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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 02.11.2005
Aktenzeichen: 3 Ss 380/05
Rechtsgebiete: MRK, StPO


Vorschriften:

MRK Art. 6
StPO § 354a
Die Verpflichtung des Tatrichters, im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung das Maß der gebotenen Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen gilt nicht nur für die Gesamtstrafe, sondern auch für alle Einzelstrafen.
URTEIL

Strafsache

gegen K.Y.

wegen Fälschung von Zahlungskarten u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 14.04.2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf Grund der Revisionshauptverhandlung vom 02. 11. 2005 an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender, Richter am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht als beisitzende Richter

Staatsanwalt als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft

Rechtsanwalt aus Dorsten als Verteidiger

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten wird gem. §§ 349 Abs. 2, 354 Abs. 1 a S. 2 StPO mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass gegen den Angeklagten für die Taten zu Nr. 31 und 32 sowie Nr. 38 - 61 des angefochtenen Urteils Einzelstrafen von jeweils 1 Jahr und 3 Monaten und für die Taten zu Nr. 33 - 37 des angefochtenen Urteils Einzelstrafen von jeweils 6 Monaten verhängt werden.

Die Kosten der Revision trägt der Angeklagte.

Gründe:

I.

Das Landgericht Essen hat den Angeklagten am 14.04.2005 wegen Fälschung von Zahlungskarten in 26 Fällen und wegen Betruges in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten verurteilt. Zuvor war der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts - erweitertes Schöffengericht - Dorsten wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Verschaffens und Gebrauchens nachgemachter bzw. verfälschter Zahlkarten in 31 Fällen, wobei es sich in 26 Fällen um Zahlkarten mit Garantiefunktion handelte, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Seine Berufung gegen dieses Urteil hatte er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.03.2005 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich der Einzelstrafen Erfolg. Im Übrigen, insbesondere auch hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten, erweist sich als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Beschränkung der Berufung des Angeklagten aus dem Rechtsfolgenausspruch hat das Landgericht erkennbar als unwirksam angesehen. Das Amtsgericht hatte bei der Verurteilung des Angeklagten die Bestimmung des § 152 a StGB in der Neufassung mit Wirkung vom 28.12.2003 durch Gesetz vom 22.12.2003 (Bundesgesetzblatt I S. 2838) geltenden Fassung zu Grunde gelegt, obwohl die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten aus dem Zeitraum von Januar bis März 2003 stammten, § 1 StGB. Die Kammer hat dementsprechend eigene Feststellungen getroffen und den Angeklagten in 31 Fällen auf der Grundlage des § 152 a StGB in der Fassung vom 13.11.1998 und im Übrigen wegen Betruges gem. § 263 Abs. 1 StGB verurteilt. Dies lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen.

Die knappen Feststellungen der Berufungskammer tragen den Schuldspruch wegen Fälschung von Zahlungskarten in 26 Fällen und wegen Betruges in 5 Fällen. Insbesondere ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen noch hinreichend deutlich, dass der Angeklagte nur in den Fällen wegen Betruges verurteilt worden ist, in denen er sich einer Tankkarte der Firma Esso zum Betanken der Fahrzeuge bediente (Fälle Nr. 33 - 37 des angefochtenen Urteils).

2. Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs des angefochtenen Urteils ist allerdings zu beanstanden, dass die Berufungskammer die eingetretene Verfahrensverzögerung zwar in rechtsfehlerfreien Weise bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe, nicht jedoch auch bei der Bildung der Einzelfreiheitsstrafen strafmildernd berücksichtigt hat. Die Verpflichtung des Tatrichters, im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung das Maß der gebotenen Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen gilt nämlich nicht nur für die Gesamtstrafe, sondern auch für alle Einzelstrafen (BGH NStZ 2003, 601). Die auf Grund der in dem angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei festgestellten Verfahrensverzögerung gebotene Herabsetzung der verwirkten Einzelstrafen kann der Senat entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft analog § 354 Abs. 1 a S. 2 StPO selbst vornehmen. Sinn der Regelung des § 354 Abs. 1 a StPO ist nämlich gerade auch die Beschleunigung des Verfahrens, der besonderes Gewicht dann zukommt, wenn es - wie hier - bereits zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gekommen ist (BGH, Urteil vom 30.06.2005 - 3 StR 122/05, S. 8 UA; BGH, NStZ-RR 2005, 273; BGH NJW 2005, 1813). Der Beschleunigung des Verfahrens kann aber durch eine sofortige Entscheidung des Senats in der Sache selbst ohne Zurückverweisung an das Landgericht am besten gedient werden.

Gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat die Einzelfreiheitsstrafen für die Taten zu Nr. 31 und 32 sowie 38 - 61 des angefochtenen Urteils auf eine Einzelfreiheitsstrafe von jeweils 1 Jahr und 3 Monaten und für die Taten zu Nr. 33 - 37 des angefochtenen Urteils auf Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von jeweils 6 Monaten reduziert. Ohne die von der Berufungskammer festgestellte Verfahrensverzögerung wären die von der Kammer insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafen von 1 Jahr und 6 Monaten für die Taten zu Nr. 31 - 32 und Nr. 38 - 61 des angefochtenen Urteils und in Höhe von jeweils 8 Monaten für die Taten zu Nr. 33 -37 des angefochtenen Urteils angemessen gewesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann hierzu auf die zutreffenden Strafzumessungserwägungen der Berufungskammer zu den Einzelstrafen, die der Senat sich zu eigen macht, Bezug genommen werden.

Diese an sich verwirkten Einzelstrafen hat der Senat unter Berücksichtigung der von der Berufungskammer zutreffend festgestellten Verfahrensverzögerung auf die nun verhängten Einzelfreiheitsstrafen reduziert (vgl. BGH NStZ 2003, 601).

Die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten konnte dagegen bestehen bleiben. Die Gesamtfreiheitsstrafe erscheint nämlich trotz des Zumessungsfehlers im Rahmen der Einzelfreiheitsstrafen als angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1 a S. 1 StPO. Diese Bestimmung ist auch bei der fehlerhaften Berücksichtigung einer Verfahrensverzögerung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK anwendbar (BGH, NJW 2005, 1813). Im übrigen darf die Reduzierung von Einzelstrafen und Gesamtstrafe zum Ausgleich einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht in der Form eines "doppelten Rabattes" durchgeführt werden (BGH NStZ 2003, 601). Genau dies wäre aber der Fall, würde der Senat die Reduzierung der Einzelstrafen zum Anlass nehmen, um die bereits von der Berufungskammer reduzierte Gesamtfreiheitsstrafe erneut zu ermäßigen.

Soweit die Berufungskammer den möglicherweise drohenden Widerruf der dem Angeklagten mit Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 04.11.2002 gewährten Strafaussetzung der dort erkannten Freiheitsstrafe von sechs Monaten zur Bewährung nicht ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt hat, kommt diesem Umstand auch nach Auffassung des Senats angesichts der sehr maßvollen Gesamtfreiheitsstrafe kein bestimmendes Gewicht zugunsten des Angeklagten mehr zu.

Endlich wird eine mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der durch Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 16.12.2003 gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von 11 Monaten im Verfahren nach §§ 460, 462 StPO zu prüfen sein. Ob insoweit die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vorliegen, kann der Senat nicht sicher feststellen. Insbesondere ist dem Senat nicht bekannt, ob die genannte Strafe zwischenzeitlich nach einem etwa erfolgten Widerruf der dort gewährten Strafaussetzung zur Bewährung bereits vollständig verbüßt ist.

Da die Revision des Angeklagten nur in ganz geringem Umfang und nur hinsichtlich der Höhe der Einzelstrafen Erfolg hatte, hat der Senat die Kosten der Revision insgesamt dem Angeklagten auferlegt (§ 473 Abs. 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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