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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 04.10.2004
Aktenzeichen: 16 UF 81/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1666
BGB § 1673 Abs. 2 S. 2
Eine zeitliche Begrenzung gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (§ 1666 BGB) ist regelmäßig nicht möglich und allenfalls in Ausnahmefällen denkbar. Dies gilt auch für die minderjährigen Eltern gem. § 1673 Abs. 2 BGB zustehende Personensorge.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

16 UF 81/04

Karlsruhe, 04. Oktober 2004

Beschluss

Tenor:

1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 24.03.2004 (Az.: 7B F 61/03) wird zurückgewiesen.

2. Von der Erhebung von Verfahrenskosten wird abgesehen.

Die Beschwerdeführerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Übrigen Beteiligten.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für die am ...2003 geborene A. B. L. M.. Diese ist das nichteheliche Kind der am ....1988 geborenen Beteiligten Ziffer 3. Vater des Kindes ist der am ...1986 geborene H. D., der gegenwärtig des Verdachtes wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft sitzt.

Die elterliche Sorge für die Beteiligte Ziffer 3 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Mannheim vom 10.11.2000 (Az.: 7B F 111/00) auf das Stadtjugendamt Mannheim als Vormund übertragen. Auslöser hierfür war, dass der Vater der Beteiligten Ziffer 3 deren Mutter am 31.05.2000 tötete. Er befindet sich gegenwärtig in Strafhaft. Nach der Geburt von A. zog die Beteiligte Ziffer 3 mit ihrer Tochter in das Kinder- und Jugendheim W. Stift, wo sie zunächst in der Mutter-und-Kind-Station wohnte. Auf Antrag der Beteiligten Ziffer 1 entzog das Amtsgericht mit Beschluss vom 22.09.2003 der Beteiligten Ziffer 3 vorläufig die ihr gem. § 1673 Abs. 2 BGB zustehende Personensorge für A. und übertrug diese auf die Beteiligte Ziffer 2. Aufgrund dieser Entscheidung wurde A. am 26.11.2003 von der Beteiligten Ziffer 1 in Obhut genommen und in eine Bereitschaftspflegestelle gegeben, die seit Februar 2004 als Dauerpflegestelle fungiert. Im Zeitraum vom 12.12. bis 16.12.2003 befand sich die Beteiligte Ziffer 3 in der Tagesklinik des ZI-Mannheim um eine vermutete psychische Erkrankung und Therapiemöglichkeiten abzuklären. Der Aufenthalt wurde vorzeitig beendet. Einem stationären Aufenthalt stimmte die Beteiligte Ziffer 3 nicht zu. Bezüglich der insoweit vom ZI abgegebenen ärztlichen Stellungnahme vom 16.12.2003 wird auf ... verwiesen.

Die Beteiligte Ziffer 1 beantragte beim Amtsgericht, der Beteiligten Ziffer 3 die ihr neben dem gesetzlichen Amtsvormund zustehende Personensorge zu entziehen und auf das Stadtjugendamt zu übertragen. Dieser Antrag wurde vom Vormund der Beteiligten Ziffer 3, der Beteiligten Ziffer 2 und der vom Amtsgericht bestellten Verfahrenspflegerin unterstützt.

Mit Beschluss vom 24.03.2004 hat das Amtsgericht Mannheim der Beteiligten Ziffer 3 die ihr gem. § 1673 Abs. 2 BGB zustehende Personensorge entzogen und auf das Stadtjugendamt Mannheim (Beteiligte Ziffer 2) übertragen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dies sei notwendig, um eine Gefahr für das körperliche und seelische Wohl des Kindes abzuwenden, da die Mutter selbst hierzu nicht in der Lage sei. Es bestehe die Gefahr auch zukünftiger weiterer tätlicher Auseinandersetzungen zwischen der Mutter und dem Vater und dass die Beteiligte Ziffer 3 das in der Vergangenheit gezeigte unkontrollierte Verhalten fortsetzen werde. Das Vorliegen einer vermuteten psychischen Störung bei der Beteiligten Ziffer 3 habe sich nicht näher verifizieren lassen, da die Beteiligte Ziffer 3 zur Mitarbeit nicht bereit sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen.

