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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 15 AR 18/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StVG


Vorschriften:

ZPO § 13
ZPO § 16
ZPO § 36 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Ziff. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 696 Abs. 3
BGB § 823 Abs. 1
StVG § 18 Abs. 1
Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO setzt in der Regel voraus, dass eines der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte örtlich zuständig ist. Sind hingegen beide bisher beteiligten Gerichte unzuständig, erfolgt im Bestimmungsverfahren eine Rückgabe an das Prozessgericht, bei dem das Verfahren bisher anhängig war, zur weiteren Prüfung der Zuständigkeit.
Oberlandesgericht Karlsruhe 15. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 15 AR 18/04

16. Juni 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Gerichtsstandsbestimmung

Tenor:

a) Der Beschluss des Amtsgerichts Weinheim vom 25.03.2004 - 4 C 11/04 - wird aufgehoben.

b) Das Verfahren wird zur weiteren Prüfung der Zuständigkeit an das Amtsgericht Weinheim zurückgegeben.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung in Höhe von insgesamt (nach einer Klageerweiterung) 2.258,95 €. Nach Widerspruch der Beklagten gegen einen entsprechenden Mahnbescheid des Amtsgerichts S. ist das Verfahren an das Amtsgericht We. abgegeben worden. Dieses hat sich mit Beschluss vom 25.03.2004 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Wi. verwiesen. Das Amtsgericht Wi. hat eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das Amtsgericht Wi. hält den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts We. für nicht bindend und hat das Verfahren daher dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO liegen nicht vor.

1. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist zuständig zur Entscheidung im negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Amtsgericht We. und dem Amtsgericht Wi. gemäß § 36 Abs. 1 ZPO.

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO liegen nicht vor. Zwar haben sich sowohl das Amtsgericht We. als auch das Amtsgericht Wi. im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt. Eine Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht Karlsruhe käme jedoch nur dann in Betracht, wenn eines der beiden beteiligten Gerichte zuständig wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Senat kann weder eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Wi. noch eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts We. feststellen.

I. Das Amtsgericht Wi. hat seine Zuständigkeit zu Recht verneint.

1. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Wi. ergibt sich nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts We. vom 25.03.2004. Denn der Verweisungsbeschluss ist nicht bindend.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verweisung - abweichend von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO - nicht bindend sein kann, wenn sie "objektiv willkürlich" erscheint; die Rechtsprechung der Obergerichte räumt hierbei der Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften, die für besonders bedeutsam erachtet werden, teilweise den Vorrang ein gegenüber dem normalerweise geltenden Grundsatz der Bindung von Verweisungsentscheidungen (vgl. zu den Einzelheiten Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 281 ZPO Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die Abgrenzung derjenigen Verfahrensfehler, die zu einer Durchbrechung der Bindungswirkung führen müssen, vielfach schwierig ist. (Vgl. zu dieser Problematik Tombrink, Was ist "Willkür"? - Die "willkürliche" Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht, NJW 2003, 2364.)

Hervorzuheben ist, dass der unglückliche Begriff der "objektiven Willkür" (vgl. dazu Endell, Die Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen und der Begriff der "objektiven Willkür", DRiZ 2003, 133, 135) grundsätzlich keinen Vorwurf gegenüber dem die Verweisung aussprechenden Richter enthält; ein solcher Vorwurf stünde dem Senat ohnehin nicht zu. Es geht vielmehr lediglich um eine nach Auffassung des Senats aus bestimmten verfahrensrechtlichen Gründen erforderliche sachliche Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung in einem nach der Zivilprozessordnung vorgegebenen Verfahren, entsprechend und vergleichbar der üblichen Abänderung von Gerichtsentscheidungen in Beschwerde-, Berufungs- oder Revisionsverfahren.

Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen, unter denen nach den Grundsätzen der Rechtsprechung die bindende Wirkung einer Verweisung zu verneinen ist, vor. Das Amtsgericht We. hat der Beklagten keine Gelegenheit gegeben, zu der beabsichtigten Verweisung an das Amtsgericht Wi. Stellung zu nehmen. Ein ohne rechtliches Gehör ergangener Verweisungsbeschluss ist grundsätzlich nicht bindend (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 281 ZPO Rn. 17 a m.N.).

bb) Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Wi. ergibt sich auch nicht aus § 13 ZPO. Denn die Beklagte hatte ihren Wohnsitz zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit nicht im Bezirk des Amtsgerichts Wi..

