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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 20.07.2006
Aktenzeichen: 12 U 36/06
Rechtsgebiete: BGB, BSHG, GSiG


Vorschriften:

BGB § 839
BSHG § 16 Abs. 1
GSiG § 3 Abs. 2
Zur Haftung des Amtsträgers, der Sozialhilfeleistungen bzw. Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz rechtswidrig im Hinblick auf das den Eltern zugeflossene Kindergeld kürzt.
Oberlandesgericht Karlsruhe 12. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 12 U 36/06

Verkündet am 20. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Amtspflichtverletzung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2006 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Zöller Richterin am Oberlandesgericht Lampel-Meyer Richter am Oberlandesgericht Dr. Roth

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagen wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 20. Dezember 2005 - 2 O 04/05 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.618.- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.08.2004 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 75%, der Beklagte 25%.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht Amtshaftungsansprüche im Zusammenhang mit Sozialhilfeleistungen und Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz geltend. Der volljährige Kläger ist nach einem frühkindlichen Hirnschaden pflegebedürftig. Er lebt zusammen mit seiner Mutter, die seine gesetzliche Betreuerin ist. Vom dem Beklagten erhielt der Kläger seit 1998 Leistungen nach dem Bundssozialhilfegesetz (BSHG), ab dem 01.01.2003 nach dem Grundsicherungsgesetz. Die dem Kläger jeweils zustehenden Leistungen kürzte der Beklagte um das an die Mutter des Klägers ausgezahlte Kindergeld, da es sich dabei um sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen des Klägers handle. Der Kläger ist der Auffassung, dass diese Anrechnung rechtswidrig gewesen sei und den beklagten Landkreis gem. § 839 BGB, Art. 34 GG zu Schadensersatz in Höhe der unberechtigten Abzüge verpflichte. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Berufung hat teilweise Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Amtshaftungsansprüche im Zusammenhang mit Sozialhilfeleistungen und Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz geltend.

Der am 30.10.1967 geborene Kläger ist nach einem frühkindlichen Hirnschaden pflegebedürftig. Er lebt zusammen mit seiner Mutter, die seine gesetzliche Betreuerin ist.

Vom dem Beklagten erhielt der Kläger seit dem 01.04.1998 Leistungen nach dem Bundssozialhilfegesetz (BSHG), ab dem 01.01.2003 nach dem Grundsicherungsgesetz. Die dem Kläger jeweils zustehenden Leistungen kürzte der Beklagte um das an die Mutter des Klägers ausgezahlte Kindergeld, da es sich dabei um sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen des Klägers handle. Der Kläger ist der Auffassung, dass diese Anrechnung rechtswidrig gewesen sei und den Beklagten gem. § 839 BGB, Art. 34 GG zu Schadensersatz verpflichte. Für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.04.1998 bis zum 30.05.2004 wird ein Schaden von insgesamt 10.463.- € geltend gemacht.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht den Beklagten verurteilt, an den Kläger 10.325,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.08.2004 zu bezahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die Beamten des Beklagten hätten dem Schutz des Klägers dienende Amtspflichten verletzt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei Kindergeld grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten, nicht aber des Kindes selbst. Zwar könne das Kindergeld im Einzelfall Einkommen des Kindes werden, dies setze aber voraus, dass es von dem Kindergeldberechtigten tatsächlich und zweckorientiert an das Kind weitergegeben werde. Die Feststellung einer zweckorientierten Weitergabe könne nicht durch die Vermutung einer Vorteilszuwendung ersetzt werden; insbesondere reiche hierfür nicht aus, dass das Kindergeld in eine gemeinsame Kasse fließe, aus der der Haushalt finanziert werde. Diese Grundsätze habe der Beklagte verkannt, indem er, ohne die erforderlichen Feststellungen zu treffen, kraft Vermutung von einer Weitergabe des Kindergeldes an den Kläger ausgegangen sei. Die Beamten des Klägers hätten dabei schuldhaft gehandelt, weil sie zu ihrer Rechtsauffassung ohne eine sorgfältige rechtliche und tatsächliche Prüfung gelangt seien.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Das Landgericht sei zu Unrecht von einer die Rechtsauffassung des Klägers tragenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgegangen. Tatsächlich hätten mehrere Ober-verwaltungsgerichte die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes für rechtens erachtet, ohne sich dabei in Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zu setzen. Auf Fälle dieser Art sei nämlich die gesetzliche Vermutung des § 16 Abs. 1 BSHG anwendbar. Danach werde die tatsächliche Weitergabe des Kindergeldes an ein im Haushalt des Kindergeldberechtigten wohnendes Kind vermutet, was die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes rechtfertige. Diese Rechtsprechung sei erst nach Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes und nach dem streitgegenständlichen Zeitraum aufgegeben worden, weshalb den Beamten des Beklagten kein Verschulden zur Last falle. Jedenfalls aber habe es der Kläger schuldhaft versäumt, den vermeintlichen Schaden durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs abzuwenden, und habe sich die Mutter des Klägers als dessen Betreuerin noch im Februar 2004 mit der Anrechnung des Kindergeldes einverstanden erklärt. Schließlich erhebt der Beklagte die Einrede der Verjährung.

