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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 3 U 190/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 254 Abs. 2 S. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 a.F.
BGB § 1967
BGB § 2058
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 319
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6. Mai 2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines weiteren, über die gezahlten 40.000,- DM hinausgehenden, angemessenen Schmerzensgeldes ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle über die auf materielle Sachschäden gezahlten 40.000,- DM hinausgehenden materiellen und weiteren künftigen immateriellen Schäden, die aus der Behandlung vom 6. bis zum 14. März 1997 resultieren, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beklagten sind Erben des mittlerweile verstorbenen Anästhesisten Dr. T. Dieser gehörte - ebenso wie der Zeuge Dr. C2 - einer Gemeinschaftspraxis für Anästhesiologie in P an, die eine Belegabteilung in der Q-Klinik in P unterhielt.

Die am 26.8.1941 geborene Klägerin wurde ab dem 19.2.1997 aufgrund von Bandscheibenbeschwerden im Bereich L5/S1 in der Q-Klinik in P behandelt. Am 3.3.1997 führte der Zeuge Dr. C2 das anästhesistische Aufklärungsgespräch mit der Klägerin. Die geplante Operation wurde daraufhin zunächst verschoben.

Am 5.3.1997 fand ein zweites Aufklärungsgespräch statt, nunmehr mit Dr. T. In dem von der Klägerin unterzeichneten Aufklärungsbogen ist handschriftlich eingetragen: "Zahnschäden durch schwierige Intubation nicht sicher vermeidbar, evtl. fiberoptische Intubation" (Bl. 141 d.A.). Dr. T und Dr. C2 erwarteten eine schwierige Intubation, weil die Stimmritze der Klägerin nicht sichtbar war. In einem später (am 27.3.1997) gefertigten Gedächtnisprotokoll hielt Dr. C2 fest: "Es liegen mehrere Hinweise für eine konventionell nicht durchführbare Intubation vor" (Bl. 172 d.A.).

Am 6.3.1997 unterzog sich die Klägerin der geplanten Bandscheibenoperation. Anästhesist war ab 8.15 Uhr Dr. T. Als Krankenschwester war die Zeugin T3 tätig. Unter den Parteien ist streitig, ob und ggf. wieviele konventionelle Anästhesieversuche Dr. T unternommen hat und ob er dadurch u.a. die Speiseröhre der Klägerin verletzt hat.

Im Anästhesiebogen ist dazu dokumentiert: "erwartet schwierige Intubation, aufgrund anatomischer Anomalien Epiglottis und Stimmritze Ø einstellbar -> Larynxmaske -> fiberoptische Intubation" (Bl. 20 d.A.). Um 8.40 Uhr nahm der von der Zeugin T3 auf Veranlassung von Dr. T herbeigerufene Zeuge Dr. C2 eine fiberoptische Intubation vor.

In einem Gedächtnisprotokoll vom 5.5.1997 beschrieb Dr. T sein Vorgehen am 6.3.1997 wie folgt: "Am 6.3.1997 wurde die Narkose eingeleitet. Nachdem die Patientin laryngoskopisch nicht zu intubieren war, wurde sie problemlos über eine Larynxmaske beatmet und dann durch diese fiberoptisch intubiert". Wegen der Einzelheiten des Gedächtnisprotokolls von Dr. T wird auf Bl. 173 d.A. Bezug genommen.

Bis zum 14.3.1997 wurde die Klägerin auf der neurochirurgischen Station der Q-Klinik behandelt. Nach weiteren Klinikaufenthalten wurde die Klägerin am 27.3.1997 wegen einer Ösophagusperforation im Universitätsklinikum N operiert. In 20 cm Tiefe ab der Kante der Schneidezähne zeigte sich eine schlitzförmige Perforation des Ösophagus in Gestalt eines 3,5 cm langen Längsrisses. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Operationsbericht (Bl. 145 d.A.) und Arztbrief der HNO-Klinik des Universitätsklinikums N vom 31.7.97 (Bl. 108 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat vom Haftpflichtversicherer des Anästhesisten Dr. T vorprozessual 40.000,- DM für immaterielle Ansprüche und 40.000,- DM Schadensersatz für materielle Schäden, insoweit entstanden bis Oktober 1999, erhalten. Mit der Klage hat die Klägerin ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld - mindestens weitere 24.548,- € - und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und angenommen, es sei nicht feststellbar, dass Dr. T bei seinem Vorgehen mit einem Instrument in die Speiseröhre der Klägerin geraten sei. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).

