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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 02.07.2004
Aktenzeichen: 1 U 12/04
Rechtsgebiete: AGBG, BGB


Vorschriften:

AGBG § 9
BGB § 535
1. Es stellt im Rahmen eines Mietvertrags über Räume zur gewerblichen Nutzung keine unangemessene Benachteiligung der Mieter dar, wenn der Vermieter als Kaution anstatt der Zahlung eines Geldbetrags die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern fordern kann.

2. Auch die in einem derartigen Mietvertrag enthaltene Berechtigung des Klägers, sich schon während der Mietzeit aus der Kaution zu befriedigen und anschließend die Wiederauffüllung der Kaution fordern zu dürfen, stellt keine unangemessene Benachteiligung der Beklagten dar.

3. Eine unangemessene Benachteiligung ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenwirken der beiden Regelungen.


Oberlandesgericht Karlsruhe 1. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 U 12/04

Verkündet am 02. Juli 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Freigabeerklärung

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2004 durch Richter am Landgericht Platten als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.12.2003 - 3 O 418/03 - im Kostenpunkt aufgehoben, im übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, jeweils dem Kläger die Freigabe des beim Amtsgericht P. unter dem Kassenzeichen hinterlegten Betrages i. H. v. 12.782,30 € nebst der hieraus seit Hinterlegung nach § 8 HinterlO angefallenen Zinsen in Höhe von monatlich 1 0/00 zu bewilligen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von den Beklagten die Bewilligung der Freigabe eines auf Grund einer Mietbürgschaft von der Sparkasse P. beim Amtsgericht P. hinterlegten Geldbetrages.

Die Parteien schlossen am 08.12.2000 einen schriftlichen Mietvertrag über Geschäftsräume in P.. Die monatliche Miete beträgt 5.159,45 €. Nach § 6 Nr. 1 des Mietvertrags sind die Beklagten zu einer Kautionsleistung von 25.000,00 DM verpflichtet. Unter § 6 Nr. 4 des Mietvertrags ist hierzu folgender weiterer Passus enthalten:

Die Kaution kann nach freier Wahl des Vermieters auch erbracht werden durch Vorlage einer auf den Kautionsbetrag beschränkten, unwiderruflichen, unbefristeten, unbedingten und selbstschuldnerischen Bürgschaft eines Kreditinstituts. Die Bürgschaftsurkunde ist dem Vermieter auszuhändigen. Sie hat zu enthalten die Verpflichtung des Kreditinstituts, auf erstes Anfordern des Vermieters und ohne Prüfung der Forderung zu leisten.

Der Vermieter ist berechtigt, auch während der Mietzeit Ansprüche aus dem Mietverhältnis durch Rückgriff auf die Kaution zu befriedigen. In diesem Fall kann er von dem Mieter verlangen, die Kaution wieder auf den ursprünglichen Betrag aufzufüllen.

Mit Urkunde vom 09.01.2001 übernahm die Sparkasse P. eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 25.000,00 DM.

Seit Mai 2003 haben die Beklagten mit Verweis auf Gegenforderungen in Höhe von angeblich 100.000,00 €, die ihrer Firma, der O. GmbH, zustehen sollen, keine Miete mehr bezahlt.

Nach entsprechender Aufforderung durch den Kläger hinterlegte die Sparkasse P. die Bürgschaftssumme Anfang August 2003 beim Amtsgericht P..

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.12.2003 (Band I, AS. 49 ff) wird Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Freigabe des beim Amtsgericht in P. unter dem Kassenzeichen 9702003740504, Dienststellen-Nr.: 615 503 00 hinterlegten Betrages i. H. v. 12.782,30 € nebst 1 0/00 Zinsen pro Monat seit dem 16.08.2003 an den Kläger zu bewilligen.

Die Beklagte haben beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Das Landgericht hat der Klage in der Form stattgegeben, dass die Beklagten nicht als Gesamtschuldner sondern als Einzelpersonen zur Bewilligung der Freigabe verurteilt worden sind. Die streitige Kautionsregelung sei wirksam. Mögliche Gegenforderungen seien nicht substantiiert dargetan, womit eine Verwertung der Kaution nicht als rechtsmißbräuchlich einzustufen sei.

Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil.

Sie sind - unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages - der Auffassung, dass eine Inanspruchnahme der Kaution hinsichtlich einer zwischen den Mietparteien streitigen Forderung während der Mietzeit grundsätzlich nicht möglich sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die gestellte selbstschuldnerische Bürgschaft den im Vertrag gestellten Vorgaben, wonach eine Bürgschaft auf erstes Anfordern geschuldet werde, nicht entsprochen habe.

Die Beklagten beantragen:

Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Karlsruhe vom 30.12.2003 wird die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger verteidigt - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages - die Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber überwiegend unbegründet.

Die Beklagten sind jeweils nach § 535 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den im Mietvertrag enthaltenen Regelungen verpflichtet, dem Kläger die Herausgabe des beim Amtsgericht P. hinterlegten Guthabens zu bewilligen. Die Inanspruchnahme der Bürgschaft ist zulässig.

A.

Die unter § 6 Nr. 4 des Mietvertrags getroffenen Regelungen sind nach den Grundsätzen des § 9 AGBG a. F. als wirksam anzusehen.

1. Es stellt im Rahmen eines Mietvertrags über Räume zur gewerblichen Nutzung keine unangemessene Benachteiligung der Mieter dar, wenn der Vermieter als Kaution anstatt der Zahlung eines Geldbetrags die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern fordern kann.

