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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 09.07.2003
Aktenzeichen: 12 U 40/03
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16
Bei Abschluss einer Krankheitskostenversicherung ist auf die Frage nach "Gesundheitsstörungen oder Beschwerden" ein unerfüllter Kinderwunsch jedenfalls dann anzugeben, wenn dieser Anlass für Untersuchungen und Behandlungen des Antragstellers war und nicht ausgeschlossen ist, dass die Kinderlosigkeit ihre Ursache (auch) in der Konstitution des Antragstellers hat.
Oberlandesgericht Karlsruhe 12. Zivilsenat

Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 12 U 40/03

Verkündet am 09. Juli 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 09. Juli 2003 unter Mitwirkung von

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 18.03.2003 - 2 O 347/02 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

I. (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Krankheitskostenversicherungsvertrag mit der Beklagten ohne die nach deren Rücktritt vereinbarten Einschränkungen des Versicherungsschutzes unverändert fortbesteht.

Die Beklagte stützt ihren Rücktritt auf eine unzutreffende bzw. unvollständige Beantwortung der Gesundheitsfragen Nr. 6, 7 und 16 des im Versicherungsantrag vom 21.07.2001 enthaltenen Fragebogens. Der Kläger habe seine Fertilitätsprobleme in Form eines OAT nicht angegeben und auch die entsprechenden Untersuchungen und Behandlungen nicht angeführt.

Gesundheitsfrage Nr. 6 lautet:"Bestanden in den letzten 3 Jahren Gesundheitsstörungen oder Beschwerden bzw. haben ambulante Behandlungen, Operationen oder Kontrollen durch Ärzte oder sonstige Behandler stattgefunden" mit "Ja". Gesundheitsfrage Nr. 7 betrifft Untersuchungen in den letzten 3 Jahren. Bei Nr. 16 sollen dazu Einzelheiten angegeben werden.

Der Kläger hält den Rücktritt für unberechtigt, weil er vor der Rücktrittserklärung seinen unerfüllten Kinderwunsch nicht mit eigenen Fertilitätsproblemen in Verbindung gebracht habe und bei ihm im nachgefragten Zeitraum weder Untersuchungen noch Behandlungen vorgenommen worden seien.

Der Kläger hat beantragt,

es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Krankenversicherungsvertrag (Tarifkompakt und KT 06/200,00 = Krankentagegeld) mit dem Versicherungsplan Nr. unverändert fortbesteht unter Einschluss auch der durch die Vereinbarung vom 21.03.2002 ausgenommenen Leistungen

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochten klagabweisenden Urteils wird Bezug genommen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagziel weiter. Im Berufungsrechtszug macht er zusätzlich geltend, nunmehr habe sich herausgestellt, dass bei ihm - entgegen der Annahme der Frauenärztin Dr. T - keine Fertilitätsstörung vorliege. Man müsse den unerfüllten Kinderwunsch am ehesten auf eine "gemischte Störung" zurückführen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen F. und Dr. T.

II. (§ 540 Abs. 1 Nr.2 ZPO)

Die Beklagte ist berechtigt vom Versicherungsvertrag zurückgetreten; der Versicherungsschutz des Klägers beschränkt sich daher auf den mit der Vereinbarung vom 21.03.2002 begründeten Vertrag und schließt im Zusammenhang mit Fertilitätsstörungen und der künstlichen Befruchtung der Ehefrau stehende Maßnahmen nicht mit ein.

