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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.07.2005
Aktenzeichen: 20 U 118/05
Rechtsgebiete: ZPO, VVG


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
VVG § 27
VVG § 28
VVG § 28 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen (Bl. 83-89 d.A.). Die Beklagte ist gemäß §§ 27, 28 VVG leistungsfrei. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, welche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Und auch sonst greifen die Einwände der Berufung (Bl. 113-118) nicht durch. 1. Zu Recht ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass geraume Zeit vor dem Brand eine erhebliche Gefahrerhöhung eingetreten ist. Dabei handelt es sich, was das Landgericht - durchaus zulässig - offen gelassen hat, um eine so genannte ungewollte Gefahrerhöhung i.S.d. § 27 VVG. Hierzu gilt: a) Das versicherte Gebäude war bei Vertragsschluss bewohnt, stand dann aber seit längerer Zeit leer. Die Klägerin hat schon in der Klageschrift eingeräumt, dass das Gebäude nahezu zwei Jahre leer gestanden haben mag (vgl. dort S. 3 letzter großer Absatz und S. 4 oben) und dies auch später nicht bestritten (vgl. den Beklagtenvortrag in der Klageerwiderung, dort S. 5 = Bl. 53). b) Das Gebäude wurde in dieser Zeit, nicht erst in den letzten fünf oder sechs Wochen vor dem Brand, mehrfach durch Unberechtigte genutzt, dabei innen erheblich beschädigt. Und es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin (oder ihr Ehemann) hiergegen dauerhaft wirksame Maßnahmen ergriffen hätte. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass das Gebäude mehrfach von Unberechtigten genutzt wurde (S. 4 der Klageschrift) und dass Vandalismusschäden entstanden (S. 2 des Schriftsatzes vom 07.12.2004 = Bl. 63). Dass diese Schäden nicht beseitigt wurden, ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Fotos und den Fotos der Ermittlungsakte; die Beklagte hat dies in erster Instanz auch nicht bestritten; soweit sie nun anderes vorträgt (S. 4 unten der Berufungsbegründung = Bl. 116), ist dies unbeachtlich (§ 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO), im Übrigen aber auch unsubstantiiert. Die Kontrollgänge des Ehemanns der Klägerin (nach dem späteren Prozeßvortrag der Klägerin zwei- bis dreimal pro Woche; der Ehemann selbst erklärte gegenüber der Polizei, er habe sich "mehr oder weniger regelmäßig um das Gebäude gekümmert", Beiakte Bl. 45) genügten hiernach ersichtlich nicht, ein Eindringen Unberechtigter zu verhindern. Selbst wenn der Ehemann noch am Nachmittag das Haus aufgesucht hatte, konnte am Abend jemand das Haus betreten. Die Klägerin ist auch dem Vortrag der Beklagten, wonach das Gebäude ohne Weiteres zugänglich war, nicht substantiiert entgegengetreten: Wenn der Ehemann der Klägerin die abschließbaren Türen des Gebäudes verschlossen hielt und eine Tür mit Stahlstreben sicherte, genügte dies erkennbar nicht, um ein Eindringen Unberechtigter - etwa durch die Terrassentür - dauerhaft zu unterbinden; denn, wie gesagt, kam es gleichwohl mehrfach zur Nutzung durch Dritte. Zudem wird der Vortrag der Beklagten durch den Inhalt der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Paderborn (230 Js 247/04), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gewesen ist, bestätigt: Nach den Aussagen der Zeuginnen I und T bei der Polizei (Beiakte Bl. 13, 16) war das Gebäude bereits in der Zeit etwa vier oder fünf Monate vor dem Brand ohne Weiteres zugänglich und fanden sich schon zu dieser Zeit leere Spritzen und vereinzelte Möbelstücke (Sofa etc.) in dem Gebäude. Wie sich aus der Aussage der Zeugin V ergibt (Beiakte Bl. 18), blieb das Gebäude bis zum Brandtag zugänglich. Auch fanden sich bis zum Brandtag Spritzen und Möbel in dem Gebäude. Im Übrigen bringt auch die Berufung nichts dafür vor, dass die von der Klägerin in erster Instanz vorgetragenen Maßnahmen geeignet gewesen wären, dem Eindringen Unbefugter dauerhaft entgegenzuwirken. c) Das Gebäude führt nach hinten auf ein Bahngelände und ist von dort aus frei zugänglich; der Blick zur Straße ist durch das vordere Haus versperrt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein Zugehen