Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 19.08.2004
Aktenzeichen: 12 U 228/04
Rechtsgebiete: AUB 2000, AUB 94


Vorschriften:

AUB 2000 Ziff. 9.3 Abs. 2
AUB 2000 Ziff. 2.1.1.2
AUB 94 § 11
Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 begrenzt vor Abschluss des Heilverfahrens während der Jahresfrist die Leistungen des Unfallversicherers auf die Todesfallsumme auch dann, wenn der Invaliditätsgrad bereits feststeht.

Die die Todesfallsumme übersteigende Invaliditätsleistung wird aber bereits vor Abschluss des Heilverfahrens fällig, wenn der Versicherer anhand der ihm vorliegenden Unterlagen die Invalidität in einer gewissen Schwankungsbreite bemessen kann und ein unfallbedingtes Ableben des Versicherten unwahrscheinlich ist.


Oberlandesgericht Karlsruhe 12. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 12 U 228/04

Verkündet am 19. August 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 19. August 2004 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Zöller Richterin am Landgericht von Pentz Richter am Oberlandesgericht Dr. Stecher

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 27. April 2004 - 10 O 743/03 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Am 12.05.2003 erlitt der bei der Beklagten unter Einbezug deren AUB 2000 unfallversicherte Kläger einen Motorradunfall mit der Folge, dass sein linkes Bein bis einschließlich des Knies am 06.06.2003 amputiert werden musste. Die Heilbehandlung wurde im Januar 2004 abgeschlossen. Die Parteien streiten noch über die Verzinsung der Invaliditätsentschädigung während des Zeitraums vom 22.10.2003 bis 31.01.2004.

In Ziff. 9.3 AUB 2000 ist bestimmt:

"Steht die Leistungspflicht zunächst nur dem Grunde nach fest, zahlen wir - auf ihren Wunsch - angemessene Vorschüsse.

Vor Abschluss des Heilverfahrens kann eine Invaliditätsleistung sowie die Unfall-Rente innerhalb eines Jahres nach dem Unfall insgesamt nur bis zur Höhe einer vereinbarten Todesfallsumme beansprucht werden."

Das Begehren des Klägers ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten - nach teilweiser Erledigung des Rechtssteits - noch die Zahlung von Zinsen auf die Invaliditätsentschädigung aus einer Unfallversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die AUB 2000 der Beklagten zugrunde, die im Wesentlichen den Musterbedingungen des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft AUB 1999 entsprechen.

Am 12.05.2003 erlitt der Kläger einen Motorradunfall mit der Folge, dass sein linkes Bein bis einschließlich des Knies am 06.06.2003 amputiert werden musste. Die Heilbehandlung wurde im Januar 2004 abgeschlossen.

Die Beklagte zahlte auf die vertraglich vereinbarte Invaliditätsleistung bei 60 %iger Invalidität (112.500,00 €) zunächst lediglich die vereinbarte Todesfallleistung in Höhe von 10.000 €. Weitere Leistungen vor Ablauf eines Jahres lehnte sie unter Hinweis auf Ziff. 9.3 AUB 2000 ab. Ziff. 9. AUB 2000 lautet auszugsweise:

"Wann sind die Leistungen fällig?

9.1 Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Anspruch auf die Invaliditätsleistung und die Unfall-Rente innerhalb von drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen:

- Nachweis des Unfallhergangs und der Unfallfolgen,

- beim Invaliditätsanspruch zusätzlich der Nachweis über den Abschluß des Heilverfahrens, soweit es für die Bemessung der Invalidität notwendig ist.

...

9.2 Erkennen wir den Anspruch an oder haben wir uns mit Ihnen über Grund und Höhe geeinigt, leisten wir innerhalb von zwei Wochen.

9.3 Steht die Leistungspflicht zunächst nur dem Grunde nach fest, zahlen wir - auf ihren Wunsch - angemessene Vorschüsse.

Vor Abschluss des Heilverfahrens kann eine Invaliditätsleistung sowie die Unfall-Rente innerhalb eines Jahres nach dem Unfall insgesamt nur bis zur Höhe einer vereinbarten Todesfallsumme beansprucht werden."

