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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: 20 U 195/07
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16
VVG § 16 Abs. 1
VVG § 16 Abs. 2
VVG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.08.2007 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen zu den Lebensversicherungen Nr. #####/#### und L #####/####- ANN nicht durch die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 25.07.2005 beendet worden sind.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Im Juli 2003 verhandelte die Klägerin zwecks Neugestaltung ihres Versicherungsschutzes mit dem Zeugen C, dem Versicherungsagenten der Beklagten.

Unter dem 24.10.2003 beantragte die Klägerin schriftlich über den Zeugen C bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ), wobei für den Fall der Berufsunfähigkeit eine Rente von 24.000,00 € im Jahr und Beitragsbefreiung vorgesehen war (Bl. 125 f.).

Der Zeuge C las die Antragsfragen des Formulars vor. Die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre wegen bestimmter, dort im Einzelnen aufgführten Erkrankungen ist von der Klägerin im Antragsformular bejaht worden. Des weiteren heißt es dort (Bl. 126):

"Art der Erkrankung/Beeinträchtigung: nein

Wann/Dauer? 12.02.2002 Entbindung

Folgen? beschwerdefrei

Regelmäßige Medikamentenverordnung (Mittel Dosierung)? keine Medikation

Von wem wurden Sie untersucht, beraten, behandelt oder operiert (Name, Fachrichtung, Anschrift)? Dr. Q"

Die weiteren "Fragen an die zu versichernde Person" im Antragsformular zu Ziff. 3. - 5. sind dort verneint.

Auf die Frage nach dem Hausarzt ist im Antragsformular "Dr. M3" angegeben.

Die Beklagte policierte den Antrag unter dem 29.12.2003 unter der Versicherungsnummer L6118074 (Bl. 65 ff).

Am 02.12.2004 beantragte die Klägerin über den Zeugen C bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit BUZ, in der lediglich Beitragsbefreiung für den Fall der Berufsunfähigkeit vorgesehen war (Bl. 128 f.).

Auch bei diesem Antrag las der Zeuge C die Fragen im Antragsformular im Einzelnen vor. Auch hier wurde als Hausarzt Dr. M3 eingetragen. Die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre wegen bestimmter Erkrankungen wurde auch dort mit "ja" beantwortet. Auch dort wurde sodann die Entbindung aus Februar 2002 angegeben. Die weiteren Gesundheitsfragen wurden im Antragsformular verneint.

Die Beklagte policierte diesen Antrag unter dem 09.12.2004 unter der Versicherungsnummer L####/### (Bl. 96 ff).

Die Klägerin hatte am 10.04.2000 einen Unfall erlitten, bei dem sie sich das obere rechte Sprunggelenk verstauchte.

Am 20.05.2000 hatte die Klägerin einen Unfall mit einer Verletzung des linken oberen Sprunggelenks erlitten. In der Folge war sie vom 21.05. bis 30.06.2000 arbeitsunfähig krank.

Am 03./04.01.2002 war die Klägerin mit dem Fuß umgeknickt und hatte sich das rechte Sprunggelenk verletzt, weshalb eine Aircastschiene getragen werden musste.

Am 12.02.2002 hatte die Klägerin entbunden.

Nach Beschwerden an der Halswirbelsäule am 11.05.2002 hatte die Klägerin das Krankenhaus M2-C aufgesucht. Es wurden Röntgenaufnahmen gefertigt und eine HWS-Distorsion festgestellt. Als Therapie erfolgten paravertebrale Infiltrationen über der HWS. Die Anlage eines Salbenverbandes und Wärmeanwendungen wurden angeraten.

Am 20.12.2002 hatte die Klägerin ihren Hausarzt Dr. M3 wegen Schmerzen an der Brustwirbelsäule aufgesucht.

Nach einem Reitunfall am 10.03.2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten aus den vorbezeichneten BUZ-Verträgen Leistungsanträge. Die Beklagte forderte daraufhin Unterlagen des Hausarztes Dr. M3 an, die dieser unter dem 27.06.2005 übersandte. Mit Schreiben vom 25.07.2005, das der Klägerin unter dem 26.07.2005 zugestellt wurde, erklärte die Beklagte den Rücktritt von beiden Berufsunfähigkeitsversicherungsverträgen. Sie begründete den Rücktritt damit, dass in den Versicherungsanträgen erfragte Erkrankungen, Behandlungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht mitgeteilt worden seien.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe dem Agenten C mitgeteilt, dass sie sich nach diversen Unfällen wegen Verstauchung der Sprunggelenke sowie wegen eines Bänderrisses in ärztlicher Behandlung befunden habe. Außerdem habe sie eine Zerrung im Nacken im Jahre 2002 und ihre anschließende ambulante Behandlung im Krankenhaus M2-C sowie die Anfertigung eines Röntgenbildes erwähnt. Zudem habe sie gelegentliche Rückenschmerzen mit einer Behandlung durch ihren Hausarzt, eine Magen-Darm-Grippe sowie eine Mittelohrentzündung angegeben und gelegentliche Muskelverspannungen.

