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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 23.10.2001
Aktenzeichen: 12 U 179/00
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 43 Nr. 1
VVG § 44
Zur Wissenszurechnung bei Vermittlungspersonen, die vom Versicherungsnehmer nicht als Versicherungsmakler beauftragt sind.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

12 U 179/00

Verkündet am: 23. Oktober 2001

In Sachen

wegen Feststellung des Bestehens eines Krankenversicherungsvertrages

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2001 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17. Mai 2000 - 8 O 36/99 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000 DM nicht.

Entscheidungsgründe:

(teilweise abgekürzt gem. § 543 ZPO)

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Das Landgericht Mannheim hat der Feststellungsklage des Klägers auf Fortbestand seines Krankenversicherungsschutzes bei der Beklagten stattgegeben und die Widerklage auf Rückzahlung erbrachter Krankenversicherungsleistungen abgewiesen mit der im Ergebnis zutreffenden Begründung, die Beklagte könne sich nicht auf einen wirksamen Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 20 VVG stützen und sei auch nicht berechtigt gem. § 22 VVG wegen arglistiger Täuschung vom Versicherungsvertrag zurückzutreten.

I.

Die Beklagte hat schon keine wirksame Rücktrittserklärung dargetan. Sie beruft sich auf ein Rücktrittsschreiben vom 29.07.1998, das auf Basis der der Beklagten angeblich am 13.07.1998 mitgeteilten Umstände verfasst sein soll. Bereits im ersten Rechtszug hat der Kläger bestritten, dass die namentlich nicht genannten Unterzeichner dieses Schreibens zur Abgabe einer Rücktrittserklärung bevollmächtigt seien. Auch im zweiten Rechtszug hat der Kläger unter Bezugnahme auf den Vortrag der Beklagten, die Unterzeichner seien gem. § 49 HGB zur Abgabe derartiger Erklärungen bevollmächtigt, bestritten, dass die nicht näher bezeichneten Unterzeichner im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung Prokura hatten. Die Erteilung der Prokura hat die Klägerin nicht bewiesen. Mangels Benennung der Unterzeichner war es auch nicht möglich, die Frage durch Einholung einer Handelsregisterauskunft zu klären.

Damit ist für die Entscheidung davon auszugehen, dass die Erklärung vom 29.07.1998 von den Unterzeichnern ohne Vertretungsmacht abgegeben wurde und die Rücktrittserklärung gem. § 180 BGB keine Wirksamkeit entfaltet. Offen bleiben kann, ob eine Gestaltungserklärung wie die Rücktrittserklärung unter den Voraussetzungen des § 180 Satz 2 BGB über eine entsprechende Anwendung von § 177 BGB der Genehmigung durch nachträgliche Erklärung des Geschäftsherrn zugänglich ist (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs; BGB; 60. Aufl.; § 180 Rn. 1). Handelt es sich nämlich - wie hier - um ein fristgebundenes Rechtsgeschäft, so muss die Genehmigung innerhalb der Frist erfolgen (vgl. Staudinger/Schilken; BGB; 1995; § 180 Rn. 6 m.w.N.). Eine rechtzeitige Genehmigung ist hier nicht dargetan.

II.

Das Landgericht ist - im Ergebnis zutreffend - davon ausgegangen, dass die Beklagte die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts gem. §§ 16, 17 VVG nicht nachgewiesen hat. Auf die Ausführungen des Landgerichts zur Beweiswürdigung, denen beigetreten wird, wird Bezug genommen. Die Ausführungen der Beklagten im Berufungsrechtszug geben zu einer abweichenden Beweiswürdigung keinen hinreichenden Anlass. Überzeugend hebt schon das Landgericht darauf ab, dass der Streithelfer als Zeuge bei der Darstellung des Gesprächs vom 22.09.1997, aufgrund dessen der Zeuge selbst für den Kläger und dessen Ehefrau den Versicherungsantrag ausfüllte, weitgehend auf seine - von ihm als üblich dargestellte - Praxis verwies. Im Hinblick auf die Bekundungen der Ehefrau des Klägers und den Angaben des Klägers selbst reichen die Bekundungen des Streithelfers nicht hin, um eine hinreichend sichere Überzeugung von einer Anzeigepflichtverletzung des Klägers zu begründen.

Der Entscheidung ist daher zugrunde zu legen, dass dem Streithelfer bei Aufnahme des Versicherungsantrags gerade die Umstände mitgeteilt wurden, auf deren Verschweigen der Rücktritt gestützt wird.

III.

Dieses Wissen des Streithelfers muss sich die Beklagte zurechnen lassen.

