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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 17 Verg 8/06
Rechtsgebiete: VOL/A


Vorschriften:

VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 3
Schreibt eine Stadt die stoffliche Verwertung des anfallenden Altpapiers aus, so bürdet sie den Bietern allein dadurch, dass sie den zulässigen Anteil von Störstoffen in dem von ihr bereitzustellenden Altpapier der Höhe nach nicht näher eingrenzt, noch kein ungewöhnliches Wagnis i.S. von § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A auf.

Dies gilt auch bei einer geplanten Änderung des Erfassungssystems, soweit es zu den betreffenden Erfassungssystemen allgemeine Erfahrungswerte gibt.


Oberlandesgericht Karlsruhe 17. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 17 Verg 8/06

21. Dezember 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Vergabenachprüfung

hier: Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Karlsruhe vom 28.11.2006 - 1 VK 66/06 - zu verlängern, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Am 24.06.2006 machte die Antragsgegnerin den Auftrag "Stoffliche Verwertung des in der Stadt H. anfallenden Altpapiers" im Supplement zum EU-Amtsblatt bekannt. In der Leistungsbeschreibung ist unter Ziffer 3.2 zur Kalkulationsgrundlage bestimmt, dass mit der Überlassung des Altpapiers zur Verwertung auf eigene Rechnung des Auftragnehmers sämtliche Leistungen abgegolten seien. Eine zusätzliche Vergütung für Leistungen im Zusammenhang mit diesem Vertrag werde nicht gezahlt. Insbesondere gelte:

"Die Kosten für die Entsorgung des Störstoffanteils, der sich in der angelieferten Ware befindet, ist in die Vergütungen mit einzurechnen. Über die tatsächliche Höhe des Störstoffanteils liegen keine Informationen vor."

Unter Ziffer 2.6 sind Anforderungen an die Verwertung gestellt. Dort heißt es u. a.:

"Der Auftragnehmer ist verpflichtet, bei der Verwertung anfallende Stör- und Reststoffe auf ein Minimum zu begrenzen. Diese werden Eigentum des Auftragnehmers und sind ordnungsgemäß in einer zugelassenen Verwertungs- oder Beseitigungsanlage auf Kosten des Auftragnehmers zu entsorgen."

Eingangs der Leistungsbeschreibung wird mitgeteilt, dass im Stadtkreis H. jährlich rund 13.500 Tonnen Papier, Pappe und Kartonagen aus Haushalten (einschließlich Verkaufsverpackungen) sowie aus Gewerbe anfallen. Diese würden derzeit mit unterschiedlichen Sammelsystemen erfasst. Ein Großteil der Sammlung des Altpapiers erfolge über Depotcontainer; teilweise werde das Altpapier über grundstücksbezogene Papiertonnen eingesammelt. Daneben könnten die Bürgerinnen und Bürger ihr Altpapier und Altkartonagen auf den insgesamt sieben Recyclinghöfen abgeben. Ferner existiere eine Bündelsammlung in den Geschäftsstraßen. Das Erfassungssystem werde jedoch dahingehend geändert, dass ab Januar 2007 die komplette Erfassung des Altpapiers über Monotonnen erfolgen solle. Die Möglichkeit der Abgabe des Papiers auf den Recyclinghöfen sowie die Bündelsammlung in den Geschäftsstraßen solle beibehalten werden. Auf die Beibehaltung der Anzahl der Standorte und Behälter sowie Behälterart und -größe habe der Auftragnehmer weder Einflussmöglichkeiten noch Ansprüche.

Mit Anwaltsschreiben vom 06.07.2006 rügte die Antragstellerin die Verletzung von § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A durch die angeführten Regelungen, da diese dem Auftragnehmer ein nicht kalkulierbares Risiko aufbürdeten. Die Antragsgegnerin wies die Rüge unter dem 11.07.2006 zurück. Im anschließenden Schriftwechsel gab sie mit Schreiben vom 24.07.2006 den unverbindlichen Hinweis, dass der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. auf seiner Homepage zum Störstoffanteil im Altpapier Zahlen in Abhängigkeit vom jeweiligen Erfassungssystem (Bündelsammlung, Depotcontainer, Monotonne) nenne. Zu ähnlichen Ergebnissen komme auch das Institut für Abfall, Abwasser und Infrastruktur-Management GmbH in einer Studie vom 25.11.2003.