Mit der Berufungsbegründung macht die Klägerin, die sich in zweiter Instanz zuletzt ein weiteres Schmerzensgeld von 59.548,32 € vorgestellt hat, im Wesentlichen geltend: Es sei angesichts ihrer individuellen Anatomie fehlerhaft gewesen, dass Dr. T mehrfach konventionelle Intubationsversuche gemacht habe. Dr. T habe bei "blinden" Intubationsversuchen ihren Kehlkopf, ihre Stimmbänder und ihre Speiseröhre verletzt. Anders, insbesondere durch heftiges postoperatives Erbrechen, ließen sich ihre Verletzungen nicht erklären. Vor der Anästhesie müsse der Patient außerdem auch über das Risiko der Speiseröhrenverletzung aufgeklärt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Verfahren an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.

Nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung hat die Klägerin ihre erstinstanzlichen Sachanträge wiederholt und beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes weiteres (über die gezahlten 40.000,- DM hinausgehendes) Schmerzensgeld, dessen Festsetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5% Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (24.2.2003) zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr alle über die auf materielle Sachschäden gezahlten 40.000,- DM hinausgehenden materiellen und weiteren künftigen immateriellen Schäden, die aus der Behandlung vom 6. bis zum 14.3.1997 resultieren, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen in der Sache im Wesentlichen vor: Die Speiseröhrenperforation der Klägerin sei weder durch das Vorgehen von Dr. T noch durch die fiberoptische Intubation durch Dr. C2 verursacht worden. Die Ruptur beruhe auf postoperativem, dreimaligem Erbrechen (Boerhaave-Syndrom) am 6.3.1997, jedenfalls in Verbindung mit der vielfältigen Morbidität der Klägerin. Dr. T habe die konventionelle laryngoskopische Intubation nur bis zu dem Stadium versucht, bis er festgestellt habe, die Stimmritze nicht mehr einsehen zu können. Er habe ausschließlich einen Spatel verwendet.

Dr. T habe mit massiven Problemen bei der Intubation gerechnet und die Klägerin deshalb ausführlich aufgeklärt. Das Risiko einer Ösophagusruptur sei äußerst selten und statistisch kaum fassbar und deshalb nicht aufklärungsbedürftig. Die Klägerin hätte sich im Übrigen ohnehin der Operation bzw. Narkose gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen, das schriftliche Gutachten des vom Senat beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. S vom 9.12.2004 (Bl. 498 ff d.A.), das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 19.1.2005 über die ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. S sowie die erneute Vernehmung der Zeugen T3 und Dr. C2 Bezug genommen.

II.

1.

Die Berufung der Klägerin hat dem Grunde nach Erfolg, wobei das Betragsverfahren mangels Entscheidungsreife dem Landgericht vorbehalten bleibt (§ 538 II Nr. 4, 2. Alt. ZPO).

1.

Die Berufung ist zulässig. Unschädlich ist, dass die Berufungsbegründung der Klägerin keinen (ausdrücklichen) Antrag enthält. Sind die Anträge nicht fristgerecht abgegeben, ist die Berufung allerdings unzulässig. Ein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung genügt grundsätzlich nicht. Ein solcher Antrag lässt aber als Rechtsmittelziel die Weiterverfolgung der erstinstanzlichen Sachanträge erkennen (BGH, NJW-RR 1995, 1154; Zöller/ Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 520 Rn. 28). So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Was beantragt wird, kann sich auch ohne förmlichen Antrag aus der Berufungsbegründungschrift ergeben, sofern das Ziel sich eindeutig aus der Berufungsbegründung ergibt (BGH, NJW 1992, 698; Zöller/ Gummer/ Heßler, § 520 Rn. 28;). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ausdrücklich erklärt, dass sich ihre Berufung auch gegen die Höhe des Schmerzensgeldes richtet (Bl. 403 d.A.) Die Klägerin hat damit mit der Berufungsbegründung erkennbar ein angemessenes Schmerzensgeld sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht für weitere Schäden verlangt.

