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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 19.08.2004
Aktenzeichen: 12 U 135/04
Rechtsgebiete: AVB Leibrentenversicherung Fassung 1979, VAHRG


Vorschriften:

AVB Leibrentenversicherung Fassung 1979 § 7 Nr. 1
VAHRG § 3 a Abs. 1 Satz 1
Eine gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG zu zahlende Rente ist in einer vor Inkrafttreten des VAHRG abgeschlossenen Leibrentenversicherung nicht als Witwenrente im Sinne von § 7 Nr.1 AVB Leibrentenversicherung anzusehen.
Oberlandesgericht Karlsruhe 12. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 12 U 135/04

Verkündet am 19. August 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Rentenleistung aus einer Leibrentenversicherung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 19. August 2004 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Zöller Richterin am Landgericht von Pentz Richter am Oberlandesgericht Dr. Stecher

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Februar 2004 - 10 0 159/03 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Zusatzrente aus einer Leibrentenversicherung, der die AVB für Leibrentenversicherungen in der Fassung vom August 1979 zugrunde. Zu Gunsten der damaligen Ehefrau des Klägers wurde gemäß § 7 Nr. 1 AVB eine Witwenrente in Höhe von 65 % der Altersrente mitversichert. In § 7 Nr. 4 AVB ist Folgendes bestimmt:

"Ist Witwenrente mitversichert und steht bei Beginn des Bezugs der Altersrente fest, dass Ansprüche auf Witwenrente nicht geltend gemacht werden können, so wird eine Zusatzrente in Höhe von 50 % der versicherten Witwenrente gewährt."

Die Ehe des Klägers wurde 1993 geschieden. Durch Beschluss des Familiengerichts wurde ein Teil der betrieblichen Rentenanwartschaften des Klägers gemäß § 3 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich einbezogen. Hinsichtlich des restlichen Teils wurden die Parteien auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen. Der Kläger bezieht bedingungsgemäß seit 01.02.2003 von der Beklagten die monatliche Altersrente. Er begehrt die in § 7 Nr.4 AVB geregelte Zusatzrente. Die hält § 7 Nr. 4 AVB für unanwendbar, da noch ein schuldrechtlicher Versorgungsausgleich vorzunehmen sei und daher Ansprüche der geschiedenen Ehefrau des Klägers gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG gegen sie als Träger der Versorgung in Betracht kämen. Eine gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG zu zahlende Rente sei als Witwenrente anzusehen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Zusatzrente aus einer Leibrentenversicherung.

Dem Versicherungsverhältnis, das von seinem früheren Arbeitgeber im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrages begründet und im Jahr 1981 vom Kläger als Versicherungsnehmer fortgeführt wurde, liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für Leibrentenversicherungen in der Fassung vom August 1979 (im folgenden AVB) zugrunde. Zu Gunsten der damaligen Ehefrau des Klägers wurde gemäß § 7 Nr. 1 AVB eine Witwenrente in Höhe von 65 % der Altersrente mitversichert. In § 7 Nr. 4 AVB ist Folgendes bestimmt:

Ist Witwenrente mitversichert und steht bei Beginn des Bezugs der Altersrente fest, dass Ansprüche auf Witwenrente nicht geltend gemacht werden können, so wird eine Zusatzrente in Höhe von 50 % der versicherten Witwenrente gewährt.

Die Ehe des Klägers wurde im Jahre 1993 geschieden. Im abgetrennten Verfahren wurde durch Beschluss des Familiengerichts Z. vom 17.12.1998 unter anderem auch ein Teil der betrieblichen Rentenanwartschaften des Klägers gemäß § 3 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich einbezogen. Hinsichtlich des restlichen Teils wurden die Parteien auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen. Der Kläger bezieht bedingungsgemäß seit 01.02.2003 von der Beklagten die monatliche Altersrente.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe wegen der Scheidung seiner Ehe gemäß § 7 Nr. 4 AVB eine Zusatzrente in Höhe von 50 % der versicherten Witwenrente zu.

Dem tritt die Beklagte entgegen. Sie hält § 7 Nr. 4 AVB für unanwendbar, da noch ein schuldrechtlicher Versorgungsausgleich vorzunehmen sei und daher Ansprüche der geschiedenen Ehefrau des Klägers gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG gegen sie als Träger der Versorgung in Betracht kämen. Eine gemäß § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG zu zahlende Rente sei als Witwenrente anzusehen.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen verwiesen wird, hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt,

an den Kläger auf Grund der zwischen den Parteien bestehenden Leibrentenversicherung, Versicherungsschein vom 30.01.1981, Vers.-Nr. 47549, beginnend mit dem 01.02.2003 eine Zusatzrente in Höhe von 50 % der versicherten Witwenrente zu bezahlen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte den erstinstanzlichen Abweisungsantrag weiter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist zur Zahlung der vom Kläger begehrten Zusatzrente verpflichtet. Dies ergibt die Auslegung von § 7 Nr. 4 AVB.

