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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.07.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 547/2000
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 29
StPO § 267
Leitsatz

Zum Umfang der erforderlichen Feststellungen, wenn ein lediglich kurzfristige An-Sich-Nehmen eines Betäubungsmittels den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erfüllen soll.


Beschluss

Strafsache gegen B.A. wegen Verstoßes gegen das BtMG

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Schöffengerichts Lüdenscheid vom 28. Februar 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen "Besitzes von Betäubungsmitteln ohne Erlaubnis" zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sieben Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das Amtsgericht hat dazu unter Zugrundelegung der "geständigen" Einlassung des Angeklagten nachstehende Feststellungen getroffen:

"Am 09.07.1999 wurde der Bruder des Angeklagten, E.A., auf der Bundesautobahn A 3 bei Elten im Besitze von 25 g Heroin angetroffen und festgenommen. Aus diesem Grunde wurden unmittelbar anschließend die Zimmer des E.A. in seiner Wohnung "Auf der Burg 16" in Plettenberg aufgesucht und durchsucht, weil man vermutete, dass man in der Wohnung weiteres Rauschgift auffinden werde. Der Angeklagte, der in dieser von seinen Eltern und seinem Bruder bewohnten Wohnung zum damaligen Zeitpunkt nicht wohnte, war kurz zuvor und ohne von der Festnahme des Bruders zu wissen, mit seinem Vater übereingekommen, das in der Wohnung befindliche Rauschgift des E.A. zu vernichten, damit diesem geholfen werde, von seiner Rauschgiftsucht loszukommen. Der Angeklagte nahm daher eine Geldkassette seines Bruders aus dem Schrank, in der sich zwei kleine und ein großes Briefchen mit Heroinanhaftungen befanden, sowie ein großes gefülltes Heroinbriefchen mit ca. 8,6 g Heroin an sich und steckte das Heroinbriefchen in seine Hosentasche, um beides, das Heroin in der Kassette und das Heroin in seiner Hosentasche zu vernichten, damit sein Bruder von diesem Heroin befreit werde. Beim Verlassen der Wohnung kamen ihm gegen 19.20 Uhr die Zeugen PK St. und POM S. entgegen, die den Angeklagten wieder mit in die Wohnung nahmen, wo der Angeklagte zunächst versuchte, die Kassette über den Balkon zu werfen, da er zu recht fürchtete, die Polizeibeamten, denen er schon mehrfach im Zusammenhang mit Rauschgiftdelikten aufgefallen war, die aber letztlich nicht zu einer Verurteilung führten, würden ihn zumindest des Besitzes von Heroin verdächtigen.

Indes gelang es dem Angeklagten nicht, das Heroin in der gewünschten Weise zu entsorgen; die Kassette wurde sichergestellt, ebenso wie das in seiner Hosentasche aufgefundene Heroin. ..."

Die gegen dieses Urteil gerichtete rechtzeitig eingelegte und insgesamt zulässige (Sprung-)Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, die deren Verwerfung beantragt hat, einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Denn die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts, an die der Senat gebunden ist, tragen eine Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht.

Besitz i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ist nach ständiger und einhelliger Rechtsprechung die Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines tatsächlichen, auf nennenswerte Dauer ausgerichteten und von eigener Verfügungsgewalt gekennzeichneten Herrschaftsverhältnisses über das Betäubungsmittel (vgl. BGHSt 26, 117; 27, 381; OLG Düsseldorf in OLGSt, BtMG § 29 Nr. 3 m.w.N.), wobei auch ein Besitzwille erforderlich ist, der darauf ausgerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (vgl. BGH in BGHR-Strafsachen BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3, Besitz 2). Auch wenn die Tatmodalität des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG als Auffangtatbestand konzipiert ist (vgl. Körner, BtMG-Kommentar, 4. Aufl., § 29 Rdnr. 778), so reicht doch allein das lediglich kurzfristige An-Sich-Nehmen der Betäubungsmittel ohne Herrschaftswillen für die Annahme von Besitz i.S. der genannten Vorschrift nicht aus (vgl. Körner, BtMG, a.a.O., § 29 Rdnr. 795). Deshalb liegt kein strafbarer Besitz vor, wenn ein Angeklagter, der im Zimmer seines Bruders Betäubungsmittel gefunden hat, diese vor der zu einer Wohnungsdurchsuchung herannahenden Polizei versteckt und sie in den Hinterhof wirft (vgl. OLG Zweibrücken, NStZ 1986, S. 558). Auch der kurzfristige Transport von Betäubungsmitteln mit dem Ziel der Ablieferung an berechtigte Personen ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG straflos, wenn er nicht der Aufrechterhaltung eines unerlaubten Herrschaftsverhältnisses, sondern der Sicherstellung oder Vernichtung der Betäubungsmittel dient (vgl. Körner, a.a.O., § 29 Rdnr. 797 unter Hinweis auf ein Urteil des Obergerichts des Kanton Basel vom 21.11.1989 und des Schweizer Bundesgerichts vom 31. Januar 1991, BGE 117 IV 58 ff.).

Danach tragen die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts eine Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln noch nicht. Aus ihnen ergibt sich zwar, dass der Angeklagte durch das An-Sich-Nehmen der Geldkassette mit Heroinanhaftungen und durch das Einstecken des Heroinbriefchens mit ca. 8,6 g Heroin in seine Hosentasche bereits nach außen hin manifestiert hatte, ein tatsächliches und von eigener Verfügungsgewalt gekennzeichnetes Herrschaftsverhältnis über das Betäubungsmittel erlangt hatten zu haben. Dass dieses Herrschaftsverhältnis aber auch auf nennenswerte Dauer angelegt war und auf einem Besitzwillen in dem Sinne beruhte, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Heroin zu erhalten, ist bislang nach der Einlassung des Angeklagten, die das Amtsgericht meint, als unwiderlegbar den Feststellungen zugrunde legen zu müssen, nicht mit Feststellungen belegt. Wollte der Angeklagte das Rauschgift tatsächlich sofort nach dessen kurzfristiger Inbesitznahme vernichten - zeitliche Angaben sind dem Urteil insoweit nicht zu entnehmen -, so fehlte ihm entgegen der Auffassung des Amtsgerichts der für § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erforderliche Besitzwille i.S.d. oben Gesagten. Danach war das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zurückzuverweisen.

Ein Freispruch durch den Senat, wie von der Verteidigung in erster Linie angestrebt, war nicht veranlasst, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung andere und/oder weitergehende Feststellungen getroffen werden können. So teilt das Urteil wie bereits erwähnt keinerlei zeitliche Angaben mit, aus denen sich die Dauer des zunächst faktischen Besitzes des Angeklagten in Bezug auf das Heroin ergäbe. Daraus ließen sich dann ggf. bereits Rückschlüsse auf einen eventuell vorliegenden Willen, länger als nur kurzfristig zu besitzen, ziehen. Ferner ist dem Urteil zu entnehmen, der Angeklagte sei den einschreitenden Polizeibeamten schon mehrfach mit Zusammenhang mit Rauschgiftdelikten aufgefallen, ohne dass dies jedoch bereits zu einer Verurteilung geführt habe. Damit setzt sich das Urteil nicht in dem erforderlichen Maße auseinander. Auch insoweit scheinen deshalb dem Senat weitergehende Feststellungen nicht unmöglich, die dann ggf. die bisher als nicht widerlegbar hingenommene Einlassung des Angeklagten, er habe das Rauschgift ausschließlich fremdnützig vernichten wollen, in einem anderen Licht erscheinen lassen könnten.

Ende der Entscheidung

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