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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 08.10.2004
Aktenzeichen: 2 HEs 151/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
Der besondere Umfang oder die besonderen Schwierigkeiten der Ermittlungen können die Haftfortdauer über sechs Monate hinaus nur rechtfertigen, wenn sie sich auf die im Haftbefehl genannten Taten oder auf solche Taten beziehen, hinsichtlich derer jedenfalls ein dringender Tatverdacht besteht.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 HEs 151/04

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.

hier: besondere Haftprüfung nach § 121 StPO

Beschluss vom 8. Oktober 2004

Tenor:

Die Haftbefehle des Landgerichts H. vom 15. September 2004 und des Amtsgerichts H. vom 1. April 2004 werden aufgehoben.

Gründe:

Der Angeschuldigte befindet sich seit seiner Festnahme am 31.3.2004 zunächst unter dem Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge in zwei Fällen aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts H vom 1.4.2004 und jetzt unter dem Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge in drei Fällen und der gefährlichen Körperverletzung aufgrund Haftbefehls des Landgerichts H. vom 15.9.2004 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Da ein Urteil noch nicht ergangen ist und die nunmehr zuständige Strafkammer die Haftfortdauer für erforderlich hält, sind die Voraussetzungen der besonderen Haftprüfung durch den Senat gegeben. Die Überprüfung führt zur Aufhebung der Haftbefehle.

Zwar besteht ein dringender Tatverdacht im Sinne des Haftbefehls des Landgerichts H. vom 15.9.2004, der sich insbesondere auf die teilweise geständigen Einlassungen des Angeschuldigten und die Angaben der gesondert Verfolgten A. und B. sowie der Zeugin K. gegenüber der Polizei gründet. Auch besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Ziff. 2 StPO). Dem Angeschuldigten werden u.a. drei Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz mit einer Mindeststrafe von jeweils zwei Jahren Freiheitsstrafe vorgeworfen, so dass er mit der Verhängung einer nicht mehr zur Bewährung aussetzbaren Freiheitsstrafe zu rechnen hat. Dem sich aus der Höhe der Straferwartung ergebenden natürlichen Fluchtanreiz stehen ausreichende fluchthemmende Bindungen im Inland nicht entgegen. Der Angeschuldigte lebt zwar bei seinen Eltern, ist aber heroinabhängig und ohne Beschäftigung, so dass es eher wahrscheinlich erscheint, dass er sich im Falle einer Freilassung dem Verfahren durch Flucht entziehen wird.

Gleichwohl sind die Haftbefehle aufzuheben, weil es an einem wichtigen Grund für eine Haftfortdauer im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO fehlt. Untersuchungshaft darf nämlich nur und soweit angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn ein dringender Tatverdacht vorliegt. Deshalb können der besondere Umfang und die besonderen Schwierigkeiten der Ermittlungen die Haftfortdauer über sechs Monate hinaus nur rechtfertigen, wenn sie sich auf die im Haftbefehl genannten Taten beziehen oder jedenfalls ein dringender Tatverdacht besteht (BVerfG NJW 1992, 1749 f.; NStZ 2002, 100 f.; OLG Hamm StV 1988, 212; OLG Frankfurt StV 1995, 424; NStZ-RR 1996, 268 ff; OLG Bamberg StV 2002, 608). Wie sich den Akten entnehmen lässt, waren die Ermittlungen wegen der dem Haftbefehl des Landgerichts H. vom 15.9.2004 zugrundeliegenden Straftaten spätestens mit dem polizeilichen Schlussbericht vom 7.5.2004 abgeschlossen. Soweit gleichzeitig mit der Erhebung der Anklage am 17.8.2004 eine psychiatrische Begutachtung des Angeschuldigten hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit und der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen möglicher Rauschmittelabhängigkeit in Auftrag gegeben wurde, die noch nicht abgeschlossen ist, vermag dies die Haftfortdauer im Hinblick auf diese Taten nicht zu rechtfertigen, weil der Angeschuldigte bereits in seiner Vernehmung am 31.3.2004 angegeben hatte, heroinabhängig zu sein.

