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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 15.05.2008
Aktenzeichen: 14 Wx 10/08
Rechtsgebiete: GG, FEVG, AAZuVO bad.-württ. v. 11.01.2005, VwVfG


Vorschriften:

GG Art. 35
FEVG § 3
AAZuVO bad.-württ. v. 11.01.2005 § 4
VwVfG § 7
1. Ob der Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft von der zuständigen Verwaltungsbehörde gestellt wurde, ist in jeder Lage des Verfahrens und damit auch durch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen.

2. Es bleibt offen, ob das an eine nach der bad.-württ. Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung (AAZuVO) örtlich unzuständige Ausländerbehörde gerichtete entsprechende Ersuchen der zuständigen Behörde grundsätzlich eine Befugnis der ersuchten Behörde zur Stellung eines Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft begründen kann.

3. Eine von der zuständigen Behörde aufgrund eines Amtshilfeersuchens abgeleitete Zuständigkeit der nach der normierten Zuständigkeitsordnung unzuständigen Ausländerbehörde kommt - wenn überhaupt - allenfalls dann in Betracht, wenn zum einen die Voraussetzungen für ein entsprechendes Amtshilfeersuchen gegeben waren und zum anderen sowohl gegenüber dem Betroffenen als auch gegenüber dem Gericht offengelegt wird, daß im Wege der Amtshilfe vorgegangen wird.

4. Ein Vorgehen im Wege der Amtshilfe ist wegen der damit verbundenen Überschreitung von Zuständigkeitsgrenzen nur insoweit zulässig, als sie zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung tatsächlich erforderlich ist.


Oberlandesgericht Karlsruhe 14. Zivilsenat in Freiburg Beschluss

Geschäftsnummer: 14 Wx 10/08

15. Mai 2008

Abschiebungshaftsache

wegen Abschiebungshaft

hier: sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen Sodatonou gegen den Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 21.01.2008 - 4 T 108/07 -

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 21.01.2008 - 4 T 108/07 - wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, daß die Anordnung der Abschiebungshaft durch Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 04.04.2007 - XIV 15/07 B - rechtwidrig war.

3. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Betroffenen notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Land Baden-Württemberg auferlegt.

4. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

5. Dem Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Jan Lam, Bremen, Humboldtstraße 56, bewilligt.

Gründe:

I.

Der Betroffene, ein togoischer Staatsbürger, war am 20.08.2001 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sein am 23.08.2001 gestellter Asylantrag wurde durch Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 19.09.2001 unter Androhung der Abschiebung abgelehnt. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 29.03.2003 vollziehbar. Der vom Betroffenen am 09.06.2004 gestellte Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde durch Beschluss des Bundesamtes vom 17.06.2004 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage war jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts noch anhängig.

Die vom Landkreis S.-F. (Niedersachsen) als der zuständigen Ausländerbehörde für den 28.06.2005 vorgesehene Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, weil der Betroffene seit dem 01.06.2005 untergetaucht war.

Nachdem der Betroffene in Frankreich aufgegriffen und im Regierungsbezirk Freiburg den deutschen Behörden überstellt worden war, hat das Regierungspräsidium Freiburg - Bezirksstelle für Asyl - am 04.04.2007 beim Amtsgericht Offenburg gegen den Betroffenen die Sicherungshaft bis zum 31.05.2007. Dabei wurde es - wie es dem Landgericht auf dessen Anfrage am 26.04.2007 mitgeteilt hat - in Amtshilfe für die Ausländerbehörde des Landratsamtes S.-F. auf deren Ersuchen vom 04.04.2007 hin tätig.

Auf diesen Antrag hat das Amtsgericht Offenburg mit Beschluss vom 04.04.2007 gegen den Betroffenen die bis zum 31.05.2007 befristete Abschiebungshaft angeordnet. Dagegen hat der Betroffene mit Anwaltschriftsatz vom 18.04.2007 sofortige Beschwerde eingelegt. Am 25.04.2007 wurde er abgeschoben. Mit Anwaltschriftsatz vom 03.05.2007 hat der Betroffene Feststellung beantragt, daß die Abschiebungshaft rechtswidrig war.

Mit Beschluss vom 21.01.2008, der seinen Verfahrensbevollmächtigten am 07.02.2008 zugestellt wurde, hat das Landgericht Offenburg die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die mit am 21.02.2008 als Fax-Schreiben beim Landgericht eingegangenem (AS 239) Anwaltschriftsatz vom selben Tag eingelegte sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, für die er Prozesskostenhilfe begehrt.

II.