auf das Haus über dieses Bahngelände von Nachbarn ohne Weiteres zu sehen war. d) Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei dieser Sachlage die Brandgefahr erheblich höher war als zu der Zeit, als das Gebäude noch bewohnt war (§§ 27, 29 VVG). Allerdings fielen die von der dauernden Bewohnung herrührenden Gefahren (z.B. regelmäßiger Gebrauch von Elektrogeräten) weg. Die daher gebotene Gesamtabwägung führt aber zur Feststellung einer deutlichen Gefahrerhöhung, ohne dass die Beklagte hierzu statistische Erkenntnisse vortragen müsste. Anders als möglicherweise bei besonderen Gewerbeobjekten (vgl. zuletzt BGH, VersR 2004, 895 für den Fall einer Diskothek) liegt es bei einem Wohngebäude zumindest dann - für jedermann - auf der Hand, dass eine gegenüber der ordentlichen Wohnnutzung deutlich erhöhte Brandgefahr besteht, wenn sich, wie hier, immer wieder Unbefugte (etwa Jugendliche oder Obdachlose) in dem Gebäude aufhalten, Spritzen in dem Gebäude gefunden werden, was auf Drogengebrauch schließen lässt, und bereits Vandalismusschäden eingetreten sind. Dies gilt jedenfalls, wenn das Gebäude zudem, wie hier, nicht ohne Weiteres insgesamt einsehbar ist. Dies entspricht - entgegen der Auffassung der Berufung - ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung. Die Gerichte gehen übereinstimmend von dem Grundsatz aus, dass eine Gefahrerhöhung vorliegt, wenn ein Wohngebäude leer gezogen wird, dann aber von Unbefugten genutzt wird (vgl. bereits Senat, VersR 1999, 359; ebenso, auch wenn im konkreten Fall Leistungsfreiheit verneint wurde: OLG Köln, r+s 2000, 207; VersR 1998, 1233; OLG Karlsruhe, VersR 1997, 1225). Es ist unter den vorliegenden Umständen nicht Voraussetzung einer Gefahrerhöhung, dass das Gebäude außerhalb der geschlossenen Bebauung liegt. Dies folgt auch nicht etwa aus dem von der Berufung angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.01.1982 (VersR 1982, 466). In dem dort entschiedenen Fall war es - anders vorliegend - noch nicht zu einem wiederholten Eindringen Unbefugter gekommen; der Bundesgerichtshof hat daher auch auf die Lage außerhalb des Ortsrands abgestellt. Er hat im Übrigen ausgeführt, dass eine Gefahrerhöhung schon vorliegt, wenn ein Gebäude zu einem Unterschlupf oder Anziehungspunkt für Wohnsitzlose werden kann. Ebenso wenig trägt der Hinweis der Berufung auf die Senatsurteile vom 18.09.1985 (VersR 1987, 397) und 08.11.1985 (20 U 18/85 - Leitsätze in juris). Auch in diesen beiden Fällen war es noch nicht zu dem Eindringen Unbefugter gekommen. Schon deshalb sind diese Fälle mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Im Fall des erstgenannten Urteils war es außerdem so, dass das Gebäude in der eng bebauten Mitte eines Ortes mit dörflicher Struktur lag und von den Anwohnern gleichsam bewacht wurde. Demgegenüber führt das Gebäude der Klägerin nach hinten auf ein Bahngelände und ist von dort aus frei zugänglich; zudem ist der Blick zur Straße durch das vordere Haus versperrt. Wenn die Klägerin erstmals in dieser Instanz geltend macht, auch vorliegend sei der Gesamtkomplex von der Straße aus gut einzusehen (S. 6 der Berufungsbegründung = Bl. 118), ist dies zum einen prozessual unbeachtlich (§ 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO), zum anderen mit dem vorliegenden Bildmaterial nicht vereinbar (vgl. nur Beiakte Bl. 18; Gutachten Sandmann zur Ermittlungsakte, dort S. 2 der Lichtbildmappe). Dem vorzitierten Urteil des Bundesgerichtshofs lässt sich - entgegen der Berufung - auch nicht entnehmen, dass eine Gefahrerhöhung in einem Fall wie dem vorliegenden erst "erhebliche Zeit" nach der ersten Nutzung durch Unbefugte eingetreten sein könne. Auch hierzu gilt, dass es im Fall des Bundesgerichtshofs noch nicht zu einem wiederholten Eindringen Unbefugter gekommen war. Ist dieses - wie vorliegend - geschehen und sind keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen, besteht eine Gefahrerhöung selbstverständlich sofort; das Gebäude ist damit bereits bereits zu einem Anziehungspunkt für Unbefugte worden. Ohne Erfolgt bezieht sich die Berufung sodann auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 15.11.1984 (r+s 1986, 11). Im dortigen Fall war das "gesamte" in Rede stehende Haus von der Straße aus gut einzusehen und "ständig dem Einblick der Anwohner der benachbarten Häuser, sonstiger Passanten sowie der Bewohner des Vorderhauses ausgesetzt". Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben; vielmehr führt, wie gesagt, das Gebäude der Klägerin nach hinten auf ein Bahngelände und ist von dort aus frei zugänglich; der Blick zur Straße ist durch das vordere Haus versperrt. Außerdem ergibt sich im Streitfall - anders als im Fall des Oberlandesgerichts Köln - eine besondere Gefahr zum einen daraus, dass das Gebäude offenkundig auch von Drogennutzern aufgesucht wurde, und zum anderen daraus, dass es bereits zu erheblichem Vandalismus gekommen war, was spätere Eindringlinge zu weiteren Zerstörungen "ermutigen" konnte. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht Köln letztlich darauf abgestellt, dass nicht bewiesen war, dass der Versicherungsnehmer in dem dort entschiedenen Fall Kenntnis von dem Eindringen Obdachloser gehabt habe (dazu sogleich unter 2). Schließlich macht die Berufung ohne Erfolg geltend, dass einer der Eindringlinge in das Haus, M, das Haus auch deshalb aufgesucht habe, weil dort früher Familienangehörige gewohnt hätten. Dies ändert nichts daran, dass das Gebäude wiederholt von mehreren Personen aufgesucht wurde. Es war daher in einem gewissen Rahmen zu einem Anziehungspunkt für Unbefugte geworden. 2. Die Klägerin hätte diese Gefahrerhöhung anzeigen müssen (§ 27 Abs. 2 VVG). Die Kenntnis ihres Ehemanns ist ihr zuzurechnen. Dieser war Repräsentant, im Übrigen aber auch Wissensvertreter der Klägerin (vgl. hierzu nur Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rn. 167 ff.). Er wusste insbesondere, dass das Gebäude wiederholt von Unberechtigten genutzt wurde und dabei erheblich beschädigt worden war. Ob er wusste, auf welchem konkreten Weg - etwa durch die Terrassentür - die Eindringlinge jeweils in das Haus gelangten, ist unerheblich. Jedenfalls wusste er, dass es trotz der von ihm ergriffenen Maßnahmen wiederholt zu einer unbefugten Nutzung kam. Die Gefahrerhöhung lag, wie bereits gesagt, hiernach für jedermann auf der Hand. Ob weitere Sicherungsmaßnahmen zumutbar waren, ist unerheblich. Entscheidend ist hier allein, dass § 27 VVG der Klägerin gebot, die Gefahrerhöhung der Beklagten anzuzeigen. 3. Der Versicherungsfall trat ein später als einen Monat nach dem Zeitpunkt, in welchem die Anzeige der Beklagten hätte zugehen müssen (§ 28 Abs. 1 VVG). Dies ergibt sich aus dem oben Gesagten. Die Berufung hat den Ablauf der Frist des § 28 Abs. 1 VVG auch nicht in Abrede gestellt. 4. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat nichts dafür vorgebracht, dass die Erhöhung der Gefahr auf den Eintritt des Versicherungsfalls keinen Einfluss gehabt hätte (§ 28 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 VVG). 5. Leistungsfreiheit ist - entgegen der Ansicht der Berufung - auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil dies die Klägerin unverhältnismäßig schwer treffen würde. Das hierzu von der Berufung angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.02.1987 (VersR 1987, 477) ist nicht einschlägig. Es betrifft einen Fall der gesetzlichen Obliegenheit zur Anzeige einer Veräußerung (§ 71 VVG); die Interessenlagen dort und in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall sind nicht vergleichbar; anders als hier führt die Veräußerung des versicherten Gegenstands (jedenfalls im Regelfall) nicht zu einem höheren Risiko für den Versicherer. Ob im Rahmen der §§ 27 f. VVG überhaupt zu fragen ist, ob Leistungsfreiheit den Versicherungsnehmer im Einzelfall unverhältnismäßig schwer trifft, kann aber letztlich dahingestellt bleiben: Es ist nichts dafür vorgetragen und auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin durch den Verlust des Versicherungsanspruchs - gemessen an Sinn und Zweck der §§ 27 f. VVG - unzumutbar hart getroffen würde. Es handelt sich vielmehr um einen typischen Anwendungsfall dieser gesetzlichen Regelung. II. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Ende der Entscheidung

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