Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.07.2007
Aktenzeichen: 4 Ss 228/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 323 a
Zum erforderlichen Umfang der Feststellungen hinsichtlich der subjektiven Tatseite bei einer Verurteilung wegen Vollrausches.
Beschluss

Strafsache

gegen pp

wegen Nötigung u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 15. März 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 07. 2007 durch die Richter am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tecklenburg hat den Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt. Die Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil hat die Berufungskammer mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte des fahrlässigen Vollrausches schuldig ist. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die Verletzung des formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.

II.

Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg, da die Feststellungen eine Verurteilung wegen fahrlässigen Vollrausches nicht tragen.

Die Berufungskammer hat in der Sache folgende Feststellungen getroffen:

"Am 03.05.2006 begann der Angeklagte schon vormittags mit dem Konsum von Alkohol. Er trank zunächst zwei Flaschen Bier à 0,5 Liter Inhalt. Mittags hatte er Streit mit seiner Ehefrau, weil diese ein Paprikagericht zubereitete, das der Angeklagte wegen seines empfindlichen Magens nicht gut verträgt. Als ein Bekannter, der Zeuge H., vorbei kam und ihn aufforderte, mitzukommen, ging der Angeklagte deshalb mit. Am Nachmittag tranken die beiden Personen zusammen mit einer weiteren Person insgesamt vier Sechserpacks Bier à 0,3 Liter. Anschließend trank er noch vier Glas Bier in einer Gaststätte. Nachdem er am frühen Abend nach Hause gekommen war, trank er dort noch aus einer halbvollen Wodkaflasche Wodka mit Orangensaft.

Zur Zeit des nachfolgenden Geschehens gegen 19.15 Uhr/19.30 Uhr war der Angeklagte so alkoholisiert, dass der sichere Bereich des § 21 StGB überschritten war. Nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte volltrunken war. Er hätte diesen Zustand aber vermeiden können, wenn er rechtzeitig mit dem Trinken aufgehört hätte. Dazu wäre er bei Anspannung seiner psychischen Kräfte auch in der Lage gewesen. Ebenso hätte er voraussehen können und müssen, dass er bei einem derart massiven Alkoholkonsum am Ende volltrunken sein würde.

Gegen 19.15 Uhr/19.30 Uhr fuhr die damals 27 Jahre alte Zeugin F. mit ihrem PKW zur Sparkasse in Z., um dort an einem Geldautomaten Geld abzuholen. Die Sparkasse befindet sich an der Ecke X.Straße/Y.straße. In der zweiten Etage über der Sparkasse, im Hause X.Straße, wohnte damals der Angeklagte mit seiner Ehefrau. Die beiden Töchter waren kurz zuvor ausgezogen. Der Zugang zum Treppenhaus des Hauses X.Straße befindet sich an der Rückseite des Sparkassengebäudes im Hof der Sparkasse. Dort befindet sich auch ein Parkplatz für Besucher der Sparkasse.

Die Zeugin F. fuhr mit ihrem PKW auf den bezeichneten Parkplatz der Sparkasse und stellte ihren PKW dort, ganz in der Nähe des Hauseingangs zum Haus X.Straße ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Skizze Bl. 9 Bezug genommen. Nachdem die Zeugin ausgestiegen war, stellte sich ihr der Angeklagte in den Weg, fasste der Zeugin mit seiner linken Hand an das rechte Handgelenk und hielt sie fest. Dadurch konnte die Zeugin nicht wie gewollt weitergehen. Gleichzeitig erklärte der Angeklagte gegenüber der Zeugin: "Du kommst jetzt mit hoch", wobei er auf den Eingang zum Hause X.Straße wies. Die Zeugin erwiderte sinngemäß, dass der Angeklagte wohl spinne; er solle sie loslassen. Der Angeklagte ließ aber nicht los. Die Zeugin versuchte sodann, sich loszureißen, was zunächst aber misslang. In dieser Situation fasste der Angeklagte mit seiner rechten Hand unter seine linke Achsel und zog eine kleine, silberfarbene Pistole (sogenannte "Damenpistole") hervor. Diese richtete er auf die Zeugin und sagte: "Los, hoch jetzt!" Die Zeugin befürchtete, dass es sich bei der Pistole um eine scharfe, geladene Waffe handeln könnte und hatte große Angst. Als der Angeklagte dann mit seiner Pistole auf den Eingang zum Hause X.Straße deutete, gelang es der Zeugin, sich von dem Angeklagten loszureißen und zu flüchten.

