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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.02.2004
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 62/04
Rechtsgebiete: OWiG, StPO, StVO, StVG


Vorschriften:

OWiG § 79 Abs. 1 Ziff. 2
OWiG § 71 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 79 Abs. 6
StPO § 349
StPO § 267 Abs. 1 S. 3
StVO § 41 Abs. 2
StVO § 49
StVG § 24
StVG § 25
Zum Umfang der erforderlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die durch ein standardisiertes Messverfahren festgestellt worden ist und zur Täteridentifizierung anhand eines vom Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 20. November 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 14. November 2003 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 02. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 i.V.m. § 349 StPO beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Hagen wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung nach den §§ 41 Abs. 2, 49 StVO in Verbindung mit §§ 24, 25 StVG eine Geldbuße von 100 EURO festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der im Einzelnen ausgeführten Rüge des materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

Das Amtsgericht hat die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung auf folgende tatsächliche Feststellungen gestützt und seine Rechtsfolgenentscheidung wie folgt begründet:

"Am 08. 09. 2002 um 8.27 Uhr befuhr er in Hagen die Bundesautobahn A 1 mit seinem Pkw Typ Diamond mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXX in Fahrtrichtung Bremen. Beim Kilometerstein 59,2 darf aufgrund einer entsprechenden Beschilderung nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gefahren werden Der Betroffene befuhr diese Stelle aber mit einer Geschwindigkeit von 142 km/h. Er hat damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h überschritten. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde durch eine sogenannte Radaranlage ermittelt....

Das Gericht hat auch keine Zweifel daran, dass der Betroffene zur Tatzeit den Pkw gefahren hat. Denn insoweit hat das Gericht den Betroffenen im Hauptverhandlungstermin in Augenschein genommen und ihn mit den Fotos auf Blatt 22 der Akten verglichen. Dabei wurde festgestellt, dass die Person, die auf den Fahrerfotos zu sehen ist, identisch ist mit dem Betroffenen....

Wegen dieser Ordnungswidrigkeit hielt das Gericht eine Geldbuße von 100,-- EURO für angemessen. Gleichfalls musste gemäß § 25 StVG ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt werden. Gründe von der Regel des § 25 StVG abzuweichen haben sich in der Hauptverhandlung nicht ergeben und sind auch vom Betroffenen nicht vorgetragen worden....."

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wir folgt begründet:

"Das Amtsgericht Hagen hat den Betroffenen durch Urteil vom 14.11.2003 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100,00 EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt (Blatt 89-93 d.A.).

Die gem. § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr ist ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.

Das Urteil ist auf die Sachrüge aufzuheben, weil die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts die Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bislang nicht tragen. Die Feststellungen sind vielmehr lückenhaft und ermöglichen nicht die Überprüfung der festgesetzten Rechtsfolgen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Tatrichter dem Rechtsbeschwerdegericht in seinem Urteil die rechtliche Nachprüfung der Zuverlässigkeit der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung ermöglichen. Hierzu gehört, dass er in den Urteilsgründen zumindest das zur Feststellung der eingehaltenen Geschwindigkeit angewandte Messverfahren sowie den berücksichtigten Toleranzwert mitteilt (zu vgl. Senatsbeschluss vom 08.07.2003 - 2 Ss OWi 482/03 - m.w.N.).

Vorliegend teilt das Gericht lediglich mit, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung durch eine .,sogenannte Radaranlage" ermittelt wurde. Es fehlt jedoch die genaue Bezeichnung des verwendeten Gerätes. Darüber hinaus wird nicht dargelegt, ob und gegebenenfalls welcher Toleranzabzug berücksichtigt worden ist.