Das Mahnverfahren ist vom Amtsgericht S. nicht "alsbald" nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben worden. Gemäß § 696 Abs. 3 ZPO ist für die Rechtshängigkeit daher nicht die Zustellung des Mahnbescheids sondern die Zustellung der Anspruchsbegründung maßgeblich. Diese ist der Beklagten nach der vorliegenden Zustellungsurkunde am 30.03.2004 (in M.) zugestellt worden (AS. 31, 32). Die Beklagte war in Wi. nicht gemeldet und hat sich am 30.03.2004 - wie aus der Zustellung in M. und den vom Amtsgericht Wi. eingeholten Auskünften (AS. 57) ersichtlich - auch nicht in Wi. aufgehalten.

cc) Eine andere rechtliche Grundlage für eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Wi. ist nicht ersichtlich.

II. Allerdings ist auch das Amtsgericht We. örtlich nicht zuständig.

1. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts We. ergibt sich nicht aus § 13 ZPO. Denn die Beklagte hatte zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit (30.03.2004) ihren Wohnsitz nicht mehr in We.. Dies ergibt sich aus den vom Amtsgericht Wi. eingeholten Auskünften (AS. 57) und im Übrigen auch aus dem vergeblichen Zustellversuch der Deutschen Post AG vom 12.12.2004 (AS. 25).

bb) Das Amtsgericht We. ist auch nicht als Gericht des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) zuständig. Denn dieser Gerichtsstand gilt nur für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis, nicht jedoch bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung. Die Klägerin macht jedoch keine vertraglichen Ansprüche geltend sondern (auf sie übergegangene) Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall gemäß § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 18 Abs. 1 StVG.

cc) Eine andere Grundlage für einen Gerichtsstand in We. ist nicht ersichtlich.

3. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts We. ist aufzuheben und die Sache ist zur weiteren Prüfung der Zuständigkeit an das verweisende Gericht zurückzugeben, da keines der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zuständig ist (vgl. zur Verfahrensweise in einem derartigen Fall BGH, NJW 1995, 534). Die Bestimmung eines anderen Gerichts als zuständig durch das Oberlandesgericht käme im Verfahren gemäß § 36 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO nur dann (aus Zweckmäßigkeitserwägungen) in Betracht, wenn das andere Gericht ausschließlich zuständig wäre und die Klägerin einen entsprechenden Verweisungsantrag gestellt hätte (vgl. BGH, NJW 1978, 1163). Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben. Insbesondere gibt es kein Gericht, das für die Entscheidung in der Hauptsache ausschließlich zuständig wäre.

4. Für das weitere Verfahren des Amtsgerichts We. weist der Senat auf folgendes hin:

Der Rechtsstreit wird an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen sein, wenn die Klägerin einen entsprechenden Antrag stellt. In jedem Fall dürfte ein Gerichtsstand in H. am Ort der unerlaubten Handlung gegeben sein (§ 32 ZPO; vgl. Zöller/Vollkommer, § 32 ZPO Rn. 7, Rn. 13). Am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung könnte - erforderlichenfalls - auch über eine konkurrierende Anspruchsgrundlage entschieden werden (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 32 ZPO Rn. 20). Sollte die Beklagte - was bisher wohl nicht eindeutig ermittelt wurde - nach der Aufgabe des Wohnsitzes in We. einen anderen Wohnsitz begründet haben, käme - falls dieser Wohnsitz am 30.03.2004 noch bestand - ein weiterer Gerichtsstand gemäß § 13 ZPO in Betracht, wobei allerdings der Aufenthalt in einer Fachklinik in M. nicht ohne weiteres zur Begründung eines Wohnsitzes in M. ausreichen dürfte (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 13 ZPO Rn. 5). Sollte die Beklagte hingegen nach dem Wegzug aus We. keinen Wohnsitz mehr gehabt haben, würde sich ein Gerichtsstand des Aufenthaltsorts in M. gemäß § 16 ZPO ergeben.

Ende der Entscheidung

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