Ob es sich bei der verwendeten Pistole um eine scharfe Waffe gehandelt hat, ist offen geblieben. Die Kammer hält es für möglich, dass es sich dabei um ein Feuerzeug in Pistolenform gehandelt hat.

Die Zeugin flüchtete sich alsdann in einen nahegelegenen Schlecker-Markt, von wo aus sie ihren Ehemann anrief. Nachdem dieser eingetroffen war, riefen sie gegen 19.32 Uhr die Polizei an. Es trafen mehrere Beamte am Vorfallsort ein, unter ihnen der Zeuge PK K.. Die Zeugin schilderte ihnen das Geschehen so wie oben festgestellt. Des Weiteren beschrieb die Zeugin, die den Angeklagten zuvor noch niemals gesehen hatte, den Täter wie folgt: ca. 55 bis 65 Jahre alt; Dreitagebart; graue Haare; braune Hose; helles Hemd; braune Latschen; alkoholisiert. Die Polizeibeamten überprüften sodann mittels des Einwohnermeldeamtes, wer im Hause X.Straße als Täter infrage kommen könnte, und kamen so auf den Angeklagten.

Sodann suchten die Beamten die im zweiten Obergeschoss des Hauses X.Straße gelegene Wohnung des Angeklagten auf. Der Angeklagte öffnete ihnen die Tür. Er war bekleidet wie von der Zeugin F. beschrieben (Anmerkung der Kammer: Auch das von der Zeugin angegebene Alter passte. Der Angeklagte sieht nämlich, wovon sich die Kammer in der Berufungsverhandlung überzeugen konnte, wesentlich älter aus als sein wirkliches Alter von 54 Jahren. Man würde den Angeklagten ehe für 65 Jahre alt halten). Der Angeklagte war alkoholisiert. Er zeigte aber keine körperlichen Ausfallerscheinungen und konnte dem Gespräch folgen, so dass die Beamten davon absahen, bei dem Angeklagten einen Atemalkoholtest durchzuführen oder ihm eine Blutprobe entnehmen zu lassen.

Nach Belehrung über seine Schweigerecht und Bekanntgabe des Tatvorwurfs erklärte der Angeklagte, dass er soeben von einem Besuch bei seiner Tochter heimgekehrt sei. Außerdem besitze er keine Pistole. Später räumte er dann ein, eine schwarze Pistole zu besitzen; er wisse aber nicht, wo diese sich befinde.

Die Wohnung wurde sodann von den Polizeibeamten durchsucht. Eine Pistole wurde nicht gefunden. Die Wohnung machte auf die Beamten einen fast verwahrlosten Eindruck. In der Küche fanden sich verschimmelte Essensreste sowohl in einigen Töpfen und Pfannen als auch im Kühlschrank. In anderen Räumen lag Bekleidung auf dem Boden und stapelte sich auf den Schränken und Kommoden. In einem Ehebett fanden die Beamten zwei Dildos (Gegenstände zur Befriedigung des Sexualtriebes). Auf dem Bettzeug fanden sich Blutspuren und in diesem Bett eine Rolle Toilettenpapier. Die Beamten hatten aufgrund dieses Zustandes der Wohnung den Eindruck, dass der Angeklagte die Wohnung allein bewohnte.