Die Urteilsgründe entsprechen darüber hinaus nicht den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung der Obergerichte an die Darlegung der Beweiswürdigung zur Identifizierung des Betroffenen anhand der bei Verkehrsüberwachungsmaßnahmen gefertigten Beweisfotos zu stellen sind. Danach müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf die in der Akte befindlichen Fotos gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG deutlich und zweifelsfrei Bezug nimmt. Die Verwendung des Gesetzestextes wird diesem Erfordernis gerecht (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.05.2003 - 1 Ss OWi 334/03 - m.w.N.).

Eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf die von dem Tatrichter verwendeten Beweisfotos ist in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Urteil enthält lediglich Ausführungen dazu, dass die vorhandenen Fotografien mit dem im Hauptverhandlungstermin in Augenschein genommenen Betroffenen verglichen worden sind und dass der Vergleich der abgebildeten Person mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen dessen Identität mit dem Fahrzeugführer ergeben habe. Mit diesen Ausführungen wird nur der Beweiserhebungsvorgang, aufgrund dessen der Tatrichter seine Überzeugung von der Identität des Betroffenen als Fahrzeugführer gebildet hat, beschrieben. Die o.g. Rechtsprechung erfordert jedoch, dass die Lichtbilder zum Inhalt der Urteilsurkunde gemacht werden, indem die Bezugnahme "wegen der Einzelheiten" des Erscheinungsbildes der auf dem Beweisfoto abgebildeten Person erfolgt. Dazu lässt sich der bloßen Mitteilung, die Lichtbilder seien in Augenschein genommen worden, nichts entnehmen mit der Folge, dass es dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt ist, die in den Akten befindlichen Lichtbilder selbst zu würdigen und darauf zu überprüfen, ob sie für eine Identifizierung des Betroffenen geeignet sind.

Unterbleibt - wie hier - eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf das Beweisfoto, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist (zu vgl. BGH NZV 1996, 157, 158). Indes enthalten die Urteilsgründe weder Ausführungen zur Bildqualität der Fotografien noch eine Beschreibung des Betroffenen.

Auch der Rechtsfolgenausspruch lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen, die zur Aufhebung des Urteils führen.

Das Amtsgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob möglicherweise bei Absehen von einem Fahrverbot eine gleichzeitige Erhöhung der Geldbuße als Besinnungs- und Denkzettelmaßnahme ausgereicht hätte. Zwar ist das Gericht bei Vorliegen eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung, wenn keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind, der Verpflichtung enthoben, die grundsätzliche Angemessenheit der Verhängung eines Fahrverbotes besonders zu begründen. Mit der Möglichkeit, den angestrebten Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße zu erreichen, muss sich der Amtsrichter nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte aber grundsätzlich auseinandersetzen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 06.02.2002 in DAR 2002, 276 m.w.N.). Die Urteilsgründe lassen indes nicht erkennen, dass sich der Tatrichter dieser Möglichkeit bewusst gewesen ist."

Diesen überzeugenden und zutreffenden Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei. Zusätzlich weist er über die von der Generalstaatsanwaltschaft angeführte Rechtsprechung hinaus auf folgende Entscheidungen hin: Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelt worden ist, auf die Entscheidungen des Senats in MDR 2000, 881 = zfs 2000, 416 = VM 2001, 4 (Nr. 3) und des Senats in NZV 2002, 282 = zfs 2002, 404; zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei Täteridentifizierung anhand eines von dem Verkehrsverstoß ermittelten Lichtbildes auf zuletzt Senat in NZV 2003, 102 mit weiteren Nachweisen und wegen einer ordnungsgemäßen Bezugnahme auf ein bei den Akten befindliches Lichtbild auf Senat in NStZ-RR 1998, 238 = VRS 95, 232 und schließlich zur Frage, wann nähere Erörterungen zu der Möglichkeit des Abwendens eines Fahrverbots durch eine erhöhte Geldbuße erforderlich sind, auf Senat zuletzt in VD 2002, 50 = VRS 102, 60 = NZV 2002, 381, diese Entscheidungen und weitere sind sämtlich eingestellt auf http://www.burhoff.de.

III.

Nach allem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Hagen zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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