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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.09.2004
Aktenzeichen: 2 Ss 354/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 249
StPO § 251
StPO § 261
StPO § 267
Grundlage für die Überzeugungsbildung ist nach einem Vorhalt allein das, was in die Erinnerung des Zeugen zurückkehrt und von ihm alsdann bekundet wird.
Beschluss

Strafsache

gegen W.B.

wegen Beleidigung und Körperverletzung,

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten vom 05. Mai 2004 gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne vom 28. April 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 09. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Nachdem das Urteil des Amtsgerichts Herne vom 27. Februar 2003, mit dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitstsrafe in Höhe von sechs Monaten verurteilt worden war, auf seine Revision mit den Feststellungen aufgehoben worden war, ist der Angeklagte nunmehr durch Urteil des Amtsgerichts Herne vom 28. April 2004 wegen Beleidigung und Körperverletzung mit einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,-€ belegt worden. Hiergegen hat der Angeklagte mit einem am 05. Mai 2004 per Telefax beim Amtsgericht Herne eingegangenen Schreiben zunächst Berufung eingelegt. Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Angeklagten am 03. Juni 2004 hat dieser mit an demselben Tage per Telefax eingegangenen Schriftsatz vom 01. Juli 2004 das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und mit näherer Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.

II.

Die nach dem Übergang von der Berufung zur Revision zulässige Sprungrevision (vgl. dazu BGH Beschluss vom 03. Dezember 2003 -5StR 249/03-) hat auch in der Sache -zumindest vorläufig- Erfolg.

1.

Die Revision beanstandet zu Recht in zweierlei Hinsicht eine Verletzung der §§ 249, 261 StPO, weil ein Schriftstück, das dem Urteil zugrunde gelegt wurde, nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist.

a) Zum einen hat das Amtsgericht u.a. folgende Feststellungen getroffen:

" Der Angeklagte ließ jedoch nicht von ihr ab, sondern sprach sie erneut mit den Worten "Alte Fotze, wieviel willst du dafür haben?" an."

Zur Beweiswürdigung führt das Gericht dazu u.a. aus:

"Zwar war der Zeugin der genaue Wortlaut der Beleidigung nicht mehr gegenwärtig, jedoch konnte sie sich daran erinnern, dass er etwa die Qualität von "Du alte Schlampe, wieviel nimmst du denn" hatte. Auf Vorhalt der polizeilichen Strafanzeige vom 06.01.2002 erklärte sie jedoch, den näheren Inhalt der ihr gegenüber ausgestoßenen Beleidigung habe sie in dieser Anzeige zeitnah richtig wiedergegeben. Wenn dort von dem Begriff "Alte Fotze" die Rede sei, so treffe dies zu. Es habe sich auf jeden Fall um eine sehr ehrverletzende Äußerung, deren Wortlaut sie aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs von mehr als zwei Jahren nicht mehr wiedergeben könne, gehandelt, die sie auch als zutiefst beleidigend empfunden habe."

Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass der Vorhalt als solches nicht Grundlage einer Verurteilung sein kann. Vielmehr darf der Tatrichter seiner Beweiswürdigung nur das zugrunde legen, was der Zeuge auf den Vorhalt hin erklärt (vgl. BGH StV 1991, 197). Grundlage für die Überzeugungsbildung ist nach einem Vorhalt allein das, was in die Erinnerung des Zeugen zurückkehrt und von ihm alsdann bekundet wird (vgl. OLG Düsseldorf StV 1987, 287).

Auch wenn das Tatgericht ausführt, dass nach der Erinnerung der Zeugin die Beleidigung die Qualität von "Du alte Schlampe, wie viel nimmst du denn ?" gehabt habe, trifft das Amtsgericht demgegenüber konkret die Feststellung, die Äußerung habe "Alte Fotze, wie viel willst du dafür haben" gelautet. Diese Formulierung stimmt mit dem Anzeigentext wörtlich überein. Die Verwendung der Anführungszeichen belegt zudem, dass der Tatrichter den Wortlaut der Äußerung festzustellen beabsichtigte, was im Übrigen auch im Falle mündlich geäußerter Beleidigungen wegen der gebotenen objektiven Auslegung der Erklärung (vgl. Tröndle/ Fischer, StGB, 52. Aufl., § 185 Rn. 8) regelmäßig erforderlich ist. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung ergeben aber, dass sich die Zeugin trotz des Vorhaltes nicht an den genauen Wortlaut ihrer Erklärung erinnern konnte. Der von dem Amtsgericht festgestellte Wortlaut ihrer Äußerung beruht deshalb nicht auf einer auf einen Vorhalt abgegebenen Erklärung der Zeugin, sondern allein auf dem Text ihrer polizeilichen Anzeige vom 06. Januar 2002, die jedoch weder durch eine Verlesung noch durch die Vernehmung des die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten eingeführt worden ist (vgl. dazu BGH NStZ 1999, 424; BGH StV 1987, 412).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf diesem Fehler beruht.

b) Zweitens rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass auch im Rahmen der Beweiswürdigung der Text der polizeilichen Anzeige unter Verstoß gegen §§ 249, 261 StPO zur Grundlage der Urteilsfindung gemacht wurde, ohne in prozessordnungsgemäßer Weise eingeführt worden zu sein.

Das Amtsgericht hat insoweit folgendes ausgeführt:

" Die Zeugin hat ihre Aussage ruhig, sachlich und widerspruchsfrei vorgetragen. Sie stimmt weitestgehend mit den von ihr bei der polizeilichen Anzeige gemachten Äußerungen überein. ..."

