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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 07.06.2000
Aktenzeichen: 13 U 78/98
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 831
BGB § 847
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESHERICHT KARLSRUHE 13. Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil

13 U 78/98

Verkündet am: 07.06.2000

In Sachen

wegen Schadensersatz

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 13. Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 17.05.2000 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Kallfaß Richter am OLG Dr. Langrock Richterin am Landgericht Gundlach-Keller

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 16.11.1995 -1 O 164/93- wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten sämtlicher Instanzen einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 42.000,- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet. In beiden Fällen kann die Sicherheit auch durch unbedingte und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland als Zoll - und Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

4. Die Beschwer der Klägerin und der Streitwert betragen 75.000,- DM.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Klinik Schadensersatz, da sie nach einer dort durchgeführten Operation auf den rechten Auge erblindete.

Die Klägerin litt an einem Tumor im Bereich der Hirnanhangsdrüse, welcher am 14.3.1990 in der neuro-chirurgischen Klinik der Beklagten im Wege des subfrontalen Zuganges (OP-Bericht: rechts-pterionale Trepanation) operiert wurde. Die Aufklärung fand am Vorabend der Operation durch den Stationsarzt und Zeugen Dr. B... statt.

Anlässlich der Operation erlitt die Patientin einen fast vollständigen Sehverlust auf dem rechten Auge.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Urteils des Senats vom 22.1.1997 Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Prozeßzinsen zu bezahlen und

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der auf der fehlgeschlagenen Operation vom 14.03.1990 beruht, soweit Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 16.11.1995 (AS I 257 ff) abgewiesen. Auf den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.

In der Berufung hat die Klägerin beantragt,

1. Das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 16.11.1995 (1 O 164/93) wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Es wird weiter festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der fehlgeschlagenen Operation vom 14.03.1990 entstanden ist und entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Senatsurteils vom 22.1.1997 Bezug genommen. Die Berufung der Klägerin hat der Senat mit Urteil vom 22.1.1997 zurückgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe (II 101 ff) wird Bezug genommen.

Gegen das Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt.

Mit Urteil vom 17.3.1998 hat der BGH (AZ.: VI ZR 74 / 97) das Urteil des Senats aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der BGH hat ausgeführt, die Aufklärung habe zu spät stattgefunden und eine hypothetische Einwilligung der Klägerin dürfe ohne Anhörung nicht angenommen werden. Die Aufklärung am Vorabend der Operation sei zu spät erfolgt und die Einwilligung damit unwirksam.

Die Parteien verhandeln mit unveränderten Anträgen weiter.

Der Senat hat ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G... eingeholt unter Übersendung der mittlerweile vorgelegten Kernspinaufnahmen. Auf das Ergänzungsgutachten vom 27.09.1999 wird Bezug genommen (II Bd. 2, 213f)

Ferner hat der Senat hat die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Senatsprotokoll vom 17.5.2000 (II Bd. 2, 259f) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung der Klägerin ist zulässig; in der Sache hat sie indessen keinen Erfolg.

I.

Mit dem Urteil des BGH ist davon auszugehen, dass die Aufklärung am Vorabend der Operation zu spät erfolgte und damit die Einwilligung der Klägerin unwirksam war.

Ein Anspruch aus §§ 823, 831, 847 BGB auf Schmerzensgeld und Schadensersatz ist jedoch nicht gegeben, da der Senat davon überzeugt ist, dass die Klägerin die Einwilligung auch nach ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt und den Eingriff in gleicher Weise von der Beklagten hätte durchführen lassen.

a. Aufgrund des Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. G... vom 27.9.1999 steht nunmehr fest, dass aufgrund der besonderen Ausbreitung der Tumoranatomie die Wahl des subfrontalen Zuganges korrekt war, obwohl es sich nur um einen kleinen Tumor gehandelt hat. Dieser Zugang war nach seinen überzeugenden Ausführungen geeigneter als der transsphenoidale, bei dem durch die Operation im "blinden Weg" die Gefahr von Schäden an Sehnerv und Blutgefäßen groß gewesen wäre.

Diese Ausführungen waren dem Gutachter erst aufgrund der Vorlage der vor der Operation erstellten Kernspinaufnahmen möglich. Er korrigierte deswegen sein erstes Gutachten, in dem er noch von der Gleichwertigkeit der Operationsmethoden ausgegangen war - jeweils bei Betrachtung ex ante - dahingehend, dass dem subfrontalen, transcraniellen Zugang eindeutig der Vorzug zu geben sei.