Der Kläger beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet.

Der Kläger kann Schadensersatz gem. § 839 BGB i.V.m. § 34 GG nur verlangen, soweit der Beklagte das Kindergeld nach dem Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes am 01.01.2003 auf die ihm gebührenden Leistungen angerechnet hat. Diese Anrechnung begründet eine schuldhafte Verletzung drittschützender Amtspflichten. Bei einer monatlichen Anrechnung von 154.- € ist dem Kläger hierdurch ein Schaden von insgesamt 2.618.- € entstanden. Soweit der Kläger dagegen vor dem 31.12.2002 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezog, war die Anrechnungspraxis des Beklagten zwar objektiv rechtswidrig, entsprach aber bis dato der Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte und war auch mit der bis dahin maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vereinbar. Der Beklagte hat in Kenntnis dieser Rechtsprechung seine Verwaltungspraxis eingerichtet und die tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Rechtsprechung im Falle des Klägers zutreffend ermittelt. Dies schließt eine schuldhafte Verletzung der den Beamten des Beklagten obliegenden Amtspflichten aus.

1. Für die Zeit vor dem 31.12.2002 fällt den Beamten des Beklagten kein Verschulden zur Last, obwohl die Berücksichtigung des an die Mutter ausgezahlten Kindergeldes als Einkommen des Klägers nach der Neuregelung des Kindergeldrechts durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11.10.1995 nicht mehr zulässig war. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 17.12.2003 (NJW 2004, 2541-2542) ausgeführt hat, ist Kindergeld danach stets sozialhilferechtlich Einkommen desjenigen, an den es ausgezahlt wird. Eine familieninterne Zuwendung mit der Folge, dass das Kindergeld nicht mehr Einkommen des Kindergeldberechtigten, sondern des Kindes selbst wäre, ist nach der neuen Rechtslage nicht möglich und kann auch nicht mehr unter Rückgriff auf die Vermutensregelung des § 16 S. 1 BSHG angenommen werden; dabei macht es keinen Unterschied, ob das Kind volljährig ist oder nicht (vgl. auch BVerwG NJW 2005, 2873-2874).

