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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.10.2005
Aktenzeichen: 24 U 13/05
Rechtsgebiete: SGB X, SGB XI, BGB, HeimG


Vorschriften:

SGB X § 116 Abs. 1
SGB X § 116 Abs. 8
SGB XI § 11 Abs. 1 S. 1
SGB XI § 28 Abs. 3
BGB § 278
BGB § 280 Abs. 1 S. 1
HeimG § 2 Abs. 1 Nr. 1
HeimG § 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

auf die Berufung der Klägerin wird das am 17.11.2004 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.336,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.06.2003 zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen Verletzungen geltend, die ihre Versicherungsnehmerin, die am 17.07.1920 geborene Frau X, am 21.01.2003 bei einem Sturz in dem von der Beklagten betriebenen Alten- und Pflegeheim in O erlitten hat.

1999 wurde im Rahmen einer Untersuchung zur Pflegebedürftigkeit bei Frau X u. a. eine Minderung der Hirnleistungsfähigkeit bei einer Alzheimerdemenz festgestellt. Seit Anfang 2001 befand sie sich in dem von der Beklagten betriebenen Heim. Wegen der von der Beklagten geschuldeten Leistungen wird auf den Heimvertrag vom 2.02.2001 (Bl.273 - 285) Bezug genommen. Anfang 2003 wurde sie in der Pflegestufe II eingruppiert. Vom 13.10. bis zum 25.10. 2002 wurde sie wegen des Verdachts auf einen zerebralen Krampfanfall in einem Krankenhaus stationär behandelt.

Nach ihrer Rückkehr in das Pflegeheim wurde sie am 09.01.2003 erneut vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung X2 (nachfolgend X2) untersucht. Die Gutachterin, die Pflegefachkraft P, bejahte in dem Gutachten vom 10.01.2003 die Voraussetzungen der Pflegestufe II und die Erforderlichkeit einer vollstationären Pflege.

Nach den Angaben des Pflegedienstleiters U der Beklagten zur Betreuungssituation konnte Frau X nicht mehr stehen und gehen, Aufforderungen konnte sie nicht umsetzen. Transfers vom Bett auf den Rollstuhl konnten nur durch zwei Pflegepersonen zeitgleich durchgeführt werden.

Die Gutachterin bestätigte in ihrem Gutachten einen entsprechenden Hilfebedarf der Frau X, da deren Aufrichten zum Stehen auch in ihrer Gegenwart den Einsatz von 2 Pflegepersonen erforderte. Sie musste gestützt werden und konnte nicht selbständig stehen; Aufforderungen zum Gehen setzte sie nicht um. Die Gutachterin diagnostizierte bei Frau X Störungen eines zielgerichteten Handelns, der zeitlichen, örtlichen und situativen Orientierung aufgrund demenzieller Entwicklung, ein Parkinsonsyndrom sowie Harn- und Stuhlinkontinenz. Mit einer stufenrelevanten Verringerung des Hilfebedarfs sei auf Grund dieser Befunde nicht zurechnen.

Nachdem Frau X am Abend des 21.01.2003 in Begleitung der Altenpflegehelferin U2, einer Mitarbeiterin der Beklagten, die Toilette benutzt hatte, anschließend von jener gewaschen und mit einer Windel versehen worden war, stürzte sie. Sie zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu, der stationär in einem Krankenhaus behandelt wurde. Für diese Behandlung hat die Klägerin 5.653,90 € und für den Hin- und Rücktransport insgesamt 221,50 € aufgewandt. Von diesen Kosten bringt die Klägerin den Eigenanteil ihrer Versicherten in Höhe von 126,00 € in Abzug. Für ärztliche Behandlung durch den Hausarzt des Pflegeheims ist eine Pauschale nach § 116 Abs. 8 SGB X in Höhe von 119,00 € und für einen ärztlich verschriebenen Rollstuhl sind Kosten in Höhe 467,66 € angefallen:

