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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 31.05.2006
Aktenzeichen: 1 U 214/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 305 c Abs. 2
BGB § 536
BGB § 536 a
ZPO § 259
1. Die in einem Formularmietvertrag über Gewerberäume enthaltene Klausel "Für Veränderungen an der Mietsache oder Störungen in ihrer Benutzbarkeit infolge höherer Gewalt oder sonstiger Umstände, die die Vermieterin nicht zu vertreten hat, kann die Mieterin weder die Miete mindern noch ein Zurückbehaltungsrecht ausüben noch Schadensersatz verlangen" ist wegen der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB dahin auszulegen, dass sie die Haftung der Vermieterin für anfängliche Mängel der Mietsache nicht ausschließt.

2. Begehrt der Mieter Ersatz seines künftigen Schadens für die während des Rechtsstreits noch fortdauernde Unbenutzbarkeit der Mietsache, so ist eine entsprechende Bedingung in das Urteil aufzunehmen (im Anschluss an RGZ 168, 325; BGHZ 43, 28).


Oberlandesgericht Karlsruhe

1. Zivilsenat

Im Namen des Volkes

Grund- und Teilurteil

Geschäftsnummer: 1 U 214/05

Verkündet am 31. Mai 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe im schriftlichen Verfahren nach dem Sach- und Streitstand vom 15. Mai 2006 durch

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13.09.2005 - 11 O 34/05 - im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen geändert.

Der Klageantrag 1 ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 7.281,37 Euro zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus

75,24 Euro ab dem 04.06.2005,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.07.2005,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.08.2005,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.09.2005,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.10.2005,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.11.2005,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.12.2005,

weiteren 286,37 Euro ab dem 04.03.2006,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.04.2006,

weiteren 866,22 Euro ab dem 04.05.2006.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, unter der Bedingung, dass die Nichtbenutzbarkeit der in den Mietverträgen vom 24.9.2003 und vom 9.12.2003 vermieteten Räume fortdauert, an die Klägerin folgende Beträge zu bezahlen, fällig jeweils zu den genannten Zeitpunkten und ab Fälligkeit verzinslich mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz:

866,22 Euro am 04.06.2006, 04.07.2006, 04.08.2006, 04.09.2006, 04.10.2006, 04.11.2006, 4.12.2006, 04.01.2007, 04.02.2007, 04.03.2007, 04.04.2007, 04.05.2007, 04.06.2007, 04.07.2007, 04.08.2007, 04.09.2007, 04.10.2007, 04.11.2007 und am 04.12.2007.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Mietverhältnis geltend.

Die beklagte GmbH betreibt seit 1990 als Rechtsnachfolgerin des Staatlichen Hafenamts M. den gesamten M. Hafen. Seit dieser Zeit ist sie Pächterin des im Hafengebiet liegenden Anwesens Xstraße 5. Dabei handelt es sich um ein 15-stöckiges Bürogebäude, das 1958 in Stahlbetonbauweise errichtet wurde und das im Eigentum des Landes B. steht. Mitte der 70er Jahre traten massive statische Probleme zutage, die eine Sanierung des Gebäudes erforderlich machten. Unter Zugrundelegung eines Sanierungsvorschlags wurden die unterdimensionierten Außenstützen durch das Einziehen von Stahlstützen verstärkt. Im Zuge der dieser Sanierungsmaßnahmen wurde zugleich eine Fassade angebracht. Eine Haltbarkeitsprognose oder Haltbarkeitsgewähr für die zukünftige Standfestigkeit des Gebäudes enthielt das Gutachten nicht.

Im September 2003 vermietete die Beklagte zu den in den Vertragsurkunden vom 24.09.2003 und 09.12.2003 niedergelegten Bedingungen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, mehrere Büroräume im 3. Obergeschoß des "Hauses Oberrhein" an die Klägerin. Der monatliche Mietzins betrug 1.934,54 Euro; das Mietverhältnis war bis 30.11.2008 befristet. Im Mietvertrag heißt es unter Ziff. 6.15:

"Für Veränderungen an der Mietsache oder Störungen in ihrer Benutzbarkeit infolge höherer Gewalt oder sonstiger Umstände, die die Vermieterin nicht zu vertreten hat, kann die Mieterin weder die Miete mindern, noch ein Zurückbehaltungsrecht ausüben, noch Schadensersatz verlangen."

