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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.01.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 23/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 119
Zu den Anforderungen an eine akustische Besuchsübewachung.
Beschluss

Strafsache

gegen J.P.

wegen Mordes (hier: akustische Besuchsüberwachung).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 10.12.2007 gegen den Beschluss der Vorsitzenden der X. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 04.12.2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 01. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an die Vorsitzende der X. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde am 07.09.2006 vorläufig festgenommen und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.09.2006 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Durch Urteil der X. großen Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Bielefeld vom 23.05.2007 wurde er wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da der Angeklagte hiergegen Revision eingelegt hat.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.11.2007 stellte der Angeklagte den Antrag, die akustische Überwachung bei Besuchen seiner Mutter, seines Bruders sowie des Lebensgefährten seiner Mutter H., der bereits seit Jahren mit seiner Mutter zusammenlebe und ihn - den Angeklagten - als seinen Sohn betrachte, aufzuheben.

Durch Beschluss vom 04.12.2007 hat die Vorsitzende der X. großen Strafkammer den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Besuchsüberwachung sei gem. Nr. 27 UVollzO Bestandteil der Untersuchungshaft. Der Angeklagte habe weder Gründe vorgetragen, die im vorliegenden Fall eine Ausnahme rechtfertigen würden, noch seien solche ersichtlich. Zudem sei das Verfahren bislang nicht rechtskräftig abgeschlossen, da der Angeklagte Revision gegen das Urteil der Kammer vom 23.05.2007 eingelegt habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der die Strafkammervorsitzende durch Beschluss vom 12.12.2007 nicht abgeholfen hat.

II.

Die gem. § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Bielefeld.

Gesetzliche Grundlage der Besuchsüberwachung im Vollzug der Untersuchungshaft ist § 119 Abs. 3 StPO i. V. m. Nr. 27 der UVollzO.

Nach § 119 Abs. 3 StPO dürfen einem Untersuchungsgefangenen hinsichtlich des ihm grundsätzlich zustehenden Rechts, Besuche zu empfangen, nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung der Vollzugsanstalt fordern. Die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung stellt dabei einen ganz erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers dar. Insoweit ist stets zu prüfen, ob im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung von Haftzweck oder Ordnung der Anstalt durch einen akustisch nicht überwachten Besuch vorliegen (vgl. Senatsbeschluss vom 02.06.2005 - 3 Ws 232/05 - m. w. N.). Der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch des Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO nicht aus, um Beschränkungen anzuordnen (vgl. BVerfGE NStZ 1996, 613).

Maßgebend für die Frage, ob der Haftzweck eine Besuchsüberwachung erfordert, ist, welche Haftgründe im jeweiligen Einzelfall vorliegen, wobei nicht nur derjenige Haftgrund, auf den der Haftbefehl gestützt ist, zu berücksichtigen ist, sondern auch weitere, im Haftbefehl nicht angenommene Haftgründe herangezogen werden können (vgl. Senatsbeschluss vom 21.01.1997 - 3 Ws 27/97 - m. w. N.). Liegt der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr vor, so wird in der Regel zur Sicherung des Haftzwecks Anlass für die Anordnung einer akustischen Besuchsüberwachung gegeben sein, beim dem Haftgrund der Fluchtgefahr dagegen jedoch erst dann, wenn konkrete Hinweise dafür bestehen, dass zwischen dem Untersuchungsgefangenen und seinen Besuchern konkrete Fluchtpläne abgesprochen werden könnten. Dies gilt entsprechend, wenn bei einem auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl - wie es hier der Fall ist - zusätzlich eine mögliche Verdunkelungsgefahr Berücksichtigung finden soll (vgl. OLG Hamm StV 1998, 35; Beschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 02.06.2004 - 1 Ws 154/04 -; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, 126).

Eine nach diesen Grundsätzen gebotene Einzelfallprüfung und Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer akustischen Besuchsüberwachung lässt der angefochtene Beschluss vermissen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte mit seiner Mutter, dessen Lebensgefährten und seinem Bruder Verdunklungshandlungen absprechen oder Fluchtpläne besprechen würde, lassen sich aus dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen. Dieser begnügt sich vielmehr mit dem allgemeinen Hinweis auf § 27 UVollzO. Der weitere in dem angefochtenen Beschluss erwähnte Umstand, dass der Angeklagte gegen das erstinstanzlich ergangene Urteil Revision eingelegt hat, reicht angesichts der Tatsache, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung über seinen Verteidiger geständig eingelassen hat, für sich allein nicht aus, um die Gefahr etwaiger Verdunklungshandlungen des Angeklagten zu begründen. Aus den übersandten - ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 18.12.2007 unvollständigen - Drittakten lässt sich nicht entnehmen, in welchem Umfang und mit welcher Begründung der Angeklagte das gegen ihn ergangene Urteil vom 23.05.2007 angegriffen hat. Aus diesen Akten lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Angeklagte die Durchführung des Strafverfahrens bzw. die Aufklärung der ihm zur Last gelegten Straftat durch die Einwirkung auf Beweismittel oder andere Verdunkelungshandlungen erschwert hat. Schließlich lässt der angefochtene Beschluss auch völlig unberücksichtigt, dass der Angeklagte keine generelle Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung begehrt, sondern nur für die Besuche von nahen Familienangehörigen und den Lebensgefährten seiner Mutter und dass deshalb jedenfalls in Bezug auf die Mutter und den Bruder des Angeklagten der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG tangiert ist.

Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Vorsitzende der X. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverweisen, da eine eigene Sachentscheidung des Senats nicht angezeigt ist. Zwar ist gem. § 309 Abs. 2 StPO die eigene Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht die Regel. Hiervon sind jedoch Ausnahmen anerkannt, beispielsweise wenn der Vorderrichter seine Entscheidung entgegen § 34 StPO nicht oder völlig unzureichend begründet hat. Eine vergleichbare Konstellation ist im vorliegenden Verfahren gegeben, da die angefochtene Entscheidung, wie bereits oben im Einzelnen dargelegt worden ist, die erforderliche Einzelfallprüfung vermissen lässt, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung nicht näher erörtert und sich auch nicht damit befasst, dass der Angeklagte die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung nur für einen begrenzten Personenkreis, nämlich nahe Familienangehörige sowie den Lebensgefährten seiner Mutter, beantragt hat. Offen bleibt schließlich auch, ob die Vorsitzende der Strafkammer möglicherweise aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrucks von dem Angeklagten und seiner Persönlichkeit die Überzeugung gewonnen hat, dass auf eine akustische Besuchsüberwachung nicht verzichtet werden kann. Auch aus diesem Grunde hält der Senat eine eigene Sachentscheidung nicht für angezeigt, da diese ausschließlich nach Aktenlage ergehen könnte (vgl. Beschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 2.6.2004 - 1 Ws 154/04 -).

Ende der Entscheidung

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