Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 21.02.2007
Aktenzeichen: 1 U 169/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 371
ZPO § 767
Der Schuldner kann in entsprechender Anwendung von § 371 BGB die Herausgabe des Vollstreckungstitels verlangen, wenn das Erlöschen der titulierten Forderung unstreitig oder auf eine Vollstreckungsgegenklage hin ein die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärendes Urteil ergangen ist. Ist die Erfüllung streitig, setzt die Zulässigkeit der Herausgabeklage analog § 371 BGB jedoch voraus, dass der Schuldner gleichzeitig die Vollstreckungsgegenklage erhebt.
Oberlandesgericht Karlsruhe 1. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 1 U 169/06

Verkündet am 21. Februar 2007

In dem Rechtsstreit

wegen Herausgabe

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2007 unter Mitwirkung von

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg - 3 0 59/06 - vom 19. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines zwischen den Parteien geschlossenen Prozessvergleichs. Eine Vollstreckungsgegenklage neben der Herausgabeklage hat der Kläger nicht erhoben.

Am 20.02.2006 brachte der Kläger den vergleichsweise titulierten Betrag von 10.000.- € zur Einzahlung auf das Konto der Beklagten Nr. der Sparkasse X . Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger durch diese Zahlung frei geworden ist oder ob er mit befreiender Wirkung nur auf ein anderes, von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten bezeichnetes, Konto hätte leisten können. Der Kläger hat für den Fall, dass seine Zahlung nicht unmittelbar zur Erfüllung der Verbindlichkeit geführt haben sollte, hilfsweise die Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung erklärt. Die titulierte Forderung sei jedenfalls erloschen, weshalb die Beklagte die vollstreckbare Ausfertigung herausgeben müsse.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom ..... zum Aktenzeichen ... herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Kläger mit befreiender Wirkung nur auf das von ihrer Bevollmächtigten genannte Konto hätte leisten können. Da eine Gutschrift im Übrigen mangels Bestätigung durch das Kreditinstitut mit Nichtwissen bestritten werden müsse, habe dem Kläger auch kein Bereicherungsanspruch zugestanden, mit dem er gegen die titulierte Forderung hätte aufrechnen können.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Solange zwischen den Parteien Streit über die Erfüllung der titulierten Forderung bestehe, könne der Schuldner die Herausgabe des Vollstreckungstitels analog § 371 BGB nur dann verlangen, wenn er gleichzeitig die Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO erhebe. Die Klage sei außerdem unbegründet, weil der Kläger die Gutschrift des Betrages auf dem Konto der Beklagten nicht nachgewiesen habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Der Kläger hält die isolierte Herausgabeklage für zulässig. Es sei weder notwendig noch ausreichend, dass der Schuldner zunächst ein Urteil gemäß § 767 ZPO erwirke oder gleichzeitig die Vollstreckungsgegenklage erhebe. Auch sei außer Acht geblieben, dass die Beklagte vorprozessual mitgeteilt habe, von der Vollstreckung bis zu einer internen Abklärung absehen zu wollen. Die Vollstreckungsgegenklage sei in dieser Situation mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig; die Erhebung der Klage könne deshalb nicht ihrerseits Zulässigkeitsvoraussetzung einer Herausgabeklage analog § 371 BGB sein. Für die isolierte Herausgabeklage sprächen prozessökonomische Gründe, da die Frage, ob der titulierte Anspruch zwischenzeitlich erfüllt sei und aus dem Titel deshalb nicht mehr vollstreckt werden dürfe, inzidenter geprüft werden könne. Im Übrigen ist der Kläger der Auffassung, dass er die Gutschrift des streitgegenständlichen Betrages durch eine zulässigerweise nachgereichte Bestätigung des Kreditinstituts bewiesen habe.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 19.07.2006, Az. 3 O 59/06, aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom .... zum Aktenzeichen ... herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des zwischen den Parteien in dem Verfahren ... vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe geschlossenen Prozessvergleichs ist unzulässig, weil es der Kläger versäumt hat, neben der Herausgabeklage eine Vollstreckungsgegenklage zu erheben. Die Umstände des Einzelfalls rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Die Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines unter § 794 ZPO fallenden Titels ist in analoger Anwendung von § 371 BGB zulässig (BGHZ 127, 146-156; BGH MDR 1994, 479-480 m.w.N.; vgl. auch BGH MDR 2004, 1253-1254). Diese Analogie ist gerechtfertigt, weil der Schuldner ein berechtigtes Interesse an einer Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung selbst dann hat, wenn er mit der Vollstreckungsgegenklage obsiegt. Denn die Anwendung des § 371 BGB geht über die Wirkung des § 767 ZPO hinaus, weil sie dem Gläubiger jede Möglichkeit nimmt, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, während das der Vollstreckungsgegenklage stattgebende Urteil nur zur Einstellung der Zwangsvollstreckung führt (§ 775 Abs. 1 ZPO). Entsprechende Belege muss der Schuldner aufbewahren und dem Vollstreckungsorgan vorlegen, falls der Titelgläubiger gleichwohl vollstreckt. Für den Schuldner ist dies mit gewissen Unsicherheiten verbunden, die ausbleiben, wenn er selbst im Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung ist. Die vollstreckbare Ausfertigung verbrieft die Vollstreckungsbefugnis und kann deshalb aus der Sicht des Schuldners dem Schuldschein i.S.v. § 371 BGB gleichgestellt werden. Sein Besitz sichert den Schuldner, ebenso wie der Besitz des Schuldscheins, nach der Befriedigung des Gläubigers gegen eine nochmalige Inanspruchnahme.

