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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.02.2003
Aktenzeichen: 18 U 93/02
Rechtsgebiete: ZPO, HGB, BGB


Vorschriften:

ZPO § 265 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
ZPO § 296
ZPO § 296 Abs. 2
ZPO § 524 Abs. 2
ZPO § 531 Abs. 1
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 531 Abs. 2 Ziff. 1 S. 3
HGB § 355
BGB § 387
BGB § 389
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

18 U 93/02 OLG Hamm

Verkündet am 10. Februar 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Völker und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Gossmann und Serwe

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.04.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an Herrn ... 3.259,27 € zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz werden zu 1/3 der Beklagten und zu 2/3 der Klägerin auferlegt; die Kosten der Berufung werden zu 1/8 der Klägerin und zu 7/8 der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

(Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.)

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg und führt in dem erkannten Umfang zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

I.

Die Klägerin steht nach der zwischen ihr und ... im Juli 2002 vereinbarten Abtretung lediglich einen Zahlungsanspruch in Höhe von 3.259,27 € an den Zessionar ... zu.

1.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehen an der Aktivlegitimation der Klägerin im Hinblick auf die zwischen ihr und ... im Juli 2002 vereinbarte Abtretung eines Teilbetrages in Höhe von 4.305,20 DM der Klageforderung keine Zweifel. Die Klägerin ist durch die Abtretung nicht an der Weiterverfolgung dieses Anspruches gehindert. Die Abtretung nach Rechtshängigkeit hat gemäß § 265 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO auf die Prozeßführungsbefugnis der Klägerin keinen Einfluß. Die Klägerin ist aufgrund gesetzlicher Prozeßstandschaft befugt, den Anspruch des Zessionars ... weiterzuverfolgen, nachdem sie ihrer prozessualen Obliegenheit durch Umstellung ihres Antrages auf Leistung an den Zessionar nachgekommen ist.

2.

Die Klage ist nach dem Berufungsvorbringen beider Parteien nur in Höhe eines Betrages von 3.259,27 € begründet.

a)

Zwar stand der Klägerin unstreitig ursprünglich ein Anspruch in Höhe von 8.595,24 € gegen die Beklagte auf der Grundlage der zwischen den Parteien vertraglich getroffenen Vereinbarungen in Verbindung mit § 355 HGB zu. Die Parteien haben vereinbart, daß im Wege laufender Rechnungen Frachtlohnansprüche der Beklagten mit Ansprüchen der Klägerin auf Auskehrung der von der Beklagten im Auftrage der Klägerin vereinnahmten Zahlungen auf Warenrechnungen von Kunden der Klägerin zu verrechnen waren.

Unstreitig stand der Klägerin aufgrund von erteilten Gutschriften der Beklagten für den Zeitraum vom 31.03.2000 bis zum 23.01.2000 ein Gesamtbetrag in Höhe von 14.450,64 € zu. Unter Berücksichtigung eines ebenfalls unstreitigen Betrages in Höhe von 5.855,38 € aus bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verrechneten Transportvergütungen verbleibt zumindest der erstinstanzlich insoweit zuerkannte Differenzbetrag in Höhe von 8.595,24 €.

Zuzüglich erstinstanzlich zuerkannter und von der Berufung nicht angegriffener vorgerichtlicher Mahnkosten ergibt sich der erstinstanzlich zuerkannte Betrag von 8.605,24 €.

b)

Die in dieser Höhe erstinstanzlich zuerkannte Klageforderung ist im Wege einer bereits im August 2001 erklärten Aufrechnung der Beklagten mit Gegenforderungen in Höhe von 5.345,98 € aus Gutschriften mit den Nummern 388, 392, 395 und 398 gemäß §§ 387, 389 BGB erloschen.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist die Beklagte mit dem Einwand des teilweisen Erlöschens der Klageforderung im Wege der Aufrechnung in der Berufungsinstanz nicht ausgeschlossen.

aa)