Hinsichtlich des Bänderrisses am 20.05.2000 seien zwar nicht die konkreten Daten der Arbeitsunfähigkeit genannt worden, sie habe jedoch angegeben, dass sie mehrere Wochen arbeitsunfähig gewesen sei. Der Versicherungsagent C habe hierzu erklärt, dass man diese Erkrankung nicht aufführen müsse. Ausgeheilte Erkrankungen müssten nicht angegeben werden.

Am 11.05.2002 habe sie aufgrund der Schwangerschaft und dem folgenden Herumtragen/Aufheben des Babys etc. Verspannungen im Rücken bzw. eine Art Zerrung im Nacken gehabt, die sich besonders beim Absteigen vom Pferd äußerten. Sie habe sich wegen der Schmerzen in die ambulante Behandlung des Krankenhauses M2-C begeben. Der Arzt im Krankenhaus habe aus Routine ein Röntgenbild fertigen lassen, auf dem keine chronischen Erkrankungen nachweisbar gewesen seien. Sie habe Spritzen und die Empfehlung erhalten, ihren Rücken mit einer Salbe regelmäßig einzureiben und die verspannten Stellen warm zu halten. Dies sei dem Agenten so mitgeteilt worden. Der Zeuge C habe daraufhin erklärt, eine solche Behandlung müsse nicht eingetragen werden. Es sei nur die Entbindung einzutragen so der Agent , da alles andere keine chronischen Geschichten seien. Hierauf habe sie sich verlassen.

Entsprechend sei auch bei dem zweiten Antrag vom 02.12.2004 das Gespräch mit dem Versicherungsagenten C geführt worden.

Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass die Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen nicht durch Rücktrittserklärung der Beklagten beendet worden seien.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe am 11.05.2002 einen Reitunfall erlitten, der zu einem chronischen HWS-Schmerzsyndrom bei Zustand nach HWS-Distorsion geführt habe, weswegen die Klägerin im Krankenhaus behandelt und geröntgt worden sei. Am 20.12.2002 habe ihr Hausarzt die Klägerin wegen eines chronischen BWS-Schmerzsyndroms und Myogelosen (nicht schwindende Muskelverhärtungen) bei muskulärer Überbelastung behandelt, wobei es sich vermutlich um eine Spätfolge des Unfalls vom 11.05.2002 gehandelt habe.

Bei den Antragsaufnahmen habe die Klägerin lediglich einen gelegentlich steifen Nacken, der mit Salbe behandelt werde, sowie gelegentliche Grippe und Husten und allenfalls eine Verstauchung eines Knöchels angegeben. Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Arbeitsunfähigkeitszeiten habe die Klägerin nicht genannt. Anderenfalls wäre der Versicherungsantrag nur angenommen worden, wenn jeweils sämtliche Erkrankungen und Beschwerden der Wirbelsäule und ihre Folgen ausgeschlossen worden wären.

Das Landgericht hat die Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen I und C. Sodann hat es die Klage abgewiesen.

Die Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsverträge zwischen den Parteien seien durch den Rücktritt der Beklagten vom 25.07.2005 beendet worden.

Nach §§ 16, 17 VVG habe der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich seien, dem Versicherer anzuzeigen, wobei insbesondere ausdrücklich schriftlich erfragte Umstände als erheblich gelten. Der Versicherer sei zum Rücktritt berechtigt, wenn ein erheblicher Umstand nicht angezeigt worden sei. Es sei denn, die Anzeige sei ohne Verschulden des Versicherungsnehmers unterblieben.

Die Beklagte habe in den Formularen, die den Anträgen der Klägerin zugrunde gelegen hätten, jeweils nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen u.a. wegen Erkrankungen oder Bewegungseinschränkungen der Sehnen, der Gelenke, der Knochen und der Wirbelsäule gefragt, und zwar für den Zeitraum der letzten fünf Jahre nach der Antragstellung. Bei wahrheitsgemäßer Beantwortung wären hiernach die seit dem 24.10.1998 bzw. nach dem 02.12.1999 erfolgten ärztlichen Maßnahmen vom 20.12.2002, 14.05.2002, 04.01.2001, 20.05.2000 und 10.04.2002 anzugeben gewesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Gericht jedoch davon überzeugt, dass die Klägerin den Versicherungsagenten C nicht auch nicht mündlich über Art, Anzahl und Ausmaß der Vorbehandlungen informiert habe. Die Klägerin habe dies zwar in ihrer persönlichen Anhörung anders geschildert. Auch habe der Zeuge I ihr Ehemann die klägerische Schilderung bestätigt. Die Ausführungen der Klägerin und ihres Ehemannes seien jedoch durch die Angaben des Zeugen C widerlegt. Der Zeuge C habe insoweit erklärt, bei dem ersten Vertrag seien mit Ausnahme der Entbindung weitere Erkrankungen verneint worden. Die Klägerin habe angegeben, sie wüsste nicht, wann sie zuletzt beim Arzt gewesen sei. Beim zweiten Vertrag sei ihm einmal morgens ein steifer Hals und ein Umknicken oder eine leichte Verstauchung angegeben worden. Weitere Verletzungen oder Beschwerden wie auch Behandlungen seien ihm bei Antragstellung nicht genannt worden. Das Landgericht sei von der Richtigkeit der Zeugenaussage C überzeugt, was es im Weiteren dargelegt hat.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei in sich nicht schlüssig und zudem unvollständig. Insbesondere hätte das Landgericht die Aussage des Zeugen C sorgfältiger würdigen und in Bezug zu der ebenfalls zu würdigenden Aussage des Zeugen I und den Angaben der persönlich gehörten Klägerin setzen müssen. Weiter habe das Landgericht objektive Umstände, die sich aus der Aussage des Zeugen C selbst ergäben und die seine Glaubwürdigkeit erschütterten, nicht bei der Beweiswürdigung berücksichtigt. Auch habe es die wirtschaftlichen Interessen der handelnden Personen falsch gewichtet. Wegen der mangelhaften Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen C hätte das Ergebnis der Beweiswürdigung zumindest ein non-liqet sein müssen. Mithin hätte das Landgericht eine Beweislastentscheidung fällen müssen, die zu Lasten der Beklagten ausgefallen wäre. Die Beweislast dafür, dass der Antragsteller etwas anderes gesagt habe, als er behaupte, treffe den Versicherer.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

festzustellen, dass die zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen zu den Lebensversicherungen Nr. L #####/#### und L #####/####-ANN nicht durch die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 25.07.2005 beendet worden sei.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Verteidigung des angefochtenen Urteils bezieht sich die Beklagte auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Äußerst vorsorglich beantragt sie die Akte 15 O 347/06 LG Münster (= 20 U 196/07 OLG Hamm) beizuziehen und macht alle dortigen Feststellungen des Landgerichts und des Senats zur mangelnden Glaubhaftigkeit von Erklärungen der Klägerin und zum Vorliegen schwerer degenerativer Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule schon vor dem 24.10.2003 zum Bestandteil ihres Vortrages.

Des weiteren vertritt sie die Auffassung, nicht dafür beweispflichtig zu sein, dass die Klägerin dem Versicherungsagenten nichts anderes gesagt habe, als von ihm zur Beantwortung der Gesundheitsfragen schriftlich niedergelegt worden sei. Es habe vielmehr bei der grundsätzlichen Beweislast der Klägerin als Anspruchserhebender zu verbleiben.

II.

Die Berufung der Klägerin ist begründet.

Die im Feststellungsantrag der Klägerin benannten BUZ-Verträge der Parteien sind nicht durch Rücktrittserklärung der Beklagten vom 25.07.2005 (Bl. 30 ff.) wirksam beendet worden.

Die Klägerin hat bei den Antragsaufnahmen im Oktober 2003 und Dezember 2004 keine unrichtige oder unvollständige Anzeige im Sinne der §§ 16 Abs. 1 und 2, 17 VVG gemacht, welche die Beklagte zum Rücktritt berechtigen würde.