2.

Die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten als Erbengemeinschaft beruhen auf §§ 823 I BGB, 847 BGB a.F., 1967, 2058 BGB und - soweit materielle Schäden in Frage stehen - auch auf Schlechterfüllung des die Anästhesie betreffenden Behandlungsvertrages der Klägerin mit Dr. T i. V. mit §§ 1967, 2058 BGB. In der medizinischen Beurteilung des Geschehens macht sich der Senat die Feststellungen des dem Senat als gründlich und umsichtig bekannten Sachverständigen Prof. Dr. S zu Eigen, der sein Gutachten eingehend und sachlich überzeugend begründet hat.

a)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass Dr. T am 6.3.1997 schuldhaft (§ 276 I 2 BGB a.F.) eine Ösophagusruptur bei der Klägerin verursacht hat. Aufgrund der in zweiter Instanz wiederholten Vernehmung der Zeugin T3, die am 6.3.1997 als Krankenschwester tätig war, steht fest, dass Dr. T mindestens zweimal versuchte, die Klägerin mit Hilfe des Tubus zu intubieren (§ 286 I ZPO). Bereits in erster Instanz hat die Zeugin T3 ausgesagt, Dr. T habe mehrfach versucht, die Patientin zu intubieren; Dr. T habe dann gesagt: "Ich kann nicht intubieren". Das bedeutet, wie die Zeugin in zweiter Instanz ausdrücklich bekundet hat, dass Dr. T die Klägerin nicht mit Erfolg intubieren konnte. Entgegen der Annahme der Beklagten hat die Zeugin ersichtlich nicht bekundet, dass Dr. T die Klägerin nicht intubiert habe.

Die Aussage der neutralen Zeugin T3 ist glaubhaft. Sie wird auch durch die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S bestätigt. Wie er im Senatstermin anhand eines Modells demonstriert hat, landet der Anästhesist, sofern er - wie hier - keine Einsichtsmöglichkeit in die Stimmritze hat, beim blind-tastenden Einführen eines Tubus in der Hinterwand der Speiseröhre in einem Winkel bei 9.00 Uhr. Ferner hat der Sachverständige Prof. Dr. S demonstriert, dass es leicht ist, eine Verletzung bei 20 cm ab der Zahnreihe zu setzen. Genau an dieser Stelle ist die Verletzung bei der Klägerin aufgetreten. Da der Tubus abgeschrägt sei, sei es auch möglich, dass es zu einer schlitzförmigen Verletzung komme. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat zwar eingeräumt, dass letzteres eine Schlussfolgerung sei, weil eine solche Ruptur der Speiseröhre so selten sei, dass er sie - ebenso wie der Privatgutachter Prof. Dr. B - bisher nicht gesehen habe. Das ändert indes nichts an der Überzeugungskraft der Schlussfolgerung, zumal diese sich in die Aussage der Zeugin T3 einfügt. Auch das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten des Facharztes für HNO-Heilkunde Prof. Dr. D vom 6.1.2005 (Bl. 551 ff d.A.) bestätigt den (anästhesistischen) Gerichtsgutachter aus Sicht der HNO-Heilkunde.