Die Revision führt diesbezüglich zutreffend aus, dass bei der auf diese Weise begründeten Aussagekonstanz als Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Zeugin wiederum auf ihre polizeiliche Anzeige zurückgegriffen wird, ohne dass diese ordnungsgemäß eingeführt worden ist. Zwar ist es grundsätzlich möglich, einem Zeugen Protokolle über seine frühere Vernehmung vorzuhalten und sie auf diese Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Ein solcher Vorhalt ist jedoch nicht zulässig, wenn es gerade um die sich aus der Aussagekonstanz ergebende Glaubwürdigkeit des Zeugen geht. Denn anderenfalls würde der Versuch unternommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen mit der Glaubhaftigkeit seiner eigenen Aussage zu stützen, ohne dass eine weitere Vergleichsgröße herangezogen würde. Das aber wäre ein Zirkelschluss (vgl. OLG Stuttgart StV 1990, 257 m.w.N.).

Um, wie geschehen, die Aussagekonstanz zu begründen, hätte es somit einer prozeßordnungsgemäßen Einführung der polizeilichen Anzeige durch eine Vernehmung des die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten oder unter den Voraussetzungen des § 251 StPO ihrer Verlesung bedurft, um den Inhalt der Anzeige mit den Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung zu vergleichen.

Auf diesem Fehler beruhen die den Schuldspruch wegen Beleidigung sowie wegen Körperverletzung betreffenden Feststellungen insgesamt.

2.

Das angefochtene Urteil war auch auf die Sachrüge hin aufzuheben, weil die vom Amtsgericht vorgenommene Beweiswürdigung durchgreifenden Bedenken begegnet.

Zwar ist es allein Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149, 152). Er ist in seiner Überzeugungsbildung frei und dabei nicht an gesetzliche Beweisregeln gebunden. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung ist der Prüfung durch das Revisionsgericht nur daraufhin zugänglich, ob sie rechtlich einwandfrei, d.h. frei von Widersprüchen, Lücken, Unklarheiten und Verstößen gegen Denkgesetze oder gesicherte Lebenserfahrung ist. Dabei hat das Revisionsgericht nicht zu prüfen, ob die Erwägungen und Schlüsse des Tatrichters zwingend oder überzeugend sind.

Es genügt, dass sie denkgesetzlich möglich sind und von der subjektiven Gewissheit des Tatrichters getragen werden (vgl. BGHSt 10, 208ff.; 25, 56ff.; 29, 18, 20; OLG Düsseldorf StV 2002, 471 f.). Beruht -wie hier- die Überzeugung des Gerichts jedoch allein auf der Aussage eines einzigen Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände , welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Namentlich ist die Aussage des den Angeklagten allein belastenden Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterzeihen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 146 f. m.-w,N.; Senatsbeschluss vom 16. September 2002 in 2 Ss 657/02).

Diesen Anforderungen hält das angefochtene Urteil nicht stand.

Der Angeklagte weist zutreffend darauf hin, dass mit der vom Tatrichter festgestellten "weitestgehenden" Übereinstimmung der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung einerseits sowie bei Erstattung der polizeilichen Anzeige andererseits, offen bleibt, inwiefern die Angaben der Zeugin nicht übereinstimmen.

Stützt sich nämlich eine Verurteilung im wesentlichen auf die Angaben eines Zeugen, sind die Urteilsgründe unzureichend, wenn einzelne Widersprüche in der Darstellung des Zeugen als unbeachtlich bezeichnet, diese aber in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt werden (vgl. BGH Beschluss vom 08. April 1987 in 2 StR 134/87 LG (Wiesbaden), StV 1987, 516). Demgemäß hätte der Tatrichter in den Urteilsgründen die festgestellten Abweichungen im einzelnen darstellen und sich sodann näher damit auseinandersetzen müssen, warum die festgestellten Abweichungen der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage nicht entgegen stehen.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf folgendes hin:

Soweit der Tatrichter dargelegt hat, die Zeugin habe angegeben, den Angeklagten von vielen Begegnungen in ihrer Nachbarschaft vom Ansehen her zu kennen, wird er sich in der neuen Hauptverhandlung mit dem Vorbringen des Angeklagten im Revisionsverfahren auseinanderzusetzen haben, die Zeugin habe in der Hauptverhandlung geschildert, der Angeklagte habe einen ihm sehr ähnlich sehenden Bruder. Der Tatrichter wird daher der Frage nachzugehen haben, ob eine Verwechselung mit dem Bruder ausgeschlossen werden kann und dazu außerdem im Einzelnen darzulegen haben, wie die Zeugin den Namen des Angeklagten in Erfahrung gebracht hat. Gegebenenfalls kommt auch eine Gegenüberstellung mit dem Bruder des Angeklagten in Betracht.

Der Senat weist zudem auf die zum Beweiswert des ersten Wiedererkennens des Täters ergangene Rechtsprechung (vgl. OLG Köln StV 2000, 607) hin. Im Hinblick darauf, dass die Zeugin Garbe schon in der Hauptverhandlung vom 27. Februar 2003 zur Identifizierung des Angeklagten vernommen wurde, also zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung am 28. April 2004 bereits eine Situation des wiederholten Wiedererkennens vorlag, wird zudem auf die zum beschränkten Beweiswert eines wiederholten Wiedererkennens ergangene Rechtsprechung (BGHSt 16, 204 ff.; 28, 210; BGH NStZ 1996, 350; BGH StV 1995, 452; BGH StV 2004, 58; OLG Köln StV 1994, 67; OLG Düsseldorf StV 1994, 8; OLG Rostock StV 1996, 419; OLG Zweibrücken StV 2004, 65; Senatsbeschluss vom 04. März 2004 in 2 Ss 30/04 und Senatsbeschluss vom 22. April 2004 in 2 Ss 594/04) hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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