Das Landgericht stützt diese Wissenszurechnung im Ergebnis zutreffend auf die Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 102, 194). Danach kommt es, wird der Versicherungsantrag nicht vom Versicherungsnehmer, sondern von einem Versicherungsvermittler aufgrund der Befragung des Antagstellers ausgefüllt, nicht auf die schriftlich niedergelegten Antworten an, sondern auf das, was der Versicherungsnehmer bei Antragstellung dem Vermittler mitteilt. Bei der Entgegennahme eines Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrages steht dem Antragsteller der empfangsbevollmächtigte Versicherungsagent - bildlich gesprochen - als Auge und Ohr des Versicherers gegenüber. Was dem Vermittler in Bezug auf die Antragstellung gesagt oder vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden. Diese besondere Stellung des Vermittlers erlangt jedoch nicht nur dann Bedeutung, wenn der Antragsteller gefahrerhebliche Umstände mündlich mitteilt, diese Anzeige gegenüber dem Vermittler aber keine Aufnahme in das schriftliche Antragsformular findet. Das Ausfüllen des Formulars durch den Vermittler erfolgt in der Regel auf dessen Initiative. Antwortet der Antragsteller dabei auf die ihm gestellten Fragen wahrheitsgemäß, so hat er seine Anzeigeobliegenheit ordnungsgemäß erfüllt. Das bedeutet, dass für die Anzeigeobliegenheit die - und nur die - Fragen von Bedeutung sind, die der Versicherungsvermittler beim eigenhändigen Ausfüllen des Antragsformulars an den Antragsteller richtet. Werden Fragen nicht gestellt, so ist dem Versicherer das Wissen zuzurechnen, dass insoweit keine Antwort erfolgt, gleichgültig, welche Antworten das vom Versicherungsvermittler ausgefüllte Formular aufweist (OLG Karlsruhe VersR 1991, 1989).

Im Grundsatz zutreffend beanstandet die Beklagte, dass das Landgericht bei Anwendung dieser Rechtsprechung übersehen hat, dass eine derartige Wissenszurechnung dann nicht anzunehmen ist, wenn der Versicherungsnehmer bei Anbahnung der Versicherung einen Versicherungsmakler eingeschaltet hat. Voraussetzung einer Wissenszurechnung ist nämlich, dass der Versicherer den Vermittler zur Entgegennahme von Erklärungen bevollmächtigt, zumindest ihn damit i.S.v. § 43 Nr. 1 VVG betraut hat. Bei einem Versicherungsmakler ergibt sich dies nicht bereits aus der Tatsache, dass der Vermittler Antragsformulare des Versicherers zur Verfügung hat und davon bei der Vermittlung des Vertrags Gebrauch macht. Auch ein späterer Vermerk im Versicherungsschein, wonach der Versicherungsnehmer vom Versicherungsmakler betreut werde vermag im Grundsatz nichts daran zu ändern, dass der vom Versicherungsnehmer eingeschaltete Versicherungsmakler nicht als "im Lager" des Versicherers stehend angesehen werden kann (BGH NVersZ 2000, 124). Letztlich kann sich die Berufung aber nicht mit der Folge auf diese Rechtsprechung stützen.

Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass es sich bei dem Streithelfer bzw. dem Unternehmen, für das er tätig geworden ist, nicht um einen Versicherungsmakler handelt. Die Unterscheidung zwischen einem Versicherungsmakler und einem Versicherungsagenten ist in der Praxis nicht immer einfach, weil es sowohl auf der Seite der Versicherungsagenten als auch auf der Seite der Versicherungsmakler vielerlei Abweichungen vom "Normalfall" gibt. Dabei macht allein der Umstand, dass die Vermittlungsperson nicht lediglich eine Versicherungsgesellschaft, sondern mehrere Versicherer "anbietet", diese noch nicht zum Versicherungsmakler (vgl. Baumann NVersZ 2000, 116 ff.). Als letzterer kommt i.S.d. oben genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich die Vermittlungsperson in Betracht, mit der der künftige Versicherungsnehmer eine vertragliche Bindung auf Wahrnehmung der eigenen Interessen bei der sachgerechten Abdeckung seines Risikos und der Auswahl des geeigneten Versicherers eingeht. Um eine derartige Beziehung handelt es sich im vorliegenden Fall nicht.