1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie eine durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83, 85).

2. Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass danach die Anspruchsvoraussetzungen für eine Zusatzrente nach § 7 Nr. AVB hier gegeben sind. Unstreitig wurde zu Gunsten der früheren Ehefrau des Klägers gemäß § 7 Nr. 1 AVB eine Witwenrente in Höhe von 65 % der Altersrente mitversichert. Seit 01.02.2003 bezieht der Kläger die Altersrente. Bei Beginn des Bezugs der Altersrente des Klägers stand auch fest, dass Ansprüche auf Witwenrente nicht geltend gemacht werden können.

a) Eine Geltendmachung der bedingungsgemäßen Witwenrente gemäß § 7 AVB kommt nur durch die frühere Ehefrau des Klägers als Mitversicherte und daher allenfalls bei einer Wiederheirat in Betracht. Bei Beginn des Bezugs der Altersrente des Klägers stand jedoch fest, dass die frühere Ehefrau selbst in diesem - theoretischen - Fall keine Ansprüche auf Witwenrente würde geltend machen können. Denn gemäß § 7 Nr. 3 AVB bestehen Ansprüche auf Hinterbliebenenrente nicht, wenn der Versicherte erst nach Beginn des Altersrentenbezugs geheiratet hat.

b) Ein etwaiger Anspruch der geschiedenen Ehefrau gegen die Beklagte nach § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG kann entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht als Anspruch auf Witwenrente im Sinne von § 7 Nr. 4 AVB verstanden werden.

aa) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer geht vom Klauselwortlaut aus. Ansprüche auf Witwenrente sind sowohl nach allgemeinem Sprachgebrauch als auch im Verständnis der Rechtssprache (vgl. etwa §§ 46 SGB VI, 19 BeamtVG) solche der im Zeitpunkt seines Versterbens mit dem Versicherungsnehmer verheirateten Ehefrau. Soweit die Beklagte im zweiten Rechtszug erstmals dargelegt hat, nach der Rechtslage bei Vertragsabschluss habe auch eine geschiedene Ehefrau, wenn ihr bei Versterben des früheren Ehemannes ein Unterhaltsanspruch zustand, "Witwenversorgung" (vom Träger der gesetzlichen Rentenversicherung) beanspruchen können, begründet dies kein abweichendes Verständnis. Der - kaum substantiierte - Vortrag bezieht sich wohl auf die in § 1265 der früheren Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgesehene sogenannte Geschiedenen-Hinterbliebenenrente. Diese hat der Gesetzgeber seinerzeit jedoch begrifflich klar von der in § 1264 RVO geregelten Witwenrente im obigen Sinne unterschieden (vgl. auch § 1291 Abs. 3 RVO).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt dem Zusammenhang des § 7 Nr. 4 AVB mit § 7 Nr. 1 Satz 1 AVB weiterhin, dass als Witwenrente im Sinne der Versicherungsbedingungen nur die Ansprüche der Witwe auf die zu ihren Gunsten bei der Beklagten versicherte Witwenrente gemeint sind. Demgegenüber handelt es sich bei dem Anspruch nach § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG um einen gesetzlichen Anspruch der geschiedenen Ehefrau eines verstorbenen Versorgungsberechtigten gegen den Träger der im Wege des schuldrechtlichen Versorgungsausgleich auszugleichenden Versorgung. Diesen Anspruch als einen solchen auf Witwenrente im Sinne von § 7 Nr. 4 AVB anzusehen, ist mit dem Bedingungswortlaut - auch im Verständnis des verständigen Versicherungsnehmers - unvereinbar.

bb) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, dass jedenfalls nach dem Sinn und Zweck des § 7 Nr. 4 AVB und nötigenfalls im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auch mögliche Ansprüche der geschiedenen Ehefrau im Rahmen des verlängerten schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs als Ansprüche auf Witwenrente im Sinne von § 7 Nr. AVB verstanden werden müssten.

Dem erkennbaren Sinn des § 7 Nr. 4 AVB nach verspricht die Beklagte dem Versicherten eine erhöhte Rente, weil die mitversicherte Witwenrente - zum Beispiel wegen Scheidung oder Todes der Ehefrau - nicht mehr geltend gemacht werden, mithin sich das mitversicherte Risiko einer Leistungsverpflichtung zu Gunsten der Witwe nicht mehr realisieren kann. Dem Versicherten wird also ersichtlich eine Sonderleistung für den Wegfall des mitversicherten Risikos, für das entsprechende Beiträge entrichtet worden sind, in Aussicht gestellt. Beim Kläger stand zu Beginn des Bezugs der Altersrente fest, dass sich dieses Risiko nicht mehr verwirklichen kann. Es entspricht daher auch dem erkennbaren Sinn der Klausel, ihm die Zusatzrente zu gewähren.

