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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.07.2005
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 442/05
Rechtsgebiete: StVO, BKatV, StVG


Vorschriften:

StVO § 37 Abs. 2
BKatV § 4 Abs. 1 Nr. 1
StVG § 25 Abs. 1
Zum Absehen vom Rotlichtverstoß, wenn der Betroffene (zunächst) angehalten hat.
Beschluss

Bußgeldsache gegen E. B.,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 22. Februar 2005 hat der 4 . Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 07. 2005 durch den Richter am Landgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung der Betroffenen bzw. ihres Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Betroffene unter Wegfall des Fahrverbots zu einer Geldbuße in Höhe von 125,- Euro verurteilt wird.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

I. Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen "einer fahrlässigen Nichtbeachtung eines Wechsellichtzeichens" zu einer Geldbuße von 200,- Euro verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. In den Urteilsgründen ist folgender Sachverhalt festgestellt:

"Die Betroffene befuhr am 28.08.2004 gegen 13.05 Uhr in Lippstadt die Straße Lippertor mit dem PKW SO-xxxxx. Die Straße Lippertor ist eine Einbahnstrasse Richtung Norden, die sich an der Lichtzeichenanlage vor der Kreuzung mit der Wilhelm-Röpke-Straße bzw. Lipperoder Straße in 3 Fahrspuren auffächert. Der linke Fahrstreifen ist für Linksabbieger in die Wilhelm-Röpke-Straße Richtung Westen gekennzeichnet, der Geradeaus-Streifen in der Mitte führt über die Kreuzung und die nachgelagerten Bahnschienen der WLE und findet seine Verlängerung in der Wiedenbrücker Straße Richtung Norden, während der rechte Fahrstreifen nach Osten in die Lipperoder Straße führt. An der rechten Ecke ist ein Ampelmast installiert, an dem sich eine "normale" LZA befindet. Zusätzlich daneben ist eine Zusatzampel mit den Farben Gelb und Grün angebracht, die durch entsprechende Fahrtrichtungspfeile nach rechts gesonderte Zeichen gibt.

Die LZA zeigte insgesamt Rot. Die Betroffene hielt ihr Fahrzeug in der mittleren Spur vor der LZA an in der Absicht, die Fahrt nach Norden in die Wiedenbrücker Straße geradeaus fortzusetzen.

Nach einer Weile, die deutlich mehr als 2 Sekunden gedauert hatte, erhielten die Verkehrsteilnehmer in der rechten Fahrspur durch die Zusatzampel erst Gelb, dann Grün, um entsprechend der Pfeile nach rechts abzubiegen, während die eigentliche LZA weiter Rot zeigte.

Die Betroffene entschloss sich dennoch, bei Rot in die Kreuzung einzufahren.

Zur gleichen Zeit war der Querverkehr auf der Wilhelm-Röpke-Straße bzw. Lipperoder Straße noch in der Grün-Phase. Die Geschädigte R. befuhr mit dem Kadett SO-xxxxx die Lipperoder Straße Richtung Westen. Es kam zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Betroffenen, wobei Sachschaden entstand."

Zur Beweiswürdigung führt der Tatrichter unter anderem folgendes aus:

"Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassung der Betroffenen.

Sie hat geschildert, sich am Vorfallstage mit ihren Söhnen in der Innenstadt zu einem gemeinsamen Frühstück getroffen zu haben. Danach habe sie die Wiedenbrücker Strasse stadtauswärts zum Evangelischen Krankenhaus fahren wollen; dort habe ihr Lebensgefährte in einem bedrohlichen Zustand gelegen.

Sie habe die LZA an der rechten Straßenecke beobachtet. Als für die Fahrzeuge rechts neben ihr Grün gekommen sei, sei sie ebenfalls losgefahren. (...)"

Zur rechtlichen Würdigung und zur Bemessung der Rechtsfolgen verhält sich das Urteil wie folgt:

"(...) Wenn die Betroffene dennoch bei Rot angefahren und in die Kreuzung eingefahren ist, hat sie zwar nicht vorsätzlich den Tatbestand des Rotlichtverstoßes nach mehr als 1 s Rot verwirklicht, sondern fahrlässig.