Das gemäß §§ 3 S. 2, 7 Abs. 2, 6 Abs. 2 lit. a FEVG i.V.m. §§ 27, 29 FGG statthafte sowie form- und fristgemäß eingelegte Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1. Mit Recht hat das Landgericht die Erstbeschwerde des Betroffenen für zulässig erachtet. Durch den am 25.04.2007 erfolgten Vollzug der Abschiebung ist zwar Erledigung der Hauptsache eingetreten (Kahl, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. 2003, Rdn. 87 zu § 19 - Stichwort "Freiheitsentziehung"), das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen an einer Entscheidung zur Frage der Rechtsmäßigkeit der erledigten Freiheitsentziehung ist damit aber nicht entfallen (BVerfGE 104, S. 220 ff., 231 ff.). Dem hat der Betroffene dadurch Rechnung getragen, daß er die Feststellung beantragt hat, daß die aufgrund des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 04.04.2007 vollzogene Abschiebungshaft rechtswidrig sei.

2. Die Sachentscheidung des Landgerichts hält dagegen der rechtlichen Überprüfung (§ 27 FGG i.V.m. § 546 ZPO) nicht stand. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Abschiebungshaft nicht von der zuständigen Ausländerbehörde gestellt worden war.

a) Gemäß § 3 S. 1 FEVG kann Abschiebungshaft nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde angeordnet werden. Bei Antragsverfahren ist das Vorliegen eines zulässigen Antrags Verfahrensvoraussetzung (vgl. nur BayObLGZ 1997, S. 77 ff., 78; Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O. Rdn. 22 zu § 12). Das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist deshalb in jeder Lage des Verfahrens und damit auch durch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen.

b) Im hier zu entscheidenden Fall war - wovon offenbar auch das Landgericht ausgeht - das Regierungspräsidium Freiburg für die Stellung des Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft örtlich nicht zuständig. In Baden-Württemberg richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörden nach § 4 der u.a. aufgrund § 71 Abs. 1 S. 2 des AufenthG ergangenen Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylverfahrensgesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer (Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO). Aus deren Abs. 1 ergibt sich eine örtliche Zuständigkeit der Antragstellerin nicht, weil der von den französischen den deutschen Behörden überstellte Betroffene sich im Dienstbezirk des Regierungspräsidiums Freiburg weder gewöhnlich aufhielt noch sich darin gewöhnlich aufzuhalten beabsichtigte. - § 4 Abs. 2 S. 1 und 2 greifen deshalb nicht ein, weil es nicht um bei der Antragstellerin gestellte Anträge geht (S. 1) bzw. weil eine andere Ausländerbehörde - das Landratsamt S.-F. - zuständig war (S. 2). - Schließlich handelte es sich bei dem Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft auch nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme, für die gem. § 4 Abs. 2 S. 3 AAZuVO jede Ausländerbehörde zuständig ist, in deren Bezirk sich die Notwendigkeit der Anordnung ergibt. Voraussetzung für eine derartige Eilzuständigkeit wäre gewesen, daß die in erster Linie zuständige Ausländerbehörde zur rechtzeitigen Antragstellung nicht in der Lage gewesen wäre. Davon kann im vorliegenden Fall indessen nicht die Rede sein: Ebensogut wie die Ausländerbehörde des Landkreises S.-F. das Regierungspräsidium Freiburg unter Übermittlung der für die Antragstellung erforderlichen Unterlagen um Antragstellung im Wege der Amtshilfe ersuchen konnte, hätte es beim zuständigen Amtsgericht den Antrag stellen können, was sogar zu einer zeitlichen Beschleunigung geführt hätte.

c) Auch das Landgericht geht - stillschweigend - davon aus, daß sich eine Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg zur Stellung des Haftantrags nicht aus den in der AAZuVO normierten Zuständigkeitsregelungen herleiten lässt. Weiter führt es aus, daß eine eigene, originäre Zuständigkeit zur Antragstellung nach § 3 S. 1 FEVG auch nicht durch das Amtshilfeersuchen des Landkreises S.-F. begründet worden sei. Gleichwohl ist es der Auffassung, daß das Regierungspräsidium Freiburg den Haftantrag wirksam habe stellen können, weil es sich damit innerhalb der Grenzen der Amtshilfe gehalten habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

aa) Allerdings ist Amtshilfe eine Hilfeleistung zwischen Behörden, die zwar zu keiner vollständigen Zuständigkeitsverlagerung von der ersuchenden auf die ersuchte Behörde führt (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, Rdn. 10 a zu § 4), aber doch stets mit einer Überschreitung bestehender Kompetenz- und Zuständigkeitsgrenzen verbunden ist (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. 2002, Rdn. 4 zu Art. 35). Deshalb spricht manches für die grundsätzliche Richtigkeit der Auffassung des Landgerichts, wonach die hierzu ersuchte für die ersuchende - und für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme die Verantwortung tragende (vgl. hier § 1 Abs. 1 ndsVwVfG i.V.m. § 7 Abs. 2 VwVfG) - Ausländerbehörde auch wirksam einen Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft stellen kann.

