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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 12.06.2008
Aktenzeichen: 19 U 5/08
Rechtsgebiete: EuGVO


Vorschriften:

EuGVO Art. 5 Nr. 1 a
EuGVO Art. 5 Nr. 1 b
1. Hat der Unternehmer das zu liefernde Produkt aus von ihm selbst zu stellenden Stoffen herzustellen, handelt es sich grds. in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 CISG um einen Kaufvertrag nach Art. 5 Nr. 1 b EuGVO.

2. Erfüllungsort i.S.v. Art 5 Nr. 1 b - Spiegelstrich zwei - ist in erster Linie der Ort, an dem die Ware tatsächlich geliefert wurde, wenn sich aus dem Vertrag nichts anderes ergibt.


Oberlandesgericht Karlsruhe 19. Zivilsenat in Freiburg Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 19 U 5/08

Verkündet am 12. Juni 2008

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2008 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Lauven Richter am Oberlandesgericht Dr. Schoppmeyer Richterin am Landgericht Schüle

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 04.12.2007 abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die internationale Zuständigkeit für Zahlungsansprüche aus der Herstellung und Lieferung technischer Geräte (Fernanzeigen).

Die Beklagte bestellte beim Kläger mit Schreiben vom 23.03.2006 zwei Fernanzeigen, "welche am 18.04.2006 bei uns im Hause einlangen müssen". In der Auftragsbestätigung des Klägers vom 28.03.2006 wurde Lieferung per DPD vermerkt. Die Fernanzeigen wurden beim Kläger in E. in Anlehnung an eine bereits zuvor erfolgte Bestellung gefertigt und am 20.04.2006 durch den Kläger in L./Österreich am Sitz der Beklagten angeliefert, wo sie rügelos abgenommen wurden. Zwei im Nachhinein bestellte Schriftzüge für die Fernanzeigen wurden der Beklagten mit dem Transportunternehmen DPD übersandt und am Sitz der Beklagten ausgehändigt. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 04.12.2007 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat seine internationale Zuständigkeit bejaht und der Zahlungsklage, der unstreitige Zahlungsansprüche zugrunde liegen, stattgegeben. Zwar sei zweifelhaft, ob eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung vorliege. Es bestehe jedoch die an den Erfüllungsort anknüpfende besondere Zuständigkeit für die Erbringung von Dienstleistungen des Art. 5 Nr. 1 b zweiter Spiegelstrich EuGVO, weil der Schwerpunkt des Vertrages im Bereich der kundenspezifischen und aufwändigen Herstellung der Geräte liege. Die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzansprüche seien nicht substantiiert.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Der Werklieferungsvertrag sei als Kaufvertrag gemäß Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO einzuordnen. Bei der Auslegung von Art. 5 Nr. 1 b EuGVO könne auf die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 1999/44/EG sowie insbesondere auf das CISG zurückgegriffen werden. Dass es sich vorliegend um einen Kaufvertrag handele, ergebe sich aus der insoweit maßgeblichen Regelung in Art. 3 CISG, der mit Art. 1 Abs. 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie übereinstimme.

Die Beklagte rügt die Zuständigkeit des erkennenden Senats.

Die Beklagte beantragt,

auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 04.12.2007 - 8 O 109/07 - aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es liege kein Kaufvertrag im Sinne der EuGVO vor. Der Schwerpunkt des Vertrages liege hier eindeutig auf der Werkleistung - einer Dienstleistung im weiten europäischen Sinne. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sei zur Auslegung der nicht verbraucherschützenden Norm des Art. 5 Nr. 1 EuGVO nicht heranzuziehen. Der Rückgriff auf das CISG komme erst in Betracht, wenn feststehe, dass ein Kaufvertrag vorliege.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

1.

Die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts greift allerdings nicht.

Der erkennende Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts Karlsruhe für das Jahr 2008 aufgrund Zuweisung nach der Turnusregelung zur Entscheidung in dieser Sache zuständig.

2.

Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage als unzulässig abzuweisen, denn das Landgericht Freiburg ist für die vorliegende Streitigkeit nicht zuständig. Für den Rechtsstreit, der in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVO) fällt, ergibt sich weder aufgrund einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung noch aus Art. 5 Nr. 1 EuGVO eine Zuständigkeit deutscher Gerichte.

a.

Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 Abs. 1 EuGVO liegt nicht vor.