Die unrichtige Gesetzesauslegung durch einen Beamten stellt allerdings nicht stets eine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar. Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden. Die Verneinung des Schuldvorwurfs setzt dabei voraus, dass die letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsmeinung nicht nur vertretbar, sondern auch aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen worden war (BGHZ 119, 365-372; BGH VersR 2001, 1108; vgl. auch Senat Urteil v. 14. Juni 2005 12 U 398/04).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist eine schuldhafte Amtspflichtverletzung auf Seiten der Beklagten nicht auszumachen. Denn die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen des Klägers entsprach der damaligen Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte, auf deren Analyse sich die Beamten des Beklagten stützten, und war auch mit der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vereinbar. Vor dem Urteil vom 17.12.2003, mit dem das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben hat, ist entgegen der Auffassung des Landgerichts eine die Rechtsauffassung des Klägers bestätigende obergerichtliche Rechtsprechung nicht auszumachen:

Zwar war nach der Deutung des Bundesverwaltungsgerichts Kindergeld auch damals grundsätzlich als Einkommen des Kindergeldberechtigten und nicht des Kindes selbst zu qualifizieren. Anerkannt war aber gleichwohl, dass das Kindergeld dann Einkommen des Kindes wurde, wenn der Kindergeldberechtigte die mit Rücksicht auf das Kind erhaltene Leistung durch einen zweckorientierten Zuwendungsakt an dieses weitergab; die Zuwendung des Kindergeldes konnte auch in Form von Naturalunterhalt, d.h. durch die Gewährung von Kost, Unterkunft, Bekleidung u.a. geschehen. Wenn eine solche Zuwendung erfolgte, war das Kindergeld sozialhilferechtlich als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen (BVerwGE 60, 18-25). Dabei hatte das Bundesverwaltungsgericht, worauf der Kläger zu Recht verweist, festgestellt, dass es eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Kindergeldberechtigte den Unterhalt des Kindes gerade aus dem Kindergeld bestreite und deshalb diese Leistungen an das Kind weiterleite, nicht gebe (BVerwGE 60, 18-25). Gegen die Annahme einer solchen Vermutung hatte sich das Bundesverwaltungsgericht in Auseinandersetzung mit älteren Vorschriften ausgesprochen, wonach bestimmte, an den Berechtigten ausgezahlte Leistungen kraft Gesetz als Einkommen des Kindes galten. Immerhin kam aber insoweit ein Beweis des ersten Anscheins in Betracht, wenn das Kind im elterlichen Haushalt lebte, von seinen Eltern Naturalunterhalt erhielt und eine Gefährdung des sozialhilferechtlich notwendigen Bedarfs des Elternteils selbst nicht bestand (BVerwGE 60, 18-25). In einer weiteren Entscheidung bestätigte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen diese Grundsätze, lehnte aber die Berücksichtigung des für ein Pflegekind gezahlten Kindergeldes als Einkommen des Kindes ab, weil nicht feststehe, dass die zweckorientierte Leistung dem Kind tatsächlich zugewandt worden sei. Weder bestehe eine diesbezügliche Vermutung noch reiche hierfür die Feststellung aus, dass das Geld in eine gemeinsame Haushaltskasse fließe (BVerwGE 60, 6f).

Auf Grundlage dieser Rechtsprechung haben in der Folgezeit mehrere Oberverwaltungsgerichte die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen des Kindes gebilligt, wobei die gesetzliche Vermutung in § 16 S. 1 BSHG herangezogen wurde. Diese Bestimmung - die im Falle eines Pflegekindes, auf den sich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im 60. Band S. 6f bezog, nicht anwendbar ist - sieht vor:

"Lebt ein Hilfesuchender in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass er von ihnen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Soweit jedoch der Hilfesuchende von den in Satz 1 genannten Personen Leistungen zum Lebensunterhalt nicht erhält, ist ihm Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren."

Mehreren Oberverwaltungsgerichten zufolge konnte auf Grundlage von § 16 S. 1 BSHG für den Regelfall vermutet werden, dass die Eltern den in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihnen lebenden Kindern das Kindergeld tatsächlich auch in voller Höhe zugute kommen ließen. Es könne von ihnen nämlich erwartet werden, dass sie das gerade im Hinblick auf das Kind gewährte, zweckorientierte Kindergeld an dieses weitergäben, wie es Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutung in § 16 S. 1 BSHG sei. Anders verhalte es sich nur dann, wenn der sozialhilferechtliche Grundbedarf des Kindergeldberechtigten selbst ohne das Kindergeld gefährdet wäre. Diese Erwägungen, die nicht im Widerspruch zu den zitieren Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts stehen (BVerwGE 60, 6f; 18-25), finden sich unter anderem in folgenden Entscheidungen: Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied mit Beschluss vom 04.04.1991 (ZfSH/SGB 1992, 16ff.):