Ebenso fahrlässig hat die Betroffene die Unfallschäden zum Nachteil der Unfallpartnerin Ra. verursacht.

Wegen dieser tateinheitlichen Ordnungswidrigkeit nach den §§ 1 Abs. 2, 37 Abs. 2 StVO war die Betroffene in Verbindung mit § 24 StVG angemessen zur Verantwortung zu ziehen.

Der Bußgeldkatalog nennt für diesen Regelverstoß unter seiner Nr. 132.2.1 eine Geldbuße von 200 EUR.

Gründe, von der für den fahrlässigen Verstoß vorgesehenen Regelbuße nach oben oder unten abzuweichen, liegen nicht vor. Namentlich die Tatsache, dass die Betroffene nach eigener Einlassung die für sie maßgebliche Ampel direkt im Blick gehabt hat, schließt eine Milderung unter dem Gesichtspunkt des "Mitzieheffektes" aus. Unter Berücksichtigung aller für und gegen die Betroffene sprechenden Umstände war daher eine Buße von 200 EUR festzusetzen.

Zusätzlich sieht der Bußgeldkatalog die Verhängung eines Fahrverbots von 1 Monat Dauer vor. Dies gilt auch für den Fall der fahrlässigen Begehungsweise. Auch hier muss sich die Betroffene vorhalten lassen, dass sie praktisch sehenden Auges bei Rot angefahren ist. Ein Absehen von der Verhängung kommt daher nicht in Betracht.

Umstände, dass das Fahrverbot für die Betroffene trotz der gewährten 4-Monats-Frist eine unbillige Härte darstellen könnte, sind weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich geworden."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, wie erkannt.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu folgendes ausgeführt:

"Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und mit der Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden.

Zwar greift die Rechtsbeschwerde nach dem Wortlaut der Anträge und des Entscheidungssatzes auch die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts an und scheint insoweit unbeschränkt. Die gemäß § 300 StPO gebotene Auslegung ergibt jedoch, dass die Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, denn die Rechtsbeschwerde gesteht die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts ausdrücklich zu und räumt ein, dass die Betroffene fahrlässig gehandelt habe. Danach erhellt sich, dass die Betroffene ausschließlich die auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen verhängten Rechtsfolgen zur Überprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts stellen will.

Die in diesem Umfang vorzunehmende Überprüfung des Urteils deckt Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen auf, soweit ein Fahrverbot angeordnet und ein Bußgeld gemäß Nr. 132.2.1 der Anlage zur BKatV verhängt worden ist.

Zwar hat die Wechsellichtzeichenanlage nach den Urteilsfeststellungen bereits mehr als zwei Sekunden Rotlicht für die Fahrtrichtung der Betroffenen angezeigt, bevor die Betroffene ihr Fahrzeug, welches sie zunächst vor der Haltelinie zum Stillstand gebracht hatte, wieder in Bewegung setzte. Zudem hätte sie bei entsprechender Aufmerksamkeit auch erkennen können, dass das Grünlicht der Wechsellichtzeichenanlage sich ausschließlich auf die Rechtsabbiegespur bezog, so dass nach den äußeren Gegebenheiten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV vorliegen. Das dadurch grundsätzlich indizierte Vorliegen eines groben Pflichtverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, für den es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf, führt indessen nicht ohne Weiteres zur Annahme eines Regelfalls, weil vorliegend die konkreten Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Obwohl ein objektiv schwerwiegender Verstoß gegen Verkehrsvorschriften gegeben ist, hat das auf schlicht fahrlässiger Fehlwahrnehmung beruhende Augenblicksversagen nicht zur Folge, dass eine grobe Pflichtverletzung angenommen werden kann, denn hierzu wäre Voraussetzung, dass die schwerwiegende Zuwiderhandlung subjektiv auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurückgeht. Der Feststellung dieser Merkmale der groben Pflichtwidrigkeit bedarf es auch dann, wenn es zu einem Schaden kommt, weil Anknüpfungspunkt für die vom Verordnungsgeber gewollte schärfere Ahndung des qualifizierten Rotlichtverstoßes das grob pflichtwidrige, abstrakt und konkret den Querverkehr gefährdende Verhalten des Verkehrsteilnehmers bleibt (...).

Insoweit bieten die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts dem Senat eine hinreichend sichere Beurteilungsgrundlage für die Feststellung, dass der objektiv schwerwiegende Pflichtenverstoß nicht auf einer derartigen gemeinschädlichen Grundhaltung der Betroffenen beruht. Es ist daher ausschließlich das gemäß Nr. 132.1 der Anlage zur Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Bußgeld in Höhe von 125,- EUR gegen die Betroffene festzusetzen."

Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an.

Bezüglich der Herabsetzung der Geldbuße ist ergänzend folgendes anzumerken:

Gemäß § 1 Abs. 2 BKatV sind die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge Regelsätze, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgehen. Nach der amtlichen Begründung der BKatV liegt ein solcher Regelfall vor, wenn die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder subjektiv noch objektiv Besonderheiten aufweist (Abdruck bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 24 StVG, Rdnr. 41). Hier lag die Besonderheit vor, dass die Betroffene zunächst ordnungsgemäß bei Rotlicht angehalten hat und dann infolge eines Augenblickversagens vorzeitig angefahren ist. Zwar ändert dies nichts daran, dass sie nach mehr als einer Sekunde dauernder Rotlichtphase in die Kreuzung einfuhr und mithin infolge des zwischenzeitlich freigegebenen Querverkehrs eine erhöhte Unfallgefahr bestand, die sich dann in dem Zusammenstoß verwirklichte. Von daher geht der Tatrichter zu Recht davon aus, dass die vorliegende Tat ihrem Erfolgsunwert nach einem qualifizierten Rotlichtverstoß gemäß Nr. 132. 2 bzw. 132.2.1 BKatV entspricht. Nichtsdestoweniger vermindern die festgestellten Besonderheiten das Handlungsunrecht wesentlich. Während bei einem gewöhnlichen, d.h. im fließenden Verkehr begangenen Rotlichtverstoß eine auch in subjektiver Hinsicht gesteigerte Vorwerfbarkeit bzw. ein erhöhtes Handlungsunrecht darin gesehen werden kann, dass die Möglichkeit des Fahrzeugführers, das Rotlicht zu erkennen und zu beachten, und mithin sein Sorgfaltspflichtverstoß umso größer ist, je länger die Rotlichtphase andauert, gilt dies für den vorliegenden Fall nicht. Denn in subjektiver Hinsicht, d.h. im Hinblick auf das Handlungsunrecht, macht es keinen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt die Betroffene das von ihr zunächst respektierte Rotlicht übersehen hat. Ein solcher Fehler kann in jedem Moment der Rotlichtphase unterlaufen, ohne dass die Möglichkeit der Vermeidung des Fehlers mit fortschreitender Dauer der Rotlichtphase größer würde. Eher das Gegenteil ist der Fall, weil man mit fortgeschrittener Dauer eher einen Grünwechsel erwartet als zu Beginn der Rotlichtphase.

Somit ergibt sich, dass im Vergleich zum Regelfall der Nr. 132.2 BKatV vorliegend zwar ein entsprechend gesteigertes Erfolgsunrecht, aber ein vermindertes Handlungsunrecht vorlag. Dieser Konstellation hat die Generalstaatsanwaltschaft bei Bemessung der Geldbuße nach Ansicht des Senats zutreffend dadurch Rechnung getragen, dass sie mit Rücksicht auf das verminderte Handlungsunrecht einen einfachen Rotlichtverstoß im Sinne der Nr. 132 BKatV angenommen hat und auf dieser Grundlage das erhöhten Erfolgsunrecht durch Anwendung der Nr. 132.1 BKatV Rechnung hat durchschlagen lassen.

Zur Klarstellung sei nochmals hervorgehoben, dass das durch die Unfallverursachung gesteigerte Erfolgsunrecht der Aufhebung des Fahrverbots nicht entgegensteht. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt, dass es bei Beurteilung des für die Verhängung des Fahrverbots vorausgesetzten groben Pflichtverstoßes nicht maßgeblich auf die Frage des Schadenseintritts ankommt.

Aufgrund der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG selbst über die Rechtsfolgen entscheiden.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt dem Erfolg des auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittels Rechnung (§ 473 Abs. 3 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG).

Ende der Entscheidung

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