Ein Ausschluß der Einwendung des Erlöschens der Klageforderungen läßt sich nicht auf § 531 Abs. 1 ZPO stützen. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt voraus, daß das entsprechende Vorbringen der Beklagten in erster Instanz gemäß § 296 ZPO zurückgewiesen worden ist. § 531 Abs. 1 ZPO ist dagegen nicht anwendbar, wenn Parteivorbringen erstinstanzlich zugelassen worden ist, auch wenn dies infolge einer verspäteten Geltendmachung zu Unrecht geschehen sein mag (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 531 Rn. 8 m.w.N.). Der erstinstanzlich bereits ohne nähere Darlegungen erhobene Aufrechnungseinwand ist durch das angefochtene Urteil nicht gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden. Das Landgericht hat dieses Vorbringen der Beklagten vielmehr erstinstanzlich zugelassen und aufgrund mangelnder Substantiierung für unerheblich gehalten. Die Tatsache, daß das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung noch Ausführungen zu einem auf grober Nachlässigkeit der Beklagten beruhenden verspäteten Sachvortrag gemacht hat, vermag hieran nichts zu ändern. Diese Ausführungen des Landgerichts sind in der Entscheidung ausdrücklich als Hilfserwägungen gekennzeichnet worden. Das verspätete Vorbringen ist danach als durch das Landgericht zugelassen anzusehen, auch wenn es zusätzlich hilfsweise als verspätet bezeichnet worden ist (vgl. Zöller-Gummer, § 531 Rn. 8).

Selbst wenn davon auszugehen sein sollte, daß auch bei bloßen Hilfserwägungen gleichwohl ein Fall der Zurückweisung vorliegt, führt auch dies nicht zur Anwendbarkeit der Bestimmung des § 531 Abs. 1 ZPO. Denn hiernach bleibt im Berufungsrechtszug nur die Berücksichtigung schlüssigen Parteivorbringens ausgeschlossen, soweit dies erstinstanzlich zurückgewiesen worden ist. Die Beklagte hat in erster Instanz ihren Aufrechnungseinwand auch nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, nicht mit ausreichend schlüssigem Sachvortrag untermauert.

Schließlich steht der Anwendung von § 531 Abs. 1 ZPO entgegen, daß der Einwand des Erlöschens der Klageforderung im Wege der Aufrechnung nunmehr in der Berufungsinstanz unstreitig ist (vgl. Zöller-Gummer, § 531 Rn. 10 m.w.N.).

bb)

Das nunmehr erstmals in der Berufungsinstanz schlüssig vorgebrachte Verteidigungsvorbringen war entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht auf der Grundlage von § 531 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zwar stellt das Vorbringen der Beklagten, wonach die Klageforderung aufgrund der der Klägerin erteilten Gutschriften teilweise aufgrund einer bereits im August 2001 erfolgten und gegenüber der Klägerin erklärten Aufrechnung erloschen sei, neues Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO dar. Auch eine erst in zweiter Instanz nähere Substantiierung einer erstinstanzlich nur unsubstantiiert geltend gemachten Aufrechnung beinhaltet neues Vorbringen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Baumbach/Lauterbach-Albers, ZPO, 60. Aufl., § 531 Rn. 12).

Dieses Vorbringen war nicht auf der Grundlage von § 531 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO zuzulassen. Es ist weder von der Beklagten vorgetragen noch aus sonstigen Umständen ersichtlich, daß dieses Vorbringen einen Gesichtspunkt betrifft, der erstinstanzlich erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist oder dieses Verteidigungsvorbringen der Beklagten aufgrund eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels nicht geltend gemacht worden ist.

Das Verteidigungsvorbringen der Beklagten war grundsätzlich auch nicht gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen. Die Beklagte hat nicht ausreichend schlüssig dazu vorgetragen, daß sie ohne eigene Nachlässigkeit gehindert war, ihr Verteidigungsvorbringen bereits in erster Instanz mit einer schlüssigen Tatsachengrundlage vorzutragen. Es ist nicht erkennbar, daß die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einer Informationsbeschaffung ausgeschöpft hat. Sie hat nicht näher dargelegt, daß es ihr nicht möglich oder zumutbar war, sich durch Einsichtnahme in Unterlagen auch außerhalb ihres Geschäftsbetriebes die insoweit notwendigen Informationsquellen zu erschließen.

cc)

Als Rechtsfolge ist bei Nichterfüllung der Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 531 Abs. 2 Ziff. 1 S. 3 ZPO die Nichtzulassung des neuen Vorbringens grundsätzlich zwingend, ohne daß es hierbei auf die Frage einer Verzögerung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ankäme (Zöller-Gummer, § 531 Rn. 36).

dd)

Der Senat hatte das Verteidigungsvorbringen der Beklagten, wonach die Klageforderung teilweise im Wege einer bereits vorprozessual erklärten Aufrechnung erloschen sei, gleichwohl seiner Entscheidung zugrundezulegen.

