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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 21.07.2006
Aktenzeichen: 81 Ss 91/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329
StPO § 329 Abs. 1
StPO § 329 Abs. 1 Satz 1
StPO § 329 Abs. 3
StPO § 345 Abs. 1 Satz 1
StPO § 473 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird auf seine Kosten verworfen.

II. Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Köln hat den Angeklagten "wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen in 4 Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 11.09.2002 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird".

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten durch Urteil gemäß § 329 StPO verworfen. Der Angeklagte hat mit Verteidigerschriftsatz vom 12.05.2006 (fristgerecht) um Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung nachgesucht und Revision eingelegt. Eingangs der Begründung heißt es:

"Das Urteil ist rechtsfehlerhaft ergangen. Herr C war krankheitsbedingt und damit schuldlos verhindert, an dem Termin zur Hauptverhandlung am 09.05.2006 teilzunehmen."

Mit Verteidigerschriftsatz vom 26.06.2006 ist - "... zu der ... Revision" - Verletzung materiellen Rechts gerügt worden.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag durch Beschluss vom 02.06.2006 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die (fristgerecht) eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 329 Abs. 3 StPO setzt voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die dem Berufungsgericht nicht bekannt waren (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 329 Rdn. 42 m. w. N.). Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht - wenn auch möglicherweise rechtsfehlerhaft - schon im Verwerfungsurteil behandelt und in diesem als nicht genügend gewürdigt hat (OLG Düsseldorf, VRS 97, 139; KG VRS 101, 377, 378; ständige Rechtsprechung auch des Senats, vgl. SenE v. 25.06.1999 - Ss 255/99 - 1 Ws 15/99 = VRS 97, 362; Meyer-Goßner a.a.O. § 329 Rn. 42 mit weiteren Nachweisen).

Hier sind die mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragenen Gründe bereits in dem Verwerfungsurteil gewürdigt worden.

Die sofortige Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

2.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Der Revision liegt neben der Sachrüge, die lediglich zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen führen würde, weil das Verwerfungsurteil keinen materiell-rechtlichen Inhalt hat, auch die Verfahrensrüge zugrunde, das Landgericht habe den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt. Diese Rüge lässt sich der oben wiedergegebenen Textstelle des Schriftsatzes vom 12.05.2006 entnehmen. Ob mit diesem Vorbringen lediglich das Wiedereinsetzungsgesuch begründet werden sollte, kann dahinstehen. Das Vorbringen zur Begründung eines mit der Revisionseinlegung gleichzeitig gestellten Wiedereinsetzungsantrags kann als Revisionsbegründung im Sinne von § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO mit herangezogen werden (Senat StV 1989, 53; SenE v. 07.06.2006 - 81 Ss 71/06; OLG Hamm VRS 104, 145 = NZV 2003, 248 = NStZ-RR 2003, 86).

Die Verfahrensrüge ist begründet.

Die Strafkammer hat den Begriff der genügenden Entschuldigung i. S. d. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verkannt.

In den Gründen des Verwerfungsurteils heißt es u.a.:

"... Im vorliegenden Verfahren machte der Angeklagte bereits in erster Instanz kurz vor dem Verhandlungstermin vom 14.09.2005 seine Verhandlungsunfähigkeit unter Vorlage eines ausführlichen Attests seines Hausarztes Dr. D geltend, worauf das Amtsgericht das nach näherer Maßgabe des Sitzungsprotokolls verlesene Gutachten des Sachverständigen T vom 01.10.2005 einholte, der bereits im Betreuungsverfahren tätig war. Er kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte ... unter den Folgen einer Gehirnerblutung mit Aneurysma-Clipping leide, die sich unter anderem in einer deutlichen Einschränkung seiner kognitiven Leistungsfähigkeit mit temporalen Kopfschmerzattacken sowie Konzentrationsstörungen zeigten. ...

Am 09.05.2006 um 12.14 Uhr erreichte das Gericht per Fax erneut ein Vertagungsantrag des Verteidigers und Betreuers des Angeklagten. Diesem war das ... Attest des Internisten Dr. D vom selben Tage beigefügt, da der Angeklagte - wovon die Kammer zu seinen Gunsten ausgeht - den Sachverständigen T nicht zu erreichen vermochte. Dr. D bescheinigte ihm, dass er aus medizinischer Sicht "bis auf weiteres und insbesondere heute" nicht in der Lage sei, an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen. ...

Weder diese Bescheinigung noch die ergänzend hierzu in der Hauptverhandlung durchgeführten Ermittlungen reichen aus, um das Ausbleiben des Angeklagten ausreichend zu entschuldigen. Die Kammer hat durchgreifende Zweifel daran, dass der Zustand des Angeklagten sich erneut just am Verhandlungstag in einer Weise verschlechtert hat, welche es ihm nicht einmal erlaubt hätte, an der auf 45, maximal 60 Minuten (mit Pause) angesetzten Verhandlung verantwortlich teilzunehmen, ... Diese Bedenken gründen sich ... .

