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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 274/07
Rechtsgebiete: StPO, BKatV


Vorschriften:

StPO § 267
BKatV § 4
Leitsatz Zu den Anforderungen an die Urteilsausführungen beim Absehen von einem Fahrverbot.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen M.K.

wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 12.12.2006 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 05. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 12.12.2006 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 30.04.2007 zu der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld Folgendes ausgeführt:

"I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch Urteil vom 12.12.2006 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 35 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften) zu einer Geldbuße von 500,00 EUR verurteilt, jedoch von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen (Bl. 36, 43 ff d.A.).

Gegen dieses Urteil richtet sich die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld (Bl. 39 d.A.).

II.

Dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Bielefeld trete ich bei und bemerke ergänzend:

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 3 und 4 OWiG, § 341 Abs. 1 StPO fristgerecht eingelegt und innerhalb der Frist der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 StPO begründet worden, wobei der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde auch nicht entgegensteht, dass der Verteidiger des Betroffenen den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 02.05.2006 am 03.01.2007 zurückgenommen hat. Zwar ist die Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 1 StPO grundsätzlich zulässig; ungeachtet dessen, dass die Rücknahme nach Beginn der Hauptverhandlung zur Sache gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 411 Abs. 3 Satz 2, 303 StPO zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Staatsanwaltschaft bedarf (vgl. Göhler, OWiG, 14. Auflg., § 71 Rdn. 6), ist die Einspruchsrücknahme nur bis zur Entscheidung über den Einspruch durch das Amtsgericht möglich (vgl. Göhler, a.a.O., § 67 Rdn. 38 m.w.N.), so dass eine der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde entgegenstehende Bestandskraft des Bußgeldbescheides durch die Erklärung über die Rücknahme des Einspruchs nicht eingetreten ist.

Die Rechtsbeschwerde wird auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Diese Beschränkung ist wirksam. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Das Amtsgericht hat insbesondere die Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung ausreichend dargelegt. Hierzu gehören neben den Feststellungen zur inneren Tatseite Angaben zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit, die der Betroffene zu beachten hatte, Angaben zur festgestellten Geschwindigkeit sowie Angaben bzgl. des verwandten Messverfahrens, wobei dem Urteil beim Einsatz eichfähiger Messgeräte auch zu entnehmen sein muss, dass eine gültige Eichung des Messgerätes vorgelegen hat (Senatsbeschlüsse vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 - und 24.01.2006 - 3 Ss OWi 582/05 -).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil insgesamt gerecht. Konkrete Anhaltspunkte für Messfehler sind weder in dem Urteil festgestellt noch mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht worden.

Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils kann indes keinen Bestand haben.

Die Entscheidung des Amtsgerichts über das Absehen von der Verhängung des gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c zu Nr. 11.3 der Anlage der Bußgeldkatalogverordnung bzw. § 4 Abs. 2 BKatV vorgesehenen Regelfahrverbots hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 m.w.N. - und vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 -; OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2004 - 4 Ss OWi 145/04 -).

Nach diesen Maßstäben stellen die vom Amtsgericht angeführten Umstände weder für sich allein noch in der Gesamtschau Gründe dar, die das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in der Weise abweichend erscheinen lassen, dass ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes angemessen wäre.

Abgesehen davon, dass das Amtsgericht im Rahmen seiner Erwägungen übersehen hat, dass die Voreintragung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h am 18.01.2005 erst am 31.03.2006, mithin am Tattage in vorliegender Sache rechtskräftig geworden ist, mithin auch die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes nach § 4 Abs. 2 BKatV vorliegen, hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (Senatsbeschluss vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 - m.w.N.). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist dabei eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 -, vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 - und vom 06.12.2001 - 3 Ss OWi 975/01 -; OLG Hamm, NZV 1996,118). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf dabei der positiven Feststellung unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen. Hierzu gehören insbesondere Ausführungen, ob der Betroffene ggf. durch Inanspruchnahme von Urlaub die beruflichen Auswirkungen eines Fahrverbotes nicht zumindest teilweise abmildern könnte oder ihm möglicherweise die vorübergehende Einstellung eines Fahrers zuzumuten ist (Senatsbeschluss vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 -). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar wird dort ausgeführt, dass der Betroffene als selbständiger Auslieferungsfahrer in seiner wirtschaftlichen Existenz vom Besitz des Führerscheins abhängig ist; darüber hinaus enthält das angefochtene Urteil indes keine Ausführungen dazu, welche konkreten wirtschaftlichen Folgen der Betroffene bei Verhängung des Fahrverbotes zu erwarten hätte oder inwieweit für ihn die Möglichkeit bestünde, die wirtschaftlichen Folgen durch eine entsprechende Urlaubsplanung abzumildern. Da somit das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auf einer nicht tragfähigen Begründung beruht, kann das angefochtene Urteil - angesichts der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot - im gesamten Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Es ist insoweit mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben. Da weitere Feststellungen zur Frage einer außergewöhnlichen Härte nicht ausgeschlossen erscheinen, kommt eine Entscheidung durch den Senat nicht in Betracht und die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford zurückzuverweisen."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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