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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.12.1999
Aktenzeichen: 2 Ws 341/99
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
Zum Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

OLG Hamm Beschluß 02.12.1999 - 2 Ws 341/99 - 3 AR 2609/99 GStA Hamm 42 Qs 8/99 LG Hagen 41 Js 615/99 StA Hagen 6 Gs 448/99 AG Lüdenscheid


wegen Brandstiftung

(hier: weitere (Haft-)Beschwerde des Beschuldigten).Auf die weitere (Haft-)Beschwerde des Beschuldigten vom 11. November 1999 gegen den Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 25. Oktober 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 2. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul, den Richter am Oberlandesgericht Mosler und den Richter am Amtsgericht Giesecke von Bergh

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lüdenscheid hat gegen den Beschuldigten am 15. September 1999 Haftbefehl (6 Gs 448/99) erlassen. Darin wird dem geständigen Beschuldigten Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB), begangen im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), zur Last gelegt. Er soll am 14. September 1999 unter erheblicher Alkoholbeeinflussung gegen 01.00 Uhr morgens ein unverschlossenes Holzgartenhaus an der Küntroper Straße 14 in Neuenrade betreten und dieses sodann mittels eines dort vorgefundenen Tuches so in Brand gesetzt haben, dass die Front des Gartenhauses gänzlich abgebrannt sei. Das Amtsgericht Lüdenscheid hat den Haftbefehl, aufgrund dessen sich der Beschuldigte nach vorläufiger Festnahme in der Nähe des Tatortes noch am 14. September 1999 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hagen befindet, gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO auf Wiederholungsgefahr gestützt. Nachdem auf den Haftprüfungsantrag vom 24. September 1999 das Amtsgericht Lüdenscheid am 4. Oktober 1999 Haftfortdauer angeordnet hatte, hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger unter dem 5. Oktober 1999 "Haftbeschwerde" mit näherer Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, eingelegt. Diese ist - nach Nichtabhilfeentscheidung durch das Amtsgericht Lüdenscheid - von der 2. Strafkammer des Landgerichts Hagen als Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 4. Oktober 1999 ausgelegt und durch den angefochtenen Beschluss vom 25. Oktober 1999 verworfen worden. Mit der weiteren Beschwerde vom 11. November 1999 begehrt der Beschuldigte weiterhin die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung. Insbesondere macht er mit näherer Begründung geltend, das Landgericht habe nicht wie geschehen, ohne vorher rechtliches Gehör zu gewähren, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegen denjenigen der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO austauschen dürfen. Zudem liege aber auch Fluchtgefahr nicht vor, da der Beschuldigte über eine feste Wohnung verfüge. Hilfsweise sei aber jedenfalls die Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu beschließen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die weitere Beschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 StPO zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1.

Vorab ist festzustellen, dass der Senat zur Entscheidung berufen ist, obwohl sich aus den ihm vorliegenden "Drittakten" keine Abhilfeentscheidung der Strafkammer des Landgerichts gemäß § 306 Abs. 2 StPO entnehmen lässt. Sollte diese unterblieben sein, führt dies jedoch nicht zur Zurückverweisung zum Zwecke der Nachholung, da das Abhilfeverfahren keine Verfahrensvoraussetzung für die Beschwerdeentscheidung ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., § 306 Rdnr. 10) und im übrigen dem namentlich in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot zuwider liefe.

2.

Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Tat der Brandstiftung aufgrund seines auch richterlich bestätigten Geständnisses und der weiteren Begleitumstände (Aufgreifen in Tatortnähe, einschlägige Vorbelastungen) dringend verdächtig.

3.