Die Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Auge-und-Ohr-Rechtsprechung ist nicht auf Angestellte oder Agenten des Versicherers beschränkt. Sie ist auch auf andere Dritte anwendbar, soweit sie nicht - wie ein Versicherungsmakler - treuhänderischer Sachwalter der Interessen des Versicherungsnehmers sind und mit Wissen und Wollen des Versicherers Versicherungsverträge mit eben diesen Versicherer vermitteln (OLG Hamm VersR 1996, 697; OLG Hamm NJW-RR 1997, 220). Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann nämlich kaum zwischen den üblichen Versicherungsagenten, der vertraglich an einen einzelnen oder auch mehrere Versicherer gebunden ist, und den sonstigen Vermittlern von Versicherungsverträgen unterscheiden, da die Vertragsbeziehungen zwischen Vermittler und Versicherer für den Versicherungsnehmer nicht erkennbar sind. Daraus folgt, dass eine zusätzliche vertragliche Vereinbarung zwischen dem Versicherungsnehmer und der Vermittlungsperson nach diesem Verständnis des Versicherungsnehmers entfällt. Dem Versicherer ist indessen regelmäßig bekannt, dass ein Dritter bei der Übermittlung des Antrags und in der Regel auch bei der Ausfüllung des Antragsformulars beteiligt war. Dadurch, dass der Versicherer in dieser Kenntnis die ihm zugeleiteten Anträge ohne weitere Klärung entgegen- und auch annimmt, bedient er sich deren Dienste nicht anders, als wenn es sich um seine Agenten handeln würde. Dem entspricht auch die allgemein mit einem derartigen Vertriebsweg verbundene Provisionszuleitung an die Vermittlungsperson. Damit werden diese Vermittlungspersonen in die Vertriebsorganisation des Versicherers eingegliedert. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall.

Nach der Darstellung des Streithelfers kam sein Kontakt mit dem Kläger über ein Unternehmen zustande, das TV-Werbung mit der Frage an krankenversicherte Personen betrieb, ob ihr Versicherungsschutz nicht zu teuer sei. Die Adressen der auf diese Werbung antwortenden Interessenten wurden von jener Firma an das Vermittlungsunternehmen, bei dem der Streithelfer beschäftigt ist, verkauft. Im Rahmen der persönlichen Unterredung zwischen Streithelfer und Kläger ist letzterer aufgrund der Darstellungen des Streithelfers veranlasst worden, statt seines bisher bestehenden, ungekündigten privaten Krankenversicherungsschutzes ein neues Versicherungsverhältnis mit der Beklagten mit eingeschränktem Leistungsumfang zu - wenigstens anfangs - niedrigeren Versicherungsprämien einzugehen. Das Unternehmen des Streithelfers hat sodann den Versicherungsantrag des Klägers - nach Darstellung der Beklagten - über eine U-Gesellschaft, mit der die Beklagte eine Courtagevereinbarung hat, eingereicht. Zwischen der U-Gesellschaft und dem Unternehmen des Streithelfers besteht nach dessen Darstellung ein Provisionsteilungsabkommen.

Bei der Antragstellung verwendete der Streithelfer Antragsformulare und Unterlagen der Beklagten, die auf die Antragstellung über einen Versicherungsvermittler hin formuliert sind. So findet sich auf dem Beiblatt "Wichtige Erklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person(en) sowie Hinweise" unter der Überschrift "Wichtig für Antragsteller und Vermittler" der Hinweis "Bitte beantworten sie die Fragen im Antrag vollständig und richtig. Sonst ist der Versicherungsschutz in Gefahr. Im Interesse aller Beteiligten wird dringend die Einhaltung der Schriftform empfohlen", woraus durchaus geschlossen werden kann, dass bei Auftreten eines Vermittlers auch mündliche Angaben möglich sind, deren Dokumentation allerdings dringend empfohlen wird.

Im "Merkblatt zur Datenverarbeitung" befindet sich unter "6. Betreuung durch Versicherungsvermittler": "In Ihren Versicherungsangelegenheiten ... werden Sie durch einen unserer Vermittler betreut, ..." und "der für Ihre Betreuung zuständige Vermittler, soweit er kein Makler ist, wird Ihnen mitgeteilt. Endet seine Tätigkeit für unser Unternehmen (z. B. durch Kündigung des Vermittlervertrages oder bei Pensionierung), regelt das Unternehmen ihre Betreuung neu; ....). Im Versicherungsschein vom 16.10.1997 ist demgemäß als Betreuer die U-Gesellschaft aufgeführt.

Die Gesamtheit dieser Umstände lässt nur den Schluss zu, dass die Beklagte ihre Vertriebsorganisation neben den herkömmlichen Agenturen auch auf einen weiteren Vertriebsweg stützt, in dessen Gesamtgefüge das Unternehmen des Streithelfers mit Willen der Beklagten einbezogen ist. Damit sind die Voraussetzungen für eine Wissenszurechnung i.S.d. Auge-und-Ohr-Rechtsprechung geschaffen.

IV.

Eine arglistige Täuschung seitens des Klägers über seine Schwerbehinderung ist nicht nachgewiesen. Insoweit wird auf die zutreffende Beweiswürdigung des Landgerichts Bezug genommen, wobei noch hervorzuheben ist, dass der Kläger einen ungekündigten Krankenversicherungsschutz besaß und es bei dem Vertragsabschluss mit der Beklagten ihm lediglich auf eine gewisse Kostenersparnis bei sogar eingeschränktem Versicherungsschutz ankam. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt eine wirksame Anfechtungserklärung dargetan ist und ob die Anfechtung fristgerecht erfolgte.

V.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO. Der Wert der Beschwer ist nach § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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