Die Beklagte meint allerdings, dass das Verständnis des § 7 Nr. 4 AVB wegen des erst nach Abschluss des Leibrentenversicherungsvertrages in Kraft getretenen VAHRG vom 21.02.1983 (BGBl. I S. 105), das die Beklagte in dem bereits bestehenden Vertrag mit dem Kläger nicht mehr habe berücksichtigen können, im Wege der ergänzenden Auslegung angepasst werden müsse. Der Versicherungsvertrag sei durch die Einführung des Rechtsinstituts des Versorgungsausgleichs lückenhaft geworden. Die Beklagte laufe entgegen dem Sinn des § 7 Nr. 4 AVB nunmehr Gefahr, sowohl vom Versicherungsnehmer als auch von der geschiedenen Ehefrau in Anspruch genommen zu werden. Eine solche doppelte Leistung sei jedoch zweifelsfrei nach § 7 Nr. AVB nicht gewollt gewesen.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass eine ergänzende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Gunsten des Verwenders nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Auflage, § 305 c Rn 17 m.w.N.), fehlt es bereits an einer anzuerkennenden Regelungslücke als Voraussetzung einer solchen Auslegung. Zwar trifft es zu, dass der Beklagten, die eine Versorgungszusage mit Hinterbliebenenversorgung erteilt hat, durch § 3 a Abs. 1 Satz VAHRG ein zusätzliches und bei Altverträgen versicherungsmathematisch nicht kalkuliertes Risiko auferlegt wurde, da nach dem Tod des Versicherten möglicherweise noch Leistungen an die geschiedene Ehefrau erbracht werden müssen. Dieses Risiko wurde dem privaten Versorgungsträger jedoch - in verfassungsgemäßer Weise - mit Rücksicht darauf zugemutet, dass der im schuldrechtlichen Versorgungsausgleich ausgleichsberechtigte Ehegatte die zugesagte Versorgung während der Ehe miterwirtschaftet und auf Grund der zwischen den Ehegatten vereinbarten Arbeitsteilung, die durch die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung erleichtert wurde und regelmäßig auch dem Arbeitgeber zu Gute kam, keine eigenen Versorgungsanwartschaften erworben hat (vgl. BVerfGE 89, 48 unter C I 2 d). Diese gesetzgeberische Entscheidung und die ihr daraus erwachsenden Nachteile muss die Beklagte hinnehmen. Es geht nicht an, diese Nachteile im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf die Versicherten bzw. Versorgungsberechtigten abzuwälzen, ohne dass dies im Bedingungswortlaut eine Stütze findet.

Abgesehen davon ist das dem Versorgungsträger aufgebürdete zusätzliche Risiko von vornherein in mehrfacher Hinsicht begrenzt (vgl. BVerfGE a.a.O.). Die Ausgleichsrente ist in aller Regel geringer als die Hinterbliebenenversorgung, weil sie im Höchstfall nur die Hälfte der vom Ausgleichspflichtigen während der Ehe erworbenen Anwartschaften erreichen kann (§ 1587 g Abs. 1 Satz 1 VAHRG). Im Streitfall handelt es sich sogar, nachdem das Familiengericht die Ansprüche gegen die Beklagte teilweise bereits in den öffentlich rechtlichen Versorgungsausgleich einbezogen hat, um einen noch deutlich geringeren, vom Kläger im ersten Rechtszug unwidersprochen mit 10,61 % einer etwaigen Witwenrente bezifferten Betrag. Die Zahlungspflicht des Versorgungsträgers wird weiter dadurch eingeschränkt, dass der oder die Ausgleichsberechtigte die Ausgleichsrente erst verlangen kann, wenn er oder sie erwerbsunfähig oder 65 Jahre alt ist (§ 1587 g Abs. 1 Satz 2 VAHRG). Schließlich sind - was im vorliegenden Fall des nicht wieder verheirateten Klägers nicht einschlägig ist - Leistungen an eine Witwe um die Ausgleichsrente zu kürzen, wobei die Kürzung auch nach dem Tod des Ausgleichsberechtigten bestehen bleibt (§ 3 a Abs. 4 Satz 1 u. 2 VAHRG). Auch in Anbetracht dieser typischerweise wesentlich geringeren Belastungen, die die Beklagte auf Grund der Regelung des § 3 a Abs. 1 Satz 1 VAHRG im Vergleich zu einer gemäß § 7 Nr. 1 AVB zugesagten Witwenrente tragen muss, verbietet sich die Annahme einer zu ihren Gunsten ergänzungsbedürftigen Regelungslücke des Bedingungswerks. In der späteren Rechtsänderung kann keine für die Beklagte nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des versicherungsvertraglichen Äquivalenzverhältnisses gesehen werden.

3. Da die Höhe der dem Kläger zustehenden Zusatzrente hinreichend bestimmbar ist, durfte das Landgericht hierüber auch hinsichtlich zukünftiger Leistungen ein Leistungsurteil erlassen (§ 258 ZPO) .

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

Ende der Entscheidung

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