Nachdem die Beklage die Differenz zur vollen Entschädigung mit Rücksicht auf die nahezu verstrichene Jahresfrist am 22.04.2004 gezahlt hat und der Streit insoweit beiderseits für erledigt erklärt worden ist, verfolgt der Kläger noch seinen Zinsanspruch weiter. Er hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 102.500,00 € vom 22.10.2003 bis 22.04.2004 zu bezahlen.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen verwiesen wird, hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die beantragten Zinsen gemäß § 291 Satz 1, 2. Halbsatz BGB ab 01.02.2004 zugesprochen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren in vollem Umfang weiter. Das Landgericht habe den Grundsatz der kundenfreundlichsten Auslegung (§ 305 c BGB) verkannt.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

1. Das Landgericht nimmt an, die Forderung des Klägers sei mit dem unstreitigen Abschluss des Heilverfahrens, also ab 01.02.2004, fällig geworden. Die Fälligkeitsregelung des Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 ergänze den Leistungsausschluss nach Ziff. 2.1.1.2 AUB 2000. Danach bestehe kein Anspruch auf Invaliditätsleistung, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall sterbe. Vor Abschluss des Heilverfahrens sei nur die Todesfallsumme zu bezahlen.

2. Diese Auffassung teilt der Senat im Ergebnis.

a) Nach der allgemeinen Vorschrift des § 11 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen des Versicherers mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Ziffer 9 AUB 2000 enthält besondere Bestimmungen, die die gesetzliche Fälligkeitsregelung in zulässiger Weise modifizieren (§ 15 a VVG - vgl. BGH VersR 1987, 1235 unter 3; BGH VersR 2000, 753 unter 2 c sowie BGH VersR 2002, 698 unter 2 a).

b) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83, 85).

c) Nach dem Wortlaut der Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 kann eine Invaliditätsleistung vor Abschluss des Heilverfahrens innerhalb eines Jahres nach dem Unfall insgesamt nur bis zur Höhe einer vereinbarten Todesfallsumme beansprucht werden. Das ist für sich genommen eindeutig und betrifft nicht lediglich Vorschussleistungen in den Fällen, in denen die Höhe der Invaliditätsentschädigung schon deshalb nicht feststeht, weil sich der Invaliditätsgrad noch nicht bestimmen lässt. Die allgemeine Fälligkeitsregelung der Ziff. 9.1 wird insoweit eingeschränkt.

Allerdings will der Kläger die Anwendbarkeit von Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 auf die genannten Fälle eines noch nicht feststehenden Invaliditätsgrades beschränkt sehen. Er meint deshalb, die volle Leistung beanspruchen zu können. Bei ihm war der unfallbedingte Invaliditätsgrad im streitgegenständlichen Zeitraum (22.10.2003 bis 31.01.2004) nicht mehr ungewiss. Sein linkes Bein bis einschließlich des Knies musste bereits am 06.06.2003 abgenommen werden. Daher stand nach der Gliedertaxe gemäß Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 2000 ein Invaliditätsgrad von 60 % und damit die von der Beklagten maximal zu leistende Entschädigungshöhe fest.