Neben weiteren Bietern gaben auch die Antragstellerin und die Beigeladene Angebote ab.

Mit Schreiben vom 13.10.2006 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie nicht berücksichtigt werden soll, weil ein preisgünstigeres Angebot vorliege. Mit am selben Tag bei der Antragstellerin eingegangenen Schreiben vom 17.10.2006 rügte die Antragstellerin die Vergabeentscheidung und beantragte am 24.10.2006 die Nachprüfung bei der Vergabekammer.

Die Vergabekammer lehnte den Nachprüfungsantrag ab. Dieser sei zulässig, aber unbegründet. Ein Verstoß gegen § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A liege nicht vor. Zwar sei der Störstoffanteil in der Leistungsbeschreibung nicht exakt angegeben und ein Umstand, der sich dem Einfluss des Auftragnehmers entziehe. Ihm sei es jedoch möglich, diesen Störstoffanteil und damit dessen Einwirkung auf die Kalkulation, insbesondere hinsichtlich der Entsorgungskosten, zu schätzen. Die Antragstellerin habe konkrete langjährige Erfahrungen bezüglich der Altpapierentsorgung in H.. Sie habe auch Erfahrungen mit Altpapier aus den unterschiedlichen bereits bestehenden Erfassungssystemen, und sie sei auch mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut. Nach eigenem Vortrag verfüge sie über große Erfahrung auf dem Gebiet der Altpapierverwertung und erbringe diese Leistung in mehreren Landkreisen. Darüber hinaus gebe es vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung veröffentlichte Richtwerte, die den Störstoffanteil in Bezug auf verschiedene Erfassungssysteme wiedergebe. Zudem liege ein ungewöhnliches Wagnis i. S. von § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A auch deshalb nicht vor, weil die hier streitige Risikoverteilung branchenüblich sei.

Gegen diesen ihr am 29.11.2006 ohne die Seite 2 und am 30.11.2006 in vollständiger Form zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der am 13.12.2006 beim Oberlandesgericht eingereichten sofortigen Beschwerde, mit welcher sie einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde verbindet.

Die Antragstellerin hält daran fest, dass die Vergabestelle gegen § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A verstoßen habe. Dem Auftragnehmer werde ein unkalkulierbares Risiko aufgebürdet. Auch aufgrund der bereits von ihr durchgeführten Erfassung des Altpapiers in einzelnen Stadtgebieten könne die Antragstellerin keine Rückschlüsse auf das Störstoffaufkommen im Altpapier in den anderen Stadtgebieten gewinnen, zumal eine Umstellung von einer Bündelsammlung auf die Erfassung mittels Monotonne vorgesehen sei. Sie könne auch keine Aussage dazu treffen, wie sich das Störstoffaufkommen durch ein geändertes Nutzerverhalten nach der Systemumstellung darstelle.

Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen. Die Beigeladene verweist auf ihren Vortrag im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer.

II.

Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die sofortige Beschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 118 Abs. 2 Satz 1 GWB). Sie ist zwar form- und fristgerecht eingelegt. Ob auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere auch eine Antragsbefugnis der Antragstellerin gegeben ist, kann hier ausnahmsweise offen bleiben. Die sofortige Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

Der Senat teilt die Auffassung der Vergabekammer, wonach den Bietern durch die Ausschreibung der Antragsgegnerin kein ungewöhnliches Wagnis i. S. von § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufgebürdet wird. Nach dieser Bestimmung soll dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Die Voraussetzungen hierfür liegen im Streitfall jedoch nicht vor. Es erscheint schon fraglich, ob der Anteil von Störstoffen im Altpapier nicht eher ein geschäftsimmanentes als ein ungewöhnliches Risiko darstellt. Jedenfalls kann die Antragstellerin trotz dahingehender Ungewissheiten das dadurch begründete und von ihr zu übernehmende Risiko, dass der zulässige Störstoffanteil im Altpapier im Vertrag der Höhe nach nicht näher eingegrenzt ist, noch hinreichend verlässlich abschätzen.

So verfügt die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben über große Erfahrung auf dem Gebiet der Altpapierverwertung und erbringt diese Leistung in mehreren Landkreisen. Sie verfügt daher über Erfahrungswerte, wie sich die jeweiligen Erfassungssysteme und örtlichen Gegebenheiten auf den Störstoffanteil auswirken. Zudem gibt es, worauf die Vergabestelle in ihrem Schreiben vom 24.07.2006 hingewiesen hat, vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. veröffentliche Richtwerte, die den Störstoffanteil in Bezug auf verschiedene Erfassungssysteme wiedergeben.

