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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 23.08.2000
Aktenzeichen: 11 Wx 12/00
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 10
WEG § 16 Abs. 2
WEG § 21
WEG § 23
1. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann einen bestandskräftigen "vereinbarungsersetzenden" Eigentümerbeschluss auch dann durch Mehrheitsbeschluss aufheben und zu den Vereinbarungen der Gemeinschaft zurückkehren, wenn der "vereinbarungsersetzende" Erstbeschluss mit den Stimmen aller Wohnungseigentümer gefasst wurde (Fortführung von Senatsbeschluss vom 31.05.2000, 11 Wx 96/99 = NZM 2000, 869 = WuM 2000, 499).

2. Ein Wohnungseigentümer kann regelmäßig darauf vertrauen, dass die laufenden Kosten der Gemeinschaft nach demjenigen Verteilungsschlüssel abgerechnet werden, der der Vereinbarungs- und Beschlusslage im betreffenden Abrechnungszeitraum entspricht; er muss nicht damit rechnen, dass dieser Schlüssel mit Rückwirkung für bereits abgeschlossene Abrechnungszeiträume willkürlich verändert wird.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 11. Zivilsenat

11 Wx 12/00 7 T 12/99 LG Hbg 41 UR 18 / 99 AG Hbg

Karlsruhe, den 23. August 2000

In der Wohnungseigentumssache

Beschluß

Gründe:

I.

Die Beteiligten sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die aus fünf Wohnungen besteht. Sie streiten über die Gültigkeit von mehreren Beschlüssen, die in der Eigentümerversammlung vom 09.01.1999 gefasst wurden.

Nach § 11 der Teilungserklärung werden die Kosten für Heizung und Wasser nach Verbrauch, die Verwaltergebühren nach der Anzahl der Wohnungen und alle übrigen Kosten nach Miteigentumsanteilen abgerechnet. In der Versammlung vom 16.01.1991 beschlossen die (werdenden) Eigentümer, die Kosten für den Gemeinschaftsstrom nach der Anzahl der Wohnungen und diejenigen für Straßenreinigung / Müllabfuhr nach der Zahl der Bewohner abzurechnen. Der Beschluss wurde nicht angefochten; auf seiner Grundlage erfolgte die Kostenverteilung bis einschließlich 1993.

In der Eigentümerversammlung vom 09.01.1999 beschloss die Gemeinschaft gegen die Stimme der Antragstellerin, den Beschluss vom 16.01.1991 aufzuheben und zu den Regeln der Teilungserklärung "für die noch ausstehenden und zukünftigen Abrechnungen" zurückzukehren (TOP 1). Anschließend beschlossen die Eigentümer die auf der Grundlage von § 11 der Teilungserklärung erstellten Jahresabrechnungen der Abrechnungszeiträume 1994, 1995, 1996 und 1997 (TOP 2, 4 - 6) sowie die "Planung Folgezeit" auf der Basis der Jahresabrechnung 1997 (TOP 7). Unter TOP 8 wurde dem Verwalter für die Jahresabrechnungen 1995, 1996 und 1997 Entlastung erteilt.

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Amtsgericht diese Beschlüsse für ungültig erklärt. Auf die Beschwerde der Antragsgegner hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts insoweit aufgehoben, als der unter TOP 1 gefasste Beschluss der Eigentümer, für die Zukunft zum Kostenverteilungsschlüssel der Teilungserklärung zurückzukehren, für ungültig erklärt worden ist; die weitergehende Beschwerde der Antragsgegner hat es zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner, mit der sie ihr Ziel, die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen, weiter verfolgen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. In der Sache hat es jedoch keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass die Eigentümergemeinschaft durch den am 09.01.1999 gefassten Mehrheitsbeschluss den Eigentümerbeschluss vom 16.01.1991 aufheben und zur Kostenverteilung nach der Teilungserklärung zurückkehren konnte, dies jedoch keine Wirkung für zurückliegende Abrechnungszeiträume hat.

1. Der Eigentümerbeschluss vom 16.01.1991 hat den Kostenverteilungsschlüssel der Teilungserklärung wirksam abgeändert. Bei der in § 11 Nr. 7 der Teilungserklärung enthaltenen Regelung über die Kostenverteilung in der Gemeinschaft handelt es sich zwar um eine Vereinbarung der Eigentümer, die - weil die Teilungserklärung insoweit die Möglichkeit einer Änderung durch Mehrheitsbeschluss nicht vorsieht - grundsätzlich nur durch eine weitere Vereinbarung aller Eigentümer geändert werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist jedoch ein Beschluss der Wohnungseigentümer, der nicht innerhalb der Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG angefochten und damit bestandskräftig wird, auch dann für die Gemeinschaft verbindlich, wenn es eigentlich einer Vereinbarung bedarf; ein solcher Beschluss kann zu einer wirksamen Änderung des in der Teilungserklärung vereinbarten Kostenverteilungsschlüssels führen (BGHZ 127, 99, 102 ff). Da er nicht in den dinglichen Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift, wirkt er gem. § 10 Abs. 3 WEG auch ohne Eintragung im Grundbuch für und gegen etwaige Sondernachfolger der Wohnungseigentümer (BGHZ 127, 99, 104 f; BGHZ 129, 329, 332).

