind anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Beschaffenheit und Zweckbestimmung des gemeinschaftlichen Eigentums bei Beachtung des Gebots der allgemeinen Rücksichtnahme in Abwägung der allseitigen Interessen zu ermitteln (BGH NJW 2000, 3211 f.). Die Entscheidung liegt weitgehend auf dem Gebiet tatrichterlicher Würdigung (BayObLG NZM 2002, 569). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Balkonaußenwände und -brüstungen gemäß § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WEG zwingend gemeinschaftliches Eigentum sind (vgl. BGH NJW 1985, 1551; BayObLGZ 1974, 269/271 f.). Die Regelungsbefugnis der Eigentümergemeinschaft geht hier grundsätzlich weiter als bei der Nutzung des Sondereigentums (Staudinger/Kreutzer, Stand: 2006, § 15 WEG, Rdnr. 50). Ob und in welcher Weise das Anbringen von Blumenkästen eingeschränkt werden kann, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Nicht erforderlich ist, dass von den Blumenkästen eine konkrete Gefährdung ausgeht (BayObLG WuM 1991, 512).

Auch soweit sich die Beteiligte zu 1) in der Sache gegenüber dem Beschluss auf den Gesichtspunkt einer langjährigen stillschweigenden Duldung der bisher von ihr praktizierten Nutzung beruft, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Beteiligten zu 1) hierzu bereits widersprüchlich ist, da sie einerseits einen jahrelangen "Kleinkrieg" mit der Miteigentümerin Y wegen der Blumenkästen beklagt, andererseits behauptet, diese fühle sich erst seit kurzem gestört. Die Miteigentümerin Y selbst will ausweislich ihres Schreibens vom 21.5.05 bereits 1995 das Thema in einer Eigentümerversammlung angesprochen haben. Sollte ersteres zutreffen, so kann angesichts des bestehenden Streites von einem schutzwürdigen Vertrauen der Beteiligten zu 1) dahingehend, die Blumenkästen auch weiterhin außen anbringen zu können, nicht ausgegangen werden. Im übrigen steht aber eine längere Duldung der bisherigen Nutzung des Gemeinschaftseigentums einem Beschluss nach § 15 Abs. 2 WEG nicht grundsätzlich entgegen, insbesondere dann nicht, wenn ein verständlicher Grund für die Beschlussfassung vorliegt (BayObLG WuM 1991, 512).

Es erscheint deshalb sachgerecht, wenn diese tatsächlichen Gesichtspunkte in einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die bisher nicht stattgefunden hat, im einzelnen erörtert werden.

Das Landgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung darauf achten müssen, dass im Beschlussrubrum seiner Entscheidung die am Verfahren beteiligten weiteren Wohnungseigentümer entweder namentlich aufgeführt werden oder dort auf eine der Entscheidung beigefügte Liste Bezug genommen wird. Da dieser nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. etwa BayObLG FGPrax 2001, 189; 2005, 108) erforderlichen Handhabung ist auch nach der Entscheidung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeischaft (NJW 2005, 2061) festzuhalten, sofern - wie hier - in einer Angelegenheit der gemeinschaftlichen Verwaltung weiterhin die einzelnen Miteigentümer persönlich am Verfahren zu beteiligen sind.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde beruht auf § 48 Abs. 3 S. 1 WEG. Für das Interesse des Verfahrenswertes ist auf das Interesse aller Beteiligten an der Entscheidung abzustellen, also auf das Interesse der übrigen Wohnungseigentümer an der Aufrechterhaltung der amtsgerichtlichen Entscheidung sowie das Interesse der Beteiligten zu 1). Dieses Gesamtinteresse bewertet der Senat mit 2.000,00 €.



Ende der Entscheidung

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