Nach Auffassung des Senats sind die Ausschlußgünde des § 531 Abs. 2 Nr. 1 - 3 ZPO aufgrund einer ideologischen Reduktion dieser Bestimmung zumindest dann nicht anwendbar, wenn in der Berufungsinstanz neues Tatsachenvorbringen unstreitig bleibt und eine Zurückweisung dieses Vorbringens zu einer evident unrichtigen Entscheidung führen würde. Ebenso wie die nach der früheren Rechtslage bis zum 31.12.2001 geltende Verspätungsvorschriften für neues Vorbringen in der Berufungsinstanz nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann anwendbar waren, wenn Vorbringen streitig und beweisbedürftig war (vgl. BGH NJW 1980, 945 ff., 947), sind diese Grundsätze zumindest dann auf die Neuregelung der Bestimmungen des § 531 Abs. 2 Nr. 1 - 3 ZPO zu übertragen, wenn das Vorbringen unstreitig bleibt und seine Nichtberücksichtigung zu einer offensichtlich unrichtigen Entscheidung führen würde (so auch Crückeberg, MDR 2003, 10; offengelassen OLG Oldenburg, MDR 2003, 48, 49 a.E.).

Zwar ergibt sich aus dem Zusammenhang der Regelungen zu § 531 Abs. 2 ZPO, daß sich das Verfahren und die Entscheidung in der Berufungsinstanz im wesentlichen auf eine Fehlerkontrolle des erstinstanzlichen Urteils beschränken sollen, wenn die Partei nicht aufgrund eigener Nachlässigkeit gehindert war, Tatsachen bereits erstinstanzlich vorzubringen. Bei unstreitigem Sachvortrag in der Berufungsinstanz entfällt jedoch die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme und damit ein über die reine Rechtsanwendung hinausgehender Aufwand des Berufungsgerichts. Damit ist das durch die Reform der Zivilprozeßordnung im Vordergrund der Präklusionsvorschriften stehende Interesse einer möglichst schonenden Inanspruchnahme der Ressource Recht und der damit verbundenen Zielsetzung, den Tatsachenvortrag grundsätzlich in erster Instanz zu konzentrieren, wenig berührt. Der dann vorrangige Gesichtspunkt der Schaffung materieller Gerechtigkeit gebietet es, neues und entscheidungserhebliches, aber unstreitiges Vorbringen nicht mit der Begründung zurückzuweisen, daß dies bereits erstinstanzlich hätte geltend gemacht werden können.

c)

Die unter Berücksichtigung der Aufrechnung verbleibende Klageforderung in Höhe von 3.259,27 € erhöht sich nicht auf der Grundlage der bereits erstinstanzlich geltend gemachten, sodann jedoch zurückgenommenen Klage auf Zahlung von weiteren 1.112,27 €. Nach erstinstanzlicher Klagerücknahme ist der Anspruch der Klägerin auf Auskehrung einer von der Firma ... in ... von der Beklagten vereinnahmten Zahlung in Höhe von 1.112,27 € nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits und Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen. Die Klägerin konnte diesen Anspruch, auf den sie ihre Klageforderung in der Berufungsinstanz nunmehr hilfsweise stützt, daher nur im Wege der Anschlußberufung verfolgen. Die Anschlußberufung der Klägerin ist jedenfalls deshalb unzulässig, da sie sich nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung der Berufung der Beklagten angeschlossen hat, § 524 Abs. 2 ZPO. Die Berufungsbegründung wurde der Klägerin am 27.08.2002 zugestellt, während ihr Berufungserwiderungsschriftsatz, mit dem sie die Klageforderung nunmehr hilfsweise auf diesen Anspruch stützt, erst am 14.11.2002 eingegangen ist.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen richten sich nach §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und § 543 Abs. 2 ZPO.

Der Senat hat die Frage der Zulassung der Revision geprüft und hiervon keinen Gebrauch gemacht, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch aus Gründen der Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich erscheint.

Ende der Entscheidung

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