Nach dem Ergebnis der im Senatstermin durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Klägerin dem Zeugen und Versicherungsagenten C keine anderen Angaben zu ärztlichen Untersuchungen, behandelten Krankheiten und/oder Verletzungen gemacht hat, als von dem Zeugen zur Beantwortung der Gesundheitsfragen schriftlich in den Antragsformularen (Bl. 125 f. und 128 f.) niedergelegt worden ist. Es lässt sich auch sonst nicht feststellen, dass die Klägerin unzureichende Angaben machte, welche zum Rücktritt berechtigen würden.

Die Beweislast für ihre diesbezüglichen Behauptungen trägt die Beklagte. Ihre entgegenstehende Auffassung ist unrichtig. Insbesondere kommt es bei der Beweislastverteilung nicht auf die Parteirollen an.

Hat - wie hier unstreitig - ein Versicherungsagent es übernommen, das Formular eines Versicherungsantrags für den Antragsteller auszufüllen, so erbringt allein der ausgefüllte Antrag nicht den Beweis für die falsche Beantwortung der im Antragsformular stehenden Fragen, wenn - wie hier - der Versicherungsnehmer substantiiert behauptet, den Agenten mündlich hinreichend informiert zu haben oder von ihm mit den einzelnen Fragen gar nicht konfrontiert worden zu sein. Vielmehr muss in einem solchen Fall der Versicherer beweisen, dass alle im schriftlichen Formular beantworteten Fragen dem Antragsteller tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind (vgl. BGH VersR 2004, 1297 f. und Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., §§ 16 f. VVG, Rdn. 41 f.).

Dieser Beweis ist mit der Aussage des Agenten C nicht geführt.

Der Zeuge hat zunächst von sich aus von einer Frage nach chronischen Krankheiten berichtet, welche im Antragsformular seinerzeit gestellt worden sei und welche die Klägerin verneint habe. Er hat es auf Nachfrage ausdrücklich für möglich gehalten, nach chronischen Krankheiten gefragt zu haben. In den hier in Rede stehenden Antragsformularen der Beklagten (Bl. 125 f. und 128 f.) wird indes nicht nach chronischen Krankheiten gefragt. Die Aussage des Zeugen C passt hingegen zu den Angaben der Klägerin im Senatstermin, wonach der Versicherungsagent sich für die von ihr angegebenen Krankheiten und Unfälle nicht interessiert, sondern nach chronischen Krankheiten gefragt habe.

Der Zeuge C hat weiter bekundet, die Klägerin habe ihm eine Schwangerschaft angeben, die er auch in das Antragsformular eingetragen habe. Die seinerzeit verwendeten Antragsformulare der Beklagten fragen jedoch nicht nach normal verlaufenden Schwangerschaften und Entbindungen (vgl. Bl. 126 und 129). Der Versicherungsagent C hat also in die Antragsformulare vom 24.10.2003 und 02.12.2004 jeweils eine beschwerdefreie Entbindung der Klägerin aufgenommen, nach der gar nicht gefragt worden ist.

Die seinerzeit verwendeten Antragsformulare enthalten andererseits die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen in den letzten 5 Jahren wegen Erkrankungen oder Bewegungseinschränkungen der Sehnen, der Gelenke, der Knochen und der Wirbelsäule. Nach Aussage des Zeugen C hat die Klägerin ihm gegenüber jedenfalls bei dem zweiten Antrag eine Fußverletzung und Verspannungen im Halsbereich angegeben. Der Zeuge C hat diese Angaben im Antragsformular unstreitig nicht aufgenommen, obwohl dort ausdrücklich nach derartigen "Erkrankungen oder Bewegungseinschränkungen" gefragt worden ist. Die Frage des Senats, warum er diese Angaben der Klägerin nicht in das Antragsformular aufgenommen hat, hat der Zeuge nicht zu beantworten vermocht. Er hat eingeräumt, dass er die Fußverletzung der Klägerin unbedingt hätte eintragen müssen. Warum er dies seinerzeit nicht getan habe, wusste er nicht mehr.

Auf die von der Klägerin bei Antragsaufnahme angegebene Verspannung im Halsbereich habe er - so der Zeuge - diese gefragt, ob es sich dabei um eine einmalige oder um eine längerfristige Sache gehandelt habe. Die von der Beklagten damals verwendeten Antragsformulare treffen eine derartige Unterscheidung aber nicht. Zudem hat der Zeuge C dem Senat zuvor erklärt, dass die Angabe von Rückenschmerzen durch den Antragsteller bei Antragsaufnahme in den meisten Fällen "das Todesurteil" für den Versicherungsantrag bedeute. Legt man diesen Wertungsmaßstab zugrunde, hätten die von der Klägerin angegebenen Beschwerden im Hals-/Nackenbereich, auch wenn sie einmalig gewesen wären, unbedingt mit aufgenommen werden müssen. Nur dann hätte die Beklagte die Möglichkeit gehabt, diesen Umstand ggfls. durch Nachfrage beim Hausarzt weiter aufzuklären.