Da der Eigentümerbeschluss vom 16.01.1991 nicht angefochten wurde, wurde er für die Kostenverteilung der Gemeinschaft verbindlich. Diese Bindungswirkung entfiel auch nicht durch die nachfolgende Veräußerung einer Sondereigentumseinheit. Schließlich ist auch unschädlich, dass die Eigentümer zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht als solche im Grundbuch eingetragen waren. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Senatsbeschlusses vom 16.07.1998 (11 Wx 38/98) Bezug. Die noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz vertretene Ansicht der Antragsgegner, der Beschluss vom 16.01.1991 sei nichtig und damit unbeachtlich, ist unzutreffend.

2. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wie in der Literatur ist anerkannt, dass ein bestandskräftiger Eigentümerbeschluss auch dann, wenn er "vereinbarungsersetzenden" Charakter hat, grundsätzlich durch einen erneuten Beschluss der Eigentümergemeinschaft geändert werden kann (KG ZflR 1998, 423, 424; KG WuM 1996, 647; Staudinger/Kreuzer, GBG, 12. Aufl., § 10 WEG RdNr. 60; Röll in Münchner Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 23 WEG RdNr. 23; Palandt/Bassenge, BGB, 59. Aufl., § 10 WEG RdNr. 19), sofern dieser nicht eine erneute Abweichung von den Vereinbarungen der Gemeinschaft beinhaltet, was bei einer Aufhebung des "vereinbarungsersetzenden" Beschlusses und einer Rückkehr zur Regelung der Teilungserklärung nicht der Fall ist (Senatsbeschluss vom 31.05.2000, NZM 2000, 869 = WuM 2000, 499).

In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob der "vereinbarungsersetzende" Beschluss der Gemeinschaft vom 16.01.1991 mit den Stimmen aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer gefasst wurde, wie die Antragstellerin behauptet. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, konnte die Mehrheit der Eigentümer beschließen, den früheren Eigentümerbeschluss aufzuheben und zur Regelung der Teilungserklärung zurückzukehren; die Anerkennung der grundsätzlichen Bindungswirkung vereinbarungswidriger, aber bestandskräftiger Eigentümerbeschlüsse hat nicht zur Folge, dass ihre Aufhebung ihrerseits nur durch eine Vereinbarung aller Eigentümer möglich wäre (Senatsbeschluss vom 31.05.2000 a.a.O.). Damit konnte die Mehrheit der Eigentümer - wie mit dem am 09.01.1999 unter TOP 1 gefassten Beschluss geschehen - den Beschluss vom 16.01.1991 aufheben und zur Kostenverteilung nach § 11 der Teilungserklärung zurückkehren.

3. Im Ergebnis zutreffend nimmt die angefochtene Entscheidung an, dass dies nicht für zurückliegende Abrechnungszeiträume gilt.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist im Grundsatz befugt, auch über eine bereits geregelte Angelegenheit erneut zu beschließen. Sie muss bei der erneuten Beschlussfassung jedoch die schutzwürdigen Belange ihrer Mitglieder berücksichtigen, die sich aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses ergeben (BGHZ 113, 197, 200; BayObLG WuM 1992, 156, 157; BayObLGZ 1994, 339, 344). Ein Wohnungseigentümer kann regelmäßig auch dann, wenn der Kostenverteilungsschlüssel durch Mehrheitsbeschluss geändert werden kann, darauf vertrauen, dass die laufenden Kosten der Gemeinschaft nach demjenigen Verteilungsschlüssel abgerechnet werden, der der Vereinbarungs- und, Beschlusslage im betreffenden Abrechnungszeitraum entspricht; er muss nicht damit rechnen, das dieser Schlüssel mit Rückwirkung für bereits abgeschlossene Abrechnungszeiträume willkürlich verändert wird. Anders mag dies sein, wenn der geltende Verteilungsschlüssel unpraktikabel ist oder zu grob unbilligen Ergebnissen führt (vgl. BayObLG WuM 1992, 156, 157). Ist dies nicht der Fall, greift eine durch Mehrheitsbeschluss bewirkte rückwirkende Änderung des Kostenverteilungsschlüssels regelmäßig in schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer ein.

Der im bestandskräftigen Beschluss vom 16.01.1991 festgelegte Verteilungsschlüssel gem. der Anzahl der Wohnungen bzw. der Anzahl der Personen (vgl. AS 237) ist weitverbreitet und führt zu angemessenen Ergebnissen. Der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 09.01.1999, diesen Schlüssel rückwirkend für die Abrechnungszeiträume 1994 1998 abzuändern, ist daher für ungültig zu erklären.

4. Aus der Unzulässigkeit der rückwirkenden Änderung des Verteilungsschlüssels folgt die Ungültigkeit der Beschlüsse zu TOP 2 (Jahresabrechnung 1994), TOP 4 - 6 (Jahresabrechnungen 1995 - 1997), TOP 7 (Planung auf der Grundlage der Jahresabrechnung 1997) und TOP 8 (Entlastung des Verwalters für die Jahresabrechnungen 1995 - 1997).

Ende der Entscheidung

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