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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: 12 U 26/01
Rechtsgebiete: AHB, BBR


Vorschriften:

AHB § 1 Nr. 1
BBR A Nr. 1
Zum Begriff der Gefahr einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung beim Handeln mitversicherter Kinder (hier: fahrlässige Brandstiftung bei dem Versuch, zur Nachtzeit aus einem in einem dunklen Hausflur abgestellten Mofa Kraftstoff durch Absaugen zu entwenden)
Oberlandesgericht Karlsruhe

12 U 26/01

Urteil vom 8.11.2001

Tatbestand:

Der 13 jährige Sohn der Versicherungsnehmerin versuchte sich für eine Spritztour mit einem Mofa Treibstoff dadurch zu verschaffen, dass er sich zur Nachtzeit in einen fremden Hausflur einschlich und aus dem Tank eines dort abgestellten Mofas Kraftstoff absaugte. Um besser sehen zu können, benutzte er ein Feuerzeug und setzt damit versehentlich ausgelaufenen Treibstoff in Brand. Im Haus entstand erheblicher Sachschaden.

Der beklagte Haftpflichtversicherer hat der Klägerin selbst Deckungsschutz für ihre Haftung als aufsichtspflichtiger Elternteil gewährt, Deckungsschutz für die Eigenhaftung des mitversicherten Sohnes jedoch abgelehnt.

Die Klage auf Deckungsschutz für den Sohn hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, hier habe sich keine Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht und zudem sei der Risikoausschluss für Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung einschlägig.

Die Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.

Gründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Feststellung, dass die Beklagte Deckungsschutz gewähren muss.

I.

Der Sohn der Klägerin wird gem. §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 2 Satz 1 BGB von den Geschädigten auf Ersatz des Brandschadens aus der fahrlässigen Brandstiftung vom 29.04.2000 in Anspruch genommen. Hierfür hat die Beklagte dem Sohn der Klägerin als Mitversicherten Deckungsschutz aus der von der Klägerin bei ihr abgeschlossenen Privathaftpflichtversicherung zu gewähren. Dem Versicherungsvertrag liegen die AHB sowie die "Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Versicherung privater Haftpflichtrisiken" (BBR) zugrunde. Versichert ist nach BBR A. Nr.1. die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers - und der gemäß BBR A. Nr. 2.1.3 mitversicherten unverheirateten Kinder - aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme u.a. der Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung.

1. Mit dem vom Sohn der Kläger fahrlässigen verursachten Brandschaden verwirklichte sich - entgegen der Auffassung des Landgerichts - eine Gefahr des täglichen Lebens (§ 1 Nr. 1 AHB, BBR A.Nr.1). Dabei spielt es keine Rolle, dass der damals 13 Jahre alte Sohn das Schadensereignis herbeiführte, als er in einem fremden Hausflur zur Nachtzeit Benzin aus dem Tank eines Mofas entwenden wollte, dabei wegen der dort herrschenden Dunkelheit mit einem Feuerzeug hantierte und aus Unachtsamkeit ausgelaufenen Kraftstoff entzündete. Der Begriff "Gefahren des täglichen Lebens" dient in erster Linie der Abgrenzung der Privathaftpflichtversicherung vom Bereich der Haftpflichtversicherung für Beruf und Gewerbe (OLG Karlsruhe VersR 1988, 1175). Er ergibt keine Einschränkung des Versicherungsschutzes, die über die in BBR A. Nr.1. genannten Ausnahmen hinausgeht (BGH VersR 1997, 1091; OLG Karlsruhe VersR 1997, 177).

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat sich hier auch keine Gefahr einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung verwirklicht. Die Risikoausschlussklausel BBR A Nr. 1 Satz 1 ist nicht bereits dann erfüllt, wenn sich die die Haftpflicht auslösende Handlung selbst als ungewöhnlich und gefährlich darstellt. Ihre Geltung ist vielmehr auf die seltenen Ausnahmefälle beschränkt, in denen die schadensstiftende Handlung im Rahmen einer allgemeinen Betätigung des Versicherten vorgenommen worden ist, die ihrerseits ungewöhnlich und gefährlich ist und deshalb in erhöhtem Maß die Gefahr der Vornahme schadensstiftender Handlungen in sich birgt. Lässt sich die schadensstiftende Handlung nicht in den Kreis einer allgemeinen Betätigung einordnen, die ihrerseits ungewöhnlich und gefährlich ist, so greift die Klausel nicht ein (BGH VersR 1996, 495; OLG Karlsruhe VersR 1997, 177). Entscheidend für den Risikoausschluss ist somit die Bestimmung der allgemeinen Betätigung im Zeitpunkt der schadensstiftenden Handlung, die im Rahmen einer wertenden Betrachtung zu erfolgen hat (OLG Karlsruhe VersR 1995, 1297).