Aufgrund der vorstehend aufgezeigten Widersprüche und Ungereimtheiten in der Aussage des Agenten C bestehen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Diese wird durch die Aussage des Zeugen I jedenfalls nicht bestätigt. Die Angaben der Klägerin vor dem Senat sind schlüssig und stimmen im Wesentlichen mit ihren erstinstanzlichen Erklärungen überein. Auch aus der beigezogenen Akte (20 U 196/07) ergibt sich nichts dafür, dass der Vortrag der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit unrichtig wäre. Schon deshalb ist nicht widerlegt, dass die Klägerin, wie sie es behauptet, die von dem Agenten gestellten Fragen, so gut es ihr möglich war, beantwortete. Dass die Klägerin eine chronische Erkrankung hätte bejahen müssen, lässt sich nicht feststellen.

Aber selbst wenn man die Aussage C vor dem Senat zugrunde legen würde, ließe sich nicht feststellen, dass der Agent die Gesundheitsfragen richtig an die Klägerin weitergab; auch danach bliebe offen, ob nicht die Klägerin die mündlichen Erklärungen des Agenten ohne Fahrlässigkeit so verstehen durfte, dass nur chronische Erkrankungen anzugeben seien.

Schon hiernach sind die Voraussetzungen eines Rücktritts im Sinne der §§ 16 Abs. 1 und 2, 17 VVG nicht gegeben.

Der Beklagten ist es zudem nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, wegen unzureichender Angaben bei Antragstellung vom Versicherungsvertrag zurückzutreten.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (zuletzt BGH zfs 2008, Seite 332 f.), der sich der Senat anschließt, muss der Versicherer beim künftigen Versicherungsnehmer nachfragen, wenn dieser bei der Antragstellung ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht. Denn die dem Versicherer obliegende ordnungsgemäße Risikoprüfung, die die Schaffung klarer Verhältnisse in Bezug auf den Versicherungsvertrag schon vor Vertragsschluss gewährleisten soll und deshalb nicht auf die Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls verschoben werden darf, kann aufgrund solcher Angaben nicht erfolgen.

Füllt - wie hier - ein Versicherungsagent das Antragsformular nach den Angaben des Antragstellers aus, so muss sich der Versicherer die dem Agenten zur Kenntnis gebrachten Umstände als bekannt zurechnen lassen. Führen die Angaben des Antragstellers dem Agenten vor Augen, dass erster seiner Anzeigenobliegenheit noch nicht vollständig genügt hat, so geht es zu Lasten des Versicherers, wenn der Agent nicht für die nach Sachlage gebotene Rückfrage sorgt. Unterläßt der Versicherer eine ihm obliegende Rückfrage und sieht er insoweit von einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung ab, so ist es ihm im weiteren nach Treu und Glauben verwehrt, gestützt auf die Unvollständigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers wirksam vom Versicherungsvertrag zurückzutreten (BGH zfs 2008, Seite 332 f. und BGH VersR 1993, 871). Etwas anderes gilt im Falle eines arglistigen Vorgehens des Antragstellers, für das im vorliegenden Fall aber keine ernsthaften Anhaltspunkte gegeben sind, zumal die Klägerin unwiderlegt mit einer Anfrage der Beklagten bei dem Hausarzt rechnete.

Hier hat die Klägerin den Versicherungsagenten C bei dem zweiten Antrag unstreitig auf eine Fußverletzung und Beschwerden bzw. Bewegungseinschränkungen im Hals-/Nackenbereich hingewiesen. Diese Angaben waren für die Risikoprüfung bedeutsam und hätten näherer Aufklärung bedurft, was der Zeuge und Versicherungsagent C auch weitgehend eingeräumt hat. Aber auch bei dem ersten Antrag ist jedenfalls nicht widerlegt, dass die Klägerin zumindest solche Angaben machte, welche eine Nachfrage erfordert hätten.

Die Berufung der Klägerin ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt begründet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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