Durch das Tatgeschehen erlitt die Zeugin F. leichte Rötungen am rechten Handgelenk. Sie hatte eine Zeitlang Herzrasen. Vor allem aber hatte sie in der Folgezeit so große Angst, dass sie im Rahmen einer Selbsthilfegruppe psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nahm. Hieran nimmt die Zeugin noch heute teil."

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Revision des Angeklagten u.a. wie folgt Stellung genommen:

"Zum subjektiven Tatbestand des § 323 a StGB enthält das Urteil indes keine ausreichenden Feststellungen. Zwar legt das Landgericht in ausreichender Weise seine Überzeugung dar, der Angeklagte habe sich trotz seiner möglichen Alkoholabhängigkeit fahrlässig in den Zustand des Vollrausches versetzt, jedoch erfordert der subjektive Tatbestand des § 323 a StGB weiter, dass es für den Täter voraussehbar ist, dass er im Rausch irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen wird oder er mit solchen Ausschreitungen, so er sie nicht in Betracht gezogen hat, zumindest hätte rechnen können (OLG Hamm, Beschluss vom 08.12.2005 - 2 Ss 442/05 -, Beschluss vom 14.12.2004 - 3 Ss 408/04 -, Beschluss vom 20.04.2004 - 1 Ss 60/04 -). Zum Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Landgericht keine ausdrücklichen Ausführungen gemacht und sie ergebt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Insbesondere, da der Angeklagte, der regelmäßig Alkohol konsumiert, bislang nicht bestraft ist, sonstige alkoholbedingte Auffälligkeiten nicht festgestellt worden sind und die Bekundung des Zeugen H., der Angeklagte habe ihm gegenüber u.a. geäußert, "Wie kann ich das gemacht haben? Ich kenne mich so gar nicht" tendenziell gegen die Erkennbarkeit der hier begangenen oder sonstiger Taten spricht, hätte das Landgericht in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise seine Überzeugung begründen müssen, warum der Angeklagte mit späteren Ausschreitungen zumindest rechnen konnte. Die Ausführungen des Landgerichtes zu den allgemein bekannten Gefahren des Alkohols (Bl. 10 UA) und der Tat als Folge alkoholischer Enthemmung des Angeklagten (Bl. 9 UA), reichen insoweit nicht aus. Gleiches gilt für den festgestellten Umstand der mitgeführten Pistole, bei welcher es sich nach Auffassung des Gerichtes um ein Feuerzeug gehandelt haben könnte (Bl.5 UA.).

Da nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf den insoweit fehlenden Feststellungen beruht, ist der Schuldspruch aufzuheben. Damit entfällt auch dessen Rechtsfolgenausspruch, so dass es auf etwaiger Rechtsfehler im Rahmen der Strafzumessung nicht mehr ankommt.

Die Vorraussetzungen für eine freisprechende Entscheidung des Senates gem. § 354 StPO sind nicht gegeben, da zumindest nicht auszuschließen ist, dass eine erneute Verhandlung Aufschlüsse erbringen wird, aus welchen sich ergibt, dass der Angeklagte während des Alkoholkonsums mit späteren Ausschreitungen rechnen konnte ( vgl. Meyer-Goßner StPO 49 Aufl. § 354 Rdnr. 3 m.w.N. ). Diese könnten sich aus Vernehmungen des Angeklagten und der bereits vernommenen Zeugen zu auffälligem Verhalten des Angeklagten im Allgemeinen und in sexueller Hinsicht unter Alkoholeinfuß und zu der Frage des Besitzes einer Schußwaffe, sowie des Grundes hierfür und möglicher Verwendungen in der Vergangenheit ergeben. Insbesondere die Darstellung des Landgerichtes zu den Verhältnissen in der Wohnung und der Beziehung zu der Ehefrau ( Bl. 8,9 UA. ) lassen weitere Erkenntnisse - über den Bereich von Vermutungen hinaus - möglich erscheinen."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich an. Das Urteil ist mithin aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück