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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.05.2003
Aktenzeichen: 9 U 84/02
Rechtsgebiete: StVO, BGB, PflVG, ZPO


Vorschriften:

StVO § 37 Abs. 2
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1
StVO § 38 Abs. 3
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 823
BGB § 847
PflVG § 3 Nr. 1
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das am 19. Februar 2002 verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 EUR abzuwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung seinerseits Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I.

Am 6. Dezember 1999 gegen 17.15 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Fahrrad die rechte Seite der C2-Straße in E in Richtung E (Osten). Als er die Kreuzung der S-Straße erreichte, zeigte die dortige Verkehrsampel für den Fußgänger- und Radfahrerüberweg Rot. Nachdem der Kläger zunächst angehalten hatte, fuhr er kurze Zeit später - bei streitiger Lichtphase der für ihn maßgebenden Ampel - los und begann, den Überweg zu überqueren. Zur selben Zeit fuhr der Beklagte zu 1) mit einem VW-Transporter im Querverkehr von Nord nach Süd bei Gelb der für ihn geltenden Verkehrsampel in die Kreuzung ein und erfasste den Kläger, so dass dieser gegen die Beifahrerseite des Fahrzeuges geschleudert wurde und schwere Kopfverletzungen davontrug. Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) sei mit einer über die zulässigen 70 km/h weit hinausgehenden Geschwindigkeit gefahren und habe den Unfall verschuldet, während er selbst verkehrsgemäß den Überweg bei Grün befahren habe. Mit seiner Klage hat er Feststellung der vollen Haftung der Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall begehrt. Die Beklagten bestreiten eine überhöhte Geschwindigkeit und behaupten, der Kläger habe den Überweg trotz Rotlichts der für ihn maßgebenden Ampel überquert und den Unfall ausschließlich selbst verschuldet. Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens der Klage zur Hälfte stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Es hat ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des Beklagte zu 1) - überhöhte Geschwindigkeit, Einfahren in eine Kreuzung bei Gelblicht trotz Warnung durch eine Vorampel - wie auch des Klägers - Rotlichtverstoß - als bewiesen angesehen und die beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gleich hoch bemessen. Wegen weiterer Einzelheiten zu dem erstinstanzlichen Parteivorbringen und den Feststellungen des Landgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung, wobei sie ihre bisherigen Anträge weiterverfolgen: Sie greifen die Beweiswürdigung des Landgerichts an und die Beklagten beanstanden darüber hinaus die Auslegung des § 37 Abs. 2 StVO.

II.

Beide Berufungen sind zulässig, jedoch unbegründet. Die Beklagten sind dem Kläger wegen des Unfalles vom 6. Dezember 1999 nach §§ 847, 823 BGB i.V.m. § 3

Nr. 1 PflVG zum Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden nach einem Verantwortungsanteil von 50 % verpflichtet. Das Landgericht hat zutreffend ein Verschulden sowohl des Beklagten zu 1) als auch des Klägers als bewiesen angesehen und mit der hälftigen Teilung der Verantwortlichkeit auch das richtige Maß gefunden.

1.

Die mit der Berufung der Beklagten erhobenen Einwände gegen die Feststellung eines schuldhaften und für den Unfall des Klägers ursächlichen verkehrswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 1) greifen nicht durch. Dieser war nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO verpflichtet, sein Fahrzeug bei Aufleuchten des Gelblichts der für ihn maßgebenden Hauptampel (Signale 3/3a) vor der Kreuzung anzuhalten. Hätte er dies getan, wäre der Unfall vermieden worden.

a)