b. Die zu unterstellende ordnungsgemäße Aufklärung hätte zum einen in größerem Abstand zum Operationstermin erfolgen müssen, sodass der Klägerin noch ausreichend Zeit geblieben wäre, sich die Sache gründlich zu überlegen und mit anderen zu besprechen. Inhaltlich hätte die Aufklärung deutlich machen müssen, dass aufgrund der Lage des Tumors eine Operation transcraniell, also durch die Schädeldecke, vorgenommen werden müsse, da nur auf diesem Wege die Verhältnisse durch das Operationsmikroskop dargestellt und das Verletzungsrisiko von Sehnerv und Blutgefäßen so gering wie möglich gehalten werden könne. Dabei hätte auf die Erkenntnisse über die Lage des Tumors durch die Kernspinaufnahme hingewiesen werden müssen, welche eine genauere Positionsfeststellung des Tumors erlaube als die Computertomographie. Weiter hätte deutlich gemacht werden müssen, dass es bei Ablehnung der Operation im Laufe von 2 Jahren spontan zu einer Erblindung auf dem rechten Auge kommen würde und auch mit einer fortschreitenden Teilerblindung des linken Auges gerechnet werden müsse. Das Aufklärungsgespräch hätte auch auf die Risiken einer Schädeleröffnung, das Aussehen nach der Operation und andere Fragen der Klägerin eingehen müssen. Die - im vorliegenden Fall aufgrund der anatomischen Gegebenheiten letztendlich nicht mehr in ernsthafte Erwägung zu ziehende - Möglichkeit, einen Eingriff transsphenoidal vorzunehmen, hätte mit der Klägerin ohne Anlass nicht erörtert werden müssen, da die Operationsmethode vom Operateur zu bestimmen ist und dieser die am besten geeignete auswählen muss. Bei Nachfragen hätte auf die erhöhten Gefahren dieser Methode im vorliegenden Fall hingewiesen, sie aber als Alternative abgelehnt werden müssen.

c. Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung erklärt, dass sie sicher einen Arzt ihres Vertrauens aufgesucht hätte, wenn sie in einem rechtzeitigen Aufklärungsgespräch erfahren hätte, dass sie durch die Schädeldecke operiert werden sollte. Ein solcher Arzt hätte ihr Frauenarzt sein können. Aufgrund des Eindruckes in ihrer Kindheit über das Aussehen ihrer Pflegemutter nach einer Operation am Kopf sei ihr die Vorstellung einer Schädeloperation eine Horrorvision. Ihre Arbeitskollegin, die ebenfalls an einem vergleichbaren Tumor operiert worden sei, habe nach der Operation, die durch die Nase erfolgt sei, zwar schlimm, aber nicht so sehr, ausgesehen. Sie glaube deshalb, dass sie auf einer Operation durch die Nase bestanden hätte, wenn ihr die Notwendigkeit einer Operation nahe gelegt worden wäre, auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die hohen Risiken.

II.

Die Klägerin hat damit dargetan, dass sie direkt nach einer auch ordnungsgemäß erfolgten Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre und sich noch mit einem weiteren Arzt ihres Vertrauens besprochen hätte. Wohl wissend, dass daran strenge Anforderungen zu stellen sind, hat der Senat dennoch die Überzeugung, dass sich die Klägerin danach für eine Operation transcraniell entschieden hätte.

a. Dieses gilt zum einen deshalb, weil es keine wirkliche Alternative zur vorgeschlagenen und durchgeführten Operationsmethode gab und die Operation transsphenoidal ein so deutlich erhöhtes Risiko von Sehnerv - und Blutgefäßverletzung gehabt hätte, dass es fraglich gewesen wäre, ob sich überhaupt jemand bereit erklärt hätte, die Operation - auch auf ausdrücklichen Wunsch der Beklagten - so durchzuführen. Weiterhin ist die Beklagte eine anerkannte und ausgewiesene Fachklinik, die der Klägerin vom Arzt ihres Vertrauens, nämlich ihrem Frauenarzt, empfohlen worden war und in der auch ihre Arbeitskollegin durch den selben Operateur erfolgreich operiert worden war.

b. Zum anderen ist der Senat der Überzeugung, dass eine umfassende, kompetente Aufklärung die anfänglichen persönlichen Zweifel der Klägerin ausgeräumt hätte. Die Klägerin hat bei ihrer persönlichen Anhörung auf den Senat den Eindruck gemacht, dass sie vernünftigen Argumenten zugänglich ist und bei vertrauenserweckender Aufklärung auch in der Lage wäre, eine für sie weniger risikoreiche Behandlung zu akzeptieren, die auf den ersten Eindruck für sie die abschreckendere und Entsetzen hervorrufende gewesen wäre, aber ihr von einem verantwortungsbewussten, vertrauenerweckenden Arzt nahegelegt worden wäre. Der Senat ist überzeugt, dass der Arzt - wahrscheinlich ihr Frauenarzt -, den die Klägerin noch zur Beratung gesprochen hätte, ihr aus den überzeugenden medizinischen Gründen zur Durchführung der geplanten Operation geraten hätte. Die Klägerin war sich bei ihrer Anhörung darüber im Klaren, dass es im Nachhinein sehr schwer sei, sich in die hypothetische Situation vor der Operation - also ohne Berücksichtigung der bedauerlicher Weise eingetretenen schlimmen Folge der Erblindung auf dem rechten Auge - mit ordnungsgemäßer Aufklärung und Überlegungsfrist hineinzuversetzen.

Da aber eine Beurteilung ex ante erfolgen muss, ist der Senat der Überzeugung, dass die Klägerin in der konkreten Situation der medizinisch gebotenen und vernünftigen Vorgehensweise zugestimmt hätte und sich, wie geschehen, hätte operieren lassen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Obwohl die Revision der Klägerin zur Aufhebung des ersten Berufungsurteils führte, hat sie auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen, da letztendlich ihre Berufung erfolglos blieb (Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 97, Rnr. 8). Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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