Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 15.06.2001
Aktenzeichen: 16 UF 30/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1666
BGB § 1671
Steht beiden Eltern die elterliche Sorge zu, kann ein Verbot, ein Kind ins Ausland zu verbringen, nur ausgesprochen werden, wenn die Voraussetzungen des § 1666 BGB vorliegen.

§ 1671 BGB gilt nicht.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

16 UF 30/01

Karlsruhe, 15. Juni 2001

Beschluß:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Heidelberg vom 23.02.2001 - 33 F 35/01 - aufgehoben,

a. insoweit als der Kindesmutter in Ziff. 1. untersagt wird, die ehegemeinsamen Kinder O..., K... und S... jeweils deutsche und ägyptische Staatsangehörige, außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen;

b. in Ziffer 2 Abs. 1 insoweit, als der Mutter für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1 des Beschlusses ein Zwangsgeld in Höhe von DM 50.000 angedroht wird;

c. in Ziffer 2 Abs. 2 insoweit, als die Grenzpolizeibehörde der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Beschlusses in Ziff. 1. ersucht wird, die Ausreise der dort genannten Kinder zu verhindern. Die Rücknahme der Ausschreibung wird angeordnet.

2. Der Beschwerdewert wird auf 5.000 DM festgesetzt.

3. Der Beschwerdeführerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin K. Boeker, Heidelberg, beigeordnet.

4. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Eltern der im Rubrum genannten Kinder haben am 24.03.1984 in Kairo, Ägypten, die Ehe geschlossen (Auszug aus dem Familienbuch I, 47). Sie leben seit Anfang Dezember 2000 getrennt. Die Antragstellerin ist aus der gemeinsamen Wohnung mittlerweile ausgezogen.

Der Vater besitzt die deutsche und ägyptische Staatsangehörigkeit, die Mutter die italienische und ägyptische Staatsangehörigkeit, die drei Kinder haben die deutsche und ägyptische Staatsangehörigkeit. Alle Familienangehörige sind muslimischen Glaubens. Sie leben seit 1998 in Deutschland.

Am 17.01.2001 wurde die Ehe aufgrund gemeinsamer Erklärung der Parteien vor dem ägyptischen Konsulat in Frankfurt nach ägyptischem Recht geschieden (I, 141, 143). Der Vater hat wohl die Ehescheidung am 13.02.2001 nach ägyptischem Recht wieder rückgängig gemacht.

Beide Elternteile haben befürchtet, dass der jeweils andere die Kinder ins Ausland, insbesondere nach Ägypten, bringen würde und nicht mehr herausgebe.

Die Eltern haben sich geeinigt, dass die Kinder bei der Mutter wohnen sollen und, nachdem sie übereinstimmend mit Zustimmung der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter erklärt hatten, dass die Pässe bei dieser hinterlegt werden sollten und eine Herausgabe an einen der Ehegatten nur zulässig sei, wenn beide Ehegatten zustimmten, am 23.02.2001 beantragt,

jeweils dem anderen vorläufig zu untersagen, mit den ehegemeinsamen Kindern, O..., K... und S... das Gebiet der Bundesrepublik zu verlassen.

Mit Beschluss vom 23.02.2001 hat das Familiengericht beiden Elternteilen jeweils untersagt, die gemeinsamen Kinder außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen (Ziffer 1) sowie jedem ein Zwangsgeld angedroht (Ziffer 2 erster Abs.) und die Grenzpolizeibehörde ersucht, die Ausreise der Kinder aus Deutschland zu verhindern und dies im Schengener-Informationssystem auszuschreiben.

Das Familiengericht hat beide Anträge für zulässig und jeweils begründet erachtet. Es hat deutsches Recht angewandt. Nach deutschem Recht stehe die elterliche Sorge beiden Elternteilen gemeinsam zu. Damit sei ein eigenmächtiges Verbringen ohne Zustimmung des anderen Elternteils ins Ausland unzulässig. Würden die Kinder nach Ägypten gebracht - gleichgültig von welchem Elternteil - wäre eine dem gemeinsamen elterlichen Sorgerecht entsprechende Rückführung zumindest mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Dies stehe im Widerspruch zum Kindeswohl, da die Kinder in Deutschland integriert seien und hier ihre entscheidenden Bezugspunkte hätten. Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung der Elternteile bestehe jeweils ein realer Anhaltspunkt dafür, dass der jeweils andere Elternteil die Kinder nach Ägypten verbringen würde.

Auf den ihr am 26.02.2001 zugestellten Beschluss hat die Mutter mit am 14. März 2001 eingelegten Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Eine Gefahr von ihrer Seite, die Kinder ins Ausland zu verbringen, insbesondere nach Ägypten, bestehe nicht. Die Kinder seien im übrigen nicht bereit, mit dem Vater nach Ägypten zu gehen.

Sie beantragt Aufhebung des Beschlusses, soweit er sie beschwert.

Durch den beauftragten Richter wurden die Eltern gemäß § 50 a FGG und die Kinder O... und K... gemäß § 50 b FGG am 31.05.2001 persönlich angehört; wegen des Anhörungsergebnisses wird auf das Protokoll Bezug genommen (II, 145 ff).

II.