Eine Willenseinigung, die Voraussetzung sowohl für Art. 23 Abs. 1 S. 3 Nr. a) EuGVO als auch für Art. 23 Abs. 1 S. 3 Nr. b) EuGVO ist, steht, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht fest. Denn die Beklagte hat ausweislich der auf dem Bestellschein vom 23.03.2006 ganz unten enthaltenen leserlichen Angaben unter Bezugnahme auf den Gerichtsstand in M./Österreich bestellt während der Kläger die Bestellung unter Hinweis auf seine Lieferungs- und Zahlungsbedingungen angenommen hat, die als Gerichtsstand den Sitz des Lieferers in Deutschland vorsehen. Durch die bloße stillschweigende Hinnahme der Auftragsbestätigung seitens der Beklagten konnte der Kläger nicht auf ein Einverständnis der Beklagten mit seinen Liefer- und Zahlungsbedingungen schließen. Auf etwaige frühere Gepflogenheiten zwischen den Parteien kommt es mithin nicht an.

b.

Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht aus Art. 5 Nr. 1 b zweiter Spiegelstrich EuGVO. Der streitgegenständliche Vertrag ist als Kaufvertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO und nicht als Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 b zweiter Spiegelstrich EuGVO zu qualifizieren.

Sowohl der Begriff "Verkauf beweglicher Sachen" als auch der Begriff der Erbringung von "Dienstleistungen" gemäß Art. 5 Nr. 1 b EuGVO sind prozessrechtlich autonom, d.h. anhand der Zielsetzung und der Systematik der EuGVO zu ermitteln (OLG Köln, OLGR 2005,380; OLG Hamm OLG Report 2006,327; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 5 Rdn. 38). Beide Begriffe sind weit auszulegen (Auer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Bd. 1 Teil B Art. 5 Rdn. 52, 56).

Kaufverträge sind Austauschverträge, bei denen der Verkäufer zur Lieferung und Übereignung der Sache, der Käufer zur Zahlung des vereinbarten Preises und zur Abnahme der Sache verpflichtet ist. Zu Art. 5 Nr. 1 b EuGVO gehören sämtliche Kaufverträge über bewegliche Sachen und ihre Unterformen, in der Regel auch die mit einer Dienstleistung verbundenen Kaufverträge, so insbesondere Werklieferungsverträge. Nur ausnahmsweise, wenn der Dienstleistungsanteil gegenüber dem Kaufvertragsanteil überwiegt, dem Vertrag sein wesentliches Gepräge gibt und daher als vertragscharakteristische Leistung anzusehen ist, sind Werklieferungsverträge wie Dienstleistungsverträge zu behandeln (OLG Köln OLGR 2005,380; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 5 Rdn. 8; Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2006, Art. 5 Rdn. 50). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass zur Auslegung des Begriffs "Verkauf beweglicher Sachen" auch auf das Wiener Kaufrechtsübereinkommen (CISG) zurückgegriffen werden kann, das in Art. 3 die Werklieferungsverträge den Kaufverträgen gleichstellt, soweit nicht der Besteller einen wesentlichen Teil des für die Herstellung erforderlichen Materials stellt (Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003, Art. 5 Rdn. 10a, 10b; Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2006, Art. 5 Rdn. 46; Auer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Bd. 1 Teil B Art. 5 Rdn. 52).

Vorliegend handelt es sich um einen typischen Werklieferungsvertrag, bei dem der Verkäufer die Ware herzustellen und anschließend zu liefern und zu übereignen hat. Da der Kläger das Produkt aus von ihm selbst zu stellenden Stoffen herzustellen hatte, handelt es sich in Anlehnung an die Regelung in Art. 3 Abs. 1 CISG um einen Kaufvertrag nach Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO. Auch bei wertender Betrachtung überwiegt hier die kaufvertragliche Komponente, nämlich die vereinbarte Lieferung und Übereignung der fertigen Sache gegen Zahlung des vereinbarten Kaufpreises. Die tätigkeitsbezogene Dienstleistung, nämlich die Herstellung des Produkts, mag sie für den Kläger auch zeit- und kostenintensiv sein, tritt dahinter - anders als bei den typischen Dienstleistungsverträgen wie Geschäftsbesorgungs-, Beratungs- und Werkverträgen - zurück. Der Fall des OLG Köln OLGR 2005,380 lag insoweit anders, da dort Vertragsgegen- stand nur die Lieferung von Probemodellen war, so dass dort die Entwicklung und Herstellung der Probemodelle gegenüber der Lieferung und Eigentumsverschaffung daran überwog. Vorliegend ist das Interesse des Kunden in erster Linie auf Lieferung und Übereignung des fertigen Produkts gerichtet, zumal es zuvor bereits eine Vielzahl von Bestellungen gegeben hatte, denen die Fertigung gleichartiger, durch Zusammenbau unterschiedlicher Komponenten hergestellter Fernanzeigen zu Grunde lag. Die Tatsache, dass es sich jeweils um Einzelanfertigungen unter Berücksichtigung der Kundenwünsche handelt, ändert nichts an dem kaufvertraglichen Schwerpunkt der geschuldeten Leistung. Dies führt nicht dazu, die Lieferung und Übereignung als bloße Annexpflicht einzustufen. Vielmehr gibt erst diese Lieferungs- und Übereignungspflicht dem Vertrag sein typisches Gepräge