Für eine von Dr. T verursachte Ösophagusruptur spricht auch, dass es keine andere plausible Erklärung für die Entstehung der Verletzung gibt. Indiziell ergibt sich das bereits aus dem Vortrag der Beklagten. Selbst die Beklagten haben in der Klageerwiderung erklärt, es sei niemals bestritten worden, dass die Klägerin die Perforation anlässlich der Operation vom 6.3.1997 erlitten habe (Bl. 87 d.A.); es stehe fest, dass es im Zuge der Intubationsnarkose zu einer offensichtlich iatrogen verursachten Ösophagusperforation gekommen sei (Bl. 89 d.A.); die Perforation erkläre sich durch die - Dr. T bekannten - schwierigen anatomischen Verhältnisse der Klägerin (Bl. 92 d.A.). Erst der in erster Instanz als Gerichtsgutachter - und in zweiter Instanz als Privatgutachter auf Seiten der Beklagten - tätige Prof. Dr. B hat die (ausgesprochen fernliegende) Möglichkeit eines sog. Boerhaave-Syndroms durch postoperatives Erbrechen erwogen. Dies hat bereits das Landgericht als spekulativ bezeichnet (LGU S. 8). Im Senatstermin hat selbst der Privatgutachter Dr. B die Annahme eines Boerhaave-Syndroms als spekulativ bezeichnet. In der Tat ist diese Überlegung nicht geeignet, die Überzeugung des Senats zu erschüttern. Ein Boerhaave-Syndrom beruht auf explosionsartigem postoperativem Erbrechen (Bl. 571 d.A.). Darüber besteht unter den Parteien kein Streit. Im vorliegenden Fall ist zwar postoperatives Erbrechen dokumentiert, aber nicht in diesem Ausmaß. Dokumentiert ist im Überwachungsblatt unter der Rubrik "Maß. u. Beob." lediglich, dass die Klägerin am 6.3.1997 um 18.50 Uhr, sodann um 3.10 Uhr und erneut 6.20 Uhr erbrochen hat, ohne dies näher zu spezifizieren. Um 3.10 Uhr ist lediglich dokumentiert, dass Tee erbrochen worden ist. Das spricht ebenfalls nicht für ein explosionsartiges Erbrechen. Zudem tritt das Boerhaave-Syndrom meist an anderer Stelle auf, nämlich im unteren Drittel des Ösophagus, überdies hauptsächlich bei älteren Männern nach Völlerei und Alkoholgenuss. Das hat die Klägerin anhand der Stellung des Internisten Prof. Dr. Hardinghaus vom 24.2.2004 (S. 2 der Anlage zur Berufungsbegründung) substantiiert vorgetragen. Die allgemein gehaltenen Ausführungen des Privatgutachters der Beklagten, Prof. Dr. B, sind nicht geeignet, dies in Frage zu stellen.

Gegen eine von Dr. T verursachte Ösophagusruptur spricht auch nicht, dass der Zeuge Dr. C2 bei der anschließenden fiberoptischen Intubation keine Verletzung des Ösophagus gesehen hat. Nach eigenem Bekunden des Zeugen Dr. C2 in zweiter Instanz steht fest, dass der Anästhesist bei der fiberoptischen Intubation nicht in die Speiseröhre sieht. Auch das später gefertigte Gedächtnisprotokoll von Dr. T (Bl. 173 d.A.) spricht nicht gegen eine Ösophagusruptur, weil es gerade im Hinblick auf seine Intubationsversuche sehr oberflächlich abgefasst ist.

Das Gutachten des vom Landgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. B, der in zweiter Instanz als Privatgutachter auf Seiten der Beklagten tätig geworden ist, ist vor diesem Hintergrund ungenügend (§ 412 I ZPO), denn es unterstellt einen falschen Sachverhalt. Prof. Dr. B hat fälschlich angenommen, dass Dr. T keinen Intubationsversuch gemacht habe (Bl. 243, 245, 255/256, 259 d.A.). Auch die Ausführungen von Prof. Dr. B im Rahmen seiner Anhörung in erster Instanz sind ungenügend. Auch bei dieser Gelegenheit ist er fälschlich davon ausgegangen, dass sich die Intubationsversuche von Dr. T auf den Versuch beschränkten, die Stimmritze einzusehen, ohne ein Intubationsgerät einzuführen (Bl. 315f d.A.)

b)