Die gelbe Ampelphase nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO ordnet an: Vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten ! Dieses Anhaltegebot gilt allerdings nicht uneingeschränkt, sondern nur für diejenigen Fahrzeugführer, die bei Beginn der Gelbphase noch so weit von der Ampel entfernt sind, dass sie vor dieser, spätestens vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich, ohne Gefahrbremsung, d.h. bei mittlerer Betriebsbremsung (bei 70 km/h mit einer Verzögerung von 3 m/s2), anhalten können (BGH NZV 1992, 157; OLG Hamm VersR 1975, 757; Hentschel Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 37 Rdn. 48). Andernfalls dürfen sie trotz Gelblichts mit der gebotenen Vorsicht zügig weiterfahren. Mit dieser ausnahmsweise eingeräumten Einschränkung des Haltegebots sollen plötzliche Voll- oder auch nur Starkbremsungen des im Zeitpunkt des Farbwechsels auf Gelblicht bereits nahe an die Ampel herangefahrenen Verkehrs soweit als möglich vermieden werden, da derartige Bremsmanöver die Gefahr von Unfällen - insbesondere in Form von Auffahrkollisionen - erhöhen.

Diese Gefahr ist dann wesentlich verringert, wenn - wie hier - die auf die Hauptampel zufahrenden Verkehrsteilnehmer durch eine in einiger Entfernung vor einer Ampelanlage installierten zeitweise Gelblicht blinkenden Vorampel darauf vorbereitet werden, dass an der Hauptampel der Wechsel von Grün- auf Gelblicht zu erwarten ist. Blinkt eine solche Vorampel vor einem Kraftfahrer nur zeitweise mit Gelblicht auf, muss dieser damit rechnen, dass er bei Einhaltung der an sich zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Haltelinie der Hauptampel nicht mehr bei Grünlicht erreichen kann. Er hat durch diese Warnung die Möglichkeit, seine Geschwindigkeit frühzeitig ohne verkehrsgefährdende und den Verkehrsfluss beeinträchtigende starke Bremsung herabzusetzen und sich anhaltebereit der Hauptampel zu nähern.

Zwar hat das gelbe Blinklicht nach § 38 Abs. 3 StVO lediglich eine Warnfunktion und geht auch bei ortsfester Installation den allgemeinen Regeln und Verkehrszeichen nicht vor, sondern mahnt zu deren Beachtung (OLG Köln VRS 53, 309).

Diese Warnung wirkt sich jedoch im Zusammenhang mit § 37 Abs. 2 StVO dahin aus, dass der an eine Hauptampel heranfahrende Kraftfahrer sich bei kurz vor Erreichen der Haltelinie aufleuchtendem Gelblicht dieser Ampel auf eine Überraschung nicht berufen kann und zur Einhaltung des grundsätzlichen Haltegebots verpflichtet ist.

Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, das ortsfest blinkende Gelblicht sei inhaltlich unbestimmt gewesen und habe vor keiner speziellen Gefahrenlage gewarnt. Es entspricht dem Erfahrungswissen der Verkehrsteilnehmer, dass ohne sonstigen erkennbaren Bezug aufleuchtendes gelbes Blinklicht typischerweise auf eine - möglicherweise zunächst noch nicht erkennbare - Ampelanlage hinweist. Jedenfalls müssen die Verkehrsteilnehmer sich auf diese naheliegende Möglichkeit einstellen. Das gelbe Blinklicht kann ferner nicht als bloße unverbindliche Anregung verstanden werden. Dies folgt schon aus der nach Vwv. II zu § 38 Abs. 3 StVO gebotenen sparsamen Verwendung ortsfester gelber Blinklichtanlagen und deren Einsatz nur in Fällen fehlender anderweitiger Warnmöglichkeiten.

b)

Bei Anlegen dieses Maßstabes war auch der Beklagte zu 1) aufgrund der von der zeitweise gelb blinkenden Vorampel ausgehenden Warnung verpflichtet, vor der Gelblicht anzeigenden Hauptampel anzuhalten und hat den durch seine Weiterfahrt (mit)verursachten Unfall verschuldet.

2.

Auch die zur Berufung des Klägers vorgetragenen Gründe sind nicht stichhaltig. Für den Senat bestehen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Zweifel, dass der Kläger die von dem Beklagten zu 1) benutzte Fahrbahn bei Rotlicht der für ihn maßgebenden Ampel zu überqueren versucht hat.

