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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.07.2005
Aktenzeichen: 3 Ss 40/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 202
StPO § 206 a
Zum Erlass und zur Streichung eines Eröffnungsbeschlusses.
Beschluss

Strafsache

wegen Betruges

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IX. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 17.11.2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 07. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht Giesert und den Richter am Oberlandesgericht Schwens nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 20.04.2004 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Seine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung wurde durch Urteil des Landgerichts Essen vom 17.11.2004 verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird und u.a. geltend gemacht wird, dem Verfahren liege kein wirksamer Eröffnungsbeschluss zugrunde.

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache auch Erfolg. Das Verfahren war gemäß § 206 a StPO einzustellen. Die vom Revisionsgericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob der Verurteilung des Angeklagten ein Prozesshindernis entgegensteht, hat ergeben, dass sich hier nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lässt, dass der Amtsrichter das Verfahren tatsächlich eröffnet hat. Der Eröffnungsbeschluss ist der Bedeutung dieser richterlichen Entschließung für das weitere Verfahren entsprechend in schriftlicher Form abzufassen (vgl. BGH DRiZ 1981, 343; NJW 1987, 2751; OLG Hamm, MDR 1993, 893; VRS 98, 199; BayObLG StV 1990, 395; OLG Zweibrücken, NStZ-RR 1998, 74 m.w.N.). Ist eine schriftliche Absetzung des Eröffnungsbeschlusses unterblieben, so besteht ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung des Verfahrens führt. Bestehen tatsächliche Zweifel darüber, ob ein Verfahrenshindernis gegeben ist, die auch nicht behoben werden können, müssen diese ebenfalls dazu führen, dass das Verfahren einzustellen ist. Dies folgt schon aus der Funktion der Prozessvoraussetzungen als Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 206 a Randziffer 7 m.w.N.).

Im vorliegenden Verfahren war zunächst aufgrund einer Verwechslung des Angeklagten mit seinem Bruder T.A.F. wegen der hier in Rede stehenden Betrugsstraftat Anklage gegen den Bruder des Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft Essen unter dem 05.08.2003 vor dem Amtsgericht Hattingen erhoben worden. Durch Beschluss vom 15.09.2003 hatte der zuständige Amtsrichter diese Anklage zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Strafrichter eröffnet. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Angeklagte und sein Bruder verwechselt worden waren, wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Hattingen vom 01.10.2003 das Verfahren gegen den Bruder des Angeklagten gemäß § 206 a StPO eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Essen erhob daraufhin unter dem 21.11.2003 Anklage gegen den Angeklagten, mit der ihm zur Last gelegt wurde, sich am 29.01.2002 in Hattingen durch Vortäuschen seiner Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft bei dem Ankauf eines Motorrollers zum Preise von 2.210,- € eines Betruges zu Lasten der Firma M.C.schuldig gemacht zu haben. Hinsichtlich dieser Anklage befindet sich in den Akten ein von dem zuständigen Amtsrichter unterzeichneter Eröffnungsbeschluss vom 01.03.2004, der mittels zweier diagonal verlaufender Striche durchgestrichen worden ist. Auf der Rückseite des Beschlussformulars befindet sich eine vorgedruckte Verfügung, die von dem Amtsrichter am 01.03.2004 unterzeichnet worden ist, und mit der er Termin für die Hauptverhandlung anberaumt sowie die Ladung der Beteiligten angeordnet hat. Die Ladung des Angeklagten ist dergestalt erfolgt, dass in dem Verfügungsformular in der entsprechenden Rubrik in dem dafür vorgesehenen Kästchen handschriftlich mit blauer Tinte ein Kreuz eingesetzt worden ist. Der vorgedruckte Zusatz "mit beglaubigter Abschrift des Eröffnungsbeschlusses" ist mit einem schwarzen Kugelschreiber durchgestrichen worden. Auch der "Ab-Vermerk" der Geschäftsstellenbeamtin vom 03.03.2004 ist mit einem schwarzen Kugelschreiber auf das Verfügungsformular gesetzt worden. Unter Ziffer 3 enthält die Verfügung die ebenfalls mittels Ankreuzen erfolgte Anordnung des Amtsrichters an die Staatsanwaltschaft, unter Beifügung einer Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses eine Terminsnachricht zu übersenden. Der Angeklagte hat ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde keine Abschrift des Eröffnungsbeschlusses mit der Terminsladung erhalten.

