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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.10.2005
Aktenzeichen: 20 U 100/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 280
BGB § 313 Abs. 1 n.F.
BGB § 313 Abs. 2 n.F.
BGB § 779 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21. April 2005 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.677,74 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Mai 2003 zu zahlen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 61 % und die Beklagte zu 39 %.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin, ein Bauunternehmen in der Rechtsform der GmbH & Co KG, unterhielt bei der Beklagten u.a. eine Inventarfeuerversicherung. Nach einem Brand am 03.10.2002 einigten sich die Parteien hierzu in einer schriftlichen Vereinbarung vom 10.12.2002 auf eine Entschädigung von 11.579,26 EUR. Dabei berücksichtigte - wie in dieser Instanz unstreitig ist - der mit der Regulierung befasste Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge C, zur Ermittlung des Versicherungswerts auch die Gegenstände (mit Ausnahme einzelner gesondert versicherter Maschinen und der gesondert versicherten Kraftfahrzeuge), welche sich zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls außerhalb des Betriebsgrundstücks befanden. Er ermittelte so einen Versicherungswert von 347.436 EUR und hielt daher - ausgehend von einer Versicherungssumme von 247.466 EUR - eine Unterversicherung für gegeben. Der Geschäftsführer der Klägerin nahm dies ohne Widerspruch hin. Die Parteien einigten sich dementsprechend - bei einem in der Vereinbarung ausdrücklich festgehaltenen, auf 16.257 EUR bezifferten tatsächlichen Schaden - auf eine Entschädigung von "nur" 11.579,26 EUR.

Vertragsgemäß gewesen wäre es - auch dies ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gewesen -, die (nicht gesondert versicherten) Gegenstände außerhalb des Betriebsgrundstücks zur Ermittlung des Versicherungswerts gar nicht oder jedenfalls nur bis zu einem Betrag von 10.000 DM, bis zu dem sie in der Außenversicherung versichert waren, zu berücksichtigen.

Mit der Klage, welche in erster Instanz noch einen weiteren Streitgegenstand umfasst hat, hat die Klägerin u.a. Zahlung jenes Differenzbetrag auf 16.257 EUR verlangt. Sie hat hierzu geltend gemacht, ihr Geschäftsführer und der Zeuge C hätten sich bei Abschluss der Vereinbarung über den Inhalt des Versicherungsvertrages geirrt und nur deshalb eine Unterversicherung angenommen. Tatsächlich habe keine Unterversicherung vorgelegen; der - auch wertmäßig - weitaus größere Teil der von dem Zeugen C zur Ermittlung des Versicherungswertes berücksichtigten Gegenstände habe sich zum Zeitpunkt des Brandes außerhalb des Betriebsgrundstücks befunden. Die Klägerin habe aus dem Gesichtspunkt einer (Neben-) Pflichtverletzung der Beklagten einen Anspruch auf weitere Entschädigung in Höhe von 4.677,74 EUR.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin nur mehr den soeben bezeichneten Anspruch in Bezug auf die Inventarversicherung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen erster Instanz und beantragt,

abändernd die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.677,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab 22.05.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag erster Instanz, gesteht aber, wie oben dargestellt, einen Irrtum des Zeugen C über den Vertragsinhalt zu.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens in dieser Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen C; dazu wird auf den Berichterstattervermerk verwiesen.

II.

Die Berufung ist begründet. Hinsichtlich der Inventarversicherung hat das Landgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen.

1.

Allerdings ist die Vereinbarung nicht gemäß § 779 Abs. 1 BGB unwirksam. Denn Ungewissheit über die Höhe der Entschädigung bestand, wie auch der Zeuge C bestätigt hat, nicht allein wegen der Frage einer Unterversicherung, sondern schon wegen der Bewertung des tatsächlichen Schadens.

2.

Auch dürfte nach Auffassung des Senats keine Schadensersatzpflicht der Beklagten gemäß § 280 BGB n.F. bestehen, wonach diese die Klägerin so zu stellen hätte, als wäre bei Abschluss der Vereinbarung keine Unterversicherung angenommen worden.

Einschlägig ist vielmehr die Regelung des § 313 Abs. 1 und 2 BGB n.F. Die Klägerin hat danach einen Anspruch auf Anpassung der Vereinbarung. Im Ergebnis ist dem Berufungsantrag stattzugeben. Nähere Ausführungen zum Anwendungsbereich des § 280 BGB erübrigen sich daher.

a)

Die Parteien haben sich bei Abschluss der Vereinbarung vom 10.12.2002 über wesentliche Umstände, welche zur Grundlage der Vereinbarung geworden sind, gemeinsam geirrt (§ 313 Abs. 2 BGB).

