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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 24.07.2003
Aktenzeichen: 16 WF 51/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 567
1. Eine Untätigkeitsbeschwerde in einer Sorgerechtsstreitigkeit oder in einem Verfahren nach § 1666 BGB ist nicht erst dann zulässig, wenn ein sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Verfahrensstillstand gegeben ist, der auf eine Rechtsverweigerung hinausläuft, oder wenn ein Untätigbleiben des Gerichts auf einem willkürlichen Verhalten beruht und damit den Tatbestand einer Rechtsverweigerung erfüllt, sondern bereits dann, wenn eine Verzögerung behauptet wird, die zu einem nennenswerten Rechtsverlust des die elterliche Sorge anstrebenden Elternteils oder zu einer weiteren Schädigung des Kindeswohls führen kann.

2. Droht ein nennenswerter Rechtsverlust oder eine weitere Schädigung des Kindeswohls, hat das Beschwerdegericht auf die Untätigkeitsbeschwerde hin dem erstinstanzlichen Gericht eine äußerste Beschleunigung des Verfahrens zu empfehlen. Was in dem konkreten Verfahren unter äußerster Beschleunigung zu verstehen ist, kann es zeitlich für die zukünftige Verfahrensweise definieren.


16 WF 51/03

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

Karlsruhe, 24. Juli 2003

hier: Untätigkeitsbeschwerde des Vaters

Beschluss

Tenor:

Auf die Untätigkeitsbeschwerde des Vaters wird das Amtsgericht angewiesen, das Verfahren mit äußerster Bescheunigung weiterzuführen

Gründe:

Die Eltern streiten seit 1997 um das Sorgerecht für ihre Tochter ..., geb. am ....1993. Im Scheidungsrechtsstreit erging die einstweilige Anordnung vom 11. November 1997, mit welcher die elterliche Sorge für die Dauer des Getrenntlebens der Mutter übertragen wurde (AG Mannheim 7B F 107/97 EA I).

Im vorliegenden Verfahren stellte der Vater am 19. September 1999 den Antrag, die elterliche Sorge auf beide Eltern zu übertragen. Diesen Antrag wies das Amtsgericht am 10. Dezember 2001 mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen des § 1696 BGB lägen nicht vor. Nahezu gleichzeitig leitete es ein Verfahren nach § 1666 BGB auf Neuregelung der elterlichen Sorge ein, dies vor dem Hintergrund, dass die Ursachen dafür, dass ein Umgang des Vaters mit dem Kind nahezu nicht stattfand, bei der Mutter liegen könnten. Mit Beschluss vom 04. März 2002 hat der Senat denjenigen des Amtsgerichts vom 10. Dezember 2001 aufgehoben. Nachdem es dies bereits am 20. Februar 2001 erwogen hatte, bestellte das Amtsgericht am 15. April 2002 eine Verfahrenspflegerin und verband die Verfahren nach § 1696 BGB und nach § 1666 BGB. Das Amtsgericht nahm Empfehlungen der Verfahrenspflegerin und Stellungnahmen des Jugendamtes entgegen und ordnete am 17. März 2003 die Erhebung eines Sachverständigengutachtens bei dem Dipl.-Psych. B, Weinheim, an. Als nächste Entscheidung des Amtsgerichts steht die über eine Ablehnung des Sachverständigen, Dipl.-Psych. B, wegen Besorgnis der Befangenheit durch die Mutter an.

In zwei Nebenverfahren hat das Amtsgericht einen Antrag des Vaters vom 01. März 2000, den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, mit Beschluss vom 21. Februar 2001 zurückgewiesen und einen Antrag des Vaters vom 07. Februar 2002, die kinderpsychiatrische Behandlung des Kindes einzustellen und die Zustimmung der Mutter gem. § 1666 Abs. 3 BGB zu ersetzen, durch Beschluss vom 30. September 2002 zurückgewiesen (7B F 51/02 EA I und 7B F 51/02 EA II).

Die Untätigkeitsbeschwerde des Vaters ist zulässig und begründet.