Die seit Mai 2004 getätigten Ermittlungen betrafen vielmehr nur einen dem Angeschuldigten in der Anklage der Staatsanwaltschaft H. vom 17.8.2004 angelasteten Überfall auf eine Tankstelle in N. am 12.7.2003, für den zu keinem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht bestand, so dass die Strafkammer ihn auch ihrem im übrigen der Anklageschrift angepassten Haftbefehl nicht zugrundegelegt hat. Auch der Senat kann einen dringenden Tatverdacht insoweit nicht erkennen. Anlass für die Ermittlungen gegen den Angeschuldigten war der Hinweis eines Informanten gegenüber der Polizei am 7.4.2004, wonach der Angeschuldigte und - möglicherweise - der Mitangeschuldigte F. einen Überfall am 29.3.2004 auf eine Tankstelle in W. begangen haben sollen. Darüberhinaus hatte der gesondert Verfolgte A. in seiner Vernehmung vom 4.5.2004 angegeben, vor diesem Überfall von dem Angeschuldigten und dem Mitangeschuldigten F. zur Teilnahme an einem Überfall auf eine Tankstelle in W. aufgefordert worden zu sein. Einen Verdacht, der Angeschuldigte habe deshalb auch den vom Ablauf ähnlichen Überfall in N. begangen, vermögen diese Hinweise aber schon deshalb nicht zu begründen, weil der Mitangeschuldigte F. zwischenzeitlich eingeräumt hat, die Taten in W. als Alleintäter begangen zu haben, während das Verfahren gegen den Angeschuldigten insoweit eingestellt wurde. Auch das Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung vom 19.7.2004, wonach der Angeschuldigte mit einer schwach vorhandenen Merkmalshäufigkeit als Mitverursacher einer Mischspur an einer Plastiktüte, die der Täter bei dem Überfall in N.am Tatort zurückgelassen hat, in Betracht kommt, begründet jedenfalls keinen dringenden Verdacht. Der Angeschuldigte selbst stellt diesen Überfall in Abrede. Der gesondert Verfolgte A. hat in der erwähnten Aussage angegeben, von diesem Überfall nichts gehört zu haben. Dass der Angeschuldigte die auf den während des Überfalls von der Überwachungskamera gefertigten Fotoprints abgelichtete Person sei, schließe er ungeachtet deren schlechter Qualität aus. Auch die Tatzeugen in der Tankstelle haben den Angeschuldigten, auf den die schon zuvor von den Zeugen abgegebene Täterbeschreibung jedenfalls hinsichtlich des Alters nicht zutrifft, bei einer Lichtbildvorlage am 2.7.2004 nicht als den bei der Tat nicht maskierten Täter identifizieren können. Da der Angeschuldigte zudem unter anderem mit dem Mitangeschuldigten F. befreundet ist, der angegeben hat, bei dem Überfall in W. eine Jacke des Angeschuldigten getragen zu haben, sind für das Vorhandensein der an der am Tatort zurückgelassenen Plastiktüte festgestellten Mischspuren, soweit diese dem Angeschuldigten überhaupt zugeordnet werden können, durchaus auch andere Erklärungsmöglichkeiten denkbar.

Die Notwendigkeit der Aufklärung der Tat vom 12.7.2003 vermag mithin die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr hätte - auch bei zeitnaher psychiatrischer Begutachtung - in angemessenem Zeitraum nach Eingang des polizeilichen Schlussberichts im Mai 2004 Anklage hinsichtlich der anderen dem Angeschuldigten in der Anklage angelasteten Taten erhoben werden müssen. Im Hinblick auf die durch die Ermittlungen wegen des Überfall am 12.7.2003 eingetretenen Verzögerungen um mehrere Monate musste der Haftbefehl deshalb aufgehoben werden.

Ende der Entscheidung

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