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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 01.02.2005
Aktenzeichen: 15 W 44/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 247
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
1. Holt ein Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall ein Privatgutachten ein, weil er Zweifel an der Unfallschilderung und an der Schadenshöhe hat, sind die Kosten des Sachverständigen in einem späteren Zivilprozess nur dann erstattungsfähig, wenn das vorprozessuale Gutachten prozessbezogen eingeholt wurde.

2. Die Kosten des Gutachtens sind in der Regel nicht prozessbezogen entstanden, wenn der Haftpflichtversicherer den Sachverständigen zwar nach einem Anspruchsschreiben des Geschädigten, aber vor einer Klageandrohung beauftragt hat. Ein Betrugsverdacht des Haftpflichtversicherers ändert hieran nichts.


Oberlandesgericht Karlsruhe 15. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 15 W 44/04

01. Februar 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 22. Juli 2004 - 9 O 161/03 - (Kostenfestsetzung zugunsten der Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2) wie folgt abgeändert:

Aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Mannheim vom 02.04.2004 sind an Kosten zu erstatten: 3.698,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit 22.04.2004 von dem Kläger an die Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2.

Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde tragen die Beklagte Ziff. 1 und die Beklagte Ziff. 2 je zur Hälfte.

3. Der Beschwerdewert wird für die außergerichtlichen Kosten auf 2.862,88 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beklagte Ziff. 1 ist die zuständige Haftpflichtversicherung für ein Kraftfahrzeug, dessen Halterin die Beklagte Ziff. 2 ist. Mit Schreiben vom 15.07.2002 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Ziff. 1 Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis vom 10.07.2002 geltend. Der Kläger verlangte insbesondere - auf der Basis eines von ihm beschafften außergerichtlichen Gutachtens - Reparaturkosten in Höhe von 7.085,86 €.

Die Beklagte Ziff. 1 hatte Zweifel an der Schilderung des Unfallablaufs und an der Höhe des vom Kläger geltend gemachten Schadens. Am 18.07.2002 beauftragte sie daher den Sachverständigen X mit einer Prüfung der "Kompatibilität der Schäden der beteiligten Fahrzeuge" unter Berücksichtigung der Angaben zu dem Schadenhergang und mit einer Überprüfung der Schadenshöhe.

Mit Schreiben vom 02.09.2002 erinnerte der Kläger die Beklagte an sein Anspruchsschreiben vom 15.07.2002 und setzte zur Zahlung eine Frist bis zum 10.09.2002. Für den Fall der Nichtzahlung innerhalb der Frist kündigte der Kläger die Erhebung einer Klage an.

Am 20.09.2002 erstellte der Sachverständige X das von der Beklagten Ziff. 1 in Auftrag gegebene Gutachten. Er kam zu dem Ergebnis, der vom Kläger geschilderte Unfallablauf sei nachvollziehbar, die Schäden an den beteiligten Fahrzeugen kompatibel. Wegen bisher nicht berücksichtigter Vorschäden und eines Abzugs Neu für Alt seien die erforderlichen Reparaturkosten entgegen dem vom Kläger vorgelegten Gutachten jedoch nur auf 3.457,91 € anzusetzen.

Mit Schreiben vom 17.10.2002 lehnte die Beklagte Ziff. 1 eine Schadensregulierung ab, da sie "nach Abschluss unserer Ermittlungen" nicht von einem "reellen Schadenereignis" ausgehen könne.

Am 26.03.2003 erhob der Kläger Klage. Er verlangte von den Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 - sowie von dem am Beschwerdeverfahren nicht beteiligten Beklagten Ziff. 3 als Fahrer - Schadensersatz wegen des Unfalls vom 10.07.2002, wobei er insbesondere die von ihm mit 7.085,86 € angegebenen Reparaturkosten geltend machte. Die Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 traten der Klage entgegen. Sie bestritten sowohl das vom Kläger vorgetragene Unfallereignis als auch die Schadenshöhe. Das außergerichtliche Gutachten des Sachverständigen X legte die Beklagte Ziff. 1 zunächst nicht vor.

Mit Beschluss vom 18.07.2003 ordnete das Landgericht M. die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ein, sowohl zur Frage der Kompatibilität der Schäden mit dem vom Kläger behaupteten Unfallereignis als auch zur Frage der Schadenshöhe. Am 15.10.2003 (AS. 110) stellte die Beklagte Ziff. 1 das bei ihr vorliegende Gutachten des Sachverständigen X sowohl dem Gerichtsgutachter als auch dem Gericht und dem Kläger zur Verfügung. In seinem schriftlichen Gutachten vom 24.11.2003 (AS. 77 ff) kam der vom Gericht beauftragte Sachverständige zu dem Ergebnis, die vom Kläger angegebenen Schäden an seinem Fahrzeug seien teilweise mit dem geschilderten Unfallereignis vereinbar; es seien jedoch auch andere - nicht vereinbare - Schäden vorhanden. Wenn diese anderen Schäden bereits vor dem streitgegenständlichen Unfall entstanden seien, sei eine Schadenserhöhung durch den vom Kläger geschilderten Unfall nicht feststellbar. Gestützt auf dieses Gutachten wies das Landgericht M. mit Urteil vom 02.04.2004 die Klage ab.