Krankenhauskosten 5.653,90 €

Transportkosten 221,50 €

Eigenanteil -126,00 €

Pauschale nach § 116 Abs. 8 SGB X 119,00 €

Rollstuhl 467,66 €

Klageforderung 6.336,06 €

Die Klägerin hat behauptet, der Sturz der Frau X habe darauf beruht, dass die Mitarbeiterinnen der Beklagten sie fehlerhaft betreut hätten, da sie entgegen dem Gutachten des X2 beim Toilettengang nicht von zwei Pflegepersonen begleitet worden ist. Die Altenpflegehelferin U2 sei alleine nicht in der Lage gewesen, Frau X zu halten, so dass es zu dem Sturz gekommen sei. Aufgrund des verwirrten Zustandes von Frau X hätte man mit spontanen Fehlhandlungen rechnen müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.336,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.06.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat bestritten, dass Fehler ihrer Mitarbeiter zu dem Sturz geführt hätten. Sie hat behauptet, Frau X hätte sicher stehen können. Ein Rollstuhl sei in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Tagesform nur phasenweise erforderlich gewesen. Diese sei zum Zeitpunkt des Schadensfalles gut gewesen, da Frau X bereits 2 Tage nach der Begutachtung durch den X2 in Begleitung einer Pflegeperson habe laufen können. Am 21.01.2003 sei sie gestürzt, weil sie im Badezimmer über ihren Fuß gestolpert sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen U2, N, H und T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.11.2004 (Bl. 146 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der erstinstanzliche Einzelrichter hat die Klage durch das Urteil vom 17.11.2004 abgewiesen. Er ist zwar in Übereinstimmung mit der Entscheidung des 34. Zivilsenats des OLG Hamm vom 4.02.2003 (34 U 56/02) davon ausgegangen, dass für die Beklagte eine umfassende Schutz- und Obhutspflicht gegenüber der Versicherten der Klägerin bestanden habe, die sich nicht lediglich auf den Bereich spezieller Pflegemaßnahmen beschränkt habe. Auch in dem über den Kernbereich der Pflege hinausgehenden Bereich habe die Beklagte die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen ergreifen müssen, um ihren Schutz- und Obhutspflichten nachzukommen. Insoweit trage die Beklagte die Beweislast für eine fehlende Pflichtverletzung. Aufgrund der Vernehmung der Mitarbeiter der Beklagten hat der erstinstanzliche Einzelrichter jedoch angenommen, dass der Beklagten keine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten nicht damit rechnen müssen, dass die Pflegebefohlene plötzlich und selbständig vom Toilettendeckel aufstehen und sodann stürzen würde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den von ihr geltend gemachten Anspruch in vollem Umfang weiter. Sie rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts und vertritt die Auffassung, dass der erstinstanzliche Einzelrichter dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung der Gutachterin P sowie ihrem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte nachgehen müssen. Sie behauptet, dass zum Zeitpunkt des Unfalles bei Frau X der Zustand fortbestanden habe, den die Gutachterin des X2 in dem Gutachten vom 10.01.2003 beschrieben habe. Frau X könne innerhalb der 12 Tage zwischen der Erstellung des Gutachtens und dem Zeitpunkt des Sturzes keinesfalls derart mobil geworden sein, dass sie allein habe laufen können. Vielmehr hätte sie bei dem Toilettengang von zwei Pflegekräften betreut werden müssen. Die Altenpflegehelferin U2 habe die Tagesform der Frau X nicht einschätzen können, da sie gerade aus dem Urlaub zurückgekommen war. Zudem habe die Altenpflegehelferin damit rechnen müssen, dass Frau X plötzlich und selbständig aufstehen würde, da sie bereits am 14.12.2002 und am 14.01. 2003 gestürzt sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.336,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.06.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, wobei sie allerdings die Auffassung vertritt, dass das Landgericht fälschlicherweise von einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ausgegangen sei. Die Klage sei unschlüssig, da die Klägerin es versäumt habe, eine der Beklagten anzulastende Pflichtverletzung schlüssig darzulegen.

