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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 61/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 454
StPO § 454b
StPO § 456a
StGB § 57
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Bielefeld hat den Beschwerdeführer am 13.05.2003 wegen gemeinschaftlich begangener Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser Freiheitsstrafe (am 09.04.2004) und anschließender Teilverbüßung einer weiteren Freiheitsstrafe von sechs Monaten ist vor dem gemeinsamen Zwei-Drittel-Termin (am 03.07.2004) von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO abgesehen worden; der Verurteilte wurde am 04.06.2004 aus der Haft nach Polen abgeschoben. Für den Fall der Wiedereinreise ist Haftbefehl erlassen; er ist zur Festnahme ausgeschrieben.

Der Verurteilte hat durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 03.12.2007 beantragt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld ohne vorherige mündliche Anhörung durch Beschluss vom 10.01.2008 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 21.01.2008. Er trägt vor, die Strafvollstreckung habe bei ihm zu einer Verhaltens- und Einstellungsänderung geführt, und er habe in Polen keine weiteren Straftaten begangen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 57 StGB statthaft und fristgerecht gemäß § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden. Sie hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Ablehnung der Aussetzung der noch nicht verbüßten Restfreiheitsstrafen zur Bewährung.

Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld ist nicht dadurch entfallen, dass der Verurteilte aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I am 04.06.2004 nach Polen abgeschoben wurde. Durch das Absehen von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 456 a Abs. 1 StPO ist die Strafvollstreckung nicht erledigt. Vielmehr bestimmt § 456 a Abs. 2 StPO, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, von der aufgrund Ausweisung des Verurteilten abgesehen wurde, nach dessen Rückkehr nachgeholt werden kann. In solchen Fällen ist die für die Zuständigkeitsregelung maßgebliche Interessenlage gleich wie in Fällen einer Unterbrechung oder Aussetzung der Vollstreckung, für die § 462 a Abs. 1 Satz 2 StPO den Fortbestand der gemäß Satz 1 begründeten Zuständigkeit vorsieht. Gesichtspunkte, die für Fälle des § 456 a Abs. 2 StPO eine andere Regelung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 08.10.1999, NStZ 2000, 111).

Eine Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB über die Aussetzung des noch nicht verbüßten Drittels der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 13.05.2003 zur Bewährung konnte nicht ergehen. Denn diese Entscheidung darf erst dann ergehen, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Freiheitsstrafen gleichzeitig entschieden werden kann (Grundsatz der Entscheidungskonzentration).

Nach § 454 b Abs. 3 StPO ist bei mehreren nacheinander zu vollstreckenden Freiheitsstrafen die Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB gleichzeitig für alle diese Freiheitsstrafen zu treffen. Vorweggenommene Einzelentscheidungen sieht das Gesetz nicht vor. Damit soll u.a. auch gewährleistet sein, dass die insbesondere für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Umstände bezüglich aller Strafen gleichmäßige Berücksichtigung finden können und insbesondere die bedingte Entlassung in einer Sache nicht schon an dem Umstand scheitern muss, dass wegen nachfolgender Vollstreckungen in anderer Sache eine Entlassung des Verurteilten in die Freiheit tatsächlich nicht erfolgen kann (OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 124).

Um diese Verfahrensweise zu ermöglichen und sicherzustellen, schreibt § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO vor, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in der Regel zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt zugunsten der Vollstreckung einer weiteren Freiheitsstrafen zu unterbrechen ist. Entsprechend dieser gesetzlichen Vorgabe ist der Vollzug der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 13.05.2003 am 09.04.2004 unterbrochen worden. Im Anschluss daran ist eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten vollstreckt worden. Noch vor Verbüßung von zwei Dritteln dieser Freiheitsstrafe (am 03.07.2004) ist der Verurteilte nach Polen abgeschoben worden. Über die Frage der bedingten Entlassung kann somit erst dann entschieden werden, wenn ein weiterer Monat, insgesamt also zwei Drittel der sechsmonatigen Freiheitsstrafe verbüßt sind.

Ob die Voraussetzungen einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe vorliegen (§ 57 Abs. 2 StGB) und ob der Antrag des Verurteilten dahingehend ausgelegt werden kann, hat die Strafvollstreckungskammer nicht erörtert. Eine Sachentscheidung durch den Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO i.V.m. § 308 Abs. 2 StPO ist gleichwohl nicht veranlasst, weil der Verurteilte nicht gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO mündlich angehört worden ist, und weil dem Verurteilten sonst eine Instanz verloren ginge (vgl. OLG Hamm, 2. Strafsenat, StV 1999, 216, 217; OLG Köln, NStZRR 2000, 317).

Zwar ist anerkannt, dass die mündliche Anhörung auch aus anderen als den in § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO genannten Gründen unterbleiben kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 454, Rdnr. 24, 29 ff m.w.N.; OLG Düsseldorf, JMBl 1989, 69, 70). So kann von der mündlichen Anhörung u.a. dann abgesehen werden, wenn der Verurteilte oder sein Verteidiger ausdrücklich darauf verzichtet (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27.01.2000, 5 Ws 698/99), oder wenn sich der Verurteilte nach einer Entscheidung gemäß § 456 a StPO im Ausland aufhält und ihm die Wiedereinreise nicht zumutbar ist (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 223; OLG Düsseldorf, JMBl. 1989, 69; NStZ 2000, 333). Bei der insoweit zu treffenden Entscheidung über die Durchführung der mündlichen Anhörung ist aber zugleich der Zweck der Anhörung zu berücksichtigen, der nicht nur in der Gewährung rechtlichen Gehörs besteht, sondern auch darin, dass sich das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Verurteilten verschafft und dies bei der Prognoseentscheidung berücksichtigt. Die mündliche Anhörung liegt damit gerade auch im Interesse des Verurteilten. Ob der Verurteilte seinerseits bereit ist, sich der mündlichen Anhörung zu stellen und das Risiko einer Verhaftung bei Wiedereinreise in das Bundesgebiet zu tragen, ergibt sich weder aus der Antrags- noch aus der Beschwerdeschrift. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass der Verurteilte bei der zuständigen Vollstreckungsbehörde die Aufhebung bzw. Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls für die Dauer der Durchführung des Verfahrens nach § 454 StPO beantragt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Die Strafvollstreckungskammer wird unter Berücksichtigung der vorangegangenen Erwägungen zunächst aufklären und dann entscheiden müssen, ob eine mündliche Anhörung durchzuführen ist oder davon abgesehen werden kann, und ob die Voraussetzungen für eine Halbstrafenaussetzung gemäß § 57 Abs. 2 StGB vorliegen.

Ende der Entscheidung

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