a) Es ist schon zweifelhaft, ob die allgemeine Tätigkeit auf den Vorgang der Entwendung des Benzins beschränkt werden kann. Möglicherweise muss die Entwendung im Rahmen einer weitergehenden Betätigung, nämlich der Nutzung eines Mofa und der hierfür erforderlichen Besorgung des Kraftstoffs gesehen werden. Eine solche Betätigung wäre bei Jugendlichen nicht ungewöhnlich. Dabei kommt es nicht selten auch zu Verstößen gegen die Rechtsordnung. Im vorliegenden Fall begannen diese schon damit, dass der Sohn der Klägerin altersbedingt gar nicht berechtigt war, ein Mofa zu führen. Da Kinder und Jugendliche gelegentlich nicht über hinreichende Barmittel zum Erwerb des Kraftstoffs verfügen, stehen auch ungewöhnliche Beschaffungsaktionen, selbst gesetzwidrige, nicht außerhalb der Übungen des angesprochenen Umfelds. Das Abzapfen aus dem Tank eines anderen Kraftfahrzeugs gehört erfahrungsgemäß dazu.

Letztlich kann die Frage jedoch offen bleiben. Selbst wenn man hier als allgemeine Betätigung das Einschleichen in ein Gebäude zur Nachtzeit zu Entwendungszwecken annimmt, handelt es sich dabei nicht um einen ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung im Sinne von BBR A. Nr.1. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung sind Sinn und Zweck des Ausnahmetatbestands, aber auch die berechtigten Erwartungen des Versicherungsnehmers an den in der Privathaftpflichtversicherung versprochenen Risikoschutz zu berücksichtigen.

b) Mit dem Ausschluss für ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigungen im Rahmen einer allgemeinen Betätigung soll der Versicherungsschutz für solche Lebenssachverhalte versagt werden, bei deren Vorliegen ein redlicher Versicherungsnehmer den Schutz seiner Privathaftpflichtversicherung gar nicht erwarten wird, weil sie in besonders erhöhtem Maße die Gefahr schadensstiftender Vorkommnisse in sich bergen. Das OLG Hamm (VersR 1982, 565) weist bezüglich der Betätigung eines Einbrechers zutreffend auf die seelische Ausnahmesituation des Täters hin und nennt insbesondere die Belastung mit besonderen Gefahrmomenten wie den Aufenthalt in unbekannten, ungewohnten Räumlichkeiten, die Gefahr der Entdeckung und das Bemühen, eine solche zu vermeiden. Nicht ohne Berechtigung weist die Beklagte darauf hin, dass die Situation bei einem Einschleichen zu Entwendungszwecken ähnlich gelagert ist.

c) Die Gefährlichkeit des Tuns kann auch im vorliegenden Fall nicht in Abrede gestellt werden. Im Gegensatz zu derartigen Taten Erwachsener stellt das Handeln des zur Tatzeit 13jährigen Mitversicherten aber keine ungewöhnliche Beschäftigung im Sinne von BBR A.Nr.1 dar. Viele der Umstände, die ein Einbrechen oder Einschleichen zu Diebstahlszwecken bei Erwachsenen zu einer Ausnahmesituation machen, gehören bei Kindern geradezu zum Alltag. Kinder leben in einem Umfeld von Regeln, Verboten und Vorschriften der Eltern und anderer Erwachsener, die sie entwicklungsbedingt zu brechen versuchen. Ob solche Verbote auch den Tatbestand einer Straftat erfüllen, ist Kindern weithin gleichgültig, zumal sie mangels Strafmündigkeit mit einer staatlichen Sanktion - im Gegensatz zum erwachsenen Täter - nicht rechnen müssen. Heimlichkeiten und das Bestreben, sich vor einer Entdeckung zu schützen, bestimmen einen nicht unwesentlichen Teil des Lebens von Kindern. Streiche und Jugendsünden gehören bei ihnen dazu. Das Einschleichen in ein Gebäude zum verbotenen Absaugen von Kraftstoff schafft daher bei einem Kind keine derartige seelische Ausnahmesituation, dass sein Verhalten völlig aus dem Rahmen gewöhnlicher Situationen fiele. Vielmehr stellen derartige Vorgänge Sachverhalte dar, für die auch ein redlicher durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung Versicherungsschutz für sich selbst und das mitversicherte Kind erwartet.

3. .......

Ende der Entscheidung

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