Mit Beschluss vom 22.07.2004 hat die Rechtspflegerin die vom Kläger an die Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 zu erstattenden Kosten auf 6.561,14 € nebst Zinsen festgesetzt. Hierin ist ein Betrag von 2.862,88 € enthalten, welchen die Beklagte Ziff. 1 für das vorgerichtliche Gutachten des Sachverständigen X aufgewendet hat.

Gegen diese Kostenfestsetzung wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde. Er beanstandet die Festsetzung der Kosten des Privatgutachtens in Höhe von 2.862,88 €. Er hält diese Kosten für nicht erstattungsfähig. Die Beklagte Ziff. 1 habe das Gutachten des Sachverständigen X nicht prozessbezogen in Auftrag gegeben. Außerdem seien diese Kosten aus verschiedenen Gründen nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Die Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 verteidigen die Kostenfestsetzung durch die Rechtspflegerin des Landgerichts. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass sich die Beklagte Ziff. 1 als Haftpflichtversicherung in den Fällen eines Betrugsverdachts kaum anders gegen unberechtigte Ansprüche zur Wehr setzen könne. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Die von der Beklagten Ziff. 1 aufgewendeten Kosten für das Privatgutachten X in Höhe von 2.862,88 € sind nicht erstattungsfähig. Die zugunsten der Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 festzusetzenden Kosten reduzieren sich daher auf 3.698,26 €.

1. Die Kosten eines vorgerichtlichen Privatgutachtens gehören nur ausnahmsweise zu den im Rahmen von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erstattenden Kosten. Voraussetzung für eine Erstattung ist zum einen, dass es sich um "Kosten des Rechtsstreits" handelt und zum anderen, dass der Auftrag an den Privatsachverständigen im konkreten Fall auch notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung war (vgl. ausführlich BGH, NJW 2003, 1398 ff). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

2. Die Kosten für den Privatgutachter X sind keine "Kosten des Rechtsstreits" im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Es handelt sich um keine "prozessbezogenen" Kosten.

Es genügt insoweit nicht, wenn ein Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird, sondern das Gutachten muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, nicht erstattungsfähig (BGH a.a.O., 1399). Am 18.07.2002, als die Beklagte Ziff. 1 den Sachverständigen X beauftragte, gab es noch keine solche konkrete Aussicht auf einen erforderlichen Rechtsstreit.

a) Wenn ein Haftpflichtversicherer nach einem Anspruchsschreiben ein Gutachten in Auftrag gibt, geschieht dies in der Regel nicht im Hinblick auf einen Prozess. Die meisten Schäden aus Verkehrsunfällen werden außergerichtlich reguliert. Nach einem Anspruchsschreiben ist für die Haftpflichtversicherung in der Regel zunächst offen, ob sie freiwillig zahlt. Dementsprechend dient die Einholung eines Gutachtens zur Klärung des Unfallablaufs und zur Höhe der von der Gegenseite geltend gemachten Schäden für die Versicherung in erster Linie dazu, ihre Einstandspflicht zu klären, um sich zu entscheiden, ob ein Prozess erforderlich ist (vgl. OLG Köln, r+s 1994, 118). Die Klärung des Sachverhalts durch ein Privatgutachten dient in derartigen Fällen außerdem dazu, den Anspruchssteller von der klageweisen Geltendmachung eines unberechtigten Anspruchs abzuhalten. Vielfach wird durch ein solches außergerichtliches Gutachten eine vergleichsweise Erledigung des Streits (ohne Prozess) möglich (vgl. OLG Bamberg, VersR 1981, 74, 75). Unter diesen Umständen sind die Aufwendungen für das Privatgutachten nicht prozessbezogen, da die Möglichkeit einer Verwendung des Gutachtens in einem späteren Prozess nicht im Vordergrund steht (vgl. BGH a.a.O.; OLG Köln, a.a.O., 119; OLG Hamm, Juristisches Büro 1992, 818). So liegt der Fall hier: Zum Zeitpunkt des Gutachtenauftrags am 18.07.2002 standen für die Beklagte die Vorbereitung einer Entscheidung über ihre Einstandspflicht und eine mögliche außergerichtliche Erledigung der Angelegenheit im Vordergrund. Die zu diesem Zeitpunkt noch abstrakte und eher fern liegende Möglichkeit, dass das Gutachten eventuell auch später in einem Prozess Verwendung finden könnte, reicht für einen Prozessbezug nicht aus.