Soweit die Klägerin behaupte, die Altenpflegehelferin U2 sei nicht in der Lage gewesen, die "Tagesform" der Frau X zu beurteilen, sei zu berücksichtigen, dass bei jedem Schichtwechsel ein Übergabegespräch stattfinde, wobei über die Bewohner des Heimes und deren Zustand gesprochen werde. Aufgrund dieser Information und der eigenen persönlichen Einschätzung sowie ihrer Erfahrung habe die Zeugin U2 die aktuelle Tagesform der Frau X einschätzen können.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen U, P und U2. Er hat weiterhin Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll und den Berichterstattervermerk zur mündlichen Verhandlung vom 18.10.2005 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein gem. § 116 Abs.1 SGB X auf sie übergegangener Schadensersatzanspruch der verletzten Heimbewohnerin gem. §§ 280 Abs. 1 S. 1, 278 BGB i.V.m. § 2 und § 6 des Heimvertrages vom 2.02.2001 zu. Das seit dem 1.01.2002 geltende Recht findet Anwendung, da durch den Heimvertrag ein Dauerschuldverhältnis begründet worden ist und der Schadensfall nach dem 1.01.2003 eingetreten ist (EGBGB 229, § 5).

Die Beklagte haftet für die Verletzungen, die Frau X bei dem Sturz erlitten hat. Aus dem Heimvertrag ergaben sich für die Beklagte Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohnerin, deren Verletzung zu dem oben genannten Schadensersatzanspruch führt (vgl. BGH NJW 2005 S. 1937). Gem. § 2 des Heimvertrages hat die Beklagte die Betreuung und Pflege der Heimbewohnerin im Rahmen des Heimgesetzes und seiner Rechtsverordnungen sowie der gesetzlichen Pflegeversicherung übernommen. Gem. § 6 Nr. 5 des Heimvertrages ist für den Umfang der Pflegeleistungen die Eingruppierung in eine Pflegestufe und die Zuordnung zu einer Pflegeklasse durch den X2 maßgeblich. Gem. § 6 Nr. 3 des Heimvertrages müssen sich alle Maßnahmen an der medizinischen und pflegerischen Notwendigkeit orientieren und die persönlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten des Bewohners respektieren. Das entspricht der Regelung des § 11 Abs.1 S.1, § 28 Abs.3 SGB XI bzw. für die Zeit ab 1.01.2002 der Regelung in § 2 Abs.1 Nr.1, § 3 Abs.1 HeimG.

Nach der Rechtsprechung des Senats (24 U 30/04, Beschluss vom 10.02.2005) die im Einklang mit den Entscheidungen des BGH (III ZR 399/04) vom 28.04.2005 (NJW 2005, 1937) und (III ZR 391/04) vom 14.07.2005 (NJW 2005, 2613) steht, ist grundsätzlich die Klägerin für eine mögliche Pflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten beweispflichtig. Allein der Umstand, dass eine Heimbewohnerin im Bereich eines Pflegeheims gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, erlaubt keinen Schluss auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals. Die gegenteilige auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreitete Auffassung entbehrt einer gesetzlichen und dogmatischen Grundlage; sie ist zudem in sich widersprüchlich. Sie berücksichtigt nicht, dass die Pflichten des Pflegepersonals in Alten- und Pflegeheimen vorrangig sehr detailliert in dem Heimvertrag und dem HeimG geregelt sind. Bei deren Auslegung ist allgemein anerkannt, dass die Pflichten auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen begrenzt sind, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (BGH NJW 2005, 1937, 1938; OLG München VersR 2004, 618, 619; OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867, 868; Landgericht Essen VersR 2000, 893). Eine Umkehr der Beweislast kann dagegen im Fall einer Unaufklärbarkeit der Unfallursache eine Haftung für einen vertraglich nicht geschuldeten sowie unzumutbaren Betreuungsaufwand zur Folge haben.

