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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.07.2006
Aktenzeichen: 6 Ausl. 19/06
Rechtsgebiete: IRG, BtMG


Vorschriften:

IRG § 15
IRG § 29 Abs. 1
IRG § 30 Abs. 3
IRG § 32
IRG § 73
BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2
BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1
BtMG § 30a
BtMG § 30a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Auslieferung des amerikanischen Staatsangehörigen N F O zur Verfolgung wegen der ihm in dem Haftbefehl des United States District Court - Northern District Of Georgia - vom 16. Mai 2006 ( Aktenzeichen : Case No.:1:04-CR-665-CC ) zur Last gelegten Taten ist - mit Ausnahme des Anklagepunktes 11 : Besitz einer Tabletttiermaschine - zulässig.

Gründe:

I.

Der Verfolgte ist am 22.04.2006 aufgrund eines Festnahme- und Auslieferungsersuchens des Justizministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika vom 30.03.2006 festgenommen worden.

Mit Beschluss vom 26.04.2006 hat der Senat gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft und mit Beschluss vom 20.06.2006 deren Fortdauer angeordnet. Bei seiner richterlichen Anhörung am 23.04. vor dem Amtsgericht Köln hat er sich mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und bei der weiteren Anhörung am 28.06.2006 hierzu keine Erklärung abgegeben.

Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika ersucht nunmehr mit Verbalnote vom 14.06.2006 förmlich um die Auslieferung zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des United States District Court - Northern District Of Georgia - vom 16.05.2006 ( Aktenzeichen : Case No.:1:04-CR-665-CC ) in Verbindung mit der eidlichen Erklärung des Staatsanwalts K I vom 16.05.2006 als stellvertretendem Bundesanwalt der Vereinigten Staaten für den nördlichen Justizbezirk des Bundesstaates Georgia ( Aktenzeichen: Nr. 1:03-CR-665 ), der Erklärung des bei der US-Drogenbekämpfungsbehörde ("DEA") angestellten Task Force Agenten S D vom 16.05.2006 und der bei dem Bundesgericht der Vereinigten Staaten für den nördlichen Justizbezirk des Bundesstaates Georgia eingereichten Anklageschrift - zweite Nachtragsanklageschrift - vom 10.08.2004 ( Aktenzeichen: Nr. 1:03-cr-665 ) aufgeführten Straftaten.

Nach diesen Unterlagen liegen dem Verfolgten folgende Drogendelikte zur Last :

Er soll in den Zeiträumen von April 1998 bis Juli 1999, von Oktober 1999 bis Dezember 2000 und von März 2001 bis September 2003 an einer Verschwörung zur Herstellung sowie zum Vertrieb von Methylendioxymethamphetamin (auch genannt "MDMA" oder "Extacy") teilgenommen haben. Er soll in den genannten Zeiträumen als Kopf einer Organisation im Raum Atlanta im Bundesstaat Georgia nach einer von ihm selbst entwickelten Rezeptur in verschiedenen Labors in großen Mengen - im kg-Bereich - Extacy hergestellt, vertrieben und anderen Beschuldigten die Synthetisierung von Extacy beigebracht haben, wofür er als Gegenleistung Extacy-Pulver im Wert von 180.000 $ gefordert und erhalten haben soll (Anklagepunkte 1, 2 und 3)

Des weiteren soll der Verfolgte am 29.05.,10.06.,26.06.,26.07.,29.07.und 04.08.2003 im Besitz von Extacy gewesen sein mit dem Vorsatz, die Drogen zu vertreiben (Anklagepunkte 4 bis 10) und außerdem bis September 2003 im Besitz einer Tabletttiermaschine gewesen sein, die er zur massenhaften Herstellung von Extacy-Tabletten über einen Strohmann angeschafft haben soll (Anklagepunkt 11).

