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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.05.2006
Aktenzeichen: 27 W 31/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 118
BGB § 253 Abs. 2
1. Zur (fehlenden) Notwendigkeit weiteren rechtlichen Gehörs im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren.

2. Zur Schmerzensgeldhöhe bei vorsätzlicher Körperverletzung (hier: Prozesskostenhilfe-Bewilligung in Höhe von 35.000 € für Kieferbruch mit Dauerschaden und posttraumatischer Belastungsstörung).


Tenor:

Dem Antragsteller wird für den Klageantrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 59.007,43 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abb Rechtshängigkeit zu zahlen, in erster Instanz Prozesskostenhilfe ohne Raten bewilligt und Rechtsanwältin L aus N beigeordnet.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

A.

Über die Beschwerde kann entschieden werden, auch wenn die Antragsgegner unter der bisher mitgeteilten Anschrift des A P C in G postalisch nicht (mehr) zu erreichen sind und ihnen somit für das Beschwerdeverfahren kein (weiteres) rechtliches Gehör gewährt werden kann. Denn für die Wahrung des rechtlichen Gehörs im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens genügt es, dass ihnen der Prozesskostenhilfeantrag in erster Instanz über die bis dahin noch zustellfähige Anschrift des A P C zur Stellungnahme übermittelt werden konnte.

B.

Die sofortige Beschwerde ist begründet, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.

I.

Das Landgericht hat die Erfolgsaussicht der Klage mit der Begründung verneint, es sei dem Antragsteller nicht gelungen, ausreichende Indizien/Umstände substanziiert zu behaupten, aus denen die Täterschaft der Antragsgegner mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu folgern sei.

Darin liegt eine vorweggenommene Würdigung der angebotenen Beweismittel und Beweisanzeichen zu Lasten des Antragstellers. Eine solche Beweisantizipation setzt im Prozesskostenhilfeverfahren voraus, dass die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Antragstellers als ausgeschlossen erscheinen lässt, und deshalb eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde (Zöller/Philippi, ZPO, § 114 Rdnr. 28).

Jedoch stellt sich die Frage der Beweisbarkeit des Sachvortrags erst, wenn und soweit die Antragsgegner den vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalt bestreiten. Ein solches Bestreiten liegt bislang nicht vor. Zu dem Prozesskostenhilfeantrag haben die Antragsgegner keine Stellungnahme abgegeben.

Das Landgericht unterstellt ein Bestreiten der Antragsgegner mit der Begründung, diese hätten ihre Täterschaft bereits in dem gegen sie gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abgestritten. Damit antizipiert das Landgericht nicht (nur) die Beweiswürdigung, sondern vorgelagert auch bereits den (noch fehlenden) Sachvortrag der Antragsgegner.

Eine Antizipation des gegnerischen Sachvortrags kann zulässig sein, wenn sich der Standpunkt, den der Prozessgegner einnehmen wird, etwa bereits aus vorgerichtlicher Korrespondenz unzweifelhaft ergibt. Hingegen kann eine Einlassung der Antragsgegner in einem gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren für sich genommen nicht genügen, um daraus Rückschlüsse zu ziehen, ob und ggf. mit welchem Sachvortrag sie sich gegen die zivilrechtliche Schadenersatzklage des Antragstellers verteidigen werden. Ein solcher Rückschluss wäre allein deshalb unzulässig, weil der Prozessgegner im Zivilprozess zum wahrheitsgemäßen Sachvortrag verpflichtet ist (§ 138 Abs. 1 ZPO), während es ihm im Strafverfahren freisteht, sich auch mit unwahren Schutzbehauptungen vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu schützen.

Den vom Antragsteller geltend gemachten Schadenersatzanspruch haben die Antragsgegner weder vorgerichtlich noch durch eine Stellungnahme im Prozesskostenhilfeverfahren zurückgewiesen. Daher besteht eine für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auch im Hauptsacheverfahren nicht gegen die Klage verteidigen werden. Das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers wäre dann als zugestanden anzunehmen (§ 331 Abs. 1 ZPO), so dass sich die vom Landgericht aufgeworfene Frage der Beweisbarkeit nicht weiter stellte. Deshalb ist Prozesskostenhilfe bereits zu bewilligen, soweit im Rahmen eines Versäumnisverfahrens nach dem Klageantrag zu erkennen wäre (§ 331 Abs. 2 ZPO).

II.

Der Antragsteller hat einen gemäß §§ 823 Abs. 1, 830 Abs. 1, 2, 840, 253 Abs. 2 BGB zum Schadenersatz und Schmerzensgeld verpflichtenden Vorfall einschließlich der Täterschaft der Antragsgegner ausreichend schlüssig vorgetragen.