... war vorliegend festzustellen, dass sich das von Dr. D ausgestellte Attest ... in einem Einzeiler erschöpft, der pauschal Verhandlungsunfähigkeit " bis auf weiteres" bescheinigt. Es fehlt bereits an der Angabe der konkreten Diagnose. Wenngleich diese aus Gründen der gerichtsbekannten Umstände vorliegend entbehrlich gewesen sein mag, so ist weiter zu beanstanden, dass ... .

Der bereits aus der Schriftform gewonnene Eindruck einer nicht hinreichend fundierten Bescheinigung der Verhandlungsunfähigkeit hat sich durch das Telefonat mit Dr. D ... bestätigt und erhärtet. ... erwiderte Dr. D vielmehr, darauf, insbesondere auf die Dauer der Verhandlung komme es seiner Ansicht nach gar nicht an, da beim Angeklagten das Problem der immer wieder auftretenden Kopfschmerzattacken und der Konzentrationseinschränkungen eben fortwährend bestehe. Hiermit steht seine Einschätzung - erkennbar ohne fundierte Kenntnisse der Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit - in deutlichem Widerspruch ...

Die demgegenüber unzulängliche Bescheinigung und Bekundung durch den Hausarzt Dr. D ist dem Angeklagten auch persönlich anzulasten. ... Es mag sein, dass der Angeklagte sich, nachdem er den Sachverständigen T nicht erreicht hatte, in einer ratlosen Situation befand. Anstatt ... Dr. D aufzusuchen, hätte er jedoch diverse Möglichkeiten gehabt, anderweitig zu verfahren. So hätte er einen Amtsarzt aufsuchen können, der sich mittels Rücksprache mit der Vorsitzenden ins Bild hätte setzen lassen können. ... Schließlich hätte er auch selbst beim Gericht anrufen und die Vorsitzende befragen können."

Diese Ausführungen lassen erkennen, dass die Strafkammer die Beweislast verkannt hat, soweit sie eine genügende Entschuldigung des Angeklagten im Hinblick auf "durchgreifende Zweifel" und "Bedenken" an der Richtigkeit der "nicht hinreichend fundierten Bescheinigung der Verhandlungsunfähigkeit" durch Dr. D. verneint und dem Angeklagten "anlastet", Dr. D. aufgesucht zu haben, anstatt z. B. einen Amtsarzt aufzusuchen oder die Vorsitzende zu "befragen".

Im Rahmen des § 329 Abs. 1 StPO ist nicht entscheidend, ob ein Angeklagter sich entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (vgl. BGHSt 17, 391 = NJW 1962, 2020; OLG Düsseldorf StV 1987, 9; Senat VRS 75, 113, 116; SenE v. 04.06.1999 - Ss 217/99 B = NStZ-RR 1999, 337 = VRS 97, 370; SenE v. 11.01.2002 - Ss 533/01 B = DAR 2002, 180; Meyer-Goßner, StPO a.a.O., § 329 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen). Er ist nicht zu einer Glaubhaftmachung oder gar zu einem Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet (OLG Düsseldorf a.a.O.; KG VRS 108, 110); vielmehr hat er nur die Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht kennen kann, mitzuteilen und dem Gericht die Überprüfung zu ermöglichen (OLG Celle StV 1987, 192). Sind dem Gericht Tatsachen bekannt, die das Ausbleiben des Angeklagten als genügend entschuldigt erscheinen lassen können, so hat es solche Entschuldigungsgründe auf Grund seiner Aufklärungspflicht von Amts wegen nachzuprüfen (vgl. Senatsentscheidung a.a.O.; KG a.a.O.) und im Wege des Freibeweises zu klären, ob das Vorbringen des Angeklagten zutrifft und damit das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung auf seinem Verschulden beruht. Macht ein Angeklagter als Entschuldigungsgrund Verhandlungsunfähigkeit oder Krankheit geltend, muss es gegebenenfalls den Amtsarzt ersuchen, den Angeklagten in dessen Wohnung aufzusuchen und zu untersuchen (vgl. OLG Stuttgart VRS 106, 209 = DAR 2004, 165 mit Nachweisen, das zudem die Auffassung vertritt, eine Aufforderung des Gerichts an den Angeklagten, ein amtsärztliches Attest beizubringen, enthalte ein unerfüllbares Ansinnen, weil der Amtsarzt nur auf Ersuchen eines Amtsträgers tätig werde). Bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, sind die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung nicht gegeben (KG a.a.O.; SenE v. 11.04.2006 - 83 Ss 26/06). Denn nur der Nachweis, dass die Entschuldigung unwahr ist, lässt sie als ungenügend erscheinen (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., § 329 Rn. 22 mit Nachweisen).

Ende der Entscheidung

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