Gegen den ihr am 28.04.2004 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte Ziffer 1 mit Schriftsatz vom 12.05.2004 - eingegangen beim Oberlandesgericht am gleichen Tage - Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die in Ziffer 1 des Beschlusses ausgesprochene Befristung des Entzuges der Personensorge bis zur Volljährigkeit der Mutter am 25.10.2004 wendet. Zur Begründung wird ausgeführt, die Gründe, die zum Entzug der Personensorge führten, lägen nicht in der Minderjährigkeit der Beteiligten Ziffer 3, sondern in deren Erziehungsunvermögen. Die Befristung sei inhaltlich auch nicht begründet worden.

Die Beteiligte Ziffer 2 hat sich - als Vormund des betroffenen Kindes - der Beschwerde mit Schriftsatz vom 12.05.2004 inhaltlich angeschlossen. Die Verfahrenspflegerin hat sich ebenfalls mit Schriftsatz vom 26.07.2004 für einen dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie ausgesprochen.

Die Beteiligte Ziffer 3 ist der Beschwerde entgegengetreten.

Der Senat hat durch den Berichterstatter die Beteiligten am 01.10.2004 mündlich angehört. Insoweit wird auf das Protokoll des gleichen Tages Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3 ZPO zulässige Beschwerde ist im Ergebnis nicht begründet.

1. Das Amtsgericht Mannheim hat in der angegriffenen Entscheidung vom 24.03.2004 den Entzug der der Beteiligten Ziffer 3 gem. § 1673 Abs. 2 BGB zustehenden Personensorge "bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit", d.h. am 25.10.2004 beschränkt. Grund hierfür war offensichtlich - wenngleich dies auch in dem angegriffenen Beschluss nicht ausdrücklich zum Ausdruck kommt - dass die Beteiligte Ziffer 3 während ihrer Minderjährigkeit nur beschränkt geschäftsfähig ist und ihr deshalb gem. § 1673 Abs. 2 BGB die elterliche Sorge nur in der eingeschränkten Form der Personensorge zusteht. Diese Beschränkung besteht indessen nur bis zur Volljährigkeit der Beteiligten Ziffer 3. Offenbar war dies Anlass für das Amtsgericht, den Entzug der Personensorge in der gegenwärtig bestehenden Form bis zu diesem Zeitpunkt zu beschränken.

2. Mit der Beteiligten Ziffer 1 ist der Senat der Ansicht, dass eine derartige zeitliche Beschränkung weder rechtlich geboten noch sachlich sinnvoll ist.

a) Wie sich aus dem Wortlaut und Sinn und Zweck des § 1673 BGB ergibt, handelt es sich bei der Personensorge gem. § 1673 Abs. 2 S. 2 BGB nicht um eine elterliche Sorge minderer Qualität. Vielmehr ergibt sich aus § 1673 Abs. 1 BGB, dass es nur "die" elterliche Sorge gibt, die ruht, solange der Elternteil geschäftunfähig, d.h. minderjährig ist. Daraus folgt, dass mit Eintritt der Volljährigkeit die elterliche Sorge ohne weiteres vollumfänglich ausgeübt werden kann (vgl. § 1675 BGB). Die vom Amtsgericht vorgenommene zeitliche Beschränkung ist daher aus Rechtsgründen keineswegs geboten.

b) Aber auch ein sachlicher Grund ist für die zeitliche Beschränkung nicht ersichtlich. Zwar ist zunächst davon auszugehen, dass Sorgerechtsmaßnahmen nach § 1666 BGB nur solange aufrechterhalten bleiben dürfen, wie sie erforderlich sind, d.h. die Umstände, die zu ihrer Anordnung geführt haben, unverändert fortdauern (vgl. § 1696 Abs. 3 BGB, wonach "länger dauernde Maßnahmen nach den §§ 1666 bis 1667 ... in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen ..." sind). Eine zeitliche Begrenzung von Sorgerechtsmaßnahmen gem. § 1666 BGB ist jedoch gleichwohl nicht angebracht, da im allgemeinen nicht übersehen werden kann, wie lange die die Gefährdung eines Kindes begründenden Umstände andauern. Nach allgemeiner Ansicht ist deshalb eine zeitliche Begrenzung gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (§ 1666 BGB) regelmäßig nicht möglich und allenfalls in Ausnahmefällen denkbar (vgl. MünchKomm-Olzen, 4. Aufl., § 1666 Rn. 167; Staudinger/Coester, 13. Aufl., § 1666 Rn. 193; vgl. auch OLG Stuttgart in FamRZ 1974, 538, 540). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Das Amtsgericht hat nicht begründet - und es ist auch sonst nicht erkennbar - weshalb eine Gefährdung des Kindeswohls A. betreffend nur bis zum 25.10.2004 zu besorgen ist, für den Zeitraum danach aber nicht. Die vom Amtsgericht vorgenommene zeitliche Begrenzung des Entzugs der Personensorge ist daher sachlich nicht gerechtfertigt.