Der gerichtlichen Geltendmachung des Schadens stehen auch prozessuale Hindernisse nicht entgegen. Insbesondere liegt ein solches Hindernis nicht in der daneben bestehenden Möglichkeit, gegenüber dem Entsendestaat eine Ex-Gratia Zahlung zu verfolgen (Art. VIII Abs. 6 (d) des Nato-Truppenstatuts), zumal dieses Verfahren bereits vom Antragsteller angestrengt wurde und erfolglos verlief.

1.

Der Antragsteller erlitt als Primärverletzung einen Knochenbruch im Kieferhöhlenbereich, schwerste Prellungen und Blutergüsse im Gesicht, eine Platzwunde im Bereich der rechten Oberlippe und eine (schwere) Prellung der Lendenwirbelsäule, als sekundäre Gesundheitsbeeinträchtigung eine anhaltende posttraumatische Belastungsstörung. Als physischer Dauerschaden verbleibt bei dem Antragsteller eine schmerzhafte Kiefergelenkverletzung mit fehlendem Zahnreihenschluss.

Die Behandlung dieser Gesundheitsschäden erforderte insgesamt drei Wochen stationären Krankenhausaufenthalts vom 30.11. bis 11.12.2002 und vom 20.01. bis 29.01.2003, dreizehn Wochen stationärer Rehabilitationsmaßnahmen vom 20.02. bis 08.04.2003 und vom 29.07. bis 09.09.2003 sowie zahlreiche ambulante ärztliche, physio- und psychotherapeutische Behandlungen, hauptsächlich wegen posttraumatischer Belastungsstörung mit anhaltendem Schmerzempfinden, anhaltender Kaustörungen und dergl.

Dem Antragsteller, der seine Berufstätigkeit im Frühjahr 2003 für einige Monate vorübergehend halbtags wieder aufgenommen hatte, ist von dem Tag des Schadensvorfalls an durchgehend Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, zuletzt bis zum 05.04.2004.

2.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind die Folgen der posttraumatischen Belastungsstörung einzubeziehen, wobei sich eine einheitliche Rechtsprechung zur Höhe des in diesen Fällen angemessenen Schmerzensgeldes noch nicht herausgebildet hat. Eine posttraumatische Belastungsstörung des hier vorliegenden außergewöhnlichen Schweregrades war, soweit ersichtlich, bisher noch nicht Gegenstand veröffentlichter Rechtsprechung.

Der hiesige 6. Zivilsenat (NJW-RR 1995, 599) hat nach einem Hundebiss für Verletzungen mit einem Belastungssyndrom unter Anrechnung von 1/3 Mitverantwortung bereits 25.000 DM zugesprochen, der beschließende Senat in NZV 1998, 413 (= r+s 1999, 61) einen Betrag von 15.000 DM für die Verarbeitung der Grunderfahrung der Begegnung mit dem befürchteten Tod des schwer verletzten Unfallgegners. Hierbei handelte es sich jeweils um Belastungssyndrome weit schwächeren Ausmaßes und zudem jeweils um Unfälle mit nur dem Vorwurf der Fahrlässigkeit bzw. nur der Gefährdungshaftung aus Tierhaltung. In einem weiteren Fall schwerwiegenden Belastungssyndroms nach unfallbedingtem HWS-Schleudertrauma hatten die Versicherer der Schädiger - bei 10%igem Eigenverschulden des Geschädigten - vorgerichtlich Schmerzensgelder in Höhe von insgesamt 44.000 DM gezahlt, die das OLG Celle (VersR 2002, 1300) als ausreichend erachtete.

Von diesen Fällen hebt sich der hier vorliegende Sachverhalt einerseits durch die anhaltende Dauer der Belastungsfolgen, andererseits durch die vorsätzliche Zufügung der Primärverletzungen ab. Das rechtfertigt nach Auffassung des Beschwerdegerichts ein Schmerzensgeld in Höhe von bis zu 35.000 EUR.

3.

Hinzu kommen die materiellen Schäden des Antragstellers in Gestalt der ihm entstandenen Fahrtkosten von 3.141,81 EUR, Parkgebühren von 72 EUR und des Verdienstausfalls. Die vom Antragsteller zum Verdienstausfall gemachten Angaben können eine ausreichende Grundlage bilden, diesen Teil des entstandenen Schadens in der geltend gemachten Höhe von 20.841,25 EUR gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen.

III.

Zurückzuweisen ist die Beschwerde aus den o.g. Gründen, soweit das geltend gemachte Schmerzensgeld den Betrag von 35.000 EUR übersteigt.

C.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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