"[...] Kindergeld und Kindergeldzuschlag werden, obwohl es sich rechtlich zunächst um Einkommen des berechtigten Elternteils handelt, kraft vermuteter Weitergabe an die berücksichtigungsfähigen Kinder in Höhe des auf das einzelne Kind entfallenden Kopfteils als Einkommen dieses Kindes berücksichtigt, soweit es zu dessen Bedarfsdeckung benötigt wird; ein etwaiger vom Kind nicht benötigter Rest des Kindergeldanteils bleibt Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils. [...]"

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertrat in einem Urteil vom 18.02. 1993 (VGHE BY 46, 43-47) die Auffassung, dass sich aus § 16 S. 1 BSHG eine die Anrechnung rechtfertigende Vermutung der tatsächliche Weitergabe des Kindergeldes an das - hier volljährige - Kind ergebe. Dies gelte, soweit eine Gefährdung des sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalts des Elternteils nicht bestehe. Der Bayerische VGH führt aus:

"[...] Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass im allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass Kinderzuschüsse zur Rente (vgl. § 270 SGB VI) im Einklang mit ihrer Zweckbestimmung an das Kind weitergereicht werden, soweit nicht der sozialhilferechtlich notwendige Lebensunterhalt des Leistenden gefährdet wäre (BVerwGE 60, 6ff; BVerwGE 60, 18ff.). Der Zweck des Kinderzuschusses . . . entspricht . . . dem des Kindergeldes, wie sich aus § 8 BKGG ergibt. Kindergeld dient wesentlich dazu, die in der Person des Kindes entstehenden Kosten der allgemeinen Lebensführung wenigstens teilweise zu decken, also zur Entlastung von den Kosten des Lebensunterhalts beizutragen (BVerwGE 60, 6ff.). Diese Vermutung der Weiterleitung des Kinderzuschusses an die Klägerin gilt nicht nur in den Fällen der Bedarfsgemeinschaft (§ 11 Abs. 1 BSHG), sondern gemäß § 16 Satz 1 BSHG auch im Fall der Haushaltsgemeinschaft. . . . im Allgemeinen [kann] jedenfalls die Leistung dessen erwartet werden, was der unterhaltspflichtige Verwandte gerade zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts des berechtigten Kindes erhält. [...]"

Nicht anders befand der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 S. 1 BSHG eine Vermutung für die tatsächliche Weitergabe des Kindergeldes angenommen hat, die die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen des - hier volljährigen - Kindes rechtfertige (Hessischer VGH DVBL 2000, 1216-1217). Anders als das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17.12.2003 (NJW 2004, 2541- 2542) war der Hessische Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, dass sich die zwischenzeitliche Neuregelung des Kindergeldrechts in diesem Zusammenhang nicht auswirke. In dem Beschluss vom 17.02.2000 heißt es:

"[...] hat das Kindergeld den Zweck, das Existenzminimum des Kindes abzudecken. Dies gilt sowohl nach der Fassung des Gesetzes, die bis zum 31. Dezember 1999 galt (Fassung der Bekanntmachung vom 16. April 1997 (BGBl. I S. 821) als auch für die Neufassung durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2552). Deshalb kann das Kindergeld nach § 74 Abs. 1 Satz 2 EStG alter und neuer Fassung auch an das Kind ausgezahlt werden. Dies gilt nach § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG n.F. auch dann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.