In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGHZ 136, 27-33) wird für den Bereich der Bauverträge eine unangemessene Benachteiligung bejaht, wenn der Werkunternehmer durch eine formularmäßig erfolgte Vereinbarung verpflichtet wird, zur Sicherung eventueller Gewährleistungsansprüche eine Bürgschaft auf erstes Anfordern beizubringen. Der Besteller könne im Rahmen der Bürgschaft auf erstes Anfordern ohne schlüssige Darlegung einer entsprechenden Gewährleistungsverpflichtung die Bürgschaftsleistung in Anspruch nehmen. Der Werkunternehmer werde hierdurch - abgesehen von offensichtlichen Missbrauchsfällen - in aufwendige Rückforderungsverfahren verwickelt, in deren Verlauf die Berechtigung der Einwände des Bestellers erst überprüft werden würden. Diese Risikoverlagerung erfolge gegen die Grundsätze der gesetzlichen Regelungen und führe zu einer ungerechtfertigten Überbürdung des Bonitätsrisikos. Der Besteller könne sich im Rahmen der Bürgschaft auf erstes Anfordern ohne weiteres liquide Mittel verschaffen, für deren mögliche Rückführung nach Abschluss eines Rückforderungsprozesses der Werkunternehmer aber keinerlei entsprechende Sicherheiten erhalte.

Eine vergleichbar unangemessene Risikoverlagerung ist im Rahmen der getroffenen Kautionsregelung nicht ersichtlich (vgl. Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage, 1999, Rn. II 445a). Zwar kann auch hier der Vermieter die Bürgschaft ohne schlüssige Darstellung einer Hauptforderung in Anspruch nehmen. Es findet aber keine Überbürdung eines Bonitätsrisikos statt. Die Beibringung der Bürgschaft ersetzt in der vorliegenden vertraglichen Regelung lediglich die Auszahlung einer Barkaution an den Vermieter. Im Falle einer Barkaution trägt der Mieter aber bereits von Anfang an das Risiko einer später eintretenden Zahlungsunfähigkeit des Vermieters.

2. Auch die in § 6 Nr. 4 des Mietvertrags enthaltene Berechtigung des Klägers, sich schon während der Mietzeit aus der Kaution zu befriedigen und anschließend die Wiederauffüllung der Kaution fordern zu dürfen, stellt keine unangemessene Benachteiligung der Beklagten dar.

Eine Verwertung der Kaution während der Mietzeit ist durch die gesetzlichen Regelungen in keiner Weise beschränkt. Es ist in der Rechtsprechung und Literatur lediglich umstritten, ob ohne eine ausdrückliche vertragliche Regelung eine Inanspruchnahme der Kaution möglich sein soll, wenn der Mieter das Bestehen der Hauptforderung bestreitet (vgl. Bub/Treier, o.a., Rn. III 768; Kluth/Grün NZM 2002, 1015 ff.).

3. Eine unangemessene Benachteiligung ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenwirken der beiden Regelungen.

Eine Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern während der Mietzeit führt zu keiner weiteren Interessenverschiebung; die Verwertung einer Barkaution während der Mietzeit führt zu vergleichbaren, wirtschaftlichen Belastungen der Mieter.

B.

Die Inanspruchnahme der Bürgschaft ist nicht rechtsmissbräuchlich.

1. Nach unstreitigem Parteivortrag standen zum Zeitpunkt der Hinterlegung Anfang August 2003 die Mieten für die Monate Mai bis Juli 2003 offen. Nach § 551 Abs. 1 BGB a.F. waren die Mieten fällig. Dem Kläger stand damit ein durchsetzbarer Anspruch in Höhe von 15.478,35 € zu.

2. Dieser Mietzinsanspruch ist nicht durch Aufrechnung erloschen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Aufrechnung nicht bereits nach § 7 des Mietvertrags ausgeschlossen ist.

Ein aufrechenbarer Gegenanspruch der Beklagten ist jedenfalls nicht substantiiert dargetan. Der behauptete Gegenanspruch steht nicht den Beklagten, sondern einer Drittperson, der Fa. Oftec GmbH, zu; von einer entsprechenden Abtretung ist nichts vorgetragen. Im Übrigen sind die Grundlagen dieses Anspruches in keiner Weise dargestellt, obwohl hierauf erstinstanzlich bereits mehrfach hingewiesen worden ist.

C.

Mit Blick auf § 13 Abs. 2 HinterlO hat der Kläger aus § 535 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Erteilung der Bewilligung zur Herausgabe des hinterlegten Geldbetrags.

1. Die Bewilligung einer Freigabe kann nur im Hinblick auf das tatsächlich sich auf dem Hinterlegungskonto befindliche Guthaben verlangt werden.

Nach unstreitigem Parteivortrag wurde die Bürgschaftssumme von 12.782,30 € Anfang August 2003 von der Sparkasse P. beim Amtsgericht P. hinterlegt. Eine monatliche Verzinsung mit dem Satz von 1 0/00 erfolgt nach § 8 Nr. 1 HinterlO somit erst ab Anfang November 2003. Diese Verzinsung wird einen Monat vor der Auszahlungsverfügung enden. Der vom Kläger verfolgte Antrag und der vom Landgericht Karlsruhe getroffene Ausspruch gehen insoweit über das tatsächlich vorhandene Guthaben hinaus.

2. Der seit Mai 2003 offene Mietzins übersteigt die hinterlegte Bürgschaftssumme von 12.782,30 € sowie die zwischenzeitlich hieraus nach § 8 HinterlO angefallenen Zinsen um ein Erhebliches, so dass eine Herausgabe des gesamten sich auf dem Hinterlegungskonto befindlichen Guthabens verlangt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2, 97, 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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