b) Entscheidend ist nach Auffassung des Senats der Umstand, dass der Kläger zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte Ziff. 1 das Gutachten in Auftrag gab, noch keine Klage angedroht hatte. Das Schreiben des Kläger-Vertreters vom 15.07.2002 ist ein übliches Anspruchsschreiben nach einem Verkehrsunfall, in welchem der Kläger zunächst von einer außergerichtlichen Regulierung ausging. Erst das weitere Schreiben des Kläger-Vertreters vom 02.09.2002 enthält eine Klageandrohung, nachdem die Beklagte Ziff. 1 bis dahin auf das Anspruchsschreiben nicht reagiert hatte. Zum Zeitpunkt der Klageandrohung hatte die Beklagte Ziff. 1 den Sachverständigen X schon beauftragt, so dass die Klageandrohung für die entstandenen Sachverständigenkosten keine Rolle spielte.

Erst nach einer ausdrücklichen Klageandrohung muss der Versicherer damit rechnen, dass nunmehr konkret und möglicherweise bereits in kurzer Zeit mit einem Rechtsstreit zu rechnen ist. Erst die Klageandrohung zwingt den Versicherer unter Umständen zu bestimmten Vorbereitungen auf einen Zivilprozess. Wenn ein Versicherer nach einer Klageandrohung ein Privatgutachten zur Klärung von Unfallablauf und Schadenshöhe in Auftrag gibt, wird dies in der Regel prozessbezogen sein. Vor Klageandrohung lässt sich ein Prozessbezug nach Auffassung des Senats in der Regel hingegen kaum feststellen (vgl. zur Bedeutung der Klageandrohung in derartigen Fällen BGH, a.a.O.; tendenziell anders in derartigen Fällen - Prozessbezug auch ohne Klageandrohung - OLG Frankfurt, Rechtspfleger 1980, 392, 393; OLG Frankfurt, Anwaltsblatt 1981, 114; OLG Frankfurt, VersR 1996, 122; OLG Köln, VersR 2004, 803; OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 286).

c) In der Rechtsprechung wird teilweise argumentiert, die Grundsätze über die Kostenerstattung von Privatgutachten seien großzügiger zu handhaben, wenn eine Haftpflichtversicherung bei der Regulierung von Verkehrsunfallschäden einen Betrugsverdacht hege (so wohl OLG Frankfurt, VersR 1996, 122 und OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.06.2004 - 8 W 184/2004 -, AS. 184 ff). Für eine solche großzügige Handhabung von Privatgutachten in Fällen eines Betrugsverdachts sieht der Senat jedoch keine rechtliche Grundlage.

Für den Begriff der "Kosten des Rechtsstreits" ist allein darauf abzustellen, ob sich das Gutachten auf den konkreten Rechtsstreit bezieht und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden ist (siehe oben). Die Frage eines Betrugsverdachts mag eine Rolle spielen bei der Prüfung, inwieweit die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig erscheinen; für den Begriff "Kosten des Rechtsstreits" kann ein Betrugsverdacht jedoch keine Rolle spielen.

Es gibt auch keine Billigkeitsgesichtspunkte, die für eine andere Handhabung der Kostenerstattung sprechen könnten. Wenn sich in derartigen Fällen der Betrugsverdacht zur Gewissheit erhärtet, steht dem Haftpflichtversicherer ein materieller Anspruch auf Erstattung der Gutachtenkosten auch dann zu, wenn das Privatgutachten nicht prozessbezogen in Auftrag gegeben wurde. Lässt sich ein Betrugsverdacht hingegen nicht nachweisen, erscheint es angemessen, dass die Kosten eines nicht prozessbezogenen Privatgutachtens als allgemeine Geschäfts- und Betriebsunkosten bei dem Versicherer in gleicher Weise verbleiben, wie dies auch bei anderen Privatgutachten der Fall ist.

3. Da die Kosten des Privatgutachtens X nicht zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehören, kommt es nicht darauf an, inwieweit der Gutachtenauftrag zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der Beklagten Ziff. 1 notwendig war. Die weiteren Einwendungen des Klägers in diesem Zusammenhang können daher dahinstehen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

5. Der Beschwerdewert ergibt sich aus den vom Kläger beanstandeten Kosten des Privatgutachtens.

6. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 574 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO. Die Rechtsprechung zur Bedeutung der Klageandrohung in Fällen der vorliegenden Art ist bisher nicht einheitlich. Der Bundesgerichtshof (BGH, NJW 2003, 1398, 1399) hat zwar entschieden, dass das Privatgutachten einer Haftpflichtversicherung prozessbezogen eingeholt worden ist, wenn vorher eine Klage angedroht wurde. Die Auffassung des Senats, dass ohne vorherige Klageandrohung in derartigen Fällen die Prozessbezogenheit in der Regel zu verneinen ist, hat der Bundesgerichtshof jedoch bisher nicht ausdrücklich bestätigt.

Ende der Entscheidung

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