Die von Dr. T am 6.3.1997 verursachte Ösophagusruptur verstieß gegen den Standard, der von einem gewissenhaften und aufmerksamen Anästhesisten zu verlangen ist. Fehlerhaft war dabei nicht der konventionelle Intubationsversuch an sich. Auch der zweite Intubationsversuch war für sich gesehen noch nicht fehlerhaft. Fehlerhaft war nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S jedoch die Ausführung der Intubationsversuche. Wie oben dargestellt, ist es bei einem der Intubationsversuche von Dr. T zu einer Ösophagusruptur gekommen. Das ist keine Komplikation, die unter Umständen selbst bei größter Sorgfalt nicht zu vermeiden ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S ist vielmehr aus der entstandenen Ruptur herzuleiten, dass Dr. T den Tubus mit zuviel Kraft vorgeschoben hat, so dass er das Gewebe der Speiseröhre verletzte. Gerade wenn der Anästhesist nichts sieht, muss er den Tubus zart vorschieben. Die Art der Verletzung spricht nach den einleuchtenden Feststellungen von Prof. Dr. S für inadäquaten Kraftaufwand. Das Risiko, in die Speiseröhre zu geraten, ist zwar hoch und für sich gesehen kein Behandlungsfehler. Aus der Art der Verletzung ist jedoch zu folgern, dass Dr. T dabei auf Widerstand gestoßen ist. Stößt der Anästhesist aber in der Speiseröhre auf Widerstand, handelt es sich um Gewebe, weil sich in der Speiseröhre ansonsten nur Luft befindet. Schiebt der Anästhesist den Tubus trotzdem vor, wendet er inadäquat Kraft auf. Es kommt im Lichte dieser Feststellungen nicht darauf an, ob Dr. T die Speiseröhrenverletzung beim ersten, zweiten oder unter Umständen bei einem weiteren Intubationsversuch verursacht hat.

Die Speiseröhrenverletzung ist nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S auch nicht mit einer Vorschädigung des Gewebes zu erklären. Soweit später im Operationsbericht des Universitätsklinikums N (Bl. 145 d.A.) von entzündlichem Gewebe die Rede sei, beziehe sich das auf einen anderen Bereich als die Speiseröhrenverletzung.

c)

Weitere Haftungsgründe bestehen nicht. Das ergibt sich aus den weiteren Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S: Die fiberoptische Intubation von Dr. C2 war nicht zu beanstanden, ebensowenig die postoperative Behandlungsphase bis zur (Selbst-)Entlassung der Klägerin am 14.3.1997. Aufklärungsdefizite bestehen ebenfalls nicht. Die Gefahr der Speiseröhrenruptur war nicht aufklärungsbedürftig, denn die Verletzung beruht auf einem Behandlungsfehler. Über die Alternative der fiberoptischen Intubation ist die Klägerin nach der überzeugenden Aussage des Zeugen Dr. C2 im Übrigen aufgeklärt worden.

d)

Mitverschulden der Klägerin ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Die Ösophagusruptur hat sie nicht mitverursacht (§ 254 I BGB). Der Schwierigkeitsgrad der Anästhesie war Dr. T präoperativ bekannt. Auch gegen ihre aus § 254 II 1 BGB folgende Schadensminderungspflicht hat die Klägerin nicht verstoßen:

aa)

Zu Unrecht machen die Beklagten geltend, die Klägerin sei für das Ausmaß der Ösophagusruptur am 6.3.1997 mitverantwortlich, weil sie ein ihr am 11.3.1997 in der Q-Klinik angebotenes HNO-Konsil abgelehnt habe. Die Klägerin beruft sich jedoch nachvollziehbar darauf, dass sie Angst gehabt und das Vertrauen verloren habe (Bl. 396, 561 d.A.). Es mag sein, dass eine Verursachung der Verletzung durch HNO-Ärzte nicht in Rede stand. Dies ist einem leidenden Patienten, der - objektiv zutreffend - um seine Gesundheit und - jedenfalls subjektiv nachvollziehbar - auch um sein Leben bangt, kurz nach einer iatrogenen Verletzung jedoch nicht vorzuwerfen.

bb)

Ohne Erfolg berufen die Beklagten sich darauf, die Klägerin habe sich nicht ausreichend in psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlung gegeben. Aktenkundig sind freilich immer wieder psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlungen, an denen die Klägerin teilnahm:

Ausweislich des Entlassungsberichtes der REHA-Klinik E vom 25.6.1997 (Bl. 31 d.A.) sowie der Arztberichte der REHA-Klinik E vom 16.2.1998 (S. 22 der Anlage zur Berufungsbegründung) und vom 20.6.2000 (Bl. 142 d.A.) unterzog sich die Klägerin dort anlässlich von Rehabilitationsmaßnahmen wiederholt psychotherapeutischer Behandlung.

