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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 02.09.2004
Aktenzeichen: 19 U 137/04
Rechtsgebiete: ARB 75


Vorschriften:

ARB 75 § 4 Abs. 1 k
Der Risikoausschluss des § 4 Abs. 1 k ARB 75 erfasst nicht Nachbarklagen gegenüber Geruchsbelästigungen durch die Umstellung eines landwirtschaftlichen Betriebs vom Festmistverfahren auf Flüssigmistverfahren.
Oberlandesgericht Karlsruhe 19. Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 19 U 137/04

Verkündet am 02. September 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Feststellung

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 19. August 2004 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Lauven Richter am Oberlandesgericht Bauer Richter am Landgericht Lorenz

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 25.06.2004 - 3 O 93/04 - abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern im Verfahren 2 O 273/02 vor dem Landgericht Offenburg Kostendeckung zu gewähren.

2. Die Kosten erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die zulässige Berufung ist begründet.

Zu Unrecht hat das Landgericht ein Eingreifen der Risikoausschlussklausel des § 4 Abs. 1 k ARB 75 bejaht. Danach bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Planung, Errichtung oder genehmigungspflichtigen baulichen Veränderung eines im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befindlichen oder von diesem zu erwerbenden Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteiles stehen.

Allgemeine Versicherungsbedingungen wie der Risikoausschluss des § 4 Abs. 1 k ARB 75 sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. § 4 Abs. 1 k ARB 75 verfolgt den auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck, die erfahrungsgemäß besonders kostenträchtigen und im Kostenrisiko schwer überschaubaren und kaum kalkulierbaren rechtlichen Streitigkeiten um Baumaßnahmen aller Art und die sie unmittelbar begleitenden Vorgänge von der Versicherung auszunehmen, weil nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil der in der Risikogemeinschaft zusammengeschlossenen Versicherungsnehmer ein solches Risiko entstehen kann. Die Klausel stellt dafür auf den unmittelbaren Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes ab. Maßgebend ist, ob die vom Versicherungsnehmer angestrebte Rechtsverfolgung der Planung und Errichtung eines Gebäudes zuzuordnen ist. Der geforderte Zusammenhang muss dabei nicht nur zeitlich bestehen, sondern es muss darüber hinaus auch ein innerer sachlicher Bezug gegeben sein.

Die Klausel erfasst das Baurisiko, für das Auseinandersetzungen typisch sind, die über die anlässlich eines Bauvorhabens erbrachten Leistungen geführt werden. Es geht um die Wahrung der rechtlichen Interessen, die der Bauherr an der Planung und Errichtung eines mangelfreien Gebäudes hat. Deckungsschutz besteht demgegenüber für die Durchsetzung von Ansprüchen, die zu dem Bauvorhaben selbst in keinem unmittelbaren Bezug stehen, etwa weil sie sich aus dem Erwerb eines zur Bebauung vorgesehenen Grundstückes oder dem Erwerb von Anteilen an einem Immobilienfonds ergeben und demnach nicht das Baurisiko, sondern das sog. Erwerbsrisiko betreffen, nicht (BGH VersR 2003, 454; OLG Karlsruhe VersR 2004, 777; OLG Karlsruhe NJW-RR 2004, 602).

Die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Kläger im Vorprozess steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang zur baulichen Veränderung ihres Betriebes, soweit dieser vom Festmistverfahren auf das Flüssigmistverfahren umgestellt wurde, wozu der Stallboden durch einen Vollspaltenboden ersetzt und Güllekanäle eingebaut wurden, eine Unterdruckbelüftungsanlage installiert wurde, alle Ställe mit einem Abluftsammelkanal verbunden wurden und die Abluft über 2 Kamine nach außen abgeführt wurde. Selbst wenn man unterstellt, dass diese ohne bauordnungsrechtliche Genehmigung durchgeführten baulichen Veränderungen zu einer erhöhten Geräusch- und Geruchsemission insbesondere auf das der Klägerin des Vorprozesses gehörende Grundstück führten, fehlt der unmittelbare, wenn auch zeitlich vorhandene Zusammenhang der Umbaumaßnahme zur Rechtsverteidigung gegen die im Vorprozess angestrengten Klage. Diese richtet sich ersichtlich gegen die entstandenen Geräusch- und Geruchsbelästigungen, was auch in den einzelnen, teilweise für erledigt erklärten Klageanträgen zum Ausdruck kommt. Bereits diese zunächst bestimmte Maßnahmen zur Verringerung der Geräusch- und Geruchsemissionen in Übereinstimmung mit den Auflagen des Landratsamtes Ortenaukreis -Baurechtsamt- vom 02.05.2002 beinhaltenden Anträge hatten auch das eigentliche Rechtsschutzziel, wie dies im späteren geänderten Antrag allgemein formuliert wurde, die Geräusch- und Geruchsemissionen einzudämmen bzw. zu verhindern, zum Gegenstand. Ursache des Vorprozesses ist also nicht die eigentliche Baumaßnahme, sondern deren spätere (übermäßige) landwirtschaftliche Nutzung. Diese begleitet die Baumaßnahme nicht unmittelbar und steht mit dieser nicht im geforderten qualifizierten Zusammenhang. Vielmehr ist die Nutzung der ausgeführten Baumaßnahme lediglich eine mittelbare, auf einer selbständigen weiteren Willensentschließung der Kläger beruhende Folge der baulichen Veränderung. Der geforderte innere sachliche Bezug besteht nämlich nur dann, wenn sich das Baurisiko realisiert, für das Auseinandersetzungen typisch sind, die über die anlässlich eines Bauvorhabens erbrachten Leistungen geführt werden. Es geht also um die Wahrung der rechtlichen Interessen, die der Bauherr an der Planung und Errichtung eines mangelfreien Gebäudes hat. Nur das offenbart sich auch dem verständigen Versicherungsnehmer bei unbefangener Lektüre der streitbefangenen Klausel (BGH a.a.O.). Im Vorprozess ist jedoch Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens der dortigen Klägerin nicht die Frage der mangelfreien Planung, Errichtung oder Veränderung des bestehenden Gebäudes und die daraus sich ergebenden Folgen. Vielmehr liegt die eigentliche Ursache der rechtlichen Auseinandersetzung in der Nutzung des veränderten Gebäudes durch den Bauherrn als Landwirt, ohne dass es im Verhältnis der Parteien des Vorprozesses streitentscheidend auf eventuelle Baumängel oder eine fehlerhafte Bauplanung ankommt. Dann aber erschließt sich für den vorliegenden Fall einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer bei verständiger Lektüre ein Risikoausschluss gemäß § 4 Abs. 1 k ARB 75 nicht.

Da die Beklagte im Übrigen keine Einwendungen gegen die Deckungspflicht erhebt, ist der Klage in vollem Umfange stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wurde gemäß den §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO getroffen. Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, bestand nicht.

Ende der Entscheidung

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