Sie gingen irrtümlich davon aus, dass zur Ermittlung des Versicherungswerts auch die Gegenstände (mit Ausnahme einzelner gesondert versicherter Maschinen und der gesondert versicherten Kraftfahrzeuge) zu berücksichtigen seien, welche sich zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls außerhalb des Betriebsgrundstücks befanden. Sie kamen so zur Annahme eines Versicherungswerts von 347.436 EUR und einer entsprechenden Unterversicherung.

Diese Annahme ist, wie sich schon aus dem Wortlaut der Vereinbarung ergibt und der Zeuge C es bestätigt hat, zu deren Grundlage geworden.

b)

Bei dieser Sachlage kann der Klägerin - unter Berücksichtigung insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung - das Festhalten an der Vereinbarung nicht zugemutet werden (§ 313 Abs. 1 am Ende BGB). Ein solches Festhalten würde zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen (vgl. zu diesem Maßstab nur Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 313 Rn. 19 m.w.N.).

Allerdings hätte der Geschäftsführer der Klägerin die Berechtigung des von dem Zeugen C vorgebrachten Einwands der Unterversicherung anhand der bei der Klägerin vorhandenen Vertragsunterlagen überprüfen und so - auch seinerseits - den Irrtum vermeiden können. Gleichwohl wäre es unzumutbar, die Klägerin an der Vereinbarung festzuhalten.

Hierbei ist zunächst zu beachten, dass die Darlegung und der Beweis derjenigen Umstände, aus denen sich eine Unterversicherung ergeben soll, dem Versicherer obliegen; schon deshalb erscheint es - unter Berücksichtigung der Risikoverteilung im Versicherungsvertrag - unbillig, die Folgen eines diesbezüglichen gemeinsamen Irrtums allein die Klägerin tragen zu lassen. Im Streitfall kommt hinzu, dass die Regelung der Unterversicherung für einen Laien nur schwer zu verstehen ist (vgl. nur die auch von der Berufungserwiderung offenbar übersehene Klausel BV 423 [07/97] Nr. 4, S. 2 des mit der Berufungserwiderung überreichten Druckstücks BE 7), nicht aber für die fachkundigen Mitarbeiter der Beklagten. Die Beklagte schuldete zumindest deshalb einen sorgfältigen Umgang in Bezug auf die Ermittlung des Versicherungswertes. Schließlich ist die wirtschaftliche Folge des gemeinsamen Irrtums (vgl. dazu noch sogleich) sowohl relativ (d.h. im Verhältnis zur Höhe der vereinbarten Zahlung) als auch absolut nicht etwa ganz geringfügig, sondern durchaus erheblich. Jedenfalls die Gesamtschau dieser Umstände ergibt, dass es mit Recht und Gerechtigkeit nicht vereinbar wäre, die Klägerin an der Vereinbarung festzuhalten.

c)

Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Anpassung der Vereinbarung.

Diese - vom Gericht vorzunehmende (vgl. nur Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 313 Rn. 29) - Anpassung hat einen Ausgleich der Interessen zum Ziel (vgl. ebd. Rn. 28). Im Streitfall bedeutet dies nach Auffassung des Senats, dass die Parteien so zu stellen sind, wie sie ohne den gemeinsamen Irrtum stehen würden.

Die Parteien hätten sich, wenn sie bei Abschluss der Vereinbarung den tatsächlichen Vertragsinhalt erkannt hätten, auf eine Entschädigung in Höhe des in der Vereinbarung bezifferten Schadens von 16.257 EUR geeinigt hätten. Es beruhte allein auf der irrtümlichen Annahme einer entsprechenden Unterversicherungsquote, dass die Parteien sich tatsächlich nicht auf eine Entschädigung in dieser Höhe einigten, sondern auf den Betrag von 11.579,26 EUR. Und es spricht nichts dafür, dass auch bei Zugrundelegen des tatsächlichen Vertragsinhalts eine Unterversicherung festgestellt worden wäre. Auch die Beklagte hat dafür nichts vorgetragen. Der Zeuge C hat ausdrücklich bekundet, dass ohne den Irrtum aller Voraussicht nach eine Entschädigung von 16.257 EUR vereinbart worden wäre.

Der Klägerin steht hiernach der geltend gemachte Anspruch in voller Höhe zu.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht etwa aus dem Verhalten der Klägerin nach Abschluss der Vereinbarung. Dieser kann nicht vorgeworfen werden, eine weitere Aufklärung des Sachverhalts behindert zu haben. Vielmehr hat die Beklagte mit Schreiben vom 22.05.2003 jede Nachbesserung kategorisch abgelehnt. Daher ist auch der geltend gemachte Zinsanspruch begründet.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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