Dem Ersuchen sind die maßgeblichen US-amerikanischen Strafvorschriften beigefügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Akten gem. § 29 Abs. 1 IRG mit dem Antrag vorgelegt, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Der Verfolgte tritt dem entgegen. Er hält die Auslieferung aus mit Schriftsatz vom 04.07.2006, mit dem auch mündliche Verhandlung beantragt wird, im einzelnen dargelegten Gründen für unzulässig.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist gem. den §§ 32, 15 IRG zu entsprechen. Die von dem ersuchenden Staat vorgelegten Auslieferungsunterlagen rechtfertigen den Antrag. Auslieferungshindernisse bestehen nicht.

Eine mündliche Verhandlung, die gem. § 30 Abs. 3 IRG in seinem Ermessen steht, hat der Senat nicht angeordnet. Angesichts der nicht zweifelhaften Sach- und Rechtslage besteht dazu keine Veranlassung.

1.

Die an ein Auslieferungsersuchen gestellten Anforderungen (§ 2 Abs. 1 IRG, Art. 14 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.06.1978 in der Fassung des Zusatzvertrages vom 21. Oktober 1986 im folgenden: AuslV ) werden durch das vorgelegte Ersuchen der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika vom 14.06.2006 erfüllt. Diesem sind die nach Art. 14 Abs. 2 und 3 AuslV erforderlichen Unterlagen beigefügt worden. Es ist ein als "derzeit gültig" bezeichneter Haftbefehl des United States District Court - Northern District Of Georgia - vom 16.05.2006 vorgelegt worden. Auch ist eine nach Art. 14 Abs. 3 lit b AuslV erforderliche zusammenfassende Darstellung des Sachverhalts, der im Haftbefehl nur verkürzt angegeben ist, beigefügt. Sie ergibt sich aus der eidlichen Erklärung zur Unterstützung des Auslieferungsersuchens des Staatsanwalts K I vom 16.05.2006, der als stellvertretender Bundesanwalt der Vereinigten Staaten für den nördlichen Justizbezirk des Bundesstaates Georgia tätig ist, der Erklärung des bei der US-Drogenbekämpfungsbehörde ("DEA") angestellten Task Force Agenten S D vom 16.05.2006 und der bei dem Bundesgericht der Vereinigten Staaten für den nördlichen Justizbezirk des Bundesstaates Georgia eingereichten Anklageschrift - zweite Nachtragsanklageschrift - vom 10.08.2004.

Außerdem enthalten die Unterlagen den Wortlaut der anwendbaren Gesetzesbestimmungen, und zwar entgegen der Auffassung des Verfolgten auch die nach Art.14 Abs. 2 lit b AuslV vorzulegenden Verjährungsbestimmungen des US-amerikanischen Rechts (vgl Seite 13 f der Erklärung des Staatsanwalts I vom 16.05.2006). Aus der Erläuterung geht hervor, dass die dem Verfolgten zur Last liegenden Taten nach den maßgeblichen Bestimmungen nicht verjährt sind.

Soweit der Verfolgte "den Wortlaut der anwendbaren Gesetzesbestimmungen hinsichtlich ... Gesamtstrafenbildung und Strafvollstreckung" vermisst, sind diese nach Art. 14 Abs. 2 lit b AuslV nicht vorzulegen.

2.

Bei den dem Verfolgten zur Last gelegten Taten handelt es sich um auslieferungsfähige Straftaten ( Art. 2 AuslV).

Die Strafbarkeit der Taten nach dem Recht des ersuchenden Staates - als Verschwörung zu Herstellung und Vertrieb von Extacy, dessen Besitz mit dem Vorsatz des Vertriebs sowie Besitz einer Tabletttiermaschine mit dem Vorsatz der Benutzung zur Herstellung einer kontrollierten Substanz - folgt aus Hauptabschnitt 21 des Bundesgesetzes der Vereinigten Staaten, §§ 846, 841(a)(1) und 843(a)(6), die mit Freiheitsstrafen im Höchstmaß über einem Jahr geahndet werden.