Nach dem von der Stadt E zu den Akten gereichten Ampelphasenplan für die hier in Rede stehende der Kreuzung erhielt die für den Kläger maßgebliche Ampel (Signale 51/51a) zur selben Zeit Grünlicht wie die Ampel für den parallel geführten Fahrbahnverkehr (Signale 2/2a). Die Zeugin G2 hat glaubhaft bekundet, der Kläger sei angefahren, als die entsprechende Ampel für den Fahrbahnverkehr noch Rotlicht gezeigt habe. Nach der gleichfalls glaubhaften Aussage des Zeugen G hat seine Ampel (Signale 2/2a) erst "knapp 3 Sekunden" nach dem Kollisionsgeräusch Grünlicht erhalten. Schließlich ist von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. H nach Auswertung der Unfallspuren und unter Berücksichtigung verkehrstechnischer Erfahrungssätze ermittelt worden, dass der Kläger bis zum Kollisionsort mit seinem Fahrrad eine Fahrstrecke von 8,5 Metern zurückgelegt und hierfür eine Zeitdauer von 3,6 Sekunden benötigt hat. Addiert man die von dem Zeugen G bekundete Zeitdauer von knapp 3 Sekunden hinzu, ist der Kläger - bei Phasenlauf nach dem vorgelegten Schaltplan - ca. 6,5 Sekunden vor Umschalten seiner Ampel auf Grünlicht und damit eindeutig bei Rotlicht der Signale 51/51a angefahren.

Die von dem Kläger hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Das anfängliche Stehenbleiben des Klägers an der Ampel stellt kein hinreichendes Indiz gegen einen Rotlichtverstoß dar. Dass der Kläger erst angefahren ist, nachdem er zunächst vor der Ampel angehalten hatte, lässt sich - wie bereits vom Landgegricht ausgeführt - dadurch erklären, dass er befürchtet haben könnte, den Zeitpunkt für eine rechtzeitige Betätigung des Bedarfsknopfes verpasst zu haben. Ferner kommt als nachvollziehbarer Grund für das Fehlverhalten des Klägers in Betracht, dass dieser eine größere Lücke zwischen den Fahrzeugen des Querverkehrs zum Überqueren der Fahrbahn ausnutzen wollte und sich dabei in Entfernung und Geschwindigkeit des von dem Beklagten zu 1) gefahrenen VW-Transporters verschätzt hat.

Soweit der Kläger behauptet, die Ampelanlage habe zur Unfallzeit nicht nach dem eingespeisten Schaltplan funktioniert, hat er hierzu keine konkreten Verdachtsmomente vorgetragen. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, wie eine damalige etwaige Fehlfunktion wegen des Zeitablaufs heute noch festgestellt werden könnte. Soweit der Kläger bestreitet, der dem Gutachten zugrunde gelegte Schaltplan sei zur Unfallzeit gar nicht eingespeist gewesen, hätte dieser Einwand bereits unverzüglich nach der Einreichung des Planes zu den Akten erfolgen müssen und ist nunmehr gemäß § 531 Abs. 2 ZPO verspätet.

3.

Bei der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge ist die vom Landgericht vorgenommene hälftige Schadensteilung nicht zu beanstanden. Auf der Beklagtenseite ist die durch den Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO und die Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 60 km/h erheblich erhöhte Betriebsgefahr des VW-Transporters als wesentlicher Unfallbeitrag in die Abwägung einzustellen. Zu Lasten des Klägers fällt sein Rotlichtverstoß ganz erheblich ins Gewicht, da das bei Rotlicht statuierte unbedingte Haltegebot zu den Kernregeln des Verkehrsrechts gehört, auf deren Einhaltung der übrige Verkehr sich ganz grundlegend verlässt. Danach ist die vom Landgericht vorgenommene Verantwortungsteilung jedenfalls vertretbar.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über

die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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