Soweit sich der Unfall bei einer konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahme ereignet hat, die in den voll beherrschbaren Gefahrenbereich des Pflegeheimträgers fiel, können allerdings Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin bis hin zu einer Beweislastumkehr eingreifen, wovon auch der BGH (NJW 2005, 1937, 1938; NJW 2005, 2613, 2614; NJW 1991, 1540, 1541; ebenso der 9. Zivilsenat des OLG Hamm, NJW-RR 2003,30) ausgeht. Entscheidend ist insoweit entgegen einem verbreiteten Missverständnis nicht, dass sich der Unfall im Gefahrenbereich des Pflegeheimträgers ereignet hat, sondern vielmehr, dass diesen in einer konkreten Gefahrensituation eine gesteigerte, erfolgsbezogene Obhutspflicht traf. Wenn diese darauf gerichtet ist, den Heimbewohner bei dessen Tätigkeiten vor einem Unfall zu schützen und es dennoch zu einem Schaden kommt, kann eine Beweiserleichterung unterhalb der Schwelle der Beweislastumkehr in Form des Anscheinsbeweises eingreifen. Das erscheint gerechtfertigt, wenn in diesen Fällen durch den Einsatz der Pflegekräfte einer typischen Gefährdung in einer konkreten Situation vorgebeugt werden soll. Realisiert sich dennoch der Schaden, der von den Pflegekräften vermieden werden sollte, so spricht das dafür, dass sie eine fehlerhafte oder unzureichende Hilfestellung geleistet haben. Andererseits berücksichtigt diese Art der Beweiserleichterung, dass eine Pflegekraft grundsätzlich aufgrund ihrer Erfahrungen unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls individuell angepasste Maßnahmen ergreifen kann und muss, die auch nachträglich aus sachverständiger Sicht geeignet erscheinen durften, einen Schaden zu vermeiden. Zudem berücksichtigt diese Art der Beweiserleichterung auch, dass ein völlig atypisches Verhalten des Heimbewohners die Unfallursache darstellen kann. Bei der Annahme eines Anscheinbeweises kann der Pflegeheimträger die ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung abweichenden atypischen Ablauf darlegen und beweisen, um sich zu entlasten.

Soweit der Heimbewohner dagegen eine Maßnahme ohne eine eigenverantwortliche Mitwirkungsmöglichkeit lediglich passiv erdulden muss, kommt ausnahmsweise entsprechend den im Arzthaftungsrecht im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Grundsätzen eine Beweislastumkehr in Betracht.

Gewisse Beweiserleichterungen ergeben sich für die Klägerin auch daraus, dass die Beklagte zu einer Dokumentation der Pflegeleistungen verpflichtet ist, was im vorliegenden Fall in § 2 Nr. 8 des Heimvertrags ausdrücklich geregelt ist. Die Dokumentation muss zumindest für einen Sachverständigen erkennen lassen, dass die vertraglich geschuldeten Pflegeleistungen entsprechend der Gebrechlichkeit und Hilfsbedürftigkeit des Heimbewohners erbracht worden sind. Bei einer Verschlechterung des Zustandes des Heimbewohners muss erkennbar sein, welche zusätzlichen Schutzmaßnahmen getroffen worden sind und welche Bemühungen der Heimträger unternommen hat, um die vertraglich geschuldeten Pflegeleistungen dem Zustand des Heimbewohners anzupassen. Umgekehrt muss die Dokumentation bei einer Verbesserung des Zustandes erkennen lassen, auf welcher Grundlage eine Reduzierung der Pflegeleistungen in verantwortungsbewusster Weise festgelegt worden ist. Das setzt regelmäßig die Einbeziehung des Pflegedienstleiters und ggf. auch eines Arztes voraus.