In der Bundesrepublik Deutschland wären die Taten nach den §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 1, 30a Abs. 1 BtMG strafbar und im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ( Art. 2 Abs. 2 lit. a AuslV ).

Lediglich zu Anklagepunkt 11 - Besitz der Tabletttiermaschine - ist die beiderseitige Strafbarkeit nicht gegeben, worauf der Senat bereits mit Beschluss vom 20.06.2006 hingewiesen hat. Das US-amerikanische Strafrecht sieht aufgrund der Strafbestimmung des § 843(a)(6) ausdrücklich bereits den Besitz der Tabletttiermaschine als strafbar an, sofern damit die Herstellung von Betäubungsmitteln beabsichtigt ist. Das US-amerikanische Strafrecht zieht damit die Grenzen strafbaren Handelns weiter als das deutsche Betäubungsmittelstrafrecht, das die Ausstattung und Einrichtung eines Labors mit Gerätschaften zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln, wozu auch die Anschaffung einer Tabletttiermaschine zu rechnen sein dürfte, noch als bloße - straflose - Vorbereitungshandlung zur Herstellung ansieht (vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, 5. Aufl., § 29 Rdn.137). Dementsprechend hat der Senat den Anklagepunkt 11 von der Zulässigkeitsentscheidung ausgenommen.

3.

Einer näheren Befassung mit den dem Auslieferungsersuchen beigefügten Beweismitteln bedarf es nicht, da eine Tatverdachtsprüfung im Auslieferungsverkehr mit den Vereinigten Staaten von Amerika auf deutscher Seite nicht stattfindet, wie der Senat mit Beschluss vom 20.06.2006 näher dargelegt hat (vgl. auch Senat 03.09.2004 - Ausl 189/04-28/04 -; OLG Karlsruhe MDR 1986, 521 = GA 1986, 459; OLG Düsseldorf, NStZ 2003, 684=StV 2004,147 mit eingehender Begründung). Im übrigen ist darauf zu verweisen, dass der Verfolgte zwar Einwendungen gegen seine Auslieferung erhebt, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aber nicht bestreitet.

4.

Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung nach den Art. 4 ff. des Auslieferungsvertrages entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

a)

Soweit der Verfolgte vorbringt, dass ihm in den Vereinigten Staaten "faktisch" eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Chance auf Wiedererlangung der Freiheit drohe - was wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen und damit gemäß § 73 IRG zur Unzulässigkeit der Auslieferung führen könnte - findet das in den mitgeteilten US-amerikanischen Strafvorschriften keine Stütze. Danach beträgt das Strafmaß für die dem Verfolgten angelasteten Taten im Höchstmaß nicht mehr als 20 Jahre, wobei diese Strafandrohung allerdings für jeden Anklagepunkt gilt. Soweit die US-amerikanischen Gesetzesbestimmungen härtere Strafen (bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe) vorsehen, wenn der Drogenkonsum den Tod oder eine schwere Körperverletzung zur Folge hat, wird ein derartiger Vorwurf gegen den Verfolgten nicht erhoben.

An der im Beschluss vom 20.06.2006 vertretenen Auffassung, bei einem nicht vorbestraften Täter komme eine sog. "Entlassung zur überwachten Bewährung" in Betracht, hält der Senat nach nochmaliger Prüfung nicht fest. Der Einwand des Verfolgten, es handele sich nicht um eine vorzeitige Entlassung aus der Haft, trifft zu.

Das ändert indes nichts daran, dass es sich auch unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des BVerfG aufgestellten Maßstäbe nicht um eine übermäßige Strafandrohung handelt, die mit den völkerrechtlichen Mindeststandards und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar wäre. Es genügt nicht, dass die Strafe lediglich als in hohem Maße hart bzw. unter Anlegung der Maßstäbe der deutschen Rechtsordnung als zu hart anzusehen ist; sie muss vielmehr als unerträglich hart und als unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheinen, wobei es stets auf den Einzelfall ankommt (BVerfG NJW 1994, 2884 ; JZ 2004, 141).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfGE 75,1 <16f>) geht das Grundgesetz von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 23 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Soll der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so dürfen die Gerichte als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zu Grunde legen. Gemessen an diesen Maßstäben ist die Auslieferung zulässig.