Der Kläger stützt seine Ansicht auf den ersten Satz bzw. Absatz der Ziff. 9.3 AUB 2000. Darin verspricht die Beklagte die Zahlung angemessener Vorschüsse für den Fall, dass die Leistungspflicht zunächst nur dem Grunde nach feststeht. Dieser Fall liegt jedoch beim Anspruch auf Invaliditätsleistungen grundsätzlich auch dann vor, wenn zwar bereits der unfallbedingte Invaliditätsgrad und somit die von der Beklagten maximal zu leistende Höhe der Entschädigung feststehen, nicht jedoch auch bereits die Jahresfrist nach dem Unfall verstrichen ist. Dies folgt jedenfalls aus dem Regelungszusammenhang und erkennbaren Sinn der Klausel, die der durchschnittliche Versicherungsnehmer einbezieht. Die Regelung in Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 ist, wie das Landgericht richtig hervorgehoben hat, im Zusammenhang mit der Regelung in Ziff. 2.1.1.2 zu sehen (vgl. zu den AUB 88/94 Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 11 AUB 94 Rn. 20). Danach besteht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall stirbt. Damit hat Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 erkennbar den Sinn, Invaliditätsleistungen des Versicherers zu vermeiden, die bei Eintritt der genannten Risikobeschränkung (unfallbedingter Tod binnen Jahresfrist) zurückgefordert werden müssten. Dieser Sinngehalt beschränkt sich ersichtlich nicht auf den Fall, dass der unfallbedingte Invaliditätsgrad des Versicherten vor Abschluss des Heilverfahrens bzw. vor Ablauf der Jahresfrist noch nicht feststeht. Vielmehr entfällt gemäß Ziff. 2.1.1.2 AUB 2000 auch bei bekanntem Invaliditätsgrad und damit maximaler Anspruchshöhe ein Leistungsanspruch, wenn der Versicherte binnen eines Jahres unfallbedingt stirbt. Folglich steht die Pflicht der Beklagten zur Invaliditätsleistung auch dann vor Ablauf der Jahresfrist nur dem Grunde, nicht aber der Höhe nach fest. Bis dahin ist regelmäßig unklar, ob dem Versicherten auf Dauer die volle Invaliditätsentschädigung zusteht oder lediglich die vereinbarte Todesfallsumme. Dem gemäß handelt es sich auch bei Zahlungen des Versicherers auf die Invaliditätsentschädigung vor Ablauf der Jahresfrist grundsätzlich um Vorschüsse im Sinne von Ziff. 9.3 Abs. 1 AUB 2000. Hierauf bezieht sich, wie der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung erkennt, auch der zweite Absatz der Klausel. Sie besagt damit nichts anderes, als dass Vorschüsse auf die Invaliditätsleistung vor Abschluss des Heilverfahrens innerhalb eines Jahres nach dem Unfall nur bis zur Höhe einer vereinbarten Todesfallsumme beansprucht werden können. Erst nach Abschluss des Heilverfahrens kommt die Zahlung eines höheren Vorschusses in Betracht.

d) Der Versicherer wird sich allerdings nach Treu und Glauben nicht auf die Regelung der Ziff. 9.3 Abs. 2 AUB 2000 berufen können und die die Todesfallsumme übersteigende Invaliditätsleistung bereits vor Abschluss des Heilverfahrens fällig werden, wenn er anhand der ihm vorliegenden Unterlagen die Invalidität in einer gewissen Schwankungsbreite bemessen kann (vgl. hierzu OLG Düsseldorf VersR 1994, 1460) und ein unfallbedingtes Ableben des Versicherten unwahrscheinlich ist (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 11 AUB 94 Rn. 20; Wussow/Pürckhauer, AUB, 6. Aufl. § 11 Rn. 28). Der Kläger, dem dies als Anspruchsteller obliegt, hat jedoch weder genügend dargetan noch unter Beweis gestellt, dass die Beklagte anhand der ihr vorliegenden ärztlichen Unterlagen bereits vor Abschluss der Heilbehandlung Ende Januar 2004 nicht nur den Invaliditätsgrad bemessen, sondern auch sein unfallbedingtes Ableben mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hat ausschließen können. Die Beklagte hat sich im Schreiben vom 05.09.2003 (Anlagenheft I 39) darauf berufen, dass aufgrund des hohen Komplikationsrisikos bei einer Knieexartikulation - anders als z.B. bei einer Fingeramputation - ein unfallbedingtes Ableben des Versicherten gerade nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit liege. Dies ist - etwa mit Rücksicht auf ein im Schreiben des Klinikums K. vom 24.06.2003 (Anlage K 2 ) im Falle des Klägers angesprochenes Thromboserisiko - nicht von der Hand zu weisen. Der Kläger ist insoweit jedoch Vortrag und Nachweis, dass eine solche Gefahr in seinem Falle mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen war, schuldig geblieben.

e) Nach allem hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Anspruch des Klägers auf die die Todesfallsumme übersteigende Invaliditätsentschädigung nicht vor Abschluss des Heilverfahrens fällig geworden ist. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

Ende der Entscheidung

Zurück