Im Jahre 2004 veranlasste die Beklagte Arbeiten an den Fenstern und der Fassadenverkleidung des Gebäudes. Bei der Demontage der Fassade im Mai 2004 zeigten sich vor allem an den Außenseiten der tragenden Stahlbetonbauteile massive Betonschäden infolge Bewehrungskorrosion, verbunden mit großflächigen Betonabplatzungen. Eine von der Beklagten in die Wege geleitete Überprüfung des Gebäudes durch Fachleute ergab, dass dessen Standsicherheit akut gefährdet war. Infolgedessen veranlaßte sie im Juli 2004 die sofortige Räumung des gesamten Gebäudes und ergriff umgehend Notmaßnahmen zur Sicherung der Standfestigkeit. Das Gebäude wird gegenwärtig saniert und ist voraussichtlich im Juni 2006 wieder bezugsfertig.

Die Klägerin mietete daraufhin - für die Zeit von August bis Dezember 2004 als Untermieterin, ab 01.01.2005 als Hauptmieterin - Ersatzbüroräume in der Janderstraße 7 in Mannheim zu einem monatlichen Mietzins von 2.850,97 Euro an....

Mit dem Klageantrag 1 hat die Klägerin Ersatz des ihr durch Räumung und Umzug entstandenen Schadens (Einlagerungskosten für Mobiliar, Kosten für die Demontage und Montage von Telefon- und Computeranlagen sowie Kosten für die Neueinrichtung der Büroräume) in Höhe von insgesamt 15.939,01 Euro begehrt....

Mit dem Klageantrag 2 hat die Klägerin die Feststellung verlangt, dass die Beklagte verpflichtet sei, die ihr infolge des notwendigen Umzugs in neue Räumlichkeiten bis Ende 2007 zusätzlich anfallenden Mietkosten zu ersetzen....

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Gewährleistungsklausel dahin ausgelegt, dass sie die Haftung für anfängliche Mängel ausschließe....

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie stützt sich auf den im Berufungsrechtszug unstreitig gewordenen Umstand, dass es sich bei dem Mietvertrag der Parteien um einen Formularvertrag handelte. Deshalb scheitere die Auslegung des Landgerichts schon an § 305 c Abs. 2 BGB. Sei diese Auslegung gleichwohl zutreffend, so benachteilige der umfassende Gewährleistungssausschluss die Klägerin unangemessen und sei nach § 307 BGB unwirksam. Die Klägerin hält ferner an ihrer Ansicht fest, auch bei Wirksamkeit der Gewährleistungsklausel habe die Beklagte den Mangel zu vertreten, da sie ihn habe kennen müssen.

Unter teilweise Abänderung ihres erstinstanzlichen Begehrens beantragt die Klägerin:

1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mannheim vom 13.09.2005 verurteilt, an die Klägerin 15.939,01 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 16.11.2004 zu zahlen;

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, der Klägerin folgenden künftigen Schaden zu ersetzen:

326,29 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.06.2005,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.07.2005,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.08.2005,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.09.2005,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.10.2005,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.11.2005,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.12.2005,

386,79 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.03.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.04.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.05.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.06.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.07.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.08.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.09.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.10.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.11.2006,

916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.12.2006,

jeweils 916,43 Euro verzinslich mit 8 %-Punkten über Basiszinssatz ab dem 04.01.2007, 04.02.2007, 04.03.2007, 04.04.2007, 04.05.2007, 04.06.2007, 04.07.2007, 04.08.2007, 04.09.2007, 04.10.2007, 04.11.2007 und 04.12.2007.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bringt vor, § 305 c Abs. 2 BGB komme nur zur Anwendung, wenn eine Auslegung keine Klarheit bringe. Die Auslegung des Landgerichts sei jedoch zutreffend. Zu berücksichtigen sei auch, dass in gewerblichen Mietverträgen die Haftung für anfängliche Mängel "regelmäßig" abbedungen werde.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet; teilweise hat sie nur vorläufig Erfolg.

1. Die Klägerin kann wegen des - unstreitigen - Mangels der Mietsache Schadensersatz nach § 536 a Abs. 1 BGB beanspruchen. Ziff. 6.15 des Mietvertrages steht dem nicht entgegen.

a) Der Wortlaut der Klausel -"Veränderungen an der Mietsache oder Störungen in ihrer Benutzbarkeit infolge höherer Gewalt oder sonstiger Umstände" - spricht zunächst dagegen, dass ein Gewährleistungsausschluss auch für bei Beginn des Mietverhältnisses bereits vorhandene Fehler vereinbart wurde. Denn die verwendeten Begriffe beziehen sich sowohl nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens, aber auch dann, wenn sie wie hier im Zusammenhang mit einer Gewährleistungsregelung benutzt werden, eher auf zukünftige als auf bereits eingetretene Ereignisse. Das Landgericht hat die von ihm gefundene, abweichende Auslegung in erster Linie darauf gestützt, dass für die Ausschlußklausel nur ein verhältnismäßig schmaler Anwendungsbereich verbleibe, wenn sie nur für nachträgliche Mängel gelten würde. Dieser Auslegung ist nicht zwingend, aber möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze und erschöpft in ihrer ausführlichen Begründung alle relevanten Umstände des Sachverhalts. Sie wäre daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn es bei der Auslegung des Mietvertrages um die Interpretation einer Individualvereinbarung ginge (wovon das Landgericht aufgrund des erstinstanzlichen Parteivorbringens auszugehen hatte).