Die Höhe der zu erwartenden Strafe kann gegenwärtig nur Gegenstand von Spekulationen sein und ist der Klärung durch ein rechtswissenschaftliches Gutachten, wie von dem Verfolgten beantragt, nicht zugänglich. Selbst wenn es zur Verhängung einer Freiheitsstrafe kommen sollte, bei deren (vollständiger) Vollstreckung der jetzt 37-jährige Verfolgte in vorgerücktem Alter sein sollte, läge darin kein Auslieferungshindernis. Auch in Deutschland sieht der Strafrahmen für ein Betäubungsmittelverbrechen nach § 30 a BtMG eine Haftstrafe von fünf bis zu 15 Jahren vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass dieses Strafmaß hinter der dem Verfolgten drohenden möglicherweise längeren Freiheitsentziehung so erheblich zurückbleibt, dass von einem krassen Missverhältnis gesprochen werden kann. Im übrigen geht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH davon aus, dass sich aus dem Lebensalter eines Straftäters unter Berücksichtigung seiner Lebenserwartung keine Strafobergrenze ergeben kann. Einen Rechtssatz, dass jeder Straftäter schon nach dem Maß der verhängten Strafe die Gewissheit haben müsse, im Anschluss an die Strafverbüßung in Freiheit entlassen zu werden, hat der BGH verneint (vgl BGH Urteil vom 27.04.2006 - 4 Str 572/05 -).

Die Strafvorwürfe gegen den Verfolgten wiegen auch nach der deutschen Rechtsordnung im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteldelikten überdurchschnittlich schwer. Der Verfolgte soll über mehrere Jahre hinweg die Herstellung von Betäubungsmitteln in industriellem Stil betrieben, seine Kenntnisse an andere Täter weitergegeben und hieraus erhebliche wirtschaftliche Vorteile gezogen haben. Seine Auffassung, der Wirkstoff MDMA sei "eine relativ weiche Droge", offenbart jegliches Desinteresse an den gesundheitlichen Gefahren, in die er eine unüberschaubare Zahl von Konsumenten gebracht haben dürfte.

b)

Das Vorbringen des Verfolgten, er müsse wegen seiner Flucht mit verschärften Haftbedingungen - die in den Vereinigten Staaten ohnehin äußerst hart seien - ist gänzlich unbestimmt und einer Überprüfung (durch ein rechtswissenschaftliches Gutachten) ebenfalls nicht zugänglich.

c)

Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 20.06.2006 ausgeführt hat, steht der Umstand, dass der Verfolgte mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist und mit ihr ein minderjähriges Kind hat, einer Auslieferung ebenfalls nicht entgegen. Daran wird auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz des Beistandes vom 04.07.2006 festgehalten.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 6 GG nicht dagegen, dass ein Ausländer als Folge der Verletzung von Strafnormen seines Heimatstaates dort zur Verantwortung gezogen wird (vgl BVerfG NJW 94, 2884; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2005 - 2 BvR 1090/05 -, Rdnr. 42).

Daran vermag der Umstand, dass die Ehefrau des Verfolgten angesichts von ihrer befürchteter Strafverfolgung und Verhaftung als Mittäterin nicht zu Besuchen des Verfolgten in die Vereinigten Staaten reisen zu können glaubt, nichts zu ändern. Art. 6 GG schützt auch die (deutsche) Ehefrau eines Ausländers nicht vor Strafverfolgung im Heimatstaat des Ehemannes. Ganz besondere Umstände, die eine abweichende Beurteilung gebieten könnten - etwa eine lebensbedrohliche Erkrankung des Kindes, vgl dazu OLG Karlsruhe NStZ 05,351 - weist der vorliegende Fall nicht auf.

Ende der Entscheidung

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