1. In Streitigkeiten über die elterliche Sorge kommt dem Anspruch des die elterliche Sorge (wieder) erstrebenden Elternteils auf effektiven Rechtsschutz besondere Bedeutung zu. Denn jede Verfahrensverzögerung kann dazu führen, dass Verhältnisse sich verfestigen und eine (Wieder-) Übertragung der elterlichen Sorge mit weiterem Zeitablauf unwahrscheinlicher wird. In Fällen, in denen eine Wiederbeteiligung eines Elternteils an der elterlichen Sorge gem. § 1666 BGB oder sonstige Maßnahmen gegen den anderen Elternteil nach dieser Bestimmung in Frage kommen, führt jede Verzögerung zu einer weiteren Schädigung des Kindeswohls, wenn sich später herausstellen sollte, dass zur Wahrung des Kindeswohls entsprechende Maßnahmen nötig gewesen wären. Eine Untätigkeitsbeschwerde in einer Sorgerechtsstreitigkeit oder in einem Verfahren nach § 1666 BGB ist deshalb nicht erst dann zulässig, wenn ein sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Verfahrensstillstand gegeben ist, der auf eine Rechtsverweigerung hinausläuft (vgl. etwa OLG Saarbrücken, OLGR 1999, 179) oder wenn ein Untätigbleiben des Gerichts auf einem willkürlichen Verhalten beruht und den Tatbestand einer Rechtsverweigerung erfüllt (vgl. BGH, NJW-RR 1995, 887; Senatsbeschluss vom 24. Juli 2001 - 16 WF 78/01 - nicht veröffentlicht -), sondern bereits dann, wenn eine Verzögerung behauptet wird, die zu einem nennenswerten Rechtsverlust des die elterliche Sorge anstrebenden Elternteils oder zu einer weiteren Schädigung des Kindeswohls führen kann (vgl. BVerfG, FamRZ 2001, 753). Dies ist hier der Fall.

2. Droht, wie hier, auch tatsächlich nennenswerter Rechtsverlust des Vaters oder eine weitere Beschädigung des Kindeswohls, hat das mit der Untätigkeitsbeschwerde angegangene Beschwerdegericht die Maßregeln zu treffen, welche einen effektiven Rechtsschutz des Beschwerdeführers jedenfalls in der Zukunft gewährleisten. Am effektivsten wäre es, wenn das Beschwerdegericht das Verfahren selbst an sich zöge. Dies ist jedoch aus guten Gründen nicht möglich. Auch die Möglichkeit, dem Gericht der ersten Instanz einen Verfahrensablauf vorzuschreiben, wie ihn das Beschwerdegericht selbst beobachten würde, wenn ihm die Sache in der Beschwerde angefallen wäre, scheidet aus. Letztlich würde ein solcher Fahrplan unverbindlich bleiben, weil nicht vorhersehbare und auch nicht beherrschbare Tatsachen eintreten können, die zu einer von dem Fahrplan abweichenden Verzögerung führen müssen. Darin, dem Gericht der ersten Instanz äußerste Beschleunigung anzuempfehlen, erschöpft sich also die Möglichkeit des Beschwerdegerichts. Von äußerster Beschleunigung könnte nicht mehr gesprochen werden, wenn, ohne dass besondere Umstände hinzutreten, folgende Fristen nicht eingehalten werden würden: über die Befangenheitsablehnung des Sachverständigen, Dipl.-Psych. B, W. zu entscheiden bis 30. August 2003; nach rechtskräftiger Entscheidung über die Ablehnung des Sachverständigen, Dipl.-Psych. B, diesem eine Frist von 6 Wochen zur Fertigstellung seines Gutachtens zu setzen; alternativ: einem neu zu bestellenden Sachverständigen Frist zur Erstellung eines Gutachtens von 3 Monaten zu setzen; binnen 1 Monats nach Eingang des Sachverständigengutachtens die Eltern und das Kind persönlich anzuhören, je nach Sachlage auch den Sachverständigen anzuhören; innerhalb 1 Monats nach Anhörung endgültig über die elterliche Sorge und darüber zu entscheiden, ob Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich sind und diese anzuordnen.

3. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Ende der Entscheidung

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