Wenn das Kindergeld aber den Zweck hat, das Existenzminimum des Kindes abzudecken und es aus diesem Grund auch an das Kind ausgezahlt werden kann, und zwar selbst dann, wenn der kindergeldberechtigte Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist, ist es geboten, im Rahmen des § 16 Satz 1 BSHG zu vermuten, dass die Eltern das Kindergeld in voller Höhe dem Kind zugute kommen lassen. [...]"

In Anbetracht dieser ausführlich begründeten obergerichtlichen Rechtsprechung stellt der Rückgriff auf § 16 BSHG durch die Beamten des Beklagten jedenfalls keine schuldhafte Verletzung ihnen obliegender Amtspflichten dar. Soweit der Kläger eine gegenteilige Rechtsauffassung aus den Entscheidungen des Hanseatischen OVG (NVwZ 2002, 63-65) und des OVG Rheinland-Pfalz (NVwZ-RR 2003, 44-46) herleiten will, überzeugt dies nicht. In beiden Fällen nämlich wurde eine Anrechnung des Kindergeldes mit der Begrünung verneint, der Kindergeldempfänger benötige den Betrag zur Sicherung seines eigenen sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs, was eine Verschiebung des Einkommens weg vom Kindergeldberechtigten hin zum Kind ausschließe. Hierin liegt jedoch kein Widerspruch zu den oben genannten Entscheidungen, die in einem solchen Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 S. 1 BSHG verneint hätten.

Der Einwand des Klägers geht fehl, die Beamten des Beklagten hätten jedenfalls deshalb schuldhaft gehandelt, weil sie ihre Rechtsmeinung - selbst wenn sie objektiv vertretbar gewesen wäre - nicht auf eine Analyse der zitierten Rechtsprechung gestützt, sondern die entsprechenden Erwägungen erst im Nachhinein während des laufenden Rechtsstreits angestellt hätten. Der Beklagte hat nämlich substantiiert vorgetragen, dass er seine Anrechnungspraxis wiederholt überdacht und an der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie an der diese umsetzenden Spruchpraxis der Zentralen Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten ausgerichtet habe. Dies gelte auch für die dem Kläger gewährten Leistungen. Angesichts der damaligen Rechtsprechung liegt die Darstellung des Beklagten in Anbetracht der einschlägigen, über Datenbanken, Fachzeitschriften und Kommentare leicht zugänglichen Urteile und Entscheidungen auf der Hand. Mangels konkreter Hinweise auf eine unterbliebene bzw. unsorgfältige Befassung mit der angegebenen Rechtsprechung kommt der Senat zu der Überzeugung, dass eine hinreichende Prüfung der Rechtslage durch die Beamten des Beklagten stattgefunden hat (§ 286 ZPO).

Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung und der darauf gestützten Verwaltungspraxis des Beklagten wäre im vorliegenden Fall die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen des Klägers nur dann auch in subjektiver Hinsicht rechtswidrig gewesen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 S. 1 BSHG nicht vorgelegen hätten bzw. ohne die gebotene Prüfung bejaht worden wären oder - bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen - die Vermutung nach § 16 S. 2 BSHG widerlegt gewesen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Die Vermutung des § 16 S. 1 BSHG würde nicht eingreifen, wenn es ohne das Kindergeld zu einer Gefährdung des sozialhilferechtlich notwendigen Bedarfs der Mutter des Klägers gekommen wäre, weil dann die Weitergabe des Geldes nach Einkommen und Vermögen des Kindergeldberechtigten nicht mehr erwartet werden könnte. Eine solche Gefährdung wurde jedoch weder behauptet noch ist sie im Übrigen ersichtlich, nachdem die Mutter des Klägers bei Antragstellung im Jahr 1998 über ein Nettoeinkommen von 1.940.- DM verfügte und auch später nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten ein ausreichendes Einkommen erzielte (Anlage BB 1; Schriftsatz vom 17.03.2005, Bd. II, AS 55). Für die Vermutungsfolge des § 16 S. 1 BSHG reicht es grundsätzlich aus, wenn die Vermutungsvoraussetzungen der Haushaltsgemeinschaft und der fehlenden Bedürftigkeit des Verwandten erfüllt sind (vgl. BVerwG FEVS 49, 529-533). Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten war dies vorliegend der Fall, wobei der Anwendbarkeit des § 16 S. 1 BSHG nicht entgegenstand, dass auch andere Personen in der gemeinsamen Wohnung wohnten und sich die Mietkosten teilten. Die tatsächlichen Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutensregelung in § 16 S. 1 BSHG hat die Beklagte aufgrund des Antrags des Klägers fehlerfrei angenommen; der Vorwurf einer mangelhaften tatsächlichen Prüfung ist deshalb unbegründet. Schließlich fehlen auch Anhaltspunkte dafür, dass die Vermutung gem. § 16 S. 2 BSHG widerlegt wäre, weil tatsächlich keine Bedarfsdeckung durch die Mutter des Klägers erfolgt wäre (vgl. hierzu OVG Münster, FEVS 44, 198-204).