2. Ob die Zulässigkeit der Herausgabeklage analog § 371 BGB allerdings - wie das Landgericht meint - grundsätzlich davon abhängt, dass der Schuldner zugleich auch die Vollstreckungsgegenklage erhebt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der Bundesgerichtshof hat die Frage ausdrücklich offen gelassen (BGHZ 127, 146-156). In den bislang entschiedenen Fällen war entweder das Erlöschen der titulierten Forderung zwischen den Parteien unstreitig oder es war bereits auf eine Vollstreckungsgegenklage hin ein die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärendes Gestaltungsurteil ergangen. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass in diesen Fällen eine Umgehung der besonderen Bestimmungen für die Vollstreckungsgegenklage nicht drohe und deren zusätzliche Erhebung jedenfalls dann nicht zu fordern sei.

In dem vorliegenden Rechtsstreit ist weder die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt worden, noch steht die Erfüllung der titulierten Forderung außer Streit. Für solche Fälle wird ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Zulässigkeit der Herausgabeklage davon abhänge, dass der Schuldner zugleich auch die Vollstreckungsgegenklage erhebe (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl. (seit 1993), § 724 Rdnr. 6; Staudinger/Olzen, BGB, Neubearbeitung 2000, § 371 Rdnr. 7; Palandt/ Grüneberg BGB, 66. Aufl. (2007) § 371 Rdnr. 4; MüKo-Wolfsteiner, ZPO, 2. Aufl. (2000), § 724 Rdnr. 45; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht (1999) § 4 VII; Lüke JZ 1956 S. 475 ff). Die gegenteilige Auffassung vertritt Wenzel in MüKo, BGB, 4. Aufl. ab 2000ff, § 371 Rdnr. 8. Danach sei es für die Zulässigkeit der Herausgabeklage analog § 371 BGB nicht notwendig oder auch nur ausreichend, dass der Schuldner zuvor ein Urteil gemäß § 767 ZPO erwirkt habe oder gleichzeitig die Vollstreckungsgegenklage erhebe. Voraussetzung einer erfolgreichen Herausgabeklage sei allein, dass Nicht-(mehr)-Bestehen des materiellen Anspruchs, welches der Titel nach § 767 ZPO aber nicht zum Inhalt habe.

3. Nach Auffassung des Senats ist die Herausgabeklage - außer in den durch den Bundesgerichtshof entschiedenen Sonderfällen - nur zulässig, wenn der Berufungskläger zugleich auch die Vollstreckungsgegenklage erhebt. Dies folgt aus der besonderen gesetzlichen Ausgestaltung der Vollstreckungsgegenklage und ihrer Funktion im System des Vollstreckungsrechts.

