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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.02.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 25/04
Rechtsgebiete: StGB, MRK


Vorschriften:

StGB § 46
MRK § 6
Zur Strafzumessung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung.
Beschluss

Strafsache

gegen K.K.

wegen Untreue.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XVIII. erweiterten kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 9. Oktober 2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 02. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 u. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der Revision im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an eine andere erweiterte kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gladbeck - erweitertes Schöffengericht - am 19. Oktober 1999 wegen Untreue in zwei Fällen und unbefugten Führens inländischer Amtsbezeichnungen in 12 weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Außerdem wurde dem Angeklagten für die Dauer von einem Jahr verboten als Rechtsanwalt tätig zu sein.

Auf die Berufung des Angeklagten hin, hat die 22. erweiterte kleine Strafkammer des Landgerichts Essen - 57 ( 38/99) - das Urteil am 4.12.2001 dahin angeändert, dass der Angeklagte wegen Untreue in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Von der Verhängung eines Berufsverbotes hatte die Kammer abgesehen. Das Verfahren hinsichtlich des Tatkomplexes des unbefugten Führens inländischer Amtsbezeichnungen in 12 Fällen wurde vom Landgericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die darüber hinaus zu erwartende Strafe eingestellt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Durch Beschluss vom 3.6.2002 hat das Oberlandesgericht Hamm - 3 Ss 74/02 - das Urteil des Landgerichts mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Landgerichts Essen zurückverwiesen. Durch nunmehr angegriffenes Urteil der XVIII. erweiterten kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 9. Oktober 2003 wurde auf die Berufung des Angeklagten hin das Urteil des Amtsgerichts Gladbeck vom 19.10.1999 dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Untreue in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden ist.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und mit der Rüge der Verletzung formellen als auch materiellen Rechts in zulässiger Weise begründeten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Dem Rechtsmittel ist ein Teilerfolg nicht zu versagen.

Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen den Schuldspruch richtet, war sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Insbesondere die getroffenen Feststellungen , wonach der Angeklagte in 2 Fällen die auf seinem Konto bei der Postbank überwiesenen Fremdgelder seines Mandanten abgehoben und zu eigenen Zwecken verbraucht hat, tragen die Verurteilung wegen Untreue in 2 Fällen durch "positives Tun". Entgegen der Auffassung der Revision bestand die strafrechtliche Vorwerfbarkeit nicht in einem Unterlassen des Angeklagten, nämlich der Nichtabführung der Gelder an seinen Mandanten, sondern in dem Abheben der Gelder zum eigenen Verbrauch. Das Nichtabführen der Gelder stellt keinen Verstoß gegen eine Treuepflicht des Angeklagten dar, sondern ist die "bloße" Verletzung einer Schuldnerpflicht ( BGH StV 1986, 204). Demzufolge war der Vorwurf der Untreue in dem Moment erfüllt, als der Angeklagte die Gelder vom Konto nahm und für eigene Zwecke verbrauchte.

Für eine Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 StGB besteht daher kein Raum.

Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches lässt jedoch auf die ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge hin Rechtsfehler erkennen, die insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.

Die Strafzumessung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegen einander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist allerdings dann möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGH, Großer Senat für Strafsachen, BGHSt 34, 345, 349).

Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind unvollständig, da wesentliche entlastende Umstände bei der Strafzumessung unberücksichtigt geblieben sind.

Das Landgericht hat u.a. folgende Erwägungen angestellt:

"Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer auch die lange Dauer des Strafverfahrens gewürdigt. Aufgrund des Umstandes, dass die Taten nun bereits 8 bzw. 6 Jahre zurückliegen, treten der Sühnegedanke der Bestrafung und der Aspekt der Spezialprävention in den Hintergrund. Andererseits bedeutet die lange Verfahrensdauer auch eine Belastung für den Angeklagten. Dies gilt um so mehr als der Angeklagte herzkrank ist...... Unter Berücksichtigung aller Umstände ist für jede Tat eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten tat- und schuldangemessen".

Kommt es in einem Strafverfahren zu einem außergewöhnlich langen Abstand zwischen Tat und Urteil oder einer sehr langen Dauer des Verfahrens, hat der Tatrichter drei unterschiedliche Strafmilderungsgründe zu bedenken:

Bei diesen Milderungsgründen handelt es sich zum einen um den langen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil, zum zweiten um die Belastungen des Angeklagten durch die lange Verfahrensdauer und zum dritten um die Verletzung des aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzips abgeleiteten und in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Menschenrechtskonvention ausdrücklich genannten Beschleunigungsgebotes ( BGH NStZ 1999, 181).

Die für eine mögliche Verletzung des Beschleunigungsgebotes maßgeblichen Umstände kann sich der Tatrichter als gerichtskundige Tatsachen im Wege des Freibeweises beschaffen( BGH aaO). Er hat sodann im Urteil Art und Ausmaß der Verzögerung festzustellen und in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen. ( BGH aaO, BGH NStZ-RR 1998, 108, BVerfG NStZ 1997, 591, BVerfG NJW 1993, 3254).

Die Strafkammer hat die beiden erstgenannten Strafmilderungsgründe des langen Zeitablaufs und die Belastungen der langen Verfahrensdauer für den Angeklagten berücksichtigt, dagegen hat sie nicht aufgeklärt, ob darüber hinaus das Verfahren aus Gründen, die den Strafverfolgungsorganen anzulasten sind, verzögert worden ist. Sowohl die auffällige Dauer von über 4 Jahren seit Verkündung des ersten tatrichterlichen Urteils als auch der lange zeitliche Abstand zwischen der Aufhebungsentscheidung des Senates vom 3.6.2002 und dem angefochtenen Urteil vom 9.10.2003 haben dazu gedrängt.

Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass geringere Einzelstrafen und eine geringere Gesamtstrafe verhängt worden wären, wenn eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt und ihr Ausmaß berücksichtigt worden wäre.

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere erweiterte kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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