Die Dokumentationspflicht bezieht sich nur auf die vorgenannten von dem Heimträger geschuldeten Pflegeleistungen und nicht auf eine lückenlose Dokumentation der Tätigkeiten des Heimbewohners, die in seinen alltäglichen Gefahrenbereich und seine eigenverantwortliche Risikosphäre fallen; sie begründet keine lückenlose Überwachung des Heimbewohners.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze spricht ein Anscheinsbeweis für eine Pflichtverletzung der Beklagten, den diese ebenso wenig erschüttert hat wie sie nicht bewiesen hat, dass sie diese nicht zu vertreten hat (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 278 BGB. Gem. § 6 des Heimvertrages gehören zu den Leistungen der Pflege u.a. Hilfen "im Bereich" "ausscheiden". Diese Hilfen umfassen die Begleitung zu der Toilette und zurück zu dem Bett. Für deren Umfang ist gem. § 6 Nr. 5 des Heimvertrages die Eingruppierung in eine Pflegestufe und die Zuordnung zu einer Pflegeklasse durch den X2 maßgeblich. Ausweislich des Gutachtens des X2 vom 10.01.2003 benötigte die Versicherungsnehmerin der Klägerin bei der "Aktivität" "Ausscheiden" eine zusätzliche Fremdhilfe und beim Aufrichten zum Stehen war der Einsatz von 2 Pflegepersonen erforderlich. Die Richtigkeit dieser Feststellungen hat die Pflegefachkraft P, die den Bericht verfasst hat, bei ihrer Vernehmung bestätigt. Sie hat bekundet, dass Frau X seinerzeit auch nachdem sie vom Pflegepersonal auf die Bettkante gesetzt wurde, nicht in der Lage gewesen sei, alleine aufzustehen. Auch ansonsten sei kein sicheres Stehen möglich gewesen. Auch der Pflegedienstleiter U hat bekundet, dass Frau X zum Aufstehen aus dem Bett und für den Transfer zum Rollstuhl die Hilfe von zwei Personen benötigt habe.

Die Beklagte hat nicht bewiesen, dass sich der Zustand von Frau X in der Zeit zwischen der Begutachtung durch den X2 und dem Unfall derart gebessert hatte, dass Frau X am 21.01.2003 bereits wieder so sicher mit dem Rollator gehen konnte, dass die Feststellungen in dem Gutachten keine Geltung mehr hatten und nur noch eine Pflegeperson zu ihrer Begleitung bei dem Toilettengang notwendig gewesen wäre. Aus den Unterlagen der Beklagten ergibt sich keine entsprechende klare, eindeutige und zuverlässige Diagnose des Pflegedienstleiters der Beklagten, zu der er ggf. einen Arzt hätte hinzuziehen müssen. Der Zeuge U hat zwar bei seiner Vernehmung bekundet, dass man bei den Übergabegesprächen in dem Pflegeteam eine entsprechende Besserung der Mobilität von Frau X erörtert habe, doch konnte er nicht konkret angeben, wann diese Besprechung stattgefunden hat. Ihre Einzelheiten sind ebenso wenig dokumentiert wie ihre Grundlage, die Kompetenz der Entscheidungsträger und die Kriterien dieser Entscheidung, zumal diese bei der Beklagten nach der Aussage der Altenpflegehelferin U2 auch nicht festgelegt sind, sondern die Mitarbeiter mehr nach ihrem Gefühl entscheiden, wozu die Heimbewohner in der Lage sind. Aus den Pflegeberichten ergibt sich lediglich, dass Frau X wohl am 11.01.2003 mit dem Rollator in den Speisesaal gegangen sei. Es fehlen jegliche weitere Eintragungen und Angaben dazu, wie oft und in welchem Umfang Frau X vor der bekundeten Entscheidung des Pflegeteams mit dem Rollator gegangen ist.

