Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: 2 Ss 239/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 230
1. Der Senat hält mit der herrschenden Meinung an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Annahmeberufung des § 313 StPO nicht zum Ausschluss oder zur Einschränkung der Sprungrevision für die dort erfassten Bagatellsachen führt.

2. Zur Frage, wann einem Hundehalter, der mit mehreren unangeleinten Hunden spazieren geht, ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, wenn diese einen Passanten beißen.


Beschluss

Strafsache

wegen fahrlässiger Körperverletzung

Auf die (Sprung-)Revision der Angeklagten vom 25. November 2004 gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 24. November 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 07. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird auf Kosten der Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 24. November 2004 wegen fahrlässiger Körperverletzung verwarnt worden. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 12 Tagessätzen zu ge 8,00 Euro bleibt vorbehalten.

Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

"Am 10.05.2004 ging die Angeklagte mit ihren beiden unangeleinten Pudeln auf dem Waldweg oberhalb der Heilenbecker Straße in Richtung Neuenlander Straße spazieren. Die Angeklagte spielte mit den beiden Hunden, von denen jeder einen kleinen Ball in der Schnauze trug.

Der Weg ist etwa 3,40 Meter breit, er wird von Fußgängern und Fahrradfahrern frequentiert. Der Zeuge V. fuhr mit seinem Fahrrad ebenfalls auf dem betreffenden Waldweg in Richtung Neuenlander Straße hinter der Angeklagten und ihren beiden Hunden. Als er sich noch etwa 15 Meter hinter der Angeklagten befand, betätigte er seine Klingel, um die Angeklagte auf sich aufmerksam zu machen. Nach ihren Angaben hörte die Angeklagte weder dieses Klingeln noch das weitere Klingeln des Zeugen V. in einer Entfernung von etwa sieben oder acht Metern.

Als sich der Zeuge V. auf der gleichen Höhe mit der Angeklagten befand, lief der kleinere Pudel zu ihm und biß ihn in den rechten Unterschenkel. Der Zeuge V. erlitt Verletzungsspuren in Form von Zahnabdrücken sowie Hautanrissen. Der Zeuge V. versetzte dem Pudel einen Tritt und sprang daraufhin vom Fahrrad ab.

Er erklärte der Angeklagten, der Hund habe ihn gerade gebissen. Die Angeklagte bestritt dies und erklärte, der Hund habe lediglich gebellt. Der Zeuge V. zeigte der Angeklagten sodann die Bißwunde, worauf die Angeklagte bestritt, dass diese von einem Biß herrühre.

Der Zeuge V. fragte die Angeklagte sodann nach ihren Personalien, was diese verweigerte. Der Zeuge V. forderte die Angeklagte mehrmals vergeblich auf, ihn zu begleiten, damit ihre Personalien von Polizeibeamten festgestellt werden könnten. Die Angeklagte verweigerte dies, begab sich zum Hause Neuenlander Straße 35, wo sie an einer Klingel schellte und das Haus betrat. Gegenüber den dann herbeigerufenen Polizeibeamten wies sie sich aus.

Der Polizeibeamte T. stellte eine frische Wunde fest am Unterschenkel des Zeugen V.. Am 11.05.2004 stellte sich der Zeuge V. in der Praxis des Dr. P. vor. Dr. P. fand im Unterschenkelbereich praetibial Verletzungsspuren wie nach einem Hundebiß mit Zahnabdrücken. Außerdem stellte er Hautanrisse fest.

Der Zeuge V. stellte am 10.05.2004 gegen die Angeklagte Strafantrag.

Es soll nicht ausgeschlossen werden, dass der betreffende Hund grundsätzlich folgsam ist, sich leiten lässt, dass er sich grundsätzlich als gutartig erwiesen und noch nicht durch erhöhte Aggressionsbereitschaft oder Bösartigkeit aufgefallen ist."