Die Klage gemäß § 767 ZPO ist ein spezieller Rechtsbehelf für das Gebiet der Zwangsvollstreckung, der den Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens durch zwingende Vorschriften Rechnung trägt (vgl. Lüke aaO.). Über die Klage entscheidet das Prozessgericht erster Instanz in ausschließlicher Zuständigkeit (§§ 767 Abs. 1, 802 ZPO); die Klage kann nur auf solche Einwendungen gegen die titulierte Forderung gestützt werden, die nach der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des Vorzprozesses entstanden sind (§ 767 Abs. 2 ZPO); hinzu kommt die besondere Präklusionsvorschrift in § 767 Abs. 3 ZPO. Wenn auch der Einwendungsausschluss nach § 767 Abs. 2 ZPO bei einem - hier streitgegenständlichen - Prozessvergleich nicht eingreift, so belegen die zitierten Bestimmungen doch insgesamt die prozessuale Sonderstellung der Vollstreckungsgegenklage. Die unbeschränkte Zulassung der (analogen) Klage auf Herausgabe des Vollstreckungstitels hätte zur Folge, dass sich sämtliche zitierten Bestimmungen umgehen ließen. Auch würde die Vollstreckungsgegenklage ihr praktisch wichtigstes Anwendungsgebiet, die nachträgliche Erfüllung bzw. den Eintritt nachträglicher Erfüllungssurrogate, verlieren, weil der Schuldner regelmäßig den Weg über die aus seiner Sicht weiter gehende Herausgabeklage wählen könnte (vgl. Lüke aaO.). In dieser Situation ist den mit der Ausgestaltung der Vollstreckungsgegenklage verfolgten Zwecken und dem Rechtsschutzziel des Schuldners gleichermaßen gedient, wenn der Schuldner für die Geltendmachung seiner Einwendungen zwar grundsätzlich auf die Vollstreckungsgegenklage verwiesen wird, er mit dem Antrag nach § 767 ZPO zugleich aber auch den Antrag auf Herausgabe des Titels analog § 371 BGB verbinden kann. Nur in Ergänzung zur Vollstreckungsgegenklage und über deren Gestaltungswirkung hinaus besteht auch eine Regelungslücke, die die analoge Anwendung von § 371 BGB auf Vollstreckungstitel rechtfertigt.

4. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt das vorprozessuale Schreiben der Beklagtenvertreterin (K 9) das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Vollstreckungsgegenklage nicht entfallen. In dem Schreiben heißt es, man wolle prüfen, ob eine Genehmigung der gegebenenfalls auf ein anderes Konto der Beklagten erfolgten Zahlung in Betracht komme oder nicht; bis zur Abklärung dieser Frage würden keine Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckungsgegenklage besteht nach allgemeiner Meinung, sobald eine Zwangsvollstreckung ernsthaft droht, was regelmäßig schon vor Erteilung der Vollstreckungsklausel der Fall ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Vollstreckung unzweifelhaft nicht beabsichtigt wird oder nicht mehr zu erwarten ist, insbesondere nach einer Herausgabe des Titels an den Schuldner (Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl. (2007), § 767 Rz. 8 m.w.N.). Danach kann die bloße Erklärung des Gläubigers, bis zu einer internen Abklärung von einer vollstreckbaren Ausfertigung keinen Gebrauch zu machen, die Vollstreckungsgegenklage nicht hindern. Dies gilt um so mehr, als nach dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten das Absehen von Vollstreckungshandlungen von einer Entscheidung der Beklagten, nämlich der Genehmigung der Zahlung auf ein bestimmtes Konto, abhängen sollte, die jederzeit und anders als von dem Kläger gewünscht ausfallen konnte. Hier konnte der Kläger nicht sicher davon ausgehen, dass eine Vollstreckung unterbleiben werde, zumal die Beklagte in demselben Schreiben die Herausgabe des Titels ausdrücklich verweigert hatte. Im Übrigen stand für den Kläger spätestens seit Eingang der Klagerwiderung vom 27.04. 2006 fest, dass eine Genehmigung der Zahlung nicht erfolgen werde.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt; sie kann sich über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Sachverhalten stellen.

Ende der Entscheidung

Zurück