Nach § 16 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn ein nach § 16 Abs. 1 VVG gefahrerheblicher Umstand nicht angezeigt wurde. Nach § 16 Abs. 3 Satz 3 VVG gilt ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, im Zweifel als erheblich. Ein wirksamer Rücktritt setzt vorab voraus, dass der Versicherungsnehmer bei der Schließung des Vertrags ihm bekannte aufklärungsbedürftige Tatsachen nicht oder nicht vollständig angegeben hat. Dabei trägt zunächst der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Versicherungsnehmer die aufklärungsbedürftigen Tatsachen kennt. Die Gesundheitsfragen können sich naturgemäß nur auf die dem Versicherungsnehmer bekannten Umstände beziehen. Ein Versicherungsnehmer kann immer nur zur Offenbarung der ihm bekannten Tatsachen verpflichtet sein. Dementsprechend verlangt § 16 Abs. 1 VVG auch nur die Angabe der dem Versicherungsnehmer bekannten Gefahrumstände. Behauptet nach alledem der Versicherungsnehmer substantiiert, er habe die aufklärungsbedürftigen Tatsachen nicht gekannt, so muss zunächst der Versicherer die Kenntnis des Versicherungsnehmer von diesen Tatsachen beweisen (OLG Hamm VersR 1994, 1333).

Die Beweisaufnahme hat keine dahingehende Klärung gebracht, ob der Kläger von Untersuchungen seines Spermas im nachgefragten Zeitraum Kenntnis hatte. Daher kann von einer Falschbeantwortung der Frage Nr. 7 nicht ausgegangen werden.

Der Kläger hat jedoch die Frage nach "Gesundheitsstörungen oder Beschwerden" unvollständig beantwortet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der Kläger die Diagnose Oligoasthenoteratozoospermie-Syndrom bzw. eine Umschreibung davon kannte. Nach der Lebenserfahrung wäre allerdings zu erwarten, dass die Eheleute während der Behandlung bei Frau Dr. T zumindest einmal über deren medizinische Beurteilung eine Unterredung geführt und dabei deren Diagnose, die auch im Vertrag vom 26.3.1998 niedergelegt ist, erfahren haben. Auch die Angaben der Zeugin Dr. T lassen vermuten, dass entsprechend deren üblicher Handhabung eine solche Unterrichtung stattgefunden hat. Letztlich sollte auch angenommen werden, dass bei der gegebenen Problemlage der Kläger den Vertrag vom 26.3.1998 einer genaueren Lektüre unterzogen hat. Mit hinreichender Sicherheit kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass angesichts einer Verkettung ungewöhnlicher Umstände es hierzu gleichwohl nicht gekommen ist. Damit ist aber eine Anzeigepflichtverletzung noch nicht ausgeschlossen.

Die Antragsfrage ist erkennbar auch auf die Angabe solcher körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen gerichtet, die nicht die Schwere oder Intensität einer Krankheit aufweisen, jedoch als deren Vorbote angesehen werden müssen oder - was hier einschlägig ist - Anlass für ärztliche Bemühungen geben. Die Frage erfasst demnach jede für den medizinischen Bereich nicht offenkundig belanglose oder alsbald vergehende (BGH VersR 1994, 1457) Beeinträchtigung. Zu den "Gesundheitsstörungen oder Beschwerden" rechnet daher auch die ungewollte Kinderlosigkeit, sofern deren Ursache ungeklärt und nicht allein beim Partner festzumachen ist. Von diesem Umstand hatte der Kläger auch zweifelsfrei Kenntnis. Dabei spielt es keine Rolle, ob bei ihm jetzt oder auch im nachgefragten Zeitraum eine ausgeprägte Einschränkung der Spermienbildung (Oligoasthenoteratozoospermie-Syndrom = OAT-Syndrom) vorlag oder ob es sich, wie er nunmehr behauptet, um eine gemischte Störung handelt. Unerheblich ist ferner, ob dem Kläger die Diagnose OAT-Syndrom - wie in dem von ihm unterzeichneten Vertrag vom 26.03.1998 aufgeführt - bekannt war. Hinsichtlich der Anzeigepflicht kommt es auf die Kenntnisse des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss an; etwaigen ärztlichen Fehleinschätzungen über die Ursache kommt keine Bedeutung zu (BGH VersR 1994, 711), sofern sie nicht zu dem Schluss verleiten, die eigene körperliche Konstitution sei gar nicht betroffen.

Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass dem Kläger bei Antragstellung zumindest bewusst war, dass seine Kinderlosigkeit ihre Ursache nicht allein in der körperlichen Verfassung seiner Ehefrau hatte. Die Zeugin F. hat glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass beide Eheleute davon ausgingen, dass sie in dieser Beziehung "nicht zu einander passten". Sie hat dabei auf die unter dem Mikroskop beobachtete Reaktion der Spermien auf den Kontakt mit ihrem Gebärmutterschleim verwiesen. Die Beweisaufnahme hat ferner nachhaltig belegt, dass die Untersuchungen der Ehefrau bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Befunde geliefert hatten, die allein die Kinderlosigkeit hätten erklären können. Demgemäss können solche Befunde dem Kläger auch nicht bekannt gewesen sein. Dem Kläger war ferner bekannt, dass die Kinderlosigkeit auch Gegenstand auf ihn gerichteter ärztlicher Bemühungen war. Das gilt schon hinsichtlich der Spermiogramme von Dr. W im Jahr 1996. Dabei spielt es keine Rolle, dass diese Untersuchungen vor dem nachgefragten Dreijahreszeitraum lagen. Entscheidend ist vielmehr, dass der die Untersuchung veranlassende Zustand der ungewollten Kinderlosigkeit auch nach dem 21.7.1997 - wie der Kläger wusste - andauerte.

Die Gesundheitsfrage Nr. 6 ist auch insofern objektiv falsch beantwortet, als bei den Erläuterungen unter Nr. 16 die in den nachgefragten Zeitraum fallenden Versuche einer intrazytoplasmatischen Spermainjektion nicht angegeben wurden. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang meint, es habe sich dabei um Behandlungen seiner Ehefrau gehandelt, steht dies dem Nachweis seiner Kenntnis von dem nachgefragten Umstand nicht entgegen. Der Kläger ging - wie oben dargelegt - zumindest davon aus, dass die Kinderlosigkeit auf einer Unverträglichkeit der körperlichen oder seelischen Gegebenheiten zwischen beiden Ehepartnern beruhte. Ärztliche Maßnahmen, die darauf abzielten, die Wirkungen dieser Unverträglichkeit zu unterlaufen, sind ersichtlich auch beide Ehepartner betreffende Behandlungen. Dies war auch dem Kläger bewusst, der den Vertrag vom 26.5.1998 unterzeichnete und darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung anlässlich seiner Anhörung angegeben hat, bei seinen Besuchen in der Praxis Dr. T habe nicht nur seine Ehefrau, sondern auch er seine Krankenversicherungskarte verwenden müssen.

Der Kläger, der insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist (Senat VersR 1990, 1264; BGH VersR 1994, 1457), hat auch keine überzeugenden Umstände dargelegt und bewiesen, die den Rücktritt der Beklagten vom Versicherungsvertrag gem. § 16 Abs. 3 VVG wegen fehlenden Verschuldens ausschließen könnten. Vorsatz ist nicht erforderlich, es genügt auch leichte Fahrlässigkeit (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. §§ 16, 17 Rdn. 34). Die Kinderlosigkeit spielte und spielt verständlicherweise eine gewichtige Rolle im Leben des Klägers und seiner Ehefrau. Auch die Bemühungen von Ärzten in diesem Zusammenhang waren nachhaltig. Die Versuche einer intrazytoplasmatischen Spermainjektion waren im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch noch nicht beendet. Die Erheblichkeit für die Frage des Krankenversicherungsschutzes lag wohl sogar auf der Hand. Selbst wenn der Kläger bei Antragstellung Zweifel gehegt hätte, ob es sich hier um mitzuteilende Umstände handelte, so hätte er diesbezüglich nachfragen müssen. Als unverschuldet kann sein Verschweigen deshalb nicht gewertet werden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs.1 Satz 2 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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