Im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil Folgendes ausgeführt:

"Die Angeklagte hat sich schuldig gemacht wegen fahrlässiger Körperverletzung. Fahrlässiges Verhalten, nämlich Pflichtwidrigkeit und Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung ist ihr vorzuwerfen. Auch wenn man davon ausgeht, dass sich der Hund als gutartig erwiesen und nicht durch erhöhte Aggressionsbereitschaft oder Bösartigkeit aufgefallen ist, dass er grundsätzlich folgsam ist, sich leiten lässt und dass er nicht aggressiv reagiert, wenn er mit Menschen in Berührung kommt, ist der Angeklagten ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.

Im vorliegenden Fall war zu sehen, dass die Angeklagte sich mit zwei Hunden beschäftigte, die auf dem Waldweg nicht angeleint spielten. Der Waldweg wird von Fußgängern und Radfahrern frequentiert. Sie musste dafür Sorge tragen, dass Fußgänger und Radfahrer nicht durch die Hunde etwa gebissen wurden. Hunde reagieren eben, was der Angeklagten auch bekannt ist, nicht immer rational, mit aggressivem Verhalten ist zu rechnen. Wenn die Angeklagte die Hunde angeleint hätte oder sie besser auf Passanten bzw. Fahrradfahrer geachtet hätte, wäre es zu dem Hundebiß nicht gekommen."

Die Angeklagte hat gegen dieses Urteil Sprungrevision eingelegt, die sie unter näherer Darlegung auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt.

Sie beanstandet u.a., dass ihr ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht gemacht werden könne.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision zu verwerfen.

II.

Die (Sprung-)Revision ist zwar frist- und formgerecht angebracht worden; in der Sache kann sie jedoch keinen Erfolg haben.

1. Obwohl in dem angefochtenen Urteil lediglich eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Höhe von 12 Tagessätzen ausgesprochen worden ist, ist die Revision zulässig, ohne dass es zuvor der Zulassung der Berufung nach § 313 Abs. 1 S. 1 StPO bedurft hätte. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, die Zulässigkeit der Revision setze bei Verurteilungen zu Geldstrafen von nicht mehr als 15 Tagessätzen die Annahme der Berufung voraus (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 335 Randnummern 21 und 22 m.w.N.), hält der Senat mit der herrschenden Meinung (OLG Düsseldorf VRS 88, 188; OLG Karlsruhe StV 1994, 292; NStZ 1995, 562; Löwe-Rosenberg-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 335 Rdnr. 1 a m.w.N.) an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Annahmeberufung des § 313 StPO nicht zum Ausschluss oder zur Einschränkung der Sprungrevision für die dort erfassten Bagatellsachen führt. Denn zum einen sollte das Revisionsrecht durch die Einführung der Annahmeberufung nicht geändert werden (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 203), zum anderen könnte das Revisionsgericht eine anderenfalls nötige Annahmeprüfung nicht selbst vornehmen (BayObLGSt 93, 147). Der Begriff "zulässig" in § 335 StPO ist nicht mit der entsprechenden Formulierung in § 313 StPO gleichzusetzen, sondern als "statthaft" zu verstehen (vgl. hierzu Beschluss des erkennenden Senats vom 14. August 2003 in 2 Ss 439/03).

2.a) Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist schon deshalb erfolglos, da sie nicht in der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Weise ausgeführt und damit bereits unzulässig ist. Die Angeklagte hat zur Begründung ihrer Rüge, ihre Beweisanträge seien rechtsfehlerhaft behandelt worden, schon nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, den Inhalt ihrer Beweisanträge mitgeteilt (vgl. hierzu Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdr. 85). Da sie die fehlerhafte Ablehnung ihrer Beweisanträge rügt, hätte sie neben dem Inhalt der Beweisanträge auch den jeweiligen gerichtlichen Ablehnungsbeschluss sowie die die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergebenden Tatsachen mitteilen müssen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.).

b) Entgegen der Auffassung der Revision tragen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB.