Bei dieser Sachlage ist zwar davon auszugehen, dass der Eröffnungsbeschluss vom 01.03.2004 aktenmäßig erlassen worden ist. Aktenmäßig ist eine Entscheidung erlassen, wenn sie vollinhaltlich zur Kenntnis von Personen außerhalb des Gerichts niedergelegt und durch den zuständigen Richter unterschrieben worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., vor § 33 Randziffer 5). Diese Voraussetzungen waren hier gegeben, da der zuständige Amtsrichter den Eröffnungsbeschluss durch Ausfüllen des entsprechenden Formulars verfasst und unterschrieben und sodann zu den Akten gebracht hat. Durch den aktenmäßigen Erlass wird eine Entscheidung existent und daher schon anfechtbar. Sie kann aber noch abgeändert werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., vor § 33 Randziffer 8). Der Eröffnungsbeschluss konnte daher zu diesem Zeitpunkt auch noch durch seine Streichung wieder aufgehoben werden. Dies konnte allerdings nicht wirksam dadurch geschehen, dass die Geschäftsstellenbeamtin den Beschluss aufgrund einer selbständig von ihr getroffenen Entscheidung durchgestrichen hat. Diese Möglichkeit kann zwar nach der durch die Berufungskammer eingeholten dienstlichen Äußerung der damals zuständigen Geschäftsstellenbeamtin vom 01.07.2004 nicht ausgeschlossen werden, da darin u.a. ausgeführt wird, sie - die Geschäftsstellenbeamtin - gehe aufgrund der Tatsache, dass dem Angeklagten ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde keine beglaubigte Abschrift des Eröffnungsbeschlusses zugestellt worden sei, davon aus, dass sie wahrscheinlich irrtümlich geglaubt habe, es sei bereits ein Eröffnungsbeschluss ergangen und dass sie daraufhin die Streichung vorgenommen habe. Der Amtsrichter ist in seiner dienstlichen Äußerung vom 01.07.2004 davon ausgegangen, dass die Angelegenheit vermutlich irrtümlich so abgewickelt worden ist, wie die Geschäftsstellenbeamtin es beschrieben habe. Dafür spricht, dass sich in den Akten tatsächlich ein weiterer Eröffnungsbeschluss befunden hatte, der allerdings nicht den Angeklagten, sondern dessen Bruder betraf. Der Amtsrichter hat in seiner dienstlichen Stellungnahme aber außerdem ausgeführt, dass die Geschäftsstellenbeamtin üblicherweise bei vermeintlichen oder tatsächlichen Ungereimtheiten in Verfügungen nachfrage, bevor sie selbst dort Streichungen oder Ergänzungen vornehme, und sich diese durch ihn mündlich genehmigen lasse. Mangels einer konkreten Erinnerung könne er aber weder bestätigen noch ausschließen, dass ein solches Gespräch stattgefunden habe. Angesichts dessen besteht hier durchaus auch die Möglichkeit, dass der Eröffnungsbeschluss durch die Geschäftsstellenbeamtin nach Rücksprache mit dem zuständigen Amtsrichter und damit im Ergebnis in dessen Auftrag durchgestrichen worden ist. In diesem Falle war der Eröffnungsbeschluss wirksam aufgehoben worden.

Es lassen sich auch keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte dafür feststellen, dass die Streichung des Eröffnungsbeschlusses erst nach seiner Herausgabe aus dem inneren Gerichtsbetrieb zum Zwecke seiner Bekanntmachung gegenüber der Staatsanwaltschaft erfolgt ist. In diesem Falle wäre der Beschluss bereits mit Außenwirkung erlassen und unabänderlich gewesen. Erlassen mit Außenwirkung ist eine Entscheidung an dem Tag, an dem die Geschäftsstelle sie an eine Behörde oder Person außerhalb des Gerichtes hinausgibt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., vor § 33 Randziffer 9 m.w.N.). Naheliegend ist vielmehr im vorliegenden Verfahren, dass die Geschäftsstellenbeamtin, bevor sie die Termins- und Ladungsverfügung des Amtsrichters vom 01.03.2004 ausführte bzw. deren Ausführung veranlasst hat, irrtümlich die Überzeugung gewonnen hatte, ein Eröffnungsbeschluss sei bereits ergangen und daraufhin - ggf. nach Rücksprache mit dem Amtsrichter - die Streichung des Beschlusses als auch des Zusatzes "mit beglaubigter Abschrift des Eröffnungsbeschlusses - bei der Anordnung der Ladung des Angeklagten vorgenommen hat und lediglich versehentlich vergessen hat, eine entsprechende Streichung auch hinsichtlich des Zusatzes betreffend die Terminsnachricht an die Staatsanwaltschaft vorzunehmen.

Da sich weder der Amtsrichter noch die Geschäftsstellenbeamtin nach dem Inhalt ihrer dienstlichen Äußerungen an Einzelheiten hinsichtlich der Streichung des Eröffnungsbeschlusses erinnern konnten, hat der Senat mangels entsprechender Erfolgsaussicht davon abgesehen, ergänzende dienstliche Äußerungen zu der Frage des konkreten Zeitpunktes der Streichung des Beschlusses einzuholen.

Die erforderliche schriftliche Entscheidung über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens kann auch nicht in der Termins- und Ladungsverfügung vom 01.03.2004 gesehen werden, wenn die Streichung des ursprünglich erlassenen Eröffnungsbeschlusses nach Rücksprache mit dem zuständigen Amtsrichter und dessen mündlicher Genehmigung erfolgt ist. Denn dann lässt sich ein Wille des Amtsrichters, über eine Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden, gerade nicht feststellen, da er in diesem Falle - wenn auch versehentlich - von einem bereits ergangenen Eröffnungsbeschluss ausgegangen ist.

Schließlich ist auch in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht am 20.04.2004 der Erlass eines Eröffnungsbeschlusses nicht nachgeholt worden.

Das Verfahren war daher wie geschehen einzustellen.

Ein Freispruch des Angeklagten kam dagegen nicht in Betracht. Die Urteilsgründe tragen allerdings die erfolgte Verurteilung nicht, da sich aus den Urteilsgründen eine betrugsrelevante Täuschungshandlung des Angeklagten - er hat sich zumindest anfänglich an seine erteilte Zahlungszusage gehalten und das Landgericht hat nicht festgestellt, dass der Angeklagte bereits bei Abschluss des Kaufvertrages über den Motorroller hätte erkennen können und müssen, dass er die vereinbarten Kaufpreisraten aufgrund seiner Vermögensverhältnisse auch dann nicht würde zahlen können, wenn er ihrer Tilgung den Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten einräumen würde - entnehmen lässt. Ob eine Überführung des Angeklagten wegen des ihm vorgeworfenen Betruges in einem erneuten Verfahren noch gelingen kann, erscheint zumindest fraglich, bedurfte hier aber letztlich keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Grundsatz des Vorrangs des Freispruches vor einer Einstellung des Verfahrens gilt dann nicht, wenn die Tat gar nicht angeklagt oder das Hauptverfahren nicht eröffnet worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 260 Randziffer 45).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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