Die zulässige befristete Beschwerde der Mutter (§§ 621 e Abs. 1, Abs. 3, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist begründet.

Zutreffend hat das Familiengericht gemäß Art. 1, 3 Haager-Minderjährigen-Schutzabkommen - unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 5 EGBGB - deutsches Recht zugrundegelegt.

Nach deutschem Recht sind die Eltern weiterhin Inhaber der gemeinsamen elterlichen Sorge. Ein Antrag nach § 1671 BGB wurde nicht gestellt. Der Vater hat eingewilligt, dass sich die Kinder bei der Mutter aufhalten.

Bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern wäre eine Verbringung der Kinder auf Dauer ins Ausland eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1687 BGB, über die nur gemeinsam von den Eltern entschieden werden könnte. Ein Urlaub eines Elternteils mit einem oder mehreren Kindern im Ausland betrifft jedoch eine Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens, über die der betreuende Elternteil allein entscheiden könnte (anders für eine besondere Sachgestaltung: zweiwöchiger Ferienurlaub eines Elternteils mit einem dreijährigen Kind in einem afrikanischen Land: OLG Köln, FamRZ 1999, 249). Die Gefährdung des Kindeswohls durch einen zu befürchtenden Missbrauch dieser "Alltagsentscheidung", bei der tatsächlich die Möglichkeit besteht, das Kind auf Dauer ins Ausland zu bringen, kann nur mit einer Regelung nach § 1666 BGB begegnet werden.

Zwar ist im einzelnen umstritten, in welchem Verhältnis die Vorschrift des § 1666 BGB zu § 1671 BGB steht. Einig ist man sich jedoch für den Fall, dass eine Entscheidung nach § 1671 BGB nicht zu treffen ist, weil ein entsprechender Antrag der Eltern oder eines Elternteils fehlt. Insoweit ist - mangels einer Normenkonkurrenz - allein nach § 1666 BGB zu entscheiden (Staudinger/Coester, BGB, 2000, § 1666 Rn. 30; Johannsen/Henrich/Jaeger, 3. Aufl., § 1671 Rn. 11; Palandt/Diederichsen, 60. Aufl., § 1666 Rn. 7).

Indessen ist eine Gefährdung des Kindeswohls durch ein Verhalten der Mutter, mit dem sie die elterliche Sorge missbräuchlich ausübt, nicht zu befürchten. Zwar hat das Familiengericht zutreffend eine Gefährdung der Kinder darin gesehen, dass sie tatsächlich nach Ägypten gebracht würden, da sie in Deutschland integriert sind und hier ihre entscheidenden Bezugspunkte haben. Dies hat auch die Anhörung der beiden älteren Söhne für den Senat ergeben. Aber unabhängig hiervon ist der Senat der Überzeugung, dass nicht zu erwarten ist, die Mutter werde mit den Kindern nach Ägypten ausreisen. Hierfür spricht folgendes: Die Ehe der Eltern ist wohl nicht geschieden. Jedenfalls würde dem Vater auch dann weiterhin die elterliche Sorge nach ägyptischem Recht zustehen. Er weist selbst darauf hin, dass er das Recht hat, die Ausreise seiner Kinder, jedenfalls der Jungen, zu verhindern, wenn sie z. B. in Ägypten sind. Die Söhne haben bei ihrer Anhörung eindeutig ausgesagt, dass sie auf keinen Fall mit ihrem Vater, den sie jedenfalls bis 1998 aufgrund dessen Arbeit im Ausland nur wenig erlebt haben, ins Ausland mitgehen wollen. Die Mutter hat hierzu erklärt, sie könne als Mutter ihre Kinder, die sie liebe, nicht alleine lassen. Wenn ihre Kinder nach Ägypten gehen würden, müsse sie mit ihnen gehen, weil sie ohne die Kinder nicht leben wolle. Würde sie nach Ägypten gehen, würde sie die Kinder verlieren, wenn der Vater dies wolle, da er die alleinige elterliche Sorge habe. Sie selbst will auf keinen Fall mehr nach Ägypten. Sie hat seit ihrer Geburt 13 Jahre in Deutschland gelebt, hat hier eine feste Anstellung und erhält, solange ihr Mann keinen Unterhalt zahlt, staatliche Hilfe. In Ägypten seien die Gesetze frauenfeindlich und ließen ihr dort keine Rechte.

Auch der Vater hat bei seiner Anhörung nicht erklären können, aus welchen Gründen er fürchte, die Mutter werde die Kinder nach Ägypten verbringen. Entscheidend für ihn ist, so die Anhörung, dass er nicht möchte, seine Frau hätte das alleinige Recht, mit den Kindern in ein anderes Land zu gehen, ohne ihn zu fragen.

Der Senat vermag bei dieser Sachlage keine Anhaltspunkte dafür zu finden, dass es erwarten ist, die Mutter werde mit den Kindern nach Ägypten oder in ein anderes Land ausreisen.

Von einer Anhörung von S... wurde abgesehen, da eine seelische Gefährdung nicht auszuschließen ist.

Der Vater hat die Aufhebung des Beschlusses, insoweit er belastet ist, nicht beantragt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß § 131 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 3 und 2 KostO festgesetzt. Für die Zulassung der weiteren Beschwerde besteht kein Anlass.

Ende der Entscheidung

Zurück