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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 2 Sdb (FamS) Zust. 15/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 642 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Senat lehnt eine Entscheidung ab.

Gründe:

I.

Der in M wohnende Antragsteller begehrt vom Antragsgegner - seinem in E wohnenden leiblichen Vater - Zahlung von Sonderbedarf zum Kindesunterhalt aus der Zeit seiner Minderjährigkeit. Der Antragsteller ist am 6.9.2007 volljährig geworden. Das Amtsgericht - Familiengericht - Lünen hat seinen am 14.1.2008 gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 14.1.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers das Gericht am Wohnsitz des Antragsgegners örtlich zuständig sei. Dagegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt und hilfsweise - für den Fall der Nichtabhilfe - Abgabe an das örtlich zuständige Gericht beantragt. Daraufhin hat sich das Amtsgericht - Familiengericht - Lünen durch begründeten und den Parteien zugestellten Beschluss vom 10.3.2008 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das, irrtümlich für den Wohnsitz des Antragsgegners für zuständig gehaltene, Amtsgericht - Familiengericht - Hainichen verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluss vom 14.4.2008 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - Marienberg abgegeben. Das Amtsgericht Marienberg hat die Übernahme mit den Parteien formlos zugesandter Verfügung vom 5.5.2008 abgelehnt und die Akten über das Amtsgericht Hainichen an das Amtsgericht Lünen zurückgesandt, welches die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt hat.

II.

1) Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlaßt, da ein Zuständigkeitskonflikt i. S. d. § 36 I Nr. 6 ZPO nicht vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Vorschrift des § 36 I Nr. 6 ZPO zwar auch auf Verfahren, die sich noch im Prozesskostenhilfeprüfungsstadium befinden entsprechend anwendbar (vgl. Senat, FamRZ 1989, 641). Erforderlich ist aber in jedem Fall eine ernsthafte und als endgültig gemeinte Unzuständigkeitserklärung aller beteiligten Gerichte, die nicht rein gerichtsintern geblieben, sondern den Beteiligten - zumindest formlos - bekannt gemacht worden ist (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1154; 1997, 1161; BayObLG NJW-RR 2005, 1012; OLGR Hamburg 2005, 805; Zöller-Vollkommer, a. a. O., Rz. 25). Daran fehlt es, denn das Amtsgericht - Familiengericht - Hainichen hat die in seinem Beschluss vom 14.4.2008 festgehaltene Unzuständigkeitserklärung nur dem Antragstellervertreter, nicht aber dem Antragsgegner zugesandt.

2) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass nach seiner Ansicht die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts - Familiengericht - Lünen gegeben ist.

a)

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lünen bindet das Amtsgericht - Familiengericht - Hainichen nicht.

Zwar ist anerkannt, dass auch im Prozesskostenhilfeverfahren ergangene Verweisungsbeschlüsse Bindungswirkung i. S. v. § 281 II 4 ZPO entfalten können mit der Folge, dass das Gericht, an welches die Sache verwiesen worden ist, für das Prozesskostenhilfeverfahren - nicht für das nachfolgende Streitverfahren - zuständig wird (vgl. BGH NJW-RR 1992, 59 f.). Das gilt auch dann, wenn die Verweisung fehlerhaft erfolgt ist (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl. § 281 Rz. 16 f. m. w. N.).

Bindungswirkung entfaltet ein Verweisungsbeschluss aber ausnahmsweise dann nicht, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig ist, so dass sie objektiv willkürlich erscheint, oder wenn sie unter Versagung des rechtlichen Gehörs ergangen ist, d. h. das Gericht den Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BGH NJW 1978, 1163, 1164; Zöller-Greger, a. a. O., § 281 Rz. 17 f. m. w. N.).

Offensichtlich gesetzwidrig ist eine Entscheidung nicht nur dann, wenn sich das verweisende Gericht über eine eindeutige Zuständigkeitsvorschrift hinwegsetzt, sondern auch dann, wenn sich das verweisende Gericht über die Zuordnung des Gerichts, an das es verweist, zu dem für die Zuordnung maßgeblichen Wohnsitz der Partei offensichtlich geirrt hat (vgl. BAG BB 1995, 627 f.; NJW 1997, 1091 f.). Denn auch in einem solchen Fall kann die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben sein.

Diese Voraussetzung ist erfüllt. Das für den Wohnsitz des Antragsgegners zuständige Gericht ist das Amtsgericht Marienberg, nicht das Amtsgericht Hainichen, an welches die Sache verwiesen wurde.

b)

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lünen bindet auch das Amtsgericht - Familiengericht - Marienberg nicht.

Zwar kann der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lünen jederzeit nach § 319 ZPO wegen offensichtlicher Unrichtigkeit berichtigt werden. Das hätte zur Folge, dass er Bindungswirkung gem. § 281 II 4 ZPO gegenüber dem Amtsgericht Marienberg entfaltet (vgl. BGH FamRZ 1997, 173; OLG Stuttgart MDR 2004, 1377). Tatsächlich ist eine Berichtigung des Verweisungsbeschlusses aber unterblieben. Das Amtsgericht Hainichen hat die Akten unmittelbar an das Amtsgericht Marienberg weitergeleitet, ohne dem Amtsgericht Lünen vorher Gelegenheit zu geben, seinen Beschluss entsprechend zu berichtigen.

Bei der Abgabeverfügung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hainichen vom 14.4.2008 handelt es sich nicht um einen Berichtigungsbeschluss i. S. d. § 319 ZPO, denn das Amtsgericht Hainichen war nicht befugt, eine entsprechende Berichtigung vorzunehmen. Zuständig für die Berichtigung ist nur das Gericht, welches die zu berichtigende Entscheidung erlassen hat, bei Anhängigkeit in der Rechtsmittelinstanz auch das Rechtsmittelgericht (vgl. Zöller-Vollkommer, a. a. O., § 319 Rz. 22 m. w. N.). Das Amtsgericht Hainichen war weder entscheidendes Gericht noch Rechtsmittelgericht.

c)

Die Abgabe der Sache durch das Amtsgericht - Familiengericht - Hainichen an das Amtsgericht - Familiengericht Marieberg stellt ebenfalls keine bindende Verweisung i. S. d. § 281 ZPO dar.

Zwar war das Amtsgericht Hainichen aufgrund der fehlenden Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Lünen berechtigt, den

Rechtsstreit im Prozesskostenhilfeverfahren bindend an das Amtsgericht Marienberg weiterzuverweisen (vgl. Zöller-Greger, a. a. O., § 281 Rz. 19).

Eine Bindungswirkung entfaltet der Beschluss vom 14.4.2008 aber schon deswegen nicht, weil das Amtsgericht Hainichen vor seiner Entscheidung zwar dem Antragsteller, nicht aber den Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigen Verweisung gegeben hat. Damit hat es seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Das rechtfertigt es, der Verweisung die Bindungswirkung zu versagen (vgl. BGH FamRZ 1978, a. a. O.).

d)

Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts - Familiengericht - Lünen folgt aus § 642 I 1 ZPO. Danach ist für Verfahren, die die gesetzliche Unterhaltspflicht eines Elternteils gegenüber einem minderjährigen Kind betreffen dasjenige Gericht ausschließlich zuständig, bei dem das Kind oder der Elternteil, der es gesetzlich vertritt, seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

Der allgemeine Gerichtsstand des Antragstellers wird durch seinen Wohnsitz in M bestimmt (§ 13 ZPO).

Es handelt sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit auch um ein Verfahren, das die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber einem Minderjährigen betrifft. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Verfahrens noch minderjährig ist. Ausreichend ist vielmehr, dass sich der streitgegenständliche Anspruch auf die Zeit seiner Minderjährigkeit bezieht. Die ausschließliche Zuständigkeit nach § 642 ZPO ist daher auch dann gegeben, wenn ein Volljähriger gegen einen Elternteil Ansprüche auf rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit seiner Minderjährigkeit geltend macht (Senat FamRZ 2001, 1012 f.; OLG Naumburg FamRZ 2005, 120; Zöller-Philippi, a. a. O., § 642 Rz. 2a; Musielak-Borth, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl., § 642 Rz. 8).

Die vom Amtsgericht - Familiengericht - Lünen vertretene Rechtsansicht, dass sich die Vorschrift des § 642 I 1 ZPO nur auf Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber ihren im Zeitpunkt der Klageerhebung noch minderjährigen Kindern beziehe, findet im Gesetz keine Stütze. Der Gesetzgeber hat die prozessuale Erleichterung für die Geltendmachung von Ansprüchen Minderjähriger von der Art des geltend gemachten Anspruchs und nicht von der Person des Anspruchstellers abhängig gemacht. Das folgt daraus, dass § 642 I 1 ZPO als zuständigkeitsbegründenden Umstand auf die "gesetzliche Unterhaltspflicht" der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern und nicht auf den vom minderjährigen Kind (oder von seinem gesetzlichen Vertreter für das Kind) geltend gemachten Unterhaltsanspruch abstellt. Dieser vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachte Wille ist keiner einschränkenden Auslegung durch die Instanzgerichte zugänglich.

Ende der Entscheidung

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