2. Die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen des Klägers stellt jedoch ab dem Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes am 01.01.2003 eine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar. Denn bei der Gewährung von Leistungen auf Grundlage dieses Gesetzes war die Anwendung der Vermutensregelung in § 16 S. 1 BSHG von vornherein ausgeschlossen (BayVGH BayVBL 2004, 623-625). Dies ergibt sich aus einer sorgfältigen Lektüre des am 26.06.2001 durch den Bundestag verabschiedeten Gesetzes (BGBl I S. 1335). Die gleichwohl unter Rückgriff auf § 16 S. 1 BSHG erfolgte Anrechnung des Kindergeldes durch die Beamten des Beklagten war aus diesem Grunde objektiv und subjektiv amtspflichtwidrig.

Der Gesetzgeber hat mit dem Grundsicherungsgesetz eine eigenständige Sozialleistung geschaffen, deren Zweck es ist, den grundlegenden Lebensbedarf alter und vollerwerbsgeminderter Menschen zu sichern (vgl. BT-Drucks. 14/5150, Seite 48). Das BSHG wurde dabei nicht generell für ergänzend anwendbar erklärt, sondern es wurde selektiv auf bestimmte Vorschriften verwiesen und insbesondere die Frage der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen bzw. Unterhaltsansprüchen im Grundsicherungsgesetz speziell geregelt. Zu den für entsprechend anwendbar erklärten Vorschriften gehört nicht § 16 BSHG. Unter Rückgriff auf diese Bestimmung hatte der Beklagte aber, solange dem Kläger Leistungen nach dem BSHG gewährt worden waren, seine Anrechnungspraxis gerechtfertigt. Angesichts der selektiven Verweisung auf das BSHG im Rahmen einer spezialgesetzlichen Regelung fehlt auch jeder Anhalt für eine Regelungslücke als Voraussetzung einer Analogie, zumal die entsprechende Anwendung von § 16 BSHG aus der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfes gestrichen worden war (vgl. hierzu VG Braunschweig, SAR 2004, 15-18; VG Ansbach SAR 2003, 126-129; VG Dresden, Urteil vom 27.07.2004, Az. 6 K 3987/03).