bb) Ob der Amtshilfe leistenden Ausländerbehörde grundsätzlich eine - von der ersuchenden Behörde abgeleitete - Kompetenz zur Stellung von Haftanträgen zukommen kann (verneinend etwa LG Berlin, NVwZ 1997, Beilage Nr. 1,S. 4 f.; OLG Frankfurt vom 13.11.1998 - 20 W 442/98 - in: Juris; OLG München vom 28.09.2006 - 34 Wx 115/06 - in: Melchior, Abschiebungshaft, Anhang), bedarf im vorliegenden Fall indessen keiner Entscheidung. Im vorliegenden Fall wäre die Antragstellung nämlich auch dann unwirksam gewesen, wenn diese Frage zu bejahen wäre.

Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehört zu den Grundprinzipien des Rechtsstaats (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Der in den Zuständigkeitsnormen ihre Ausprägung findenden Kompetenzordnung kommt nicht nur im Bereich der Gesetzgebung (vgl. BVerfGE 55, S. 274 ff., 300 ff., BVerfGE 108, s. 169 ff., 181 f.), sondern auch im Bereich der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden grundrechtssichernde Funktion zu. Gerade im Bereich der Zuständigkeit für freiheitsentziehende Maßnahmen - wie hier der Abschiebungshaft - bedarf es klarer und eindeutiger Zuständigkeitsregelungen, um im Interesse des durch eine solche Maßnahme Betroffenen eine effektive Rechtskontrolle zu ermöglichen. Eine von der zuständigen Behörde qua Amtshilfeersuchen abgeleitete Zuständigkeit der nach der normierten Zuständigkeitsordnung unzuständigen Ausländerbehörde zur Stellung eines Haftantrags kommt deshalb - wenn überhaupt - allenfalls dann in Betracht, wenn zum einen die Voraussetzungen für ein entsprechendes Amtshilfeersuchen gegeben waren und zum anderen sowohl gegenüber dem Betroffenen als auch gegenüber dem Gericht offengelegt wird, daß im Wege der Amtshilfe vorgegangen wird, damit die Zulässigkeit des Haftantrags beurteilt werden kann. Im vorliegenden Fall fehlt es an beidem:

(1) Gerade weil ein Vorgehen im Wege der Amtshilfe mit der Überschreitung von Zuständigkeitsgrenzen verbunden ist, ist sie nur insoweit zulässig, als sie zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung tatsächlich erforderlich ist (vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O., Rdn. 4 zu Art. 35). Dem entspricht es, daß es nach § 1 des hier maßgeblichen nds VwVfG (i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG) zu den Voraussetzungen eines Ersuchens um Amtshilfe gehört, daß die ersuchte Behörde "die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde".

An der Voraussetzung der Erforderlichkeit hat es im vorliegenden Fall bezüglich des zu stellenden Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft aus demselben Grund gefehlt, der zur Verneinung einer Eilzuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg nach § 4 Abs. 2 S. 3 AAZuVO führt (vgl. oben Abschnitt II 2 b): Wie den Akten zu entnehmen ist, wäre die zuständige Ausländerbehörde des Landkreises S.-F. selbst ohne weiteres in der Lage gewesen, am 04.04.2007 beim zuständigen Amtsgericht den Haftantrag zu stellen. Denn dem an diesem Tage vom Regierungspräsidium Freiburg um 11.24 Uhr dem Amtsgericht Offenburg zugefaxten Haftantrag (AS 1) lagen die ihm vom Landratsamt S.-F. am selben Tag um 9.58 Uhr mit Fax zugeleiteten Unterlagen bei. Damit bestand insoweit kein Grund, unter Überschreitung der normierten Zuständigkeitsgrenzen im Wege der Amtshilfe vorzugehen.

(2) Der Haftantrag des Regierungspräsidiums Freiburg selbst enthielt keinerlei Hinweis darauf, daß und - erst recht nicht - warum er im Wege der Amtshilfe gestellt werde. Auch war ihm nicht das - erst auf Veranlassung des Landgerichts im Beschwerdeverfahren vorgelegte - Amtshilfeersuchen des Landkreises vom 04.04.2007 beigefügt. Auf ein Vorgehen im Wege der Amtshilfe deutete allenfalls der Umstand, daß in der Fax-Leiste der mit dem Haftantrag übermittelten Unterlagen auch der Landkreis S.-F. vermerkt war. Damit war dem Haftrichter und erst recht dem Betroffenen selbst die Überprüfung, ob die antragstellende Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit handelte, zumindest stark erschwert.

III.

Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist wegen § 15 Abs. 2 FEVG nicht veranlasst.

Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 16 S. 1 FEVG. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf den §§ 31 Abs. 1 S. 1; 131 Abs. 2; 30 Abs. 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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