Dem Entlassungsbericht der T-Klinik vom 19.8.1997 zufolge (Bl. 25f, 29f d.A.) nahm die Klägerin auch dort an tiefenpsychologischer Gruppen- und Einzeltherapie teil. Es mag sein, dass die Klägerin diese Therapie vorzeitig abbrach, weil nach ihren Angaben eine Mitpatientin Selbstmord beging. Jedenfalls begab die Klägerin sich unmittelbar danach erneut in psychologische Behandlung:

Eine psychotherapeutische Behandlung fand im Sommer/ Herbst 1997 nämlich auch in der Klinik B2 in C statt. Auf den Arztbrief vom 12.11.1997 (Bl. 44 ff d.A.) wird verwiesen.

Ausweislich des Arztberichts des Neurologen und Psychiaters Dr. X vom 18.6.1998 (S. 18 ff der Anlage zur Berufungsbegründung) begab sich die Klägerin 1998 auch bei ihm in Behandlung.

Aus dem Entlassungsbericht der Klinik P vom 5.5.1999 (Bl. 36 ff d.A.) ergibt sich, dass die Klägerin auch dort psychotherapeutisch betreut wurde.

Ab Mitte 2001 begab sich die Klägerin zudem in ambulante psychotherapeutische Behandlung bei dem Psychologen C3. Auf seinen Bericht vom 13.1.2002 (Bl. 61 d.A.) wird Bezug genommen.

Während eines stationären Aufenthaltes im Frühjahr 2002 in der Schmerzklinik B3 wurde der Klägerin auch dort psychologisch betreut. Auf den Arztbrief vom 21.6.2002 (Bl. 48 ff d.A.) wird Bezug genommen.

Später setzte die Klägerin die ambulante Behandlung bei dem Psychologen C3 bis Mitte Dezember 2004 fort. Auf das Schreiben des Psychologen C3 vom 23.12.2004 (Bl. 574 d.A.) wird verwiesen.

Vor diesem Hintergrund ist der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie die Sorgfalt nicht an den Tag gelegt hätte, die ein verständiger Mensch aufwendet, um eigenen (psychischen) Schaden zu verhindern bzw. zu vermindern.

cc)

Die Beklagten behaupten ferner, dass das Ausmaß der Beschwerden der Klägerin, auch der (angeblichen) Recurrensparese, durch Nikotinmissbrauch mitverursacht worden sei. Im Arztbrief der T-Klinik vom 19.8.1997 (Bl. 117 d.A.) wird die Klägerin als nikotinabhängig beschrieben. Der tägliche Zigarettenkonsum wird dort mit zwei Schachteln täglich angegeben. Der Klägerin wurde ärztlicherseits bereits zuvor empfohlen, das Rauchen aufzugeben (Arztbrief der Klinik P vom 5.5.1997, S. 38 der Anlage zur Berufungsbegründung).

Nikotinabusus fällt jedoch zur Überzeugung des Senats im Hinblick auf die Schwere der von der Klägerin insgesamt erlittenen Verletzung, namentlich der Ösophagusruptur, nicht ins Gewicht. Denn eine Ösophagusruptur ist - wie der Sachverständige Prof. Dr. S im Senatstermin festgestellt hat - potentiell lebensbedrohlich. Unabhängig davon kommt als weiterer Gesichtspunkt hinzu, dass in keinem Arztbrief, der die Frage des Vorliegens einer Recurrenpsarese bzw. einer Stimmbandminderbeweglichkeit untersucht, explizit von einer Warnung der Klägerin vor schädlichem Einfluss eines etwaigen Nikotinmissbrauchs im Hinblick auf das Ausmaß oder die Progredienz der Recurrens- oder anderer Beschwerden der Klägerin die Rede ist. Mit der angeblichen Recurrensparese befassen sich u.a. die Arztbriefe des Universitätsklinikums N vom 31.7.1997 (Bl. 108 d.A.), ferner der Arztbrief von Prof. Dr. Hardinghaus vom 19.5.1998 (Bl. 205 d.A.), der Arztbrief der Gemeinschaftspraxis Dres. I vom 20.8.2001 (Bl. 60 d.A.) sowie der Arztbrief vom Prof. Dr. D vom 5.5.2004 (S. 54 der Anlage zur Berufungsbegründung). Vor den Gefahren eines Nikotinmissbrauchs wird dort nicht gewarnt.