Der Verschuldensvorwurf entfällt auch nicht deshalb, weil nach dem Dafürhalten des Beklagten unklar gewesen sei, ob § 16 BSHG im Grundsicherungsrecht Anwendung finde oder nicht, und die Beamten deshalb einem das Verschulden ausschließenden Rechtsirrtum unterlegen wären. Richtig ist zwar, dass nicht jeder objektive Rechtsirrtum einen Schuldvorwurf gegen einen Beamten begründet. Denn wenn die nach sorgfältiger Prüfung unter Inanspruchnahme der zu Gebote stehenden Hilfsmittel gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers vertretbar ist, kann aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (BGH MDR 2005, 1166-1167; BGHZ 119, 365.). Unabhängig davon, dass es nach der Auffassung des Senats nach Wortlaut, Genese und Gesetzeszweck des Grundsicherungsgesetzes schon an der Vertretbarkeit der von dem Beklagten zur Anwendbarkeit des § 16 BSHG vorgetragenen Rechtsauffassung fehlt, hat es der Beklagte jedenfalls versäumt darzulegen, dass diese Rechtsauffassung auf einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der neuen Rechts- und Gesetzeslage beruht hätte. Hierfür wäre der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig gewesen, da er sich auf einen besonderen, das Verschulden ausschließenden Umstand, nämlich einen entschuldbaren Rechtsirrtum, beruft (BGHZ 69, 128), was der Beklagte ausweislich seiner Schriftsätze auch nicht verkennt. Gleichwohl beschränkt er sich insoweit auf die wiederholte Behauptung, die Rechtslage sei nach dem Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes unklar gewesen, da es ansonsten einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht bedurft hätte. Auch die in zweiter Instanz vorgelegten Sozialhilferichtlinien, die offenbar eine Richtschnur für die Bewilligungspraxis des Beklagten waren, enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beamten mit dem Grundsicherungsgesetz in gebotener Weise auseinandergesetzt hätten, wofür ausreichend Zeit gewesen wäre, nachdem das Gesetz anderthalb Jahre vor seinem Inkrafttreten verabschiedet worden war. Auf dieser Grundlage ist von einer schuldhaften Amtspflichtverletzung auszugehen.

3. Die Ersatzpflicht des Beklagten entfällt schließlich nicht deshalb, weil es der Kläger schuldhaft unterlassen hätte, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Das Landgericht weist zurecht darauf hin, dass bei der Prüfung, ob es der Verletzte schuldhaft unterließ, ein Rechtsmittel einzulegen, sämtliche Umstände des Einzelfalls und insbesondere der Verkehrskreis, dem der Verletzte angehört, zu berücksichtigen seien. Zu fragen ist, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von einem Angehörigen dieses Verkehrskreises erwartet werden kann (BGHZ 113, 17-26). Nach diesem Maßstab konnte von der Mutter des Beklagten als dessen Betreuerin nicht erwartet werden, dass sie die mit Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes verbundenen Änderungen erfasst und deshalb bei der Beklagten den Erlass eines abändernden Bescheides beantragt hätte. Gründe, die es ihr in dieser Situation nahe gelegt hätten, Rechtsrat einzuholen, sind gleichfalls nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Anspruch des Klägers auch nicht entgegen, dass sich seine Betreuerin mit einer Anrechung des Kindergeldes auf die ihm zustehenden Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz einverstanden erklärt hätte. Zum einen hat der Kläger behauptet, dass sich der von dem Beklagten vorgelegte Vermerk, wonach die Anrechung auf Wunsch der Betreuerin erfolge und bis zur Neuberechnung der Leistungen fortgesetzt werden solle, auf einen anderen Sachverhalt, nämlich den Übergang eines Unterhaltsanspruchs bezogen habe. Zum anderen könnte es den Beklagten nicht entlasten, wenn die Betreuerin ihr Einverständnis mit einer - von ihr nicht als rechtswidrig erkannten - Verrechnungspraxis in der behaupteten Form erklärt hätte. Denn die Betreuerin hätte damit erkennbar nicht den Beklagten für den Fall einer unzutreffenden Rechtsanwendung entlasten oder gar auf etwaige Ersatzansprüche verzichten wollen. Der Erklärung wäre nichts anderes zu entnehmen gewesen, als dass die Betreuerin auf die Richtigkeit des Verwaltungshandelns vertraute.

Soweit der Beklagte ab dem Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes am 01.01.2003 schadensersatzpflichtig ist, kommt schließlich eine Anspruchsverjährung nicht in Betracht.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO; die geltend gemachten Verzugszinsen wurden nach Grund und Höhe nicht bestritten (§ 288 Abs. 1 BGB). Die Revision war nicht zuzulassen, da es an den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO fehlt.

Ende der Entscheidung

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