Darüber hinaus hat die Antragstellerin konkrete langjährige Erfahrungen bezüglich der Altpapierentsorgung in H., wenn auch - soweit der Einfluss der Siedlungsstruktur auf den Störstoffanteil in Frage steht - begrenzt auf einzelne Stadtgebiete. Dem kommt jedoch keine maßgebliche Bedeutung zu, da das gesamte im Stadtkreis H. anfallende Altpapier (Papier, Pappe und Kartonagen) dem Vertragspartner überlassen werden soll.

Schließlich ändert auch der Umstand nichts, dass ab 2007 eine Änderung des Erfassungssystems geplant ist. Da es Erfahrungswerte zu den jeweiligen Erfassungssystemen gibt, lassen sich auch die durch die Umstellung des Erfassungssystems von einem Bringsystem mit Depotcontainern zu einem Holsystem mit Monotonnen zu erwartenden Veränderungen im Hinblick auf den Störstoffanteil abschätzen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28.04.2004 - VII Verg 2/04 (OLGR 2004, 304 = NZBau 2004, 400) steht dem nicht entgegen. Der dort zugrunde liegende Umstand, dass das Erfassungssystem unverändert weiter praktiziert werden sollte, ist kein tragender Entscheidungsgrund und schließt eine gleichwohl bestehende Möglichkeit einer verlässlichen Schätzung auch im Falle einer vorgesehenen Änderung in Bezug auf das Erfassungssystem nicht aus.

Die Antragstellerin trägt mit der sofortigen Beschwerde selbst vor, welche Entsorgungskosten in Abhängigkeit des prozentualen Störstoffanteils nach ihrer Auffassung entstehen. Darüber hinaus teilt sie auch das Ergebnis einer Störstoffanalyse der Stadt M. mit, die - so die Antragstellerin - eine vergleichbare Siedlungsstruktur wie die Stadt H. habe. Weshalb ihr dann eine Schätzung der Entsorgungskosten nicht möglich sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Da mithin eine Schätzung möglich ist, greift § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A nicht ein. Welche Schlussfolgerungen die Antragstellerin aus den ihr vorliegenden Daten zieht und wie sie ihr Angebot unter Berücksichtigung des zu schätzenden Störstoffanteils kalkuliert, ist ihre Sache und ihr unternehmerisches Risiko, das sie - wie alle anderen Bieter - zu tragen hat und hier nicht der Antragsgegnerin zuweisen kann, die auf den Störstoffanteil ebenfalls keinen Einfluss hat. Gegen den allgemeinen Schutzzweck der Vorschrift, die die Auftragnehmer vor unangemessenen Vertragsbedingungen schützen soll, verstößt die hier in Rede stehende Vertragsgestaltung, die insbesondere eine konkrete Begrenzung des zulässigen Störstoffanteils nicht enthält und auch keine ausdrücklichen ergänzenden Regelungen bei Überschreitung eines konkret benannten Störstoffanteils vorsieht, noch nicht.

Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die Antragstellerin - zu ihren Gesellschaftern und den gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen und Beteiligungsquoten verhält sich die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung nicht - bereits deshalb nicht in ihren Rechten verletzt sein kann, weil sie nach § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A vom Vergabeverfahren auszuschließen wäre, weil sie sich entgegen den kommunalrechtlichen Beschränkungen nach § 48 Landkreisordnung Baden-Württemberg in Verbindung mit § 102 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 7 Satz 1 Gemeindeordnung Baden-Württemberg in der Fassung des Gesetzes vom 01.12.2005 (GBl. Seite 705) als ein Unternehmen einer Gemeinde wirtschaftlich betätigen will, zumal bei einer Betätigung außerhalb des Gemeindegebiets (vgl. dazu näher OLG Düsseldorf NZBau 2003, 578 mit Hinweis auf NZBau 2000, 155; Byok NVwZ 2005, 763, 767).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB sind Kosten des Beschwerdeverfahrens, über die einheitlich mit der Entscheidung in deer Hauptsache zu befinden ist.

Ende der Entscheidung

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