3. Der Senat ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für einen endgültigen Entzug der Personensorge auf Dauer gem. § 1666 BGB noch nicht festzustellen sind. Zwar spricht das bisherige Ermittlungsergebnis dafür, dass die Beteiligte Ziffer 3 - möglicherweise krankheitsbedingt - das Wohl von A. gefährden könnte, falls sie unbeschränkt die elterliche Sorge ausübt. Indessen sind nach § 1666 a Abs. 1 S. 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, "wenn die Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentlichen Hilfen, begegnet werden kann ... die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen" (§ 1666 a Abs. 2 BGB).

Hierzu enthält der amtsgerichtliche Beschluss keine Feststellungen, so dass Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bestehen. Das Amtsgericht hat in seinem Protokoll vom 05.03.2004 S. 6 - offenbar als Aussage des die Beteiligte Ziffer 1 vertretenden Herrn S. - ausgeführt, dass sich die Beteiligte Ziffer 3 nach ihrem Einzug in das W. Stift sehr engagiert und auch die Versorgung ihres Kindes sichergestellt hat. Ein Gefährdungspotential wurde in ihrer Beziehung zu H. D. gesehen, bei dem sie sich oft aufhielt. Es besteht deshalb Grund zu der Annahme, dass die Beteiligte Ziffer 3 auch in Zukunft bei Gewährung öffentlicher Hilfe in der Lage sein wird, die Versorgung ihres Kindes in jeglicher Hinsicht sicherzustellen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Beziehung zu H. D. schon seit längerer Zeit beendet ist, dieser nach Darstellung der Beteiligten Ziffer 3 eine neue Freundin hat und sich gegenwärtig ohnehin in U-Haft befindet. Zudem beabsichtigt die Beteiligte Ziffer 3, am 27. Oktober 2004 zu heiraten. Jedenfalls dadurch werden die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten Ziffer 3 eine wesentliche Veränderung erfahren. Es ist deshalb zweifelhaft, ob das in der Person von H. D. bestehende Konfliktpotential, welches für die amtsgerichtliche Entscheidung mit ausschlaggebend war, in Zukunft noch besteht.

4. Nicht entscheidend ist für den Senat, dass die Beteiligte Ziffer 3 bislang nicht dazu bereit war, sich einer stationären Untersuchung im ZI-Mannheim zu unterziehen zur Klärung, inwieweit sie psychisch erkrankt ist und der Behandlung bedarf und inwieweit die Beteiligte Ziffer 3 in der Lage und Willens ist, "sich an Regeln zu halten". Der Entzug der elterlichen Sorge darf nicht zur Sanktion für unangepasstes unbotmäßiges Verhalten der Eltern benutzt werden. Dass das Kindeswohl durch eine möglicherweise vorliegende psychische Erkrankung der Mutter erheblich gefährdet wäre, ist bislang nicht festgestellt.

5. Dennoch sieht der Senat von einer vollständigen Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung aufgrund folgender Überlegungen ab:

Aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses besteht Anlass zu der Annahme, dass es gerechtfertigt ist, die elterliche Sorge vorübergehend durch eine einstweilige Anordnung gem. § 621 g ZPO zu regeln und die Übertragung der elterlichen Sorge für A. auf die Beteiligte Ziffer 2 weiterhin aufrecht zu erhalten. Der Senat sieht jedoch von dem Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung ab, da die vom Amtsgericht getroffene Regelung ohnehin bis zur Volljährigkeit der Beteiligten Ziffer 3 am 25.10.2004 befristet ist und es den Beteiligten ohne weiteres möglich ist, durch entsprechende Anträge eine Regelung der elterlichen Sorge für die Zeit nach dem 25.10.2004 herbeizuführen, die gegebenenfalls durch eine vom Amtsgericht in der dann allerdings gebotenen Eile zu erlassende einstweilige Anordnung vorgenommen werden kann.

6. Da die Beschwerde im Interesse des Kindes eingelegt worden ist, ist sie gerichtskostenfrei. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 13 a Abs. 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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