Es besteht ferner der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Diese ist immer dann anzunehmen, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher machen, dass ein Beschuldigter sich dem Strafverfahren entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (vgl. KK-Boujong, StPO, 4. Aufl., § 112 Rdnr. 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rdnr. 17). Dabei sind die in dem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen zu berücksichtigen. Ist mit der Verhängung einer hohen Strafe zu rechnen, so sind die Anforderungen an das Hinzutreten weiterer Umstände umso niedriger anzusetzen (vgl. KK-Boujong, a.a.O., § 112 Rdnr. 18; OLG Karlsruhe, NJW 1978, 333; ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt in 2 Ws 306/99 vom 28. Oktober 1999). Der Beschuldigte hat mit einer nicht unerheblichen und empfindlichen Bestrafung zu rechnen. Er ist bereits mehrfach einschlägig in Erscheinung getreten und hat schon mehr als vier Jahre Strafhaft verbüßt. Die Rückfallgeschwindigkeit ist beachtlich, nachdem er nach seiner letzten einschlägigen Verurteilung durch das Amtsgericht Osnabrück vom 9. Juli 1998 (3 Ls 7 Js 1516/98) wegen schwerer Brandstiftung und wegen Sachbeschädigung zu einem Jahr und elf Monaten Freiheitsstrafe erst am 1. April 1999 aus der Strafhaft entlassen worden ist. Zudem dürfte er insoweit unter Bewährung stehen, so dass der Bewährungswiderruf droht. Bei dieser Sachlage und bei Beachtung des Umstandes, dass der Beschuldigte die Tat nach eigener Einlassung aus nichtigem Grund begangen haben soll, dürfte die zu erwartende Strafe den strafaussetzungsfähigen Bereich des § 56 StGB übersteigen, auch wenn ggf. eine Strafrahmenverschiebung durch die Anwendung der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht zu ziehen ist. Überdies ist nicht zu übersehen, dass die Staatsanwaltschaft Hagen den Beschuldigten auch zur Frage der Anwendung des § 66 StGB gutachterlich untersuchen lässt.

Allerdings kann eine hohe Straferwartung allein die Annahme von Fluchtgefahr nicht begründen. Es müssen vielmehr bestimmte Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, der Beschuldigte werde dem in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz auch nachgeben (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Oktober 1998, 2 Ws 474/98, in StV 1999, S. 37, Senatsbeschluss vom 28. Oktober 1999, 2 Ws 306/99). Dabei können allerdings die weiteren Umstände an Gewicht verlieren, je höher die Straferwartung ist. Solche bestimmten Tatsachen sieht der Senat insbesondere in dem Umstand, dass der ledige Beschuldigte sozial weitgehend bindungslos ist und wie bei der Tatbegehung sichtbar weitab von seinem Wohnort im sogenannten Nichtsesshaften-Milieu verweilte. Auch geht er keiner geregelten Arbeit nach und der Bestand seiner Wohnung in Osnabrück ist eigenen Angaben zufolge gefährdet. Zusammen mit der empfindlichen Straferwartung machen diese Umstände es für den Senat erheblich wahrscheinlicher, er werde sich im Falle der Freilassung dem Verfahren entziehen statt sich ihm zu stellen.

4.

Deshalb kann die Frage, ob das Amtsgericht Lüdenscheid zu Recht den subsidiären, jedoch hier naheliegenden Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO annehmen durfte, dahinstehen. Insoweit weist der Senat lediglich ergänzend darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung der Erlass eines auf § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützten Haftbefehls nicht voraussetzt, dass das Verfahren, in dem die Haftfrage geprüft wird, selbst eine Mehrheit solcher Taten zum Gegenstand hat und es insoweit ausreichend ist, dass eine der wiederholt begangenen Straftaten in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 11. März 1996 in StV 1997, S. 310 m. w. N.). Unabhängig davon war die Strafkammer aber befugt, diesen Haftgrund gegen den der bestehenden Fluchtgefahr auszutauschen. Denn sie hatte aus entscheidungsgegenwärtiger Sicht über die Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft zu befinden (vgl. OLG Köln, StV 1999, 157; Senatsbeschluss vom 28. Oktober 1999, 2 Ws 306/99). Soweit die Strafkammer dazu vorher rechtliches Gehör nicht gewährt hat, ist dieser Verfahrensfehler durch die Einlegung des Rechtsmittels nachträglich geheilt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 33, Rdnr. 18).

5.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen i.S.d. § 116 StPO erreicht werden. Meldeauflagen oder auch die von der Verteidigung zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr angebotenen engmaschigen, medizinischen Kontrollen zur Überprüfung der Abstinenz des Beschuldigten beseitigen vorliegend das Bestehen der Fluchtgefahr nicht.

6.

Anhaltspunkte, dass der Vollzug des Haftbefehls in Bezug auf die Bedeutung der Sache und die Höhe der zu erwartenden Strafe unverhältnismäßig wäre, sind nicht ersichtlich.

Die (weitere) Haftbeschwerde war daher, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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