b) Nachdem jedoch im Berufungsrechtszug unstreitig geworden ist, dass es sich um einen Formularvertrag handelte, ist § 305 c Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Zwar kommt diese Vorschrift nicht schon stets dann zur Anwendung, wenn unterschiedliche Auslegungen möglich sind, sondern erst dann, wenn von diesen nach den vorrangigen allgemeinen Auslegungsprinzipien keine den klaren Vorzug verdient (BGH NJW 2002, 3232/34 zu § 5 AGBG). Im vorliegenden Fall verdient die Auslegung des Landgerichts aber weder den klaren Vorzug noch ist sie "weitaus näher liegend" (BGH a.a.O.); sie ist vielmehr, wie dargelegt, lediglich möglich und - allenfalls - ebenso plausibel wie die gegenteilige Auslegung. Die Beklagte weist zwar richtig darauf hin, dass die Rechtsprechung es gestattet, die Gewährleistungshaftung des Vermieters für anfängliche Mängel - auch formularmäßig - abzubedingen. Nach den Erfahrungen des Gerichts mit zahlreichen gewerblichen Mietverträgen trifft es aber nicht zu, dass das in solchen Verträgen "regelmäßig" geschieht. Auch wenn diese Haftung häufig ausgeschlossen wird, ist jedoch gleichwohl zu fordern, dass der Vermieter seinen entsprechenden Willen eindeutig zum Ausdruck bringt. Da somit für keine der beiden möglichen Auslegungen überwiegende Gründe ins Feld geführt werden können, verbleiben Zweifel, die sich hier zu Lasten der Beklagten als Verwenderin und damit gegen die Annahme eines auch anfänglichen Mängel umfassenden Gewährleistungsausschlusses auswirken müssen.

c) Es kann danach offen bleiben, ob die streitige Klausel, wenn sie gleichwohl im Sinn der Beklagten auszulegen wäre, gegen § 307 BGB verstieße. Ebenso bedarf keiner Entscheidung, ob die Beklagte bei einer Anwendung der Klausel den Mangel zu vertreten hätte.

2. Die Beklagte schuldet daher Schadensersatz für die höheren Mietaufwendungen der Klägerin in den angemieteten Ersatzräumen. (wird ausgeführt)

Bei den ab Juni 2006 fällig werdenden Beträgen handelt es sich um künftige Leistungen. Gemäß § 259 ZPO ist die Klage auch insoweit zulässig, weil die Beklagte den Schadensersatzanspruch ernstlich bestreitet. Der künftige Schaden der Klägerin tritt allerdings nur unter der Voraussetzung ein, dass die Unbenutzbarkeit der Mietsache fortdauert; ab dem Zeitpunkt der Behebung des Mangels schuldet die Beklagte keinen Schadensersatz mehr. Das steht der Zulässigkeit einer Klage nach § 259 ZPO jedoch nicht entgegen; vielmehr ist in einem solchen Fall die Bedingung das Urteil aufzunehmen (RGZ 168, 325; BGHZ 43, 28). Da die Klägerin das Fortbestehen der Unbenutzbarkeit zu Vollstreckungszwecken beweisen müsste, kommt dieser Verurteilung praktisch keine weitergehende Bedeutung zu als einem Feststellungsausspruch.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist allerdings die Mietdifferenz nach Wiederherstellung der Mieträume unter dem Gesichtspunkt ersparter Kosten für einen Rückumzug auch dann nicht ersatzfähig, wenn die Klägerin, ihrer bereits erklärten Absicht gemäß, die von der Beklagten gemieteten Räume nicht wieder bezieht. Ein Vorteilsausgleich zu Lasten des Schädigers findet im Schadensersatzrecht nicht statt.

...

3. Hinsichtlich der von der Klägerin zusätzlich begehrten Umzugskosten ist der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif. Deshalb hatte gemäß § 304 ZPO ein Grundurteil zu ergehen. Mit der für den Erlass eines solchen Urteils ausreichenden Wahrscheinlichkeit steht jetzt schon fest, dass der Klageanspruch auch insoweit zumindest teilweise besteht.

...



Ende der Entscheidung

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