3)

Der Feststellungsantrag ist gem. § 256 I ZPO zulässig und begründet. Weitere Schadensfolgen sind nicht auszuschließen. Auch materielle Schäden, die den vorprozessual gezahlten Betrag von 40.000,- DM übersteigen, sind möglich.

4)

Der Rechtsstreit ist im Hinblick auf den Schmerzensgeldsbetrag nicht entscheidungsreif. Dazu bedarf es umfangreicher weiterer Feststellungen (§ 538 II Nr. 4, 2. Alt. ZPO). Bereits nach den bisher getroffenen Feststellungen steht zwar fest, dass das vorprozessual gezahlte Schmerzensgeld von 40.000,- DM angesichts der Schwere der von Dr. T verschuldeten Ösophagusruptur und der daraus resultierenden nachhaltigen Beeinträchtigungen der Klägerin seit diesem Zeitpunkt kein angemessener Ausgleich ist. Aufklärungsbedürftig sind darüber hinaus aber die von der Klägerin behaupteten weiteren Schadensfolgen:

a)

Das Landgericht wird durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären haben, ob die Klägerin links an einer Recurrensparese oder einer anderen Verletzung des Stimmbandnerven leidet und ob diese ggf. als Primärschaden (§ 286 ZPO) oder Sekundärschaden (§ 287 ZPO) auf die konventionellen Anästhesieversuche von Dr. T am 6.3.1997 zurückzuführen ist. Dabei wird u.a. das von Klägerin überreichte Privatgutachten des Arztes für HNO-Heilkunde Prof. Dr. D vom 6.1.2005 (Bl. 551 ff d.A.) zu berücksichtigen sein. Angesichts dessen spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Betragsverfahren ein weiteres Schmerzensgeld zuerkannt wird.

b)

Ferner wird zu klären sein, ob die Klägerin als Folge der Ösophagusruptur unter psychischen Erkrankungen leidet, wobei Mitursächlichkeit genügt (§ 287 ZPO). Dabei wird zu würdigen sein, dass die Klägerin ausweislich des Arztbriefes von Dr. X vom 14.2.97 zu dieser Zeit noch nicht an ausgeprägteren psychopathologischen Auffälligkeiten litt. Insbesondere wird zu klären sein, ob die Klägerin verletzungsbedingt an folgenden Krankheitsbildern leidet: posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1 ICD-10), andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (F 62.0 ICD-10), spezifische Phobie beim Einführen von Geräten in den Rachen (F 40.2 ICD-10) und somatoforme autonomische Funktionsstörung des respiratorischen Systems im Bereich des Kehlkopfes (F 45.38 ICD-10). Dabei werden u.a. die Berichte des Psychologen C3 vom 18.12.2002 (Bl. Bl. 228 ff.) und 23.12.2004 (Bl. 574 ff d.A.) zu berücksichtigen sein. Auch daraus ergibt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass im Betragsverfahren ein weiteres Schmerzensgeld zuerkannt wird.

5)

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.

6)

Das Landgericht wird Gelegenheit haben, sein Urteil um die bisher fehlende Unterschrift der Richterin M zu ergänzen. Der Kammervorsitzende hat zwar die Unterschrift des Richters am Landgericht Dr. U ersetzt (§ 315 I 2 ZPO); dieser hat jedoch ausweislich des Sitzungsprotokolls (Bl. 309 d.A.), sofern dieses zutreffend sein sollte, bei der Entscheidung nicht mitgewirkt. Der Senat weist darauf hin, dass eine fehlende Unterschrift jederzeit gem. § 319 ZPO nachgeholt werden, auch nach Einlegung eines Rechtsmittels (BGH, NJW 2003, 3057). Auch eine etwaige Unrichtigkeit des Sitzungsprotokolls kann jederzeit berichtigt werden (§ 164 I ZPO).

Ende der Entscheidung

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