Der Sachverständige Dr. S hat ausgeführt, dass um den 9.01.2003 bei Frau X keine Fähigkeit zum freien Stehen oder Laufen erkennbar gewesen sei. Grundsätzlich sei es zwar möglich, dass ältere Menschen motorische Fähigkeiten wieder erlangen, was manchmal auch in einem extrem kurzen Zeitraum geschehen könnte. Zudem seien die körperlichen Voraussetzungen bei Frau X dafür gegeben gewesen, da nach seinen Feststellungen kein Anhaltspunkt dafür vorgelegen habe, dass sich bei ihr infolge der vorangegangenen Immobilität während des Krankenhausaufenthaltes und der Zeit danach ein Muskelabbauprozess stattgefunden habe oder eine Gelenkversteifung eingetreten sei. Andererseits hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Phase der Rückerlangung der Mobilität besonders riskant und die gefahrträchtige Übergangszeit länger sei als diejenige zwischen der Begutachtung und dem Unfallzeitpunkt, zumal die Gehübungen mit Frau X nur in einem eingeschränkten Umfang erfolgt sind. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass Demenzerkrankte zu spontanen Handlungen neigen, die nicht nachvollziehbar seien. Er hat deshalb eine besondere Gefahr von Stürzen und Selbstüberschätzungen von Frau X bejaht, so dass sie besondere Aufsicht beim Gehen oder Stehen benötigt habe und es geboten gewesen wäre, dass die Pflegekräfte sie, wenn sie nicht sicher saß, immer im Blick hätten haben müssen. Allein die Tatsache, dass Frau X von der Altenpflegehelferin U2 nochmals auf die Toilette gesetzt worden war, nachdem sie ihr Windeln angezogen hatte, konnte keine ausreichende Sicherheit der Altenpflegehelferin begründen, zumal sich aus den Unterlagen der Beklagten ergibt, dass Frau X auch in der Vergangenheit - zuletzt am 14.01. 2003 - in einem unbeobachteten Augenblick von ihrem Sitzplatz herunter gerutscht war.

Nach der Unfallschilderung der Altenpflegehelferin U2 sei es zum dem Sturz gekommen, als sie sich umgedreht habe, um den Rollator zu holen, der wegen der engen räumlichen Verhältnisse im Badezimmer beiseite gestanden habe. Bei dieser Gelegenheit konnte sie den auch von dem Pflegedienstleiter U für notwendig erachteten Blickkontakt zu Frau X nicht halten. Dieser hat bekundet, dass Frau X gut führbar gewesen sei, sofern sie zu einer Pflegeperson Blickkontakt gehabt habe.

Der Meinung des Pflegedienstleiters U, dass es bei dem Toilettengang ausreichend gewesen sei, eine Pflegeperson einzusetzen, da Frau X im Gegensatz zu dem Aufstehen aus dem Bett im Bad die Möglichkeit gehabt habe, sich an einem festen Punkt, wie dem Waschbecken und anschließend an dem Rollator festzuhalten, vermag der Senat nicht zu folgen, da zu dieser Möglichkeit die ständige Beobachtung der dementen Pflegebefohlenen hinzukommen musste. Die Altenpflegehelferin U2 hat zudem ausgesagt, dass sie der 1,80 m großen und 75 kg schweren Versicherungsnehmerin der Klägerin nach dem Toilettengang im Stehen Windeln angezogen habe. Sie hat eingeräumt hat, dass sie Frau X wohl nicht hätte auffangen können, wenn diese während des Pflegevorgangs, bei dem sie vor dem Waschbecken gestanden habe, aus dem Gleichgewicht geraten wäre.

Die Schadenshöhe ist unstreitig. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren nicht mehr bestritten, dass der Pauschalbetrag für die ambulante ärztliche Behandlung in Höhe von 119,00 € gem. § 116 Abs. 8 SGB X angefallen ist, weil Frau X vor ihrer Einlieferung in das Krankenhaus von dem Hausarzt behandelt worden ist.

Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf §§ 286 Abs. 2 Ziff. 1, 288 Abs. 1 BGB, da die Klägerin der Beklagten unter dem 28.05.2003 eine Zahlungsfrist bis zum 27.06.2003 gesetzt hat.

Die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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