c.

Erfüllungsort für den vorliegenden Kaufvertrag gemäß Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO ist L./Österreich.

Nach der Regelung in Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO ist Erfüllungsort der Verpflichtung - sofern nichts anderes vereinbart ist - der Ort, an dem die beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen.

Eine Erfüllungsortvereinbarung kann vorliegend genauso wenig festgestellt werden wie eine Gerichtsstandsvereinbarung. Die Parteien haben einen konkreten, von der maßgeblichen Gesetzeslage abweichenden Erfüllungsort weder ausdrücklich noch stillschweigend vereinbart.

Erfüllungsort ist deshalb der Ort, an dem die Ware nach dem Vertrag geliefert wurde. Auch insofern kommt es auf eine autonome Auslegung von Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO an, und zwar im Licht der Entstehungsgeschichte, der Ziele und der Systematik der Verordnung (EuGH Urt. v. 03.05.2007, NJW 2007,1800). Durch den prozessrechtlich autonom zu bestimmenden Erfüllungsort in Art. 5 Nr. 1 b EuGVO sollte ein einheitlicher Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Kauf- bzw. Dienstleistungsvertrag begründet werden. Die mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH verbundenen Nachteile durch den Rückgriff auf Regeln des IPR des angerufenen Gerichts sollten dadurch vermieden und die Vereinheitlichung der Gerichtsstandsregeln im Bestreben um ein möglichst hohes Maß an Vorhersehbarkeit erreicht werden (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 5 Rdn. 27).

Vor dem Hintergrund dieses pragmatischen Erfüllungsbegriffs ist der Ort, an dem die Ware nach dem Vertrag geliefert wurde, vorliegend L./Österreich. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Ware tatsächlich in L. angeliefert wurde und erst hier in den Machtbereich der Beklagten gelangt ist. Die beiden Fernanzeigen sind vom Kläger, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt wurde, selbst per Zufuhr bis zum Sitz der Beklagten angeliefert worden. Eine Versendung mit DPD, wie in der Auftragsbestätigung vorgesehen, ist nicht erfolgt. Die tatsächliche Anlieferung in Österreich, ohne dass dabei bezüglich des Lieferorts eine neue Vereinbarung getroffen wurde, belegt in Zusammenhang mit der Vorgabe, wann die Ware im Hause der Beklagten eingehen sollte, dass die Parteien sich einig waren, dass der Kläger seine vertragliche Verpflichtung mit Anlieferung am Sitz der Beklagten erfüllt. Ob die Anlieferung durch den Kläger selbst oder durch ein Drittunternehmen erfolgt, war offensichtlich in das Belieben des Klägers gestellt. Dies gilt sowohl für die Fernanzeigen als auch für die dazugehörigen Schriftzüge, die dann später per DPD übersandt wurden.

Da der Lieferort hier im Einzelfall auf der Grundlage der konkreten Vertragsabsprachen und der tatsächlichen Auslieferung bestimmbar ist, kommt es auf die Streitfrage, wo bei einem Versendungskauf der Lieferort im Sinne des Art. 5 Nr. 1 b erster Spiegelstrich EuGVO liegt, wenn der Vertrag hierzu keinerlei Anhaltspunkte liefert, nicht an (dazu Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 5 Rdn. 49 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

4.

Die Revision ist nicht zuzulassen, denn es liegt keiner der Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Kriterien für die Abgrenzung zwischen Kaufvertrag und Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 b EuGVO sind geklärt. Die Einordnung erfolgt hier aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Bestimmung des Lieferorts erfolgt vorliegend ebenfalls anhand der konkreten Vertragsdurchführung. Eine klärungsbedürftige und entscheidungserhebliche Rechtsfrage stellt sich weder in dem einen noch dem anderen Zusammenhang.

Ende der Entscheidung

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