Auch wenn für die Pudel weder aufgrund ihrer Größe noch aufgrund der in § 2 Abs. 2 Landeshundegesetz NRW genannten Fallkonstellationen eine Anleinpflicht bestand, so sind Hunde grundsätzlich so zu führen und zu beaufsichtigen, dass Verletzungen oder Schädigungen Dritter verhindert werden. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass auch außerhalb der gesetzlich normierten Tatbestände Hunde an der Leine zu führen sind.

Die Angeklagte hat vorliegend ihre objektive Sorgfaltspflicht dadurch verletzt, dass sie ihre Hunde nicht angeleint hat. Ein Hund stellt eine Gefahrenquelle dar, da er in seinem Verhalten nicht vernunftgesteuert und im allgemeinen unberechenbar ist (vgl. BayObLSt 1987, 174, 175). Die hiernach im Einzelfall zu treffenden Vorkehrungen richten sich danach, welche Anforderungen im Hinblick auf die konkreten Umstände nach der Verkehrsauffassung und im Rahmen des Zumutbaren an einen verständigen, umsichtigen und in vernünftigen Grenzen vorsichtigen Hundehalter zu stellen sind, um eine Schädigung Dritter durch das Tier tunlichst zu verhindern (BGH, VersR 1976, 1090, 1091). Von Bedeutung sind daher in erster Linie grundsätzlich die Rasse des Hundes, sein Alter und insbesondere seine bisherige Führung, ob er die Unberechenbarkeit, die im allgemeinen im Verhalten eines Tieres zu beobachten ist, überwunden und sich als gutartig erwiesen hat, oder ob er bereits durch erhöhte Aggressionsbereitschaft oder gar Bösartigkeit aufgefallen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 10. September 1990 - RReg. 4 St 159/90).

Das Amtsgericht hat für die Annahme eines Fahrlässigkeitsvorwurfs im vorliegenden Fall zutreffend darauf abgestellt, dass die Angeklagte mit zwei Hunden unterwegs war, wodurch sich die Gefahr, die von den Tieren ausgeht, potenziert. Dieser Umstand führt zu einer erhöhten Sorgfaltspflicht und grundsätzlich zu einer Anleinpflicht, da ein Halter in der Regel nicht in der Lage ist, gleich zwei freilaufende Hunde zu kontrollieren.

Ein weiteres entscheidendes Moment ist im vorliegenden Fall, dass sich die Angeklagte mit ihren beiden Hunden auf einem von Radfahrern frequentierten Waldweg bewegt hat. Radfahrer werden von Hunden anders wahrgenommen als beispielsweise Fußgänger, da sie sich mit einer weitaus größeren Geschwindigkeit fortbewegen. Häufig werden Fahrräder von Hunden als Bedrohung wahrgenommen, was nicht selten dazu führt, dass sie versuchen, die Räder bzw. den Radfahrer anzuspringen. Klingelt zudem ein Radfahrer, so erschreckt sich möglicherweise der Hund, wittert Gefahr und greift aus diesem Grund den Radfahrer an. Erfahrungsgemäß beißen die meisten Hunde aus Angst und nicht etwa weil sie aggressiver Natur sind. Vorgenannte Umstände hätten die Angeklagte dazu veranlassen müssen, ihre Hunde anzuleinen, um so nahe liegende Gefahrensituationen zu beherrschen. Hinzu kommt, dass die Angeklagte durch das Spiel mit den Hunden derart abgelenkt war, dass sie nicht einmal das wiederholte Klingeln des Radfahrers wahrgenommen hat. Von daher ist es im vorliegenden Fall unerheblich, wie die körperliche Konstitution der Angeklagten ist und welche Erfahrung, Geschicklichkeit und Kraft sie im Umgang mit Hunden hat.

Da das angefochtene Urteil auